Reisen mit der Stiftung: Begegnungen in Hellas 1963
Alte Bilder sind immer ganz besonders interessant, weil sie uns tolle Einblicke in vergangene Zeiten geben, die wir aus unserer heutigen Perspektive ganz anders einordnen. Da kommt man auch schon mal ins Staunen, muss schmunzeln oder ist verblüfft. So wie bei unserem heutigen Archivstück: Bilder und Dokumente zu einer Griechenland-Reise, die die Stiftung im Jahr 1963 organisierte.
Reisen für Menschen mit Behinderung im In- und Ausland
Schon kurz nach der Aufnahme ihrer operativen Tätigkeit Anfang der 1950er Jahre veranstaltete die Fürst Donnersmarck-Stiftung (FDST) Reisen für Menschen mit Behinderung. 1955 organisierte Paul Neukirchen die erste „Fahrt des guten Willens“, eine Erholungsreise für Menschen mit Behinderung nach Oerlinghausen bei Bielefeld. Bis 1966 wurde sie sechs Mal wiederholt. Diesen ersten Gehversuch im Bereich Touristik baute die Stiftung in den folgenden Jahren systematisch aus. Um Menschen mit Behinderung das Reisen zu erleichtern, eröffnete die Stiftung 1972 ihr erstes barrierefreies Gästehaus in Bad Bevensen in der Lüneburger Heide – das heutige Heidehotel Bad Bevensen. 2001 kam das Seehotel Rheinsberg hinzu, das seither einen barrierefreien Urlaub in Brandenburg ermöglicht.
Die FDST organisierte aber nicht nur Reisen im Inland. Schon Ab den 1960er Jahren standen auch größere und kleinere Auslandsreisen auf dem Programm. Sie führten nach Israel, in die USA, nach Thailand und weitere Länder in Übersee. Eine der ersten Fernreisen unternahm die Stiftung 1963. Damals reiste die Jugendgruppe „Cocas“ aus der Schädestraße in die griechische Hafenstadt Volos am Pagasitischen Golf in Thessalien – der Sage nach traten von dort einst die Argonauten ihre denkwürdige Reise an. Ziel der Fahrt war, so Gisela Neukirchen in ihrem Abschlussbericht, die „Gelegenheit für eine Begegnung zwischen einer Versehrtengruppe und einer griechischen Jugendgruppe Gesunder zu geben, wobei beiden Partnern ermöglicht werden sollte, sich kennenzulernen, für die Lebenshaltung, Gewohnheiten und persönlichen Interessen des Einzelnen, Weltanschauung und Brauchtum Achtung zu gewinnen und so zum besseren Verständnis der Völker mit beizutragen.“
In zwei Tagen nach Griechenland
Am 13. Juli 1963 um 8 Uhr 23 machten sich vierzehn Mitglieder der „Cocas“ mit sechs Begleiterinnen und Begleitern vom Bahnhof Zoo aus auf den Weg. Vier Personen waren dauerhaft auf einen Rollstuhl angewiesen. Über die Hinreise schreibt Gisela Neukirchen: „Um die Fahrt von zweieinhalb Tagen so leicht wie möglich zu machen, wurde daran gedacht, Liegeplätze und Coupé-Bestellungen vorzunehmen. Auf dem Umsteigebahnhof München stand das Rote Kreuz München helfend zur Seite. Ab München hatte die Jugendgruppe Liegewagenplätze bis Ljubljana. Durch einen glücklichen Umstand bekam dann die Gruppe ab Ljubljana 1. Klasse-Plätze zugewiesen. Die sie bis zum Bestimmungsort innehatte.“ Am 15. Juli traf die Gruppe im Kinderdorf in Volos ein. Gisela Neukirchen war bereits am 10. Juli mit einem Begleiter vorausgefahren, um das Gepäck in Empfang zu nehmen und letzte organisatorische Fragen zu klären.
Schon im Vorfeld der Reise wurde alles penibel organisiert. Darüber gibt eine ‚Checkliste‘ Auskunft, die im Archiv zur Reise nach Volos erhalten geblieben ist. Für das „kleine Gepäck“ wird in der Liste folgendes aufgeführt: „Wer schlecht sitzen kann, nehme ein kleines Kissen mit (aufblasbar), ein Handtuch, ein Stück Seife, zwei Waschlappen, Papierservietten, Plastiktrinkbecher, Kamm, Rasierzeug u.a. Obst, belegte Brote in Nylontüten, kalte Koteletts oder Bouletten (und) Eier.“ Ausdrücklich wird darauf verwiesen, bitte keine Lebensmittel mitzunehmen, die in der Hitze verderben können. Koteletts und Bouletten wurden also vermutlich während der zweitägigen Reise restlos verputzt. Im Koffer, der mit einem Gepäckservice vorausgesendet wurden sollten sich „Genügend leichte Hemden (Polo, Sport, Nyltest), wenigstens 4x Unterwäsche, ein guter Anzug, Schlafanzug, zwei Kravatten, ein weißes Oberhemd, eine leichte, helle Kopfbedeckung mit Schirm, Badehose, Turnhose“ und dergleichen befinden. Man war gut vorbereitet auf Sonnenwetter; und auf eventuell königliche Audienzen.
Eine Audienz bei der Königin?
Diese sollte nämlich ursprünglich auch auf dem Reiseprogramm stehen. Bereits einige Monate vor der Abfahrt hatte Gisela Neukirchen beim Deutschen Botschafter in Athen angefragt, ob er nicht einen Empfang bei der griechischen Königin Friederike von Hannover organisieren könne. Aus der Botschaft kam allerdings ein abschlägiger Bescheid. Die Königin, so heißt es in dem Schreiben, halte sich in den Sommermonaten nicht in Athen auf. Stattdessen wurde ein Besuch in der Deutschen Botschaft in Aussicht gestellt. Ob dieser stattgefunden hat lässt, sich aus den Akten und Berichten der Reise aber nicht rekronstruieren. Joachim Rinke, der im Septemberheft der WIR von 1963 von der Reise erzählt, berichtet aber von einer „Dampferfahrt entlang der Küste von Volos“, die am 25. Juli unternommen wurde. Sie war ein „großes Erlebnis“. „Wir sangen uns fast die Kehle heiser“, so Rinke. Die Gruppe war allerdings nicht ganz allein unterwegs. Die ersten zehn Tage war sogar das deutsche Fernsehen anwesend. Wie es aussieht, wollte sie den Aufenthalt dokumentieren, was den Unwillen mancher Mitreisenden hervorrief. Das Fernsehteam nahm einige der Reisenden aber auf Ausflüge nach Athen und in andere Städte mit, was positiv aufgenommen wurde.
Typhus und Paratyphus
In den Unterlagen findet sich auch eine Broschüre des „Vereins Soziale Familienhilfe für Nordgriechenland“ mit dem Titel „Hellas ruft Dich“. Darin wird von dem ersten heilpädagogischen Heim und der daran angeschlossenen ersten Sonderschule auf griechischem Boden berichtet, die 1961 ihre Pforten öffneten. Die Initiatorin der Schule, Tutula Nanakos, empfing die Reisegruppe der FDST während ihres Aufenthalts. In der Broschüre wird aber nicht nur über die Arbeit des Heims berichtet und zugleich zu Spenden für das Heim aufgerufen. Angesprochen wird auch die Armut in Nordgriechenland, die sich Anfang der 1960er Jahren „in den elementaren Dingen“ wie die allgemeinen hygienischen Verhältnisse oder die Wasserversorgung widerspiegelt.
Auch sie waren daher im Vorfeld der Reise ein Thema der Organisation und der Korrespondenz. Am 14. Juni schrieb die Stiftung einen Brief an den Orthopäden Dr. Alexander L. Zaoussis nach Athen. In seiner Antwort vom 3. Juli ist zu lesen: „Die Hauptsorge beim Aufenthalt in Griechenland sollte das Wasser sein. In der Stadt und aus Bergquellen ist das Wasser einwandfrei sicher. In allen anderen Fällen sollten Sie desinfizierende Chlortabletten für das Wasser benutzen. Bei dem leisesten Verdacht auf Typhus oder Paratyphus sollten Sie dem Patienten unverzüglich Chloromycin geben. […] Reinigen Sie immer Gemüse und Obst vor dem Gebrauch mit kochendem Wasser.“
Die Vorbereitungen zahlten sich offenbar aus. „Wir können zum Schluß festhalten“, so Gisela Neukirchen, „daß die Fahrt ohne jegliche Vorkommnisse, sei es Krankheit, Unfall, Ernährungsstörungen oder Hitzeeinwirkungen, blieb und damit selbst über unsere eigenen Erwartungen hinaus bestens verlaufen ist.“ Anfang August trafen alle Reisenden froh wieder in Berlin ein. Ein Gegenbesuch der Jugendlichen aus Griechenland wurde im Übrigen geplant. Das Kuratorium der FDST beschloss im November 1964, die Fahrt-, Verpflegungs- und Unterbringungskosten in Gänze zu übernehmen. Doch der Besuch ist gleichwohl nie zu Stande gekommen.