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Marcel Renz fährt beim Camping im E-Rollstuhl über einen Steg am Starnberger See

Camping mit E-Rollstuhl

Günstig und unabhängig mit einem Camper auf Reisen zu gehen, scheint ein neuer Trend zu sein. Spätestens seit der Corona-Pandemie sind immer mehr Menschen an Alternativen zu Flugreisen oder Kreuzfahrt-Ausflügen interessiert. Aber wie können Menschen mit Schwerstbehinderung diese Art des Reisens umsetzen? Diese Frage ließ den Autor, Blogger und Referent im E-Rollstuhl, Marcel Renz, nicht mehr los und er machte trotz Vorbehalten aus seinem Umfeld den Praxistest zum Thema Camping mit dem E-Rollstuhl.

Camping mit dem E-Rollstuhl? Herausforderung angenommen!

Alles begann mit der Idee einer meiner Assistentinnen, nachdem ich einen Ford Transit von meinem Pflegedienst übernommen hatte. Die Zimmerfrau war gleich begeistert: „Da bauen wir auf jeden Fall ein Bett ein!“ Zuerst hielt ich das für einen gut gemeinten Scherz. Aber je mehr ich mich damit beschäftigte, desto besser fand ich die Idee. Meine Assistentin dachte sich eine einfache Konstruktion aus Holz aus, die leicht auf- und abbaubar ist. Solch eine simple Lösung war Grundvoraussetzung, da ein Campingurlaub bei meinem pflegerischen Aufwand sowieso schon eine große Herausforderung darstellt. Auch die Frage, wo ich meine ganzen Hilfsmittel und Campingutensilien unterbringen würde, war schnell gelöst. Die Idee war, ein geeignetes Vorzelt zu besorgen, das groß genug und einfach aufzubauen ist.

Recht knapp vor meiner Camping-Premiere fragte ich bei mehreren Plätzen in der Nähe des Starnberger Sees – dem anvisierten Reiseziel – an, ob ein geeigneter Stellplatz und eine barrierefreie Sanitäranlage verfügbar seien. Einige Plätze waren zwar barrierefrei, aber schon ausgebucht. Die Antwort vom Campingplatz Königsdorf am Bibisee klang dafür sehr gut. Der Campingwart schlug mir einen Platz in unmittelbarer Nähe zum See und unweit von der modernen Sanitäranlage vor. Am liebsten hätte ich mir die Gegebenheiten per WhatsApp-Videocall, zeigen lassen. Aber dafür hatte der gut beschäftigte Mann verständlicherweise keine Zeit. Ich verließ mich auf mein gutes Gefühl und tätigte die Anzahlung. Vor der Fahrt machte ich einen erfolgreichen Test auf meiner Liegekonstruktion und besorgte noch einige Dinge, die auf meiner Camping-Liste standen. Mit einem vollgepackten Bus und einer gesunden Portion Aufregung ging es los Richtung Bayern. Das Projekt Camping im E-Rollstuhl nahm seinen Lauf.

Ein Campingplatz, der für Inklusion steht

Die Ankunft am Campingplatz lief vielversprechend. Wir wurden schon erwartet und der Campingwart ließ es sich nicht nehmen, persönlich mit mir zu sprechen und nicht einfach alles mit meiner Assistenz zu besprechen, wie oft vorkommt. Aber der Mann wusste, was Inklusion bedeutet. Er erklärte uns alles, zeigte uns unseren Stellplatz und versprach in seinem sympathischen urbayerischen Dialekt: „Ihr könnts euch jederzeit melden, wenns ihr irgendwas braucht oder ein Problem habt.“ Ich war erst mal erleichtert. Das klang sehr serviceorientiert und nach Kommunikation auf Augenhöhe

Der vorgesehene Stellplatz lag wie angekündigt sehr zentral und damit für mich sehr günstig. Zum Glück war es für den Aufbau des aufblasbaren Vorzelts trocken. Denn diese Aktion erforderte vor allem bei der ersten Anwendung ein bisschen Geschick und Geduld. Aber im Ergebnis stand es sehr sicher und mit Hilfe von zwei Saugnäpfen fürs Autodach war der Übergang zwischen Zelt und Auto einwandfrei dicht.

Das war in der Folge unsere Rettung. Denn das Wetter war nicht gerade prickelnd für Mitte August. Als morgens um 5:00 Uhr der Regen aufs Autodach trommelte und ein kräftiges Gewitter im Gange war, schreckte ich hoch. Die Sorge um eine Unterbrechung der Stromversorgung erwies sich aber zum Glück als unbegründet. Meine Assistenten hatten ein Kabel für die Stromversorgung durch einen Schlitz vom Fenster nach draußen zur Kabeltrommel unter das Auto gelegt. Ansonsten verlief die erste Nacht bis auf die kühlen Temperaturen problemlos und es war sehr bequem in meinem Bett. Die nächsten Tage entschied ich mich für lange Unterhose und mehr Kleidung in der Nacht. Glücklicherweise verrichtete mein Heizlüfter regelmäßig unschätzbare Dienste.

Eine weitestgehend barrierefreie Sanitäranlage

Unsere nächste Herausforderung in Königsdorf war es, mit dem Toilettenstuhl zur Sanitäranlage zu fahren. Wir warteten auf eine Regenpause, dann ging es auf den Toilettenstuhl: dickes Hemd an, die Hose so weit wie möglich hoch und auch noch eine Jacke. Diese Aktion war nur mit zwei Assistenzpersonen möglich. Denn der eine Assistent schob mich und Assistenz Nummer zwei war für alles andere zuständig. Trotz geteertem Weg wurde ich gehörig durchgeschüttelt und die Blicke der anderen Gäste waren mir sicher. Die im Vergleich zur heimatlichen Wohnung niedrigen Temperaturen und das starke Schütteln lösten bei mir Kreislaufprobleme aus, die ich aber schnell wieder in den Griff bekam. Die Sanitäranlage in Königsdorf ist äußerst modern und war für mich nahezu problemlos nutzbar. Das behindertengerechte WC war leider etwas zu hoch für meinen individuellen Toilettenstuhl. Aber mit zwei Assistenten war es dann ein Kinderspiel.

Man muss immer damit rechnen, dass es vor Ort irgendwie anders ist als gedacht. Deshalb meine Erfahrung: lieber ganz genau und besser zweimal als einmal nachfragen. Ansonsten war es ein toller Toilettenraum mit sehr viel Platz. Inzwischen konnte ich noch zwei weitere Campingplätze ausprobieren, die ebenfalls mit einer barrierefreien Sanitäranlage aufwarteten. In beiden Fällen bekam ich einen geeigneten Stellplatz in der Nähe der Sanitäranlage. Einige andere von mir angefragten Campingplätze gaben mir ebenfalls die Info, dass ihre Plätze samt Toilette und Dusche rollstuhlgerecht seien. Dies zeigt mir, dass in Deutschland auf immer mehr Plätzen Camping im E-Rollstuhl möglich ist.

Schlechtes Wetter nervt, ist aber kein Hindernis

Am ersten Nachmittag wagten wir uns bei stark bewölktem Himmel ins Freie für eine kurze Erkundungstour auf dem schönen Campingplatz. Ausgestattet mit Regencape ging es dann auf eine größere Runde durch den angrenzenden Wald sowie ein Stück am sehr kleinen, aber beschaulichen Bibisee entlang. Unterwegs machte uns einsetzender Starkregen zu schaffen. Zum Glück waren wir gerade an einem kroatischen Restaurant angekommen und konnten uns auf Kosten von Kaffee und Pommes unterstellen. Abends trafen wir uns dann mit meinem Cousin im selben Restaurant bei zum Glück zwischendurch trockenen, aber sehr kühlen Temperaturen. Immerhin hatte der Wirt ein Einsehen und machte extra für uns im Außenbereich seinen großen Heizpilz an.

Marcel renz liegt in seinem Bus
Übernachtung im eigenen Bus

Die nicht einfachen Wetterbedingungen verlangten einiges von mir und meinen Assistenten ab. Durch den vielen Regen mussten wir relativ viel Zeit im Bus und den Zelten verbringen. Sich gemütlich vor den Bus chillen, die Seele baumeln lassen und das schöne Wetter genießen, war weniger der Fall. Zumindest blieb alles erstaunlich trocken. So blieb uns die Erkenntnis, dass Campen mit E-Rollstuhl auch bei widrigen Bedingungen funktioniert. Aber eine klamme Bettdecke und ebensolche Kissen machen nicht gerade gute Laune.

Reales Camping-Feeling kam bei uns dennoch auf. Zum Beispiel beim Kochen mit Campingkocher und Essen in zwar etwas beengten, dank Heizlüfter und geeigneter Camping-Ausstattung aber schön gemütlichen Verhältnissen. Und es ist einfach mal völlig anders als zu Hause, da man beim Campen der Natur ein Stück weit ausgesetzt ist. Aber genau das macht ja den Campingreiz aus. Einige Sonnenstrahlen konnte ich mit meinen Assistenten trotzdem tanken – zum Beispiel beim Ausflug zum Starnberger See. Der Campingwart unterstützte mich mal wieder mit vollem Engagement und zeigte mir auf einer extra ausgedruckten Karte einen für mich geeigneten Weg. Beim Erholungsgebiet Ambach konnten wir dank seines Tipps gemütlich ein paar Kilometer direkt am See entlangfahren. Es war mitunter sehr windig, aber herrliches Wetter, sodass wir sogar ein paar Kitesurfer beobachten konnten. Unmittelbar am Seeufer entlang zu fahren, war jedenfalls ein tolles Gefühl.

Verbesserungsmöglichkeiten und Ausblick zum Camping im E-Rollstuhl

Nach vier Nächten war die Premiere unseres Projektes Camping im E-Rollstuhl beendet und für mich fiel das Resümee trotz der einen oder anderen Unzulänglichkeit sehr positiv aus. Natürlich war es sehr intensiv und anstrengender als in einer Ferienwohnung oder im Hotel. Man ist eben der Natur vielmehr ausgesetzt. Ein wichtiges Plus in Königsdorf war die gute Infrastruktur. Zwei Restaurants in der Nähe und eine nette kleine Campinggastronomie sind sehr nützlich, wenn es zwischendurch mal etwas stressig ist. Die Umgebung war beschaulich mit viel Natur und rollstuhlgängigen Wegen. Außerdem war der Service nicht nur sehr gut, sondern auch inklusiv. Der Campingwart hat sich sehr intensiv um mich gekümmert und wusste sofort, was für Rollstuhlfahrer*innen wichtig ist.

Mehr als bewährt hat sich meine Bettkonstruktion, auf der ich fast so gut wie im heimischen Bett schlief. Außerdem war es mal ein ganz neues und tolles Reiseerlebnis sowie die Erkenntnis, dass Campen auch mit E-Rollstuhl Spaß macht. So viel Spaß, so dass ich demnächst für eine Nacht zur Probe wild campen möchte, die Stromversorgung läuft dann über eine 12 V-Batterie und einen geeigneten Wechselrichter. Bleibt nur noch das „Ordnung halten“ und das Wetter. Eigentlich sucht man im Campingbus pausenlos, erst recht wer wie ich zahlreiche Hilfsmittel im Urlaub benötigt. Die Lösung: Ordnungssysteme mittels Konstruktion einer Stange an der Decke. Gutes Wetter ist natürlich das Nonplusultra, da ich bei trockenem Wetter das Vorzelt nicht aufbauen muss und ich somit viel mobiler mit meinem Campingbus bin. Zudem besteht die Möglichkeit, in einem campingnahen See baden zu gehen.

Marcel Renz

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