In Gedenken an Ingrid Koch
Mit Ingrid Koch haben wir einen langjährigen Gast der Villa Donnersmarck verloren – wir werden sie sehr vermissen.
Sie war klein und so oho: Ingrid Koch gehörte zur Villa Donnersmarck wie die Barrierefreiheit des Hauses. Seit den Siebzigerjahren kam sie in die Schädestraße, sie kannte das Haus noch als „Freizeitstätte“ mit gemusterten Tapeten. Viele Stunden hat sie in den Gruppen, bei Festen und Veranstaltungen verbracht, mit dem einfachen Vorsatz, der sie so besonders gemacht hat: Das Leben genießen, alles aufsaugen, was es einem zu bieten hat. Und genießen konnte sie. Wir werden uns an viele schöne Momente erinnern, die sie mit ihrem fröhlichen Wesen unvergesslich gemacht hat. Ingrid Koch ist so oft über ihre Körpergröße hinausgewachsen. Sie ist privat und mit der Stiftung durch die Weltgeschichte gereist. Als Kulturliebhaberin avancierte sie von der Souffleuse zum heimlichen Star der Theatergruppe der Fürst Donnersmarck-Stiftung. Mit ihrer positiven Neugier wirkte sie mindestens so, wie sie sich fühlte, 20 Jahre jünger. Jetzt ist Ingrid Koch von uns gegangen, sie wurde 84 Jahre alt, nicht, dass man es ihr angesehen hätte. Das Team der Villa vermisst sie und dankt für eine wunderbare Zeit.
Ingrid Koch – Bilder aus ihrem Leben mit der Villa
„Langeweile kenne ich nicht“ – Porträt Ingrid Koch (WIR 1/2020)
Spontaneität und Bodenständigkeit sind zwei von vielen Eigenschaften, die sich wie ein roter Faden durch das Leben von Ingrid Koch ziehen. „Meine geringe Körpergröße ist wahrscheinlich auf eine Mutation zurückzuführen, aber ich habe früh gelernt, mich so zu akzeptieren, wie ich bin“, sagt sie. Nachdem sie diese Entscheidung für sich getroffen hatte, blickte sie immer nach vorne und stellte sich den Herausforderungen, die das Leben für sie bereithielt.
„Ich habe immer mit Tricks und durch Ausprobieren herausgefunden, wie ich etwas erreichen kann.“
Ingrid Koch
So lernte sie von ihrer Mutter das Nähen. Das Geld zum Leben verdienten sich Mutter und Tochter nach dem frühen Tod des Vaters mit dem Nähen von Arbeitskleidung. Eine Herausforderung für ihre Hände, denn ihre Finger sind nur eingeschränkt beweglich. Ein Arzt wollte ihr die Sehnen verlängern. Doch die Operation war ihr zu riskant. Ihre Mutter zeigte ihr die Nähtechnik und sagte: „Das musst du selbst ausprobieren. “Das tat Ingrid Koch. „Ich habe immer meine Kleider genäht oder geändert, weil ich das bei meiner Größe für jedes Kleidungsstück machen musste.“
Ihre Liebe zum Theater, zum Reisen und zur Fotografie sind weitere Themen, über die Ingrid Koch gerne erzählt. Viele Jahre kam sie in die Villa Donnersmarck, die damals noch Bildungs- und Freizeitstätte hieß. Der Berliner Kleinkunstkünstler und Schauspieler Bernd Kummer schmiedete hier in vielen Inszenierungen ein inklusives Theaterensemble. Ingrid Koch war mit ihrer klaren Stimme die Souffleuse. Doch irgendwann bekam sie Lust, selbst auf der Bühne zu stehen und mitzuspielen. „Das hat viel Spaß gemacht“, erzählt sie begeistert, „einmal waren wir sogar mit der ganzen Gruppe und allen Rollstühlen in Südwales auf Tournee.“ Auch bei der Satiregruppe FüDoSat (Fürst Donnersmarck Satire) war sie lange dabei. „Aber nach 20 Jahren dachte ich, jetzt reicht’s.“
„Zum Glück kam dann der Fahrdienst. Den habe ich als eine der Ersten genutzt.“
Ingrid Koch
Mobil zu sein, ist ihr bis heute wichtig. „Früher waren Behinderte einfach meistens zu Hause.“ Ingrid Koch wollte das nicht hinnehmen und die Welt sehen. Mit der Fürst Donnersmarck-Stiftung war sie viel unterwegs. Dahin hat sie ihren E-Rolli mitgenommen. „Ich habe auch noch einen Falter, wenn ich mal irgendwo bin, wo man keinen E-Rolli mitnehmen kann.“ Auf Reisen entdeckte sie ihre Liebe zur Fotografie.
Zu Hause in ihrer Charlottenburger Altbauwohnung kommt sie mit dem Stock gut zurecht. Eine Haushaltshilfe unterstützt sie im Alltag. „Die bezahle ich von meinem Pflegegeld“, sagt sie. „Vieles mache ich noch selbst, und meine Küchenmöbel habe ich an meine Größe anpassen lassen.“
Inzwischen ist Ingrid Koch 80 Jahre alt. „Aber ich fühle mich 20 Jahre jünger, weil ich mich auch immer wieder fordere“, sagt sie. „Wenn ich mit jemandem spreche, der mit sich unzufrieden ist, merke ich, dass ich trotz meiner Behinderung ein schönes Leben hatte.Ich habe alles, was mir geboten wurde, aufgesogen und genossen.“
Dieses Portrait aus der WIR 1/2020 ist Teil einer Serie zu „Alter und Behinderung“, der Schwerpunkt der Ausgabe, die im Archiv des WIR-Magazins digital zugänglich ist.