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Gebäude des alten Tempelhofer Flughafens vom Tempelhofer Feld aus.

Die Beauftragten: Interview mit Gün Tank

Für unserer Reihe „Die Beauftragten“ sprechen wir nach und nach mit den Beauftragten für die Belange von Menschen mit Behinderungen aus den unterschiedlichen Berliner Bezirken. Heute präsentieren wir euch unser Interview mit Gün Tank, die die Rolle der Beauftragten für Menschen mit Behinderungen im Bezirk Tempelhof-Schöneberg seit zwei Jahren inne hat.

Gerechtigkeitssinn und Know How in Sachen Verwaltung

Was war Ihr Weg in die Funktion der Beauftragten?

Ich habe ursprünglich Journalismus und Public Management studiert. Neun Jahre lang war ich im Bezirk Beauftragte für Partizipation und Migration. Danach habe ich mich beurlauben lassen um die Geschäftsleitung eines Vereins zu übernehmen. Das habe ich zwei Jahre gemacht. Nach Schwangerschaft und Elternzeit kehrte ich ins Rathaus zurück und war zunächst kommissarische Beauftragte für Menschen mit Behinderung um schließlich das Amt zu übernehmen. Zusätzlich war ich schon viele Jahre ehrenamtlich aktiv in einem Verein, der Menschen mit kognitiven Beeinträchtigungen unterstützt.

Was hat Sie persönlich an diesem Amt gereizt?

Ich habe, ich möchte fast sagen seit ich auf meinen Beinen stehen kann, eine Form von Gerechtigkeitssinn in mir getragen. Immer wenn ich sehe, dass marginalisierten Gruppen Barrieren in den Weg gelegt werden, empfinde ich Wut und versuche mich einzusetzen.

Durch meine vorherige Aufgabe als Migrationsbeauftragte bin ich relativ gut geschult, was Verwaltung angeht und sozusagen mit einem dicken Schutzmantel ausgestattet. Gerade hinsichtlich dessen, was die sehr diverse Gruppe von Menschen mit Behinderung an Diskriminierungen erfährt. Bildlich gesprochen dieses große vielfältige Blumenfeld zu unterstützen, dass es Wasser hat und wachsen kann, hat mich schon sehr gereizt.

Porträt von Gün Tank, sie steht angelehnt an eine Ziegelmauer und lacht in Richtung der fotografierenden Person
Gün Tank (Foto: privat)

Welche Rolle und Aufgaben haben Sie im Bezirk?

Im Grunde genommen haben ja alle Beauftragten die Aufgabe bzw. das Problem für alle und alles dazu sein. Die Ressourcen sind aber sehr begrenzt.

Festzuhalten ist Folgendes:

Wir wirken sowohl nach innen als auch nach außen. Wir sind dazu aufgefordert jegliche Projekte und Vorhaben des Bezirkes dahingehend zu prüfen, ob dabei auch Bedarfe von Menschen mit Behinderungen berücksichtigt werden. Gesetzlich verankert ist, dass die Verwaltung barrierefrei und inklusiv gestaltet sein muss. Seit 2019 liegt das Inklusionskonzept des Bezirkes vor. Durch die Pandemie hat sich alles verzögert. Aber jetzt sind wir dabei durch eine Steuerungsrunde die beschlossenen Maßnahmen wie z.B. hinsichtlich Qualifizierung von Mitarbeitenden oder Equipment und Checklisten für barrierefreie Veranstaltungen zu etablieren. Durch den Fachkräftemangel lässt sich sicherlich nicht alles so einfach umsetzen, wie wir es uns wünschen würden. Aber wir sind auf dem Weg, voller Konzentration, mit ein wenig Sinn für das Machbare aber auch für Visionen.

Für Sichtbarkeit sorgen

Was sind die wichtigsten Vorhaben in Ihrer Amtsperiode? Welche Ziele haben Sie?

Ein hohes Ziel oder besser gesagt Wunsch und Vision ist es, dass das Rathaus Schöneberg endlich weiter barrierefrei ausgebaut wird. Das ist seit Jahren geplant, scheitert aber bisher an den Finanzen.

Ein weiterer Wunsch ist es, dass hoffentlich bald eine Kollegin, ein Kollege eingestellt wird, mit der/dem ich das Inklusionskonzept weiterführen und -entwickeln kann.

Und grundsätzlich ist das Thema Sichtbarkeit ein permanent wichtiges. In diesem Jahr haben wir uns z.B. im Rahmen des Pride Month engagiert. Vor dem Rathaus wurde ein klares Zeichen durch Hissen der Disability Pride Fahne gesetzt (A.d.R.: Infos dazu hier https://t1p.de/x03nn)

Von wem und wie viel Unterstützung erhalten Sie bei diesen Themen?

Zum einen kommt Unterstützung von Vereinen und Trägern. Auch in der Verwaltung spüre ich, dass sich in einzelnen Fachabteilungen eine breitere Annahme der Themen entwickelt hat.

Die größte Unterstützung erhalten wir vom Beirat von und für Menschen mit Behinderung. Der Beirat wird von politischer Seite stark wahrgenommen. Mir persönlich dient die Zusammenarbeit auch zur Reflexion meiner Tätigkeiten und ich kann im Beirat Meinungen zu Anfragen von außen, die z.B. Mobilität oder Bauen betreffen, einholen.

Mit welchen Anliegen kommen Menschen in Ihrem Bezirk typischerweise zu Ihnen?

Das ist so unterschiedlich! Es geht oft um nicht vorhandenen barrierefreien Wohnraum, das ist einer der schwierigsten Punkte. Aber auch um nicht-barrierefreie Schulen. Es gibt Fragen zu Teilhabe-Möglichkeiten für Kinder mit kognitiven Einschränkungen.

Das Thema Arbeit ist wichtig, genauso wie Mobilität. Das sind die typischen Anliegen.

Was ist Ihre Vision für eine inklusive Stadt?

Eine inklusive Stadt wäre für mich eine möglichst barrierefreier, chancen-gerechter, teilhabe-orientierter Ort. Das sind große Worte, eine große Vision, aber ich würde mir wirklich wünschen, dass jedes Kind, das im Rollstuhl sitzt, einfach den Spielplatz um die Ecke nutzen kann. Ich würde mir wünschen, dass jemand, der auf der Suche nach einer barrierefreien Wohnung ist, diese auch ohne weiteres bekommen könnte.

Vielen Dank für das Gespräch!

Titelfoto: Bezirksamt Tempelhof-Schöneberg