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Gruppenfoto vor einem Auto und den Büros des Ambulanten Dienstes.

#ad20: Von der Gründung des Ambulanten Dienstes

Am 26. Oktober 2019 jährt sich die Eröffnung des Ambulanten Dienstes (AD) der Fürst Donnersmarck-Stiftung (FDST) zum 20. Mal. Wir haben die Akten entstaubt, uns auf die Suche nach einem Archivstück gemacht und uns mit der Geschichte dieses für die FDST jungen Angebotes beschäftigt. Diese beginnt nicht erst mit der Eröffnung, sondern lange bevor das erste AD-Auto durch den Berliner Norden rollte. Die Gründung des Ambulanten Dienstes hängt eng mit der Entwicklung der Stiftung, mit den sich verändernden sozialpolitischen Rahmenbedingungen und vor allem mit dem Streben der Menschen mit Behinderung nach Selbstbestimmung zusammen.

Hände halten einen Aktenordner offen, rechts daneben liegen weitere Akten. Im Hintergrund Tastaturen und Monitore auf dem Schreibtisch.
Jahresberichte, Werbemittel und Dokumente – wir haben nach Archivstücken zum AD gesucht.

Die Ausgangslage

Spezielle Heime waren bis weit in die 1960er Jahre hinein für Menschen mit Behinderung oft die einzige barrierefreie Wohnmöglichkeit. Diese Situation änderte sich erst Anfang der 1970er Jahre. Zu dieser Zeit schwappte die in Skandinavien und Nordamerika – zunächst vor allem im Zusammenhang mit psychiatrischen Kliniken – schon länger geübte „Anstaltskritik“ nach Deutschland über. Im Zentrum der Forderungen standen die Angleichung der Lebensbedingungen von Menschen mit und ohne Behinderung sowie die Schaffung ambulanter Wohn- und Unterstützungssysteme.

Individuelles Wohnen heißt ambulante Pflege

Ende der 1970er Jahre wurde die Tendenz zur „Ambulantisierung“ auch in der FDST aufgegriffen. Man gründete innerhalb des Fürst Donnersmarck-Hauses (FDH) in Berlin-Frohnau eine eigenständige Wohngruppe. Dieses sogenannte „Trainingswohnen“ diente dazu, Jugendliche auf die Herausforderungen eines weitgehend selbstbestimmten Lebens außerhalb des FDHs vorzubereiten.

Im Winter 1979 folgte dann die erste Wohngemeinschaft außerhalb des FDH. Zunächst konnten dort nur Menschen mit einem geringen Pflegebedarf einziehen. Dies änderte sich in den darauffolgenden Jahren schnell. Die FDST förderte den Bereich des ambulanten Wohnens systematisch und betrieb 1991 bereits elf Wohngemeinschaften, in denen nun auch Menschen mit einem höherem Pflege- und Betreuungsbedarf lebten. Schon aus diesem Grund lag es für die FDST nahe, sich mit der Gründung des Ambulanten Dienstes zu befassen.

Die ersten Schritte zur Gründung

In den 1990er Jahren wurden diese Überlegungen konkret. Denn es hatten sich die gesetzlichen Rahmenbedingungen durch die 1995 eingeführte Pflegeversicherung verändert. Aufgrund des damals verabschiedenten elften Sozialgesetzbuches (SGB XI) konnte die Stiftung
ihre Wohnanlagen nicht länger nach dem bisher verfolgten ganzheitlichen Konzept betreiben, in dem die pflegerischen, hauswirtschaftlichen und sozialpädagogischen Unterstützungen gemeinsam durchgeführt wurden. Diese Aufgaben mussten von einem externen Pflegedienst ausgeführt werden. Pflegedienste hatten zu dieser Zeit jedoch in der Regel keine Erfahrung im Umgang mit jüngeren Menschen mit Behinderung.

Davon war insbesondere die 1981 bezogene Wohnanlage in der Zeltinger Straße betroffen. Sie erhielt nach einigem hin und her mit der Berliner Verwaltung Bestandsschutz. Wollte die Stiftung aber ihre anderen betreuten Wohnangebote langfristig weiter betreiben, so musste sie die verschiedenen von ihr angebotenen Leistungen wie sozialpädagogische Unterstützung, Vermietung von Wohnungen und hauswirtschaftliche bzw. pflegerische Unterstützung voneinander trennen. Sie musste also ein eigenes ambulantes Betreuungsangebot im Sinne der Pflegeversicherung entwickeln.

Eine große Gruppe Männer und Frauen stehen auf einem Parkplatz vor, hinter und neben einem Auto des Ambulanten Dienstes.
Ein älteres Gruppenfoto – bereits am Standort Nordmeile.

Die Projektgruppe Ambulanter Dienst nimmt die Arbeit auf

Die Vorarbeiten zur Gründung des Ambulanten Dienstes begannen 1995 mit der Zusammenstellung von Informationen zu den Vorgaben der Pflegeversicherung und von Leitfäden zur Gründung eines Pflegedienstes. Zwei Jahre später nahm dann die „Projektgruppe Ambulanter Dienst“ unter der Leitung von Jutta Moltrecht ihre Arbeit auf. Sie traf sich im Zwei-Wochen Rhythmus und erarbeitete die Rahmenbedingungen und Profil eines Pflegedienstes.

Von vornherein war klar, dass die Stiftung mit ihrem AD einen bedarfsgerechten Beitrag zur Sicherstellung der selbstbestimmteren Lebensführung von Menschen mit Behinderung leisten wollte. Die Bedürfnisse jüngerer körperbehinderter Menschen sollten bei diesem AD stärker berücksichtigt werden. Damit schloss er eine Lücke im bestehenden Leistungsangebot der Sozialstationen. In Verbindung mit dem Bereich des Betreuten Wohnens wurde der AD dabei als eine konsequente Fortführung der Stiftungsaktivität betrachtet: Man wollte „eine durchgängige Reha-Kette bis zur weitgehenden Autonomie einzelner rehabilitierter Personen“ sicherstellen.

Ambitionierte Ziele und Konzepte

Anfangs steckte sich die Projektgruppe ambitionierte Ziele, um sich deutlich von anderen Sozialstationen und Ambulanten Diensten zu unterscheiden. So erwog man ursprünglich die konsequente Verfolgung des Assistenzgedankens. Er besagt, dass sich die Personen mit Hilfebedarf die Assistenzperson selbst aussuchen, sie anleiten und bezahlen sollen. Nach eingehenden Diskussionen, wie dies unter den Vorgaben der Pflegeversicherung zu leisten sei, wurde die Idee 1998 wieder fallen gelassen. Darüber hinaus diskutierten die AG-Mitglieder das schwedische „Fokusmodell“. Bei diesem Ansatz geht es darum, individuell angepasste Assistenzleistungen zu organisieren, die rund um die Uhr flexibel abgerufen werden können. Doch auch dieser Ansatz wurde schließlich wieder fallen gelassen.

Um den konkreten Bedarf und die Erwartungen potentieller Klientinnen und Klienten zu ermitteln, wurde schließlich noch ein Fragebogen konzipiert. Im Juni 1998 legte die Projektgruppe ihren Abschlussbericht vor. Darin schätzte sie die Möglichkeit, einen Ambulanten Dienst nach SGB XI einzurichten, als „realistisch“ ein. Die Behandlungspflege nach SGB V wurde demgegenüber „unter den augenblicklichen Voraussetzungen“ verworfen.

SGB V und SGB XI waren auch 2006 Thema für Andreas Seitz und sein Team.

Die Eröffnung am 26.10.1999

Aus organisatorischer Sicht musste die Stiftung zur Gründung des Ambulanten Dienstes nur noch die einst im ABW vereinten Angebote aufspalten. Am 01.10.1998 wertete die Stiftung hierzu das Betreute Einzelwohnen zum selbstständigen Arbeitsbereich „Ambulant Betreutes Wohnen“ auf. Gleichzeitig schloss man einen Vertrag mit den Pflegekassen.

Die Eröffnungsfeier des AD der FDST fand am 26.10.1999 statt. In seiner Eröffnungsrede sagte der Geschäftsführer der FDST Wolfgang Schrödter:

„Ambulante Versorgungsstrukturen sind aus unserer Sicht das Herzstück der Selbstbestimmung für Menschen, die Unterstützung brauchen […].“

Dabei hob er hervor, dass sich der AD der FDST nach den individuellen Bedürfnissen der Betroffenen richte und sich nicht als Konkurrenz zu bestehenden Pflegeangeboten verstehe. Man wolle, so Schrödter, „erkennbar anders“ sein, indem man gemäß der Stiftungssatzung Leistungen für Menschen mit Behinderung anbiete.

Die Weiterentwicklung der Ambulanten Dienste in der FDST

Noch während sich der AD in der Konzeptionsphase befand, wurde 1998 von Seiten der bundesdeutschen Sozialpolitik unter dem Schlagwort „Ambulant vor Stationär“ der Wille formuliert, dass zukünftig dezentrale, kleinräumige und ambulante Wohnangebote die Regel sein sollen. Eine stationäre Unterbringung sollte demgegenüber die Ausnahme bleiben. Von diesem Prozess profitierte der AD. Nach seiner Gründung durchlief er eine dynamische Entwicklung. Im Herbst 1999 startete er mit einer kleinen mobilen Pflegeeinheit, sechs Mitarbeiterinnen und drei Klienten. Ein Jahr später war die Zahl der Klientinnen auf sechs, die der Mitarbeiter auf 11 gestiegen. Zum 10-jährigen Jubiläum betreute der AD dann bereits 83 Klientinnen und Klienten mit 42 Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern. Die Zahlen stiegen stetig weiter: 2011 wurden bereits über 130 pflegebedürftige Personen von 55 Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern betreut.

Tag der offenen Tür 2007: Auch der damalige Beauftragte für die Belange von Menschen mit Behinderung des Landes Berlin, Martin Marquard, war dabei.

Das Wachstum des Ambulanten Dienstes

Mitverantwortlich für dieses schnelle Wachstum waren Sparmaßnahmen des Berliner Senats im Jahr 2003. Damals wurde beschlossen, dass die Stiftung grundsätzlich die sozialpädagogische Unterstützung und die pflegerische Assistenz voneinander trennen musste. Im Sommer 2004 übernahm der AD daher die pflegerischen Leistungen für die WG’s der Stiftung. Die gestiegene Zahl an Personen, die den AD daraufhin in Anspruch nahmen, ließ nun auch die Erweiterung des Leistungsangebots um die Behandlungspflege nach SGB V wirtschaftlich erscheinen. 2007 nahm der AD diese Leistung in sein Portfolio auf. Damit werden seither alle Leistungen der Pflegeversicherung angeboten: Assistenz, Pflege, Hilfe im Haushalt, Beratung, Behandlungspflege und Wundmanagement. Seit 2010 sind zwei Teams des AD zudem für die Betreuung der Mieterinnen und Mieter des Wohnens mit Intensivbetreuung (WmI) in Tempelhof und Pankow zuständig.

Natürlich gab es auf diesem Weg auch immer wieder Schwierigkeiten. Mehrmals musste sich der Dienst veränderten gesetzlichen Bedingungen anpassen, beispielsweise dem Pflege-Weiterentwicklungsgesetz, das 2008 in Kraft trat. Die Zahl der Personen, die Assistenz vom AD in Anspruch nahmen, schwankte kontinuierlich. Das führte notgedrungen zu einer Flexibilisierung der Personalplanung. Dem AD kam in dieser Situation zu Gute, dass das Engagement der FDST für Menschen mit Behinderung bekannt war und daher viele Personen den Pflegedienstleistungen des AD vertrauen.

Ein gerechtfertigtes Vertrauen, da in den jährlichen Überprüfungen des Medizinischen Diensts der Krankenversicherung (MDK) der AD über Jahre hinweg wiederholt die Bestnote erhält. Besonders erfreulich ist aber, dass auch die befragten Klientinnen und Klienten der Arbeit des AD ein sehr gutes Urteil ausstellen. Denn darum geht es ja schließlich: Die individuellen Bedürfnisse von Menschen mit Behinderung zu respektieren und ihren Wunsch nach Teilhabe am Leben soweit wie möglich zu fördern.

#ad20: Beiträge rund um das 20. Jubiläum des Ambulanten Dienstes