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Leere Stühle in einem Meetingraum.

Ausgleichsabgabe: Was ist das und geht so Inklusion?

Unser Gastautor Stephan Neumann (Inklusion und Arbeit) beschäftigt sich dieses Mal mit der Ausgleichsabgabe. Wie funktioniert dieses Jahrzehnte alte Mittel, das eine Beschäftigung von Menschen mit Schwerbehinderung sicherstellen soll? Wer zahlt wie viel? Funktioniert es überhaupt? Verhindert die Abgabe Inklusion? Und was könnte es stattdessen geben?

Seit 1953: Die historische Entwicklung der Ausgleichsabgabe

Die Ausgleichsabgabe wurde in Deutschland bereits im Jahre 1953 eingeführt. Ziel war es, Menschen, die im militärischen Dienst während des Zweiten Weltkrieges körperlich beeinträchtigt wurden, möglichst schnell wieder in das Arbeitsleben zu integrieren. Somit wendete sich das Gesetz zwar nicht an alle Menschen mit Behinderungen, war aber dennoch eine Neuerung hinsichtlich beruflicher Wiedereingliederung.

Im Jahr 1974 wurde die Abgabe angepasst und die Beschäftigungspflicht neu geordnet. Fortan waren alle Menschen mit einer Schwerbehinderung einbezogen, unabhängig von Art und Ursache der Behinderung. Außerdem mussten alle Unternehmen ab 16 Mitarbeitenden einen Beitrag zur Eingliederung leisten.

Seit der Einführung des SGB IX im Jahre 2001 finden sich diese Regelungen dort wieder. Es gilt die aktuelle Fassung der Beschäftigungspflicht und Ausgleichsabgabe im § 160 SGB IX.

Status Quo der Ausgleichsabgabe und Beschäftigungspflicht

Sie verpflichtet hierzulande alle privaten und öffentlichen Arbeitgeberinnen und Arbeitgeber, sobald sie mehr als 20 Personen beschäftigten, mindestens fünf Prozent der vorhandenen Arbeitsplätze mit Menschen mit Behinderung zu besetzen. Das heißt konkret: Menschen, denen ein Grad der Behinderung (GdB) von >/=50 anerkannt wurde. Arbeitnehmende mit einem GdB von 30 oder 40 können auf diese Pflichtarbeitsplätze angerechnet werden und die Abgabe mindern, wenn ein Antrag auf Gleichstellung gestellt wurde.

Erfüllen Arbeitgebende die auferlegte Quote nicht, sind sie verpflichtet, die Ausgleichsabgabe zu zahlen. Zur Überprüfung dieser Auflage müssen die erforderlichen Informationen jährlich (bis zum 31. März des Folgejahres) an die jeweils zuständige Bundesagentur für Arbeit gemeldet werden. Sollte das Unternehmen eine Ausgleichsabgabe entrichten müssen, ist der Betrag bei Fälligkeit an das zuständige Integrationsamt zu zahlen.

Die Abgabe wird vom Integrationsamt verwendet, um die Teilhabe am Arbeitsleben für den bereits erwähnten Personenkreis zu ermöglichen. Zu den einzelnen Einsatzbereichen möchte ich zu einem späteren Zeitpunkt kommen. 

Wer zahlt wie viel? 

Um diese Frage anschaulich zu beantworten, möchte ich ein Beispiel nutzen. Nehmen wir an, ein Unternehmen beschäftigt 100 Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer. Dann ist der Arbeitgebende verpflichtet, davon fünf Arbeitsplätze mit Menschen mit einer Schwerbehinderung oder ihnen gleichgestellte Personen zu besetzen. Der Gesetzgeber spricht von sogenannten Pflichtarbeitsplätzen. Die Berechnung dieser Arbeitsplätze hat der Gesetzgeber im § 157 SGB IX geregelt.

Aber wie hoch ist Ausgleichsabgabe im Monat pro nicht besetzten Pflichtarbeitsplatz? Eine kleine Übersicht:

weniger als 20 Arbeitsplätze  Keine Ausgleichsabgabe
weniger als 60 Arbeitsplätze20 bis unter 401 Pflichtarbeitsplatzunbesetzt 140 €
weniger als 60 Arbeitsplätze40 bis unter 602 PflichtarbeitsplätzeBeide unbesetzt 245 €
  1 von 2 Pflichtarbeitsplätzen unbesetzt140 €
60 und mehr Arbeitsplätze5% Pflichtarbeitsplätz0% bis unter 2% BeschäftigungsquotePro nicht besetzten Arbeitsplatz 360 €
  2% bis unter 3% BeschäftigungsquotePro nicht besetzten Arbeitsplatz 245 €
  3% bis unter 5% BeschäftigungsquotePro nicht besetzten Arbeitsplatz 140 €

Wissen Sie, wie viele schwerbehinderte und ihnen gleichgestellte Personen bei Ihnen im Unternehmen arbeiten? Dann können Sie jetzt ausrechnen, ob Ihr Arbeitgeber oder Arbeitgeberin die Quote erfüllt oder doch „lieber“ zahlt.

Ziel und Zweck der Ausgleichsabgabe

Die Abgabe hat mehrere Verwendungszwecke. Zum einen dient sie als finanzieller Ausgleich gegenüber Arbeitgebenden, die der Quote nachkommen. Denn die Beschäftigung von Schwerbehinderten ist mit höheren Kosten, etwa durch Zusatzurlaub oder spezielle Arbeitsplatzausstattung, verbunden.

Zum anderen soll sie dafür sorgen, dass alle Arbeitgeberinnen und Arbeitgeber ihren Beitrag für die Teilhabe von Menschen mit Behinderung am Arbeitsleben leisten. Unternehmen, die die Ausgleichsabgabe zahlen, sind jedoch nicht von der Pflicht zur Beschäftigung schwerbehinderter Menschen (§ 160 Absatz 1 Satz 2 SGB IX) entbunden.

Außerdem soll die Abgabe motivieren, die gesetzliche Quote zu erfüllen und sich stärker um Beschäftigte mit Behinderung zu bemühen. Denn nichts ist schlimmer, als Geld für etwas zu bezahlen, wofür man keine bzw. nur eine geringe Gegenleistung erhält. 

Wie wird die Abgabe reinvestiert?

Die Integrationsämter verteilen die Abgabe an unterschiedliche Beteiligte, die sich um die Eingliederung von Menschen mit Behinderung in das Arbeitsleben bemühen.

Ein großer Teil der Gelder wird direkt wieder an Unternehmen ausgezahlt, die bereits schwerbehinderte Menschen beschäftigen. Sie wird dort zur Schaffung neuer Arbeitsplätze sowie zur Sicherung vorhandener Arbeitsplätze verwendet. Zum Beispiel für entsprechende Arbeitsplatzausstattungen. Aber auch Förderprojekte, Integrationsfachdienste, Inklusionsfirmen, Werkstätten sowie Individualförderungen in Form von Arbeitshilfen an Schwerbehinderte selbst, werden durch die Ausgleichsabgabe unterstützt.

Außerdem werden jährlich 20 % der Ausgleichsabgabe an den Ausgleichsfonds im Bundesministerium für Arbeit und Soziales (BMAS) gezahlt. Mit Hilfe dieses Fonds bezahlt das Bundesministerium Projekte zur Teilhabe am Arbeitsleben für Menschen mit Behinderung. Beispielsweise erhält die Bundesagentur für Arbeit zur Förderung besonderer Projekte ebenfalls Mittel aus dem genannten Fond. Mit diesem Geld können zum Beispiel Mittel für die Ausbildung von schwerbehinderten Jugendlichen finanziert werden. Allerdings müssen die Projekte für die Förderung bestimmte Voraussetzungen erfüllen.

Sensibilisierung und Information

Viele Arbeitgebende scheuen sich noch davor, Menschen mit Behinderung zu beschäftigen. Sie sehen darin eher eine Belastung als eine Bereicherung für ihr Unternehmen. Dabei sind die Sichtweisen auf dieses Thema ist unterschiedlich – ganz abhängig von gesammelten Erfahrungen der Entscheidungsträgerinnen und -träger.

Persönliche Betroffenheit oder positive Erfahrungen mit schwerbehinderten Arbeitnehmenden können ganz andere Entscheidungen hervorrufen und schnell dazu führen, dass in einem Unternehmen die Quote erfüllt oder gar übererfüllt wird. An diesem Punkt ist es dann auch nicht von Bedeutung, dass die Beantragung von entsprechenden finanziellen Hilfen eine gewisse Zeit dauert.

Anders sieht es aus, wenn Arbeitgebende in dieser Hinsicht keine Erfahrungswerte und Bezugspunkte haben. Häufig führt das dann dazu, die Pflichtarbeitsplätze nicht zu besetzen und sich mit der Entrichtung der bereits dargestellten Beträge „freizukaufen“.

Um das zu verhindern, bedarf es einer ständigen und offensiven Information gegenüber den potenziellen Arbeitgebenden von allen Seiten. Umfassende Informations-, Weiterbildungs- und Aufklärungsangebote sind unerlässlich. Zum einen, um über den Sinn und Zwecke der Ausgleichsabgabe aufzuklären. Aber noch viel wichtiger, um Arbeitgebende zu sensibilisieren und Vorurteile gegenüber Beschäftigen mit Behinderung abzubauen.

Neben der Beschäftigung spielt auch die Ausbildung von Menschen mit Behinderung eine wichtige Rolle, um die gesetzlichen Vorgaben einzuhalten. Wer junge Menschen mit einer Schwerbehinderung im eigenen Betrieb ausbildet, bekommt diesen Ausbildungsplatz  automatisch als zwei Pflichtarbeitsplätze angerechnet.

Probleme mit der Ausgleichsabgabe: Verhindern von Inklusion

Mit der Vergabe von Aufträgen an Werkstätten für Menschen mit Behinderung kann ein Unternehmen die zu erfüllende Quote verringern. Denn Unternehmen, die bei einer Werkstatt für Menschen mit Behinderung Produkte oder Dienstleistungen einkaufen, haben das Recht, die Hälfte der erbrachten Arbeitsleistung von der vom Unternehmen zu entrichteten Ausgleichsabgabe abzuziehen. Diese Möglichkeit hat der Gesetzgeber im § 223 SGB IX geschaffen. Das hört sich für Außenstehende auf den ersten Blick sicherlich gut an.

Allerdings hat das auch gravierende Nachteile. Zum einen wird so nicht dafür gesorgt, dass die Beschäftigungsrate von Menschen mit Schwerbehinderung wächst. Zum anderen fließt mehr Geld in Werkstätten für Menschen mit Behinderung, ein System das selbst immer häufiger in der Kritik steht. Mitarbeitenden in Werkstätten verdienen häufig noch nicht einmal den sonst in Deutschland gültigen Mindestlohn. Dies führt bei vielen Betroffenen und Vertreterinnen und Vertretern von Sozialverbänden zu Ärger und Unverständnis. Unternehmen profitieren von diesem „Schlupfloch“ momentan doppelt und verhindern so echte Inklusion am Arbeitsmarkt: Sie senken mit der Auftragsvergabe die Höhe ihrer zu entrichtenden Ausgleichsabgabe und erhalten günstige Auftragsarbeiten, die sich bei den Beschäftigten der Werkstatt in einem geringen Arbeitsentgelt niederschlagen.

Forderungen von Verbänden 

Daher fordern die Sozialverbände und Gewerkschaften die erneute Erhöhung der Beschäftigungsquote auf sechs Prozent sowie die Erhöhung der Ausgleichsabgabe. Denn nur über eine höhere Abgabe kann erreicht werden, dass tatsächlich mehr Menschen mit Behinderung eingestellt werden.

Zudem gibt es eine entsprechende Forderung, den Interessenkonflikt ider Bundesagentur für Arbeit aufzulösen. Denn zum einen soll sie die Unternehmen bezüglich der Ausgleichsabgabe kontrollieren. Gleichzeitig muss die Behörde die Arbeitgebenden motivieren, Menschen mit Behinderung einzustellen. Auch werden immer wieder Forderungen erhoben, mehr Informationskampagnen über Förder- und Finanzierungsmöglichkeiten für die Beschäftigung schwerbehinderter Menschen bereitzustellen.

Nicht vergessen sollte man die bereits erwähnte finanzielle Situation der Beschäftigten in den Werkstätten für Menschen mit Behinderung. Interessenvertretungen und Gewerkschaften sind sich einig in der Forderung, die Löhne auf die Höhe des aktuellen Mindestlohnes anzuheben. Denn die Beschäftigten erbringen genauso ihre Leistung und sollten auch entsprechend entlohnt werden.

Mein persönliches Fazit 

Im Ergebnis kann ich sagen, dass für mich die Ausgleichsabgabe nur ein Puzzlestück für das große Gesamtbild „Teilhabe am Arbeitsleben für Menschen mit Behinderung“ sein kann. Aus meinem eigenen Lebenslauf weiß ich, dass es nicht nur um die Finanzierung einer Arbeitsplatzausstattung geht. Es geht auch immer darum, Menschen zu finden, die einem eine Chance geben, sich im Arbeitsleben zu beweisen. Dazu ist es erforderlich, dass alle Beteiligten bereit sind an einem Strang zu ziehen.

Die Mauern in den Köpfen lassen sich nicht allein mit einer Ausgleichsabgabe erklimmen. Man muss mehr dafür werben, dass Menschen mit Behinderung genauso ihren Mann bzw. ihre Frau im Berufsleben stehen wie Menschen ohne Behinderung. Solange aber nicht alle Arbeitgebenden daran glauben, bedarf es einer Ausgleichsabgabe. Die sich ja übrigens selbst abschafft, sobald die entsprechenden Quoten in den einzelnen Unternehmen erfüllt sind. Lassen Sie uns gemeinsam dazu beitragen dieses Ziel zu erreichen.