#ad20: Was macht eigentlich eine Pflegefachkraft?
Was macht eigentlich eine Pflegefachkraft des Ambulanten Dienstes? Das ist eine Frage, die wir uns anlässlich des 20-jährigen Jubiläums des Ambulanten Dienstes (AD) der Fürst Donnersmarck-Stiftung stellen. Um der Antwort ein Stück näher zu kommen, waren wir auf Tour mit dem AD. Genauer gesagt mit Pflegefachkraft Marco Noack, den wir auf seiner Frühschicht am 8. August begleiteten.
Während Berlin noch schläft, starten wir unsere Tour
Der Wecker klingelt ungewöhnlich früh an diesem Donnerstag im August: Es ist 4:00 Uhr morgens. Schnell wach werden, dreimal schütteln, Zähne putzen, anziehen und raus. Um 4:30 ist Abfahrt. Von Steglitz aus machen wir uns auf den Weg Richtung Waidmannslust zum Standort des Ambulanten Dienstes in der Nordmeile. Dort haben wir uns um 5:15 mit Pflegefachkraft Marco Noack verabredet. Nach kurzer Zeit fällt uns auf, wie schnell man um diese Uhrzeit auf den Berliner Straßen unterwegs ist – kurz nach 5.00 Uhr treffen wir schon in der Nordmeile ein. Marco ist bereits vor Ort und hält einen kurzen Plausch mit dem Nachtwächter des Einkaufszentrums Nordmeile. Als er uns sieht, lächelt er und begrüßt uns mit einem: „Na, fit?“
Die ehrliche Antwort, „geht so“, verkneifen wir uns und tun so, als würde uns diese Uhrzeit nichts ausmachen. Marco nimmt uns mit hoch in das Büro des AD, wo unsere gemeinsame Frühschicht startet. „Ich bin nicht der erste heute“, stellt er schnell fest. Eine Kollegin war vor ihm schon hier. Im Büro prüft er vor der Abfahrt noch einmal seine Route, ob sich gegebenenfalls etwas geändert hat. Nach ein paar Minuten machen wir uns auf in die Tiefgarage, steigen ins Auto und um 5:20 starten wir in die Frühschicht. Auf dem Plan stehen heute insgesamt 29 Stationen und am Ende des Tages werden wir ca. 60 km im Auto zurückgelegt haben, ohne den Norden Berlins zu verlassen.
Kleine und große Einsätze warten auf eine Pflegefachkraft
Fünf Minuten nachdem wir losgefahren sind, erreichen wir auch schon die erste Station im Märkischen Viertel. Mit dem Aufzug fahren wir den Plattenbau hinauf. Für die Wohnung dieses Klienten hat der Ambulante Dienst einen Schlüssel, den sich Marco am Morgen noch im Büro abgeholt hat. „Guten Morgen, ich habe, wie angekündigt, noch zwei Gäste dabei“, ruft er in die Wohnung. Aber der Klient liegt noch im Bett und gibt nur eine knappe, verschlafene und unverständliche Antwort von sich. Marco ist hier, um dem jungen Mann Nasenspray zu verabreichen. „Der könnte das schon noch allein. Aber er vergisst es einfach.“ Der junge Mann bekommt mit Hilfe des Sprays Hormone, die sein Körper nach einem Hirntumor nicht mehr selbst produzieren kann. Keine zwei Minuten dauert es, da sind wir schon wieder draußen und der Klient schläft erstmal weiter. Währenddessen sind wir schon wieder unterwegs. „In der Spätschicht fährt dann auch nochmal ein Kollege hier hin.“
Kurze Einsätze sind für eine Pflegefachkraft des AD keine Seltenheit. Oft sind wir nur wenige Minuten bei den Klientinnen und Klienten, weil nur bestimmte Aufgaben anstehen. Der häufigste Auftrag: Kompressionsstrümpfe anziehen, da viele Klientinnen und Klienten aufgrund der Behinderung oder ihres Alters hier auf Unterstützung angewiesen sind. Auch Medikamentengabe, Tabletten raussuchen und für den Tag hinstellen oder Insulinspritzen verabreichen, gehören zu Marcos Hauptaufgaben. Denn die Medikamentengabe darf nur von einer Pflegefachkraft wie ihm mit entsprechender Ausbildung durchgeführt werden. Unterstützung bei der Körperpflege und Hauswirtschaft übernehmen in der Regel Pflegekräfte. Aber keine Regel ohne Ausnahmen.
Für Marco Alltag, für uns eine Herausforderung
Denn Frau Meyer*, die zweite Klientin dieser Tour, ist einer der größeren Einsätze für uns. Um etwa 5:45 kommen wir vor ihrem Haus an und steigen aus. Frau Meyer hat einen sehr hohen Pflege- und Unterstützungsbedarf. Ihr Ehemann und ihr Sohn übernehmen so viele Aufgaben, wie sie können, sind dabei aber auf die Unterstützung des Ambulanten Dienstes angewiesen. An diesem Morgen empfängt uns der Sohn, der uns willkommen heißt und uns noch einmal versichert, dass wir gerne mitkommen dürfen. Sie seien mit dem Ambulanten Dienst sehr zufrieden und es sei „besonders schön, dass immer dieselben Mitarbeiter kommen.“ So sei ein Vertrauensverhältnis entstanden. Auch Marco bestätigt, dass er Frau Meyer schon unterstützt, seit er im AD angestellt ist.
Frau Meyer selbst liegt in einem Pflegebett im Wohnzimmer. Die alte Couchgarnitur und der massive Tisch mussten an den Rand des Raumes weichen. Neben Medikamenten, Einweghandschuhen und weiteren Pflegeutensilien stehen mehrere Ventilatoren im Raum, um die Temperatur während der Hitzewelle möglichst angenehm zu halten. Frau Meyer ist stark dement, hat ein schwaches Herz und ein gebrochenes Hüftgelenk. Außerdem wird sie mit Hilfe einer Sonde ernährt. Marcos Aufgabe: die Sondennahrung vorbereiten und verabreichen sowie die Körperpflege. Dabei hilft ihm ihr Sohn, da Frau Meyer auch aufgerichtet werden muss und aufgrund der Demenz teilweise unkontrolliert um sich schlägt und schreit. Für die beiden Männer nichts Ungewöhnliches. Für uns als Beobachter jedoch eine unangenehm intime Situation, die sich länger anfühlt als die 20 Minuten, die wir dort sind.
„Ihr könnt jetzt sicher erstmal ‘nen Kaffee vertragen, oder?“, fragt Marco uns als wir wieder im Auto sitzen und hält dann kurz bei einer Bäckerei in Frohnau.
Unterstützung für die Kolleginnen und Kollegen im P.A.N. Zentrum
Hier in Frohnau wartet der Großteil dieser Tour auf uns. Das liegt daran, dass der AD auch viele Klientinnen und Klienten im P.A.N. Zentrum, in der Wohnanlage in der Zeltinger Straße und dem Haus Am Querschlag unterstützt. Aber auch hier geht alles Schlag auf Schlag: Ankunft Zeltinger Straße um 6:30, Aufsammeln der Schlüssel im Pausenraum im Keller, zwei Klienten wird mit den Kompressionsstrümpfen geholfen, Schlüssel zurückbringen, zurück zum Auto, Abfahrt um 6:45. Um 6:50 treffen wir dann am P.A.N. Zentrum ein. Eine Kollegin hat hier gerade ihre Runde beendet und unterhält sich kurz mit uns. Sie ist überrascht, dass Marco heute mit zwei Begleitern unterwegs ist und freut sich schon auf unseren Bericht.
An dieser Stelle klingelt das Telefon – der sonst übliche Wecker. Wach bin ich nun schon seit Stunden. Ein kurzer Moment der Scham, aber dann geht es auch schon weiter.
Im P.A.N. Zentrum selbst geht es dann sehr zügig, weil die Wege kürzer sind. Von Wohnverbund zu Wohnverbund, Klientin zu Klient zu Klient. Auch hier: Kompressionsstrümpfe anziehen und Medikamente verabreichen, aber vor allem Zuckerspiegel messen und Insulin spritzen – auch bei Herrn Wittek*. Herr Wittek ist auf dem Wohnverbund für Menschen mit Orientierungsschwierigkeiten untergebracht. „Bis nachher, wir kommen später nochmal vorbei“ verabschiedet sich Marco bei ihm. „Bringt ihr was mit?“, möchte Herr Wittek wissen. „Was denn?“, „Na, Kekse!“ – „Mal schauen“, sagt Marco noch und alle lachen.
„Der macht das einfach toll, der Marco.“
Seit fünf Jahren arbeitet Marco Noack nun schon als Pflegefachkraft beim Ambulanten Dienst. Und die Klientinnen und Klienten scheinen alle sehr zufrieden mit ihm zu sein. An jeder Stelle wird er gelobt. Eine Klientin, die wir um etwa 9:30 besuchen, fasst für uns kurz und knapp zusammen: „Der macht das einfach toll, der Marco.“ Etwas, das wir nach wenigen Stunden schon unterstreichen können, weil wir merken, dass er es versteht, auf die Menschen einzugehen. Er kennt seine Klientinnen und Klienten, ihre Persönlichkeiten und ihre Eigenheiten. Und er weiß, mit allen umzugehen. Für viele hat er einen lockeren Spruch auf den Lippen, so dass am Ende alle ein Lächeln im Gesicht haben. Selbst als es der Dame, die ihn so passend lobt, kurz zwickt als er ihr die Kompressionshose anzieht, lacht sie und sagt: „Das ist ja typisch, kaum gibt es Lob, passiert sowas.“
Bei Klientinnen und Klienten, die er schon lange kennt, hilft er auch gerne mal schnell mit Kleinigkeiten aus. Beispielsweise bei Frau Müller*, der er heute mit der Abrechnung eines Fahrdienstes bei der Krankenkasse hilft. Ehrensache, ist ja nur ein kurzes Telefonat. Frau Müller dankt es ihm gebührend und hat immer Süßigkeiten für Marco und seine Kollegin parat, die der Dame bei der Körperpflege hilft. Sie besteht darauf! Und die Kolleginnen und Kollegen im Büro freut es auch, denn dort landen sie dann oft nach der Schicht.
Als Pflegefachkraft trifft man viele interessante Menschen
In seiner Zeit beim AD hat Marco schon viele interessante Menschen kennengelernt und unterstützt. Diese Erfahrung konnten wir ja bereits nach nur einem einzigen Tag machen. Da wäre zum Beispiel der junge Mann im P.A.N. Zentrum, der gerade dabei war, einen Webshop zu programmieren, bevor er von Marco seine Insulinspritze bekommt. Oder ein über 90-jähriger Klient, den wir zu Hause besuchen. Während Marco sich um seine Medikamente kümmert und ihm Verbände an den Beinen anlegt, hat er uns viel zu erzählen. Dass er schon seit den 1960er Jahren in diesem Haus wohnt, da es früher Werkswohnungen seines Arbeitgebers waren. Dass er seine vor vier Jahren verstorbene Frau vermisst und seitdem in eine kleinere Wohnung im selben Haus lebt. Dass er früher alle Nachbarinnen und Nachbarn kannte. Und wie er als Jugendlicher von der Wehrmacht eingezogen wurde.
Aber auch besonders traurige Fälle hat Marco schon erlebt, berichtet er uns. Wenn es beispielsweise Klienten gibt, deren Familien sich nicht richtig für die Betreuung und Versorgung ihrer Angehörigen interessieren. So etwas lässt der 29-jährige aber nach Feierabend hinter sich. Wenn er beispielsweise zum Fußballtraining fährt. Sein Verein spielt in der Landesklasse und da lassen sich Spiele und Training meistens ganz gut mit seinem Dienstplan vereinen. Morgens ist er dann noch in der Frühschicht unterwegs, bevor er nachmittags auf dem Fußballplatz steht. Außerdem verreist er gerne mit seiner Freundin. Gerne darf es auch die exotische Ferne sein – die Karibik haben sie bereits erkundet, dieses Jahr gehen sie auf Safari in Kenia. Aber zunächst fahren wir nach einigen Hausbesuchen noch einmal zurück ins P.A.N. Zentrum.
Zurück im P.A.N. Zentrum, der Endspurt beginnt
Gegen 11:20 kommen wir wieder im P.A.N. Zentrum an und machen zunächst einmal eine halbe Stunde Pause. Immerhin sind wir nun schon seit 6 Stunden unterwegs. Die vielen Fahrten zwischen den Klienten machen sich hier auch bemerkbar – teilweise ist die Wegstrecke länger als der eigentliche Aufenthalt vor Ort. Marco genießt das allerdings: „Die Fahrten sind zwar kein Pausen, aber sie sind gut zum Abschalten. Man ist diese paar Minuten für sich.“ Heute ist dagegen eine große Ausnahme. Denn er war ja vor allem mit uns und unseren Fragen beschäftigt. Schön war, dass wir sehr gut durch den Berliner Verkehr gekommen sind. Deswegen sind wir ein klein wenig früher zurück in Frohnau als erwartet.
Nach der Pause beginnt die Suche nach den verbleibenden Klientinnen und Klienten. Dadurch, dass sie hier im Haus Therapietermine haben, kann es schon vorkommen, dass man auch mal auf sie warten muss. Unsere letzte Station in Frohnau ist wieder Herr Wittek, dessen Blutzuckerspiegel Marco noch einmal misst und dem er anschließend Insulin spritzt. Dass er Kekse haben wollte, hat er allerdings schon wieder vergessen.
Ein lehrreicher und anstrengender Tag
„Heute lief wirklich alles reibungslos“, bestätigt Marco uns. Es kann auch schon vorkommen, dass seine Tour länger dauert. Das ist dann abhängig von unterschiedlichen Faktoren: Wie ist die Verkehrslage, trifft er direkt alle Klientinnen und Klienten im P.A.N. Zentrum an und muss er gegebenenfalls noch weitere Stopps von anderen Touren übernehmen? Das könne schon mal vorkommen – vor allem bei Urlaubsvertretungen. Allerdings gebe es bei den Pflegefachkräften glücklicherweise nur sehr wenige krankheitsbedingte Ausfälle. Der spontane Ausfall einer Pflegefachkraft ist nur schwer zu kompensieren. Das führt zum einen zu einer großen Verantwortung gegenüber den Klientinnen und Klienten, zum anderen auch gegenüber den Kolleginnen und Kollegen. Marco selbst habe in seinen fünf Jahren beim AD keinen einzigen Dienst verpasst, ohne dass es angekündigt war.
Um 12:10 machen wir uns vom P.A.N. Zentrum aus schließlich auf den Rückweg. Noch ein Klient, den wir bereits besucht hatten, und Frau Meyer stehen zur Medikamentengabe auf dem Plan. Um kurz nach halb eins treffen wir dann wieder in der Nordmeile ein, wo Marco seinen Dienst beendet und wir unseren Tag als Pflegefachkraft-Hospitanten. Ein lehrreicher und höchst interessanter Tag, den wir so schnell nicht vergessen werden, geht zu Ende. Allerdings sind wir auch froh, dass wir am nächsten Tag nicht mehr so früh aufstehen müssen.
*Namen wurden von der Redaktion geändert
Text und Fotos: Nico Stockheim