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Fechten Inklusiv beim Sportfest im P.A.N. Zentrum: zwei Rehabilitanden testen den Sport.

Fechten Inklusiv: Der Berliner Fechterbund ebnet den Weg

Fechten mit Behinderung geht nicht? Doch, das geht! In ganz Berlin gibt es Fechtvereine, die sich auf das „Experiment“ inklusives Fechten für verschiedene Zielgruppen eingelassen haben. Um diesen Initiativen nun einen theoretischen Rahmen geben, hat der Berliner Fechterbund e.V. mit „Fechten Inklusiv“ ein eigenes Konzept entwickelt, das die Fürst Donnersmarck-Stiftung mitgefördert hat. Anlässlich der Präsentation des Konzeptes am 26. März 2021 haben wir mit dem Projektleiter Karsten Häschel ein Interview geführt.

Entwicklung des Konzeptes „Fechten Inklusiv“

Können Sie uns nochmal erklären, wie es zu dem Konzept kam und welche Aufgabe Sie bei der Entwicklung übernommen haben?

Karsten Häschel: In den letzten Jahren gab es im Berliner Fechterbund e. V. immer wieder Bestrebungen, sich in Richtung Menschen mit Behinderung zu öffnen. Vor allem das Fechtzentrum Berlin und der OSC Schöneberg spielten dabei eine Vorreiterrolle, indem sie schon früh das Rollstuhlfechten in ihr Programm aufnahmen. Darüber hinaus organisierten wir immer mal wieder kleinere Events, in denen wir das Potential des inklusiven Fechtens ausprobierten. Der Verband wollte sein Engagement ausweiten und hat mich daraufhin angesprochen. Denn ich bin zum einen Inklusionsberater und zum anderen selbst Fechter. So kam es dann zu der Zusammenarbeit und der Entscheidung, das Thema Inklusion in der Berliner Fechtlandschaft weiter nach vorne zu bringen.

Wir haben dann zunächst einige Events durchgeführt: Wir waren beispielsweise bei Ihnen im P.A.N. Zentrum oder haben 2018 die ersten inklusiven, offenen Berliner Fechtmeisterschaften ausgetragen. Da diese Erfahrungen positiv waren, wurde parallel dazu im Berliner Fechterbund die Position eines ehrenamtlichen Inklusionsbeauftragten geschaffen.  Schließlich haben wir uns dazu entschlossen, ein inklusives Fechtkonzept zu entwickeln, um das Thema verbandsoffen und vereinsintern voranzubringen. Die Entwicklung des Konzeptes wurde von der Aktion Mensch unterstützt; die Fürst Donnersmarck-Stiftung hat den Eigenanteil des Berliner Fechterbundes übernommen.

Eindrücke vom Rollstuhlfechten auf Sportfesten im P.A.N. Zentrum

Ein wachsendes Angebot

Wie ist denn Ihr Projekt zu Beginn in der Berliner Fechtszene aufgenommen worden?

Karsten Häschel: Das war sehr unterschiedlich. Einige Vereine haben sich ja schon vorher auf den Weg gemacht und waren somit sehr offen. Beispielsweise gibt es neben dem OSC Schöneberg und dem Fechtzentrum Berlin einen weiteren Verein, Allround-Fencing, der mit Menschen mit Hörbehinderung arbeitet.

Für andere Vereine war das ein völlig neues Thema. Wir haben deswegen zuerst mal eine Bestandsaufnahme gemacht und ganz offen die Verantwortlichen gefragt: „Könnt ihr euch vorstellen, ein inklusives Angebot zu schaffen?“ Die Rückmeldungen haben wir untersucht und evaluiert. Etwa ein Drittel konnte es sich bereits zu Beginn vorstellen, mit uns zusammenzuarbeiten. Inzwischen sind wir in Kontakt mit allen Vereinsvorständen und spüren eine große Bereitschaft der Vereine inklusive Angebote auszuprobieren.

Der Fechtclub Grunewald, um mal ein Beispiel zu nennen, hat inzwischen ein Angebot für Menschen mit Parkinson geschaffen. Der Berliner FechtClub e.V. in Wilmersdorf möchte ein Angebot für Menschen mit geistiger Behinderung schaffen. Auch das Fechtzentrum Berlin plant, sein Angebot in diese Richtung auszuweiten und hat einen Antrag bei der Senatsverwaltung für Inneres und Sport gestellt.

Das Angebot wächst also?

Karsten Häschel: Ganz genau. Wir merken, je mehr Menschen wir konkret ansprechen, umso mehr Menschen machen sich auch Gedanken. Das sehen wir auch bei den anderen Vereinen, die zunehmend darüber nachdenken, ihr Programm zu erweitern. Das wollen wir mit dem Konzept in der Tasche weiter forcieren. Wir appellieren also an alle Vereine, sich dem Thema zu öffnen. Gleichzeitig dürfen wir natürlich auch nicht vergessen, dass viele Vereine in der aktuellen Corona-Situation viel grundlegendere Probleme haben. Da geht es beispielsweise darum, die Mitglieder zu halten oder die Trainingsorte nicht zu verlieren.

Kooperation mit der Katholischen Hochschule für Sozialwesen

An der Entwicklung des Konzeptes beteiligten sich auch drei Studentinnen von Ihnen. Wie kam es dazu?

Karsten Häschel: Ich bin Lehrbeauftragter für die Bereiche frühkindliche Bildung und inklusive Prozesse an der Katholischen Hochschule für Sozialwesen Berlin. Studierende im Bachelorstudium Heilpädagogik müssen hier ein sogenanntes Schwerpunktthema bearbeiten, in dessen Rahmen sie ein größeres Projekt umsetzen. Sie hatten von unserem Plan gehört, ein inklusives Fechtkonzept zu entwickeln und mich gefragt, ob sie dabei mitarbeiten können. So kam es zu der Beteiligung.

Welche Aufgaben haben Sie in dem Projekt übernommen?

Karsten Häschel: Sie waren von Anfang an voll an dem gesamten Projekt beteiligt.Sie haben Veranstaltungen mitvorbereitet, haben am Konzept gearbeitet und die Rückmeldungen der unterschiedlichen Beteiligten inhaltlich strukturiert. Wir haben sie auch oft nach ihrer Meinung als Außenstehende gefragt. Auch jetzt geben sie uns nochmal eine Rückmeldung dazu, wie sie den gesamten Prozess der Konzepterstellung erlebt haben. Das war für uns ein sehr wertvoller Input und es ist ein glücklicher Umstand, dass sie an dem Projekt mitarbeiten konnten.

Die Auswirkungen der Corona-Pandemie

Wie gehen Sie denn aktuell mit den Einschränkungen durch die Pandemie um? Jetzt haben Sie ein fertiges Konzept präsentiert, aber es gibt derzeit keine Perspektive, zeitnah in eine praktische Umsetzung zu kommen.

Karsten Häschel: Wir hoffen natürlich, dass die Einschränkungen durch das Corona-Virus bald etwas gelockert werden und Sport wieder möglich sein wird. Die Zeit bis dahin nutzen wir, um uns im Verband und mit den einzelnen Vereinen abzustimmen. Wir wollen die Verantwortlichen vor Ort mit ins Boot holen. Das Konzept ist ein Türöffner. Wir können es ihnen vorlegen und sagen: „Schaut mal. Hier haben wir einen Vorschlag, den ihr umsetzen könnt.“ Das muss dann im ersten Schritt auch gar nicht behinderungsspezifisch sein.

Das Angebot des Fechtclubs Grunewald ist beispielsweise ein ganz leichtes, offenes Training, das nicht nur auf Menschen mit Behinderung ausgerichtet, sondern voll inklusiv ist. Da können auch Späteinsteiger oder Sportlerinnen und Sportler nach einer Verletzung mitmachen. Es geht darum, etwas auszuprobieren, zu experimentieren und sich darüber Gedanken zu machen, wie man das Thema umsetzen kann. Dafür wollen wir die Zeit bis zur Öffnung nutzen.

Das hört sich für mich nach dem „Design for all“-Gedanken an. Dass man im Grunde also Voraussetzungen schaffen möchte, die möglichst vielen Menschen die Teilnahme an einem Angebot ermöglicht – und davon profitieren dann nicht nur Menschen mit Behinderung, sondern auch Menschen mit anderen Problemlagen.

Karsten Häschel: Genauso ist es. Aber das können die Vereine für sich selbst entscheiden. Wenn ein Verein sich dazu entscheidet, Rollstuhlfechten anbieten zu wollen, dann macht er das. Wir sagen nur: „Schaut euch das Konzept an, probiert etwas aus und seht, was passiert.“ So ist es in Grunewald auch gewesen.

Livestream zur Vorstellung des Konzeptes „Fechten Inklusiv“

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Zukünftige Weiterentwicklung von „Fechten inklusiv“

Wie geht es denn jetzt mit dem Konzept „Fechten Inklusiv“ weiter?

Karsten Häschel: Das Konzept ist jetzt veröffentlicht und auf unserer Webseite abrufbar. Die theoretischen Grundlagen haben wir also gelegt, die darüber hinaus auch als Inspiration für andere Sportarten genutzt werden können. Zum Teil laufen ja schon die ersten Praxisprojekte.

Darüber hinaus hat die Aktion Mensch ein neues Projekt bewilligt. Dadurch haben wir in den nächsten zwei Jahren die Möglichkeit, unser Konzept „Fechten inklusiv“ praktisch umzusetzen. Da sind beispielsweise Trainerinnen und Trainer für inklusives Fechten eingepreist, die dann von den Vereinen über den Berliner Fechterbund abgerufen werden können. Die Vereine können dann überlegen, was sie konkret vor Ort umsetzen möchten und werden dafür finanziell gefördert und inhaltlich unterstützt.

Gleichzeitig werden wir die Vernetzungsarbeit vorantreiben, um aus dem Verband heraus eine ausgewogene Angebotsentwicklung mitsteuern zu können. Langfristig kann auf diese Weise ein berlinweites, inklusives Fechtangebot entstehen.

Sehr geehrter Herr Häschel, wir wünschen Ihnen dabei viel Erfolg! Vielen Dank für Ihre Zeit.

Das Konzept „Fechten inklusiv“ Möglichkeiten für die Implementierung von inklusivem Fechtsport in Berlin kann auf der Webseite des Berliner Fechterbundes e. V. kostenfrei heruntergeladen werden.