Interview mit Gerd Miedthank: Der neue Vorsitzende des BBV
Der Berliner Behindertenverband „Für Selbstbestimmung und Würde e.V.“ (kurz: BBV) hat mit Gerd Miedthank einen neuen Vorsitzenden. Wir haben mit ihm über seinen Werdegang, den BBV und über Herausforderungen und Pläne gesprochen.
Seit 2016 Mitglied, seit 2022 Vorsitzender: Gerd Miedthank
mittendrin: Sehr geehrter Herr Miedthank, Sie sind Ende Juni 2022 zum Vorsitzenden des BBV gewählt worden: Können Sie sich und Ihren Werdegang kurz vorstellen? Auf welchem Weg sind Sie in den BBV gekommen?
Gerd Miedthank: Erst einmal möchte ich mich über ihre Interviewanfrage kurz nach meiner Wahl zum neuen BBV- Vorsitzenden und Ihrem Interesse für den BBV bedanken. Durch einen schweren Unfall im Jahre 1993 hat sich mein Leben gravierend verändert. Unser Land braucht einen gesellschaftlichen Wandel. Ich bin von unseren demokratischen Parteien sehr enttäuscht. Sie reden im Alltag von einer inklusiven Gesellschaft, aber sie handeln nicht danach, obwohl sie 2009 die UN-BRK im Deutschen Bundestag und Bundesrat ratifiziert haben.
Ich habe 2015 deswegen den Verein Sozialdenker e.V. gegründet, der sich für eine inklusive Wertegesellschaft in Politik und Gesellschaft stark macht. 2016 bin ich Mitglied im BBV geworden, weil ich mich auch hier aktiv für eine inklusive Gesellschaft engagieren wollte. 2017 wurde ich in den Vorstand des BBV als Schriftführer gewählt und wurde in diesem Amt bei der Mitgliederversammlung 2017 bestätigt.
Auf der Mitgliederversammlung 2022 übernahm ich das Amt des BBV-Vorsitzenden. Es ist mir eine Ehre, aber auch eine Verpflichtung, die starke Stimme des BBV für die Gleichstellung von Menschen mit Behinderungen in unserer Stadt hochzuhalten und zu verstärken.
mittendrin: Das Amt des Vorsitzenden wird Sie sicherlich auch zeitlich stark beanspruchen. Wollen Sie dafür an anderer Stelle kürzertreten?
Gerd Miedthank: Nein, warum sollte ich. Ich bin seit Jahren ehrenamtlich, auch in verschiedenen Verbänden tätig. Der BBV wird von einem Team geführt, dafür sind wir von unseren Mitgliedern, für die nächsten drei Jahre gewählt worden. Alle Vorstandsmitglieder werden den BBV in den verscheidenden Bereichen der Arbeitsgruppen, Gremien und Vereinen vertreten. Ganz alleine könnte ein Vorsitzender, diese partizipativen Rechte, Angebote und Verpflichtungen im Land Berlin, im Interesse seiner Mitglieder nicht wahrnehmen.
Gremien müssen partizipativer werden
mittendrin: Was sind denn aus Ihrer Sicht die aktuell größten Herausforderungen für den BBV bzw. die Berliner Behindertenpolitik?
Gerd Miedthank: Wir haben in den letzten Jahren erlebt, dass sich die Politik für die Barrierefreiheit und Teilhabe von Menschen mit Behinderungen (MmB) stark gemacht hat. Allerdings ist es mehr Schein als Sein! Sie haben ein BTHG entwickelt, gegen dass sich die betroffenen Vereine, Organisationen und auch Dachverbände gestellt haben. Dort stand unter anderem Partizipation und Teilhabe für Menschen mit Behinderungen drauf, aber sie wurde halbherzig praktiziert und trotz unserer Befürchtungen, beispielsweise die Verschlechterung von Assistenz für gesellschaftliche Teilhabe, beschlossen. Jetzt müssen wir wieder Gerichte bemühen, um diese Fehlentwicklung rückgängig zu machen. Das kostet Steuerzahlern viel Geld und den Betroffenen viel Nerven und sorgt für Ärger sowie Frustration.
Der BBV wird sich wie schon immer, für Verbesserungen für behinderte Menschen in Berlin stark machen und weiterhin laut aufschreien, wenn das Gegenteil der Fall ist. Der BBV ist im Landesbehinderten- und Landesteilhabebeirat als stimmberechtigtes Mitglied vertreten. Diese und andere Gremien nehmen wir sehr ernst. Sie müssen sich aber auch in ihrer Struktur und Nachhaltig ändern, damit wir wirklich von Partizipation auch sprechen können.
Der BBV hat sich unter Führung meines Vorgängers Dominik Peter nachhaltig weiterentwickelt. So haben wir für Menschen mit Behinderungen als BBV attraktive Arbeitsplätze geschaffen: in der Erweiterten Unabhängigen Teilhabeberatung (EUTB), in unsere Geschäftsstelle und unserem seit über 30. Jährigen bekannten Zugpferd, der Berliner Behindertenzeitung (BBZ). Ferner haben wir sehr interessante Projekte, wie „Keine Angst vor Sozialwirtschaft und Sozialrecht“ und „3 M- Mitreden, Mitdenken und Mitentscheiden“ von und für MmB am Start. Schauen Sie gerne auf unserem YouTube-Kanal und bei der BBZ vorbei.
„Wir haben seit Jahren ein Aufklärungs- und Umsetzungsproblem in der Politik“
mittendrin: Welche Pläne haben Sie für die Zukunft des Verbandes?
Gerd Miedthank: Der Berliner Behindertenverband plant ja immer Jährlich am 05. Mai gemeinsam mit anderen Vereinen und Verbänden in einem Berliner Organisationsteam den Europäischen Protesttag für die Gleichstellung von Menschen mit Behinderungen. Wir wollen fürs nächste Jahr auch andere Gruppen, Vereine und Verbände einladen, die sich wie wir, für eine inklusive Gesellschaft in Berlin stark machen. Wir gehen davon aus, dass wir „Gemeinsam stark sind“ und dadurch unsere Inhalte und Kritiken besser in die Politik, den demokratischen Parteien und Gesellschaft bringen.
Denn wir haben kein Problem der Erkenntnis, wie eine inklusive Gesellschaft gestaltet werden kann. Sondern wir haben seit Jahren ein Aufklärungs- und Umsetzungsproblem in der Politik und insbesondere die fehlende „Bewusstseinsbildung in unserer Gesellschaft“. Man kann dies mit der verfehlten Klimapolitik der Bundesregierung der letzten 20 Jahre vergleichen. „Nachhaltige Politik ist inklusive Politik“, weil alle in gleichermaßen auf Augenhöhe beteiligt werden. Wird Zeit, dass dies die Politik erkennt und unsere ehrenamtliche Arbeit auch wertschätzt. Wir haben lange genug diese Probleme erörtert, wir müssen diese endlich umsetzen.
Ein wichtiges Thema ist und bleibt das Thema der Teilhabe am Arbeitsleben für Menschen mit Behinderungen. Wir müssen wirklich raus aus den „Sonderwelten“ der Werkstätten mit Behinderungen. Sie sind wie ein Klotz am Bein und behindern im Hohem Maße die Entwicklung zu einer inklusiven Gesellschaft. Separierung ist das Gegenteil von Inklusion, darüber müssen wir uns alle Einig sein, damit mir gemeinsam zukunftsorientierte Wege gehen können. Das „Budget für Arbeit“ ist gescheitert, dies muss auch die Politik endlich mal erkennen.
Gemeinsam für Inklusion
mittendrin: Was wünschen Sie sich von Einrichtungen wie der Fürst Donnersmarck-Stiftung aus Sicht des BBVs?
Der BBV und die Fürst Donnersmarck- Stiftung arbeiten seit Jahren in ihren jeweils verschiedenen Bereichen zur Stärkung eines inklusiven Zusammenlebens in unserer Stadt zusammen. Wir werden gemeinsam neue Ideen entwickeln, wie wir unsere gemeinsame Zusammenarbeit verstätigen können. Denn wir haben den gleichen Ansatz, wir reden nicht nur über Inklusion, wir wollen sie zum Wohle „Aller“ umsetzen und gestalten.
Zum Schluss möchte ich mich mit einem Aufruf an die Leserinnen und Leser wenden: Sie finden den BBV interessant, sie haben Ideen und wollen sich einbringen! Dann kommen sie zu uns. Wir können vielleicht nicht alle ihrer Fragen beantworten, aber wir können uns gemeinsam auf dem Weg machen.
mittendrin: Vielen Dank für das Gespräch!
Berliner Behindertenverband „Für Selbstbestimmung und Würde e.V.“