Camping mit Rollstuhl: „Hotels sind nichts für mich – Ich will in die Natur!”
Wer als Rollstuhlfahrerin oder Rollstuhlfahrer nach Urlaubsmöglichkeiten sucht, wird als erste Ergebnisse fast immer spezialisierte Hotels oder Ferienhäuser angeboten bekommen. Das Seehotel Rheinsberg ist ein solches Beispiel, das sicher den meisten Leserinnen und Lesern bekannt sein dürfte. Doch ist das wirklich alles? Gerade Outdoor-Urlaub hat nicht zuletzt durch die Pandemie einen regelrechten Boom erfahren. Aber viele Menschen mit Behinderung kennen gar nicht alle Möglichkeiten, Urlaub zu machen. Denn es muss nicht der zwanzigste Urlaub im Hotel auf Usedom sein. Es gibt auch für Rollstuhlfahrerinnen und -fahrern ein wachsendes Angebot an alternativen Möglichkeiten, die Seele baumeln zu lassen. Camping mit Rollstuhl ist eine Option. Ich versuche hier, eine kleine Auswahl an Möglichkeiten vorzustellen, den Urlaub mit Rollstuhl möglichst naturnah zu verbringen.
Unter freiem Himmel – Camping mit Rollstuhl
Das Erste, woran die meisten Menschen beim Stichwort Urlaub im Freien denken, ist natürlich Camping. An rollstuhlgerechten Campingplätzen mangelt es mittlerweile nicht mehr und sie erleichtern das Camping mit Rollstuhl. Zahlreiche Plätze bieten sogar Bungalows oder umgebaute Wohnwagen zur Miete an, die für Rollstuhlfahrende je nach individuellen Bedürfnissen geeignet sind. Diese sind zugänglich und mit rollstuhlgerechten Badezimmern ausgestattet. Oft kann das Auto direkt an der Unterkunft geparkt werden. Ein wenig schwieriger sieht es aus, wenn man sich auf dem Markt nach einem eigenen Wohnmobil oder Caravan umsieht: ab Werk sind praktisch keine Fahrzeuge verfügbar, die auch für Rollstuhlfahrerinnen und -fahrer geeignet sind. Oft mangelt es an Einstiegsmöglichkeiten wegen der vergleichsweise schmalen Eingangstür oder an ausreichend großen Bewegungsflächen im Innenraum, um sich darin mit dem Rollstuhl fortzubewegen. Auch die Nasszellen sind meist nicht mit dem Rollstuhl zugänglich, weil alles auf minimalem Raum verbaut werden muss.
Vereinzelt gab es auf dem europäischen Markt Versuche, rollstuhlgerechte Caravans oder Wohnmobile in Serie zu produzieren. Nach derzeitigem Stand wurden aber leider alle derartige Modelle eingestellt. Eine Nachfrage bei einem Hersteller nach den Gründen blieb unbeantwortet – es kann also nur spekuliert werden, ob der Absatz an diesen Modellen zu gering war. Für den Umbau unseres Wohnwagens haben wir ein Ersatzteil aus eben einer solchen Serienproduktion genutzt: die letzte verfügbare Ersatztür für einen rollstuhlgerechten Wohnwagen wurde bei unserem mobilen Zuhause eingebaut. Etwas anders sieht der Markt in den USA aus: dort gibt es zumindest vereinzelt rollstuhlgerechte Wohnmobile. In den USA fallen solche Fahrzeuge jedoch meist deutlich größer aus als in Europa, was den Herstellern mehr Spielraum bei der Planung und Konstruktion ermöglicht. Für die in Europa häufig anzutreffenden engen Landstraßen sind die Fahrzeuge, die teils sogar auf LKW-Basis gebaut werden, aber eher ungeeignet.
Auf dem Gebrauchtmarkt sind gelegentlich wenige individuell umgebaute Fahrzeuge verfügbar. Deshalb haben wir auch unseren eigenen Wohnwagen selbst umbauen lassen: wir suchten dazu einen Caravan mit ausreichend großem Innenraum und ließen die Tür verbreitern. Inzwischen ist er fest an der Mecklenburgischen Seenplatte abgestellt und über ein Podest und Rampe zugänglich. Einige Werkstätten haben sich mittlerweile daran versucht, neue Wohnmobile oder Caravans nachträglich an individuelle Bedürfnisse anzupassen und das Camping mit Rollstuhl zu erleichtern. Die wohl größte Schwierigkeit besteht darin, die einzelnen Wohnkomponenten auf so engem Raum unterzubringen – und die anfallenden Kosten sind oft sehr hoch. Wünschenswert wäre eine Art Baukastensystem, mit dessen Hilfe die Hersteller Fahrzeuge individuell anpassen können. Nach dem derzeitigen Stand scheinen solche Lösungen aber noch nicht in Sichtweite, zumindest auf dem europäischen Markt der Reisemobile und Caravans.
„Glamping“ Glamouröses Camping mit Rollstuhl
Glamping ist eine Sonderform des Campings: ein Kunstwort, das sich aus “Glamour”, also quasi “Glanz”, und “Camping” zusammensetzt. Es handelt sich dabei um eine Art Luxuscamping mit besserer Ausstattung und ausgefallenen Unterkünften von kleinen liebevoll errichteten Hütten über besondere Zelte bis hin zu Jurtencamps. Das ist ein Trend für NaturliebhaberInnen, die sich in herkömmlichen Campingzelten eher deplatziert fühlen und Alternativen suchen. Gerade Menschen, die mit dem klassischen Campingplatz-Image so ihre Probleme haben, könnten hier eine spannende Möglichkeit für eine Auszeit nahe an der Natur finden. Zwar haben sich die meisten Campingplätze längst neu aufgestellt, und die Spanne an unterschiedlichen Ausrichtungen ist riesig: Kleine Stellplätze auf Bauernhöfen, überschaubare Naturcamps bis hin zu riesigen Campingplätzen mit eigenem Strand und Animation – mittlerweile ist alles vertreten.
Glamping hebt sich davon allerdings ab und lockt eine andere Zielgruppe an, die auf komfortable und originelle Unterkünfte Wert legt. Auch RollstuhlfahrerInnen werden hier fündig, selbst wenn die Zahl rollstuhlgerechter Glamping-Möglichkeiten noch eher überschaubar ist. So gibt es beispielsweise in der Schweiz mehrere Glamping-Einrichtungen mit unterschiedlichen Unterkünften, die auch mit Rollstuhl bereist werden können. Verschiedene Jurten-Camps, wo Urlauberinnen und Urlauber in (mehr oder weniger) traditionellen mongolischen Jurten übernachten können sind ebenfalls im Angebot. Nicht zuletzt haben auch Anbieter von Baumhäusern, die ein besonders naturnahes Erlebnis und Kindheitserinnerungen oder -träume wecken sollen, Rollstuhlfahrerinnen und -fahrer als Zielgruppe für sich entdeckt und rollstuhlgerechte Unterkünfte mit Rampen in ihr Programm aufgenommen. Warum also nicht Glamping statt Camping mit Rollstuhl.
Ob Glamping oder Camping: Endlich werden häufiger auch Menschen mit Behinderungen bei der Planung und Entwicklung neuer Angebote mitgedacht. Dadurch ist eine spannende Vielfalt an unterschiedlichen kreativen Lösungen entstanden.
Urlaub auf dem Wasser
Oft ernten wir überraschte Blicke, wenn wir von unseren Ausflügen auf das Wasser erzählen. Adinas Vater ist ehemaliger Seemann und passionierter Segler. Auch mich überkommt regelmäßig die Sehnsucht nach der Weite und Ruhe des Wassers. Auf dem Wasser gelten zwar auch Verkehrsregeln, aber in erster Linie sind wir dort den Gesetzen der Natur ausgeliefert. Für uns ist der Aufenthalt auf dem Wasser die perfekte Entschleunigung. Aber häufig wird angenommen, dass Boote einfach nicht geeignet für Rollstuhlfahrer sind. Zu kompliziert ist der Einstieg, zu beengt sind die räumlichen Verhältnisse an Bord, zu unterschiedlich die Häfen und Anleger beim Landgang. So jedenfalls wird bis heute allzu oft gedacht.
Dabei gibt es verschiedene Lösungen: auf das Segelboot ihres Vaters kann ich Adina kurzerhand heben. An verschiedenen Orten haben wir Bootsverleihe gefunden, die RollstuhlfahrerInnen mit einem Pflegelift, der landseitig montiert ist, in das Boot transferieren. Es gibt Kanus mit Stabilisatoren, die auch für Kanuten geeignet sind, die nicht ausreichend Körperspannung besitzen, um das Kanu im Gleichgewicht zu halten. Es gibt große Segelschiffe, die rollstuhlgerecht umgerüstet sind. Es gibt große Motoryachten zur Charter, die mit Hublift an der Reling für den Einstieg, Plattformlift zu den Schlafkabinen im Unterdeck und unterfahrbarer Küche ausgestattet ist. Und es gibt rollstuhlgerechte Hausboote. Ein solches Modell haben wir vor wenigen Jahren auf einer einwöchigen Tour über die Havel an die Müritz getestet und mit verschiedenen Anbietern zusammen daraus eine Tour entwickelt, die für RollstuhlfahrerInnen geeignet ist. Das Boot selbst war rollstuhlgerecht konstruiert. Selbst die Küchenzeile war unterfahrbar, sodass Adina keine Ausrede mehr für den Spüldienst hatte.
Der Flaschenhals sind dabei nach wie vor die Häfen, die nicht immer auf RollstuhlfahrerInnen ausgelegt sind, doch die dabei entstehenden Probleme haben sich meist durch Kommunikation mit dem Hafenmeister oder mit der Hilfe anderer Bootscrews lösen lassen. So konnten wir eine aufregende und zugleich sehr entspannte Woche auf dem Wasser verbringen. Gerade auf dem Wasser haben wir unglaublich viel Hilfsbereitschaft erlebt, was diesen Urlaub unvergesslich gemacht hat. Aber wenn wir ehrlich sind, wurden wir auf fast allen Reisen bislang positiv überrascht, wenn wir wieder einmal an unsere Grenzen gestoßen sind.
Ausgefallene Outdoor-Erlebnisse
Daneben gibt es eine stetig wachsende Anzahl an rollstuhlgerechten Outdoor-Aktivitäten. Dabei kommt es natürlich sehr auf die individuellen Fähigkeiten und Wünsche an, je nach Angebot. Zum Klettern im Rollstuhl – ja, das geht wirklich! – braucht es freilich einiges an Armkraft. Auch Fallschirmsprünge im Rollstuhl erfordern ein wenig körperliche Konstitution. Ebenso aufregend geht es unter Umständen bei einer Safari durch den Krüger-Nationalpark in Südafrika zu, wo längst auch RollstuhlfahrerInnen als Zielgruppe entdeckt worden sind. Mit einer gezielten Suche werden sich sicher auch noch andere Erlebnisse im Freien finden lassen, die auch für RollstuhlfahrerInnen geeignet sind – je nach Wünschen, individuellen Fähigkeiten und Hilfsmitteln.
Was fehlt? Informationen!
Genau hier liegt aber auch das Problem. Ich bin Reiseblogger und möchte Lust auf Reisen machen. Deshalb weiß ich, wie wichtig verlässliche Informationen sind. In fast allen Vorträgen erklären wir dem Publikum, dass die größten Hindernisse bei unseren Reisen gar nicht so sehr die Mobilität oder mangelnde Angebote für Menschen mit Behinderungen darstellen. Die weitaus größte Hürde ist in der Regel die Recherche und die Informationsgewinnung. Was fehlt, sind zentrale und zuverlässige Informationen über die Möglichkeiten, die man überhaupt hat, wenn man bestimmte körperliche Einschränkungen hat. Möglicherweise wäre ich nie auf die Idee gekommen, rollstuhlgerechte Fallschirmsprünge zu suchen, wenn ich nicht durch eine Bekannte wüsste, dass es solche Angebote gibt.
Wir brauchen also eine Informationsplattform, die mir nicht nur mitteilt, ob irgendein Hotel oder eine andere Unterkunft rollstuhlgerecht ist, sondern die mir auch Inspirationen liefert über die möglichen Aktivitäten. Mein Traum wäre eine große Webseite wie Tripadvisor oder ähnliche Communities, wo ich anhand meiner Wünsche, Vorlieben, Einschränkungen und Fähigkeiten eine Auswahl möglicher Aktivitäten erhalte. Schließlich lebt ein Urlaub doch von der Summe der Erlebnisse, die ich dort gemacht habe!
Aber vielleicht konnte ich mit diesem Kommentar bereits ein wenig Inspirationen liefern und dem einen oder anderen Leser Lust auf neue Horizonte machen. Und vielleicht begegnen wir uns eines Tages mit dem Boot auf der Havel oder der Müritz und lassen gemeinsam den Tag gemütlich bei einem Glas Wein im Hafen ausklingen.
Über den Autoren
Timo Hermann betreibt gemeinsam mit seiner Frau Adina das 2013 gegründete Reiseblog “Mobilista.eu”. Dort schildern die beiden nicht nur wie der Outdoor-Urlaub mit Rollstuhl gelingt, sondern schildern auch ihre Erlebnisse von Reisen in Europa, aber auch Übersee-Destinationen wie Curacao und Kanada. Adina ist Rollstuhlfahrerin und Head of Design beim SOZIALHELDEN e.V., Timo freiberuflicher Reiseblogger, Fotograf und Berater. Sie suchen sich ständig neue Ziele und skizzieren auf ihrem Blog die Länder, die sie bereisen, die dortigen Menschen, ihre Kultur und vor allem ihre Kulinarik. Und natürlich gibt es einige Details zur Rollstuhlgerechtigkeit der Ziele.