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Schwarz-Weiß-Foto über den Dächern Berlins: Die Schornsteine der alten Mälzerei in Pankow sind zentral im Bild zu sehen, drumherum weitere Dächer und im Hintergrund der Fernsehturm

Die „Alte Mälzerei“ in Pankow: Bierbrauen und Sozialräume

Im Berliner Stadtteil Pankow ragen einige markante Schornsteine in den Himmel. Sie gehören zur „Alten Mälzerei“, einer denkmalgeschützten Wohnanlage, die mit den extravaganten Namen Hesperidenhöfe, Floratürme, Pomonagärten und Minervasuiten für ihre Exklusivität wirbt. Doch was befand sich früher an dieser Stelle? Und was hat die „Alte Mälzerei“ in Pankow eigentlich mit der Fürst Donnersmarck-Stiftung (FDST) zu tun?

Die ursprüngliche Funktion der Mälzerei

Die ehemalige Funktion des Gebäudekomplexes erschließt sich aus dem Namen. In der „Alten Mälzerei“ mälzte die Berliner Schultheiss-Brauerei zwischen 1874 und 1945 das Braumalz für ihre Bierherstellung. Beim Mälzen handelt es sich um einen kontrollierten Keimvorgang, während dem aus Getreide Malz entsteht. Das gereinigte und getrocknete Korn, meist Gerste, wird dabei zuerst eingeweicht und dann auf der Tenne zum Keimen gebracht. Dabei bilden sich Enzyme, die später für den Stärke- und Eiweißabbau beim Bierbrauen sorgen. Um den Keimvorgang dieses ‚Grünmalzes‘ zu unterbrechen und es für längere Zeit haltbar zu machen, wird es auf der Darre mithilfe von Warmluft getrocknet. In der Fachsprache nennt man das „darren“. Die Schornsteine, die der Mälzerei ihr charakteristisches Aussehen geben, sind die Überbleibsel die noch heute auf diesen Herstellungsprozess hinweisen.

Die „Alte Mälzerei“ in Pankow vor 1945

Gebaut wurde die „Alte Mälzerei“ in Pankow ab 1873 von dem auf Brauereikomplexe spezialisierten Architekten Arthur Rohmer. Allerdings nahm der Bedarf an Braumalz schnell zu. Das lag einerseits an der gestiegenen Nachfrage nach Bier infolge des raschen Bevölkerungswachstums von Berlin. Andererseits hatte das auch mit dem neuen „Versandbier“ zu tun, das die Brauerei entwickelt hatte und schnell reißenden Absatz fand. Die ursprünglichen Gebäude gerieten deswegen bald an ihre Kapazitätsgrenze. Ein Erweiterungsbau folgte. Zwischen 1898 und 1902 errichtete deshalb der Architekt Ernst Telebier im Auftrag der Brauerei die gelb-rot-verklinkerten Gebäude. Ihre Fassaden existieren im Wesentlichen noch heute.

1945 endete die Malzproduktion in Pankow. In der Folgezeit diente der durch den Krieg nahezu unbeschädigt gebliebene Gebäudekomplex als Lager. Nach der Wiedervereinigung fiel er in einen Dornröschenschlaf; Graffiti schmückte zusehends die Fassade. Zwischen 2008 und 2011 erfolgte schließlich eine denkmalgerechte Sanierung der Gebäude in denen sich seither gut 140 exklusive Wohnungen befinden. Daneben wird dort aber auch ein ganz besonderes Wohnprojekt der FDST betrieben. Das „Wohnen mit Intensivbetreuung“ (WmI) ist ein ambulantes Angebot für Menschen mit Behinderung, die aufgrund ihrer Einschränkung rund um die Uhr Betreuung benötigen.

Von der Idee zum Projekt „WmI“

Beim im Jahr 2010 eröffneten WmI handelt es sich um ein Pilotprojekt der FDST. Es kombiniert eine ambulante, wohnortnahe Betreuung von Menschen mit einem Unterstützungsangebot rund um die Uhr. Organisiert wird es durch das Ambulant Betreute Wohnen in Kooperation mit dem Ambulanten Dienst der Fürst Donnersmarck-Stiftung. Mit dem Projekt kann die Stiftung nachweisen, dass die ambulante Betreuung von Menschen mit hohem Unterstützungsbedarf möglich ist. Denn noch immer wird diese Personengruppe in der Regel in einer stationären Einrichtung versorgt. Das WmI bietet eine ambulante, sozialraumorientierte Wohnform, bei der es zugleich um das Recht der Klientinnen und Klienten auf gesellschaftliche Teilhabe geht.

Den Anstoß für das Pilotprojekt gab die notwendig gewordene Neuausrichtung des Fürst Donnersmarck-Hauses in Frohnau. Die Stiftung erweiterte das Haus gegen Ende der 1970er Jahre um das Jugend- und Erwachsenenheim. Ihr Ziel war es, damit die damalige Unterversorgung der Berliner Behindertenhilfe mit stationären Plätzen zu mindern. Mittlerweise hatte sich aber der gesellschaftliche Umgang mit Menschen mit Behinderung stark gewandelt. Dies lag vor allem an dem selbstbewussteren Auftreten von Menschen mit Behinderung selbst.

Durch teilweise spektakuläre Aktionen wie Stadtberollungen oder Sitzblockaden lenkten sie die öffentliche Aufmerksamkeit auf ihre Interessen und traten selbstbewusst für ihre Recht ein. Eine Folge: 2009 ratifizierte Deutschland die UN-Behindertenrechtskonvention. Sie fordert unter anderem das Recht auf eine unabhängige Lebensführung von Menschen mit Behinderung und ihre Einbeziehung in die Gemeinschaft. Dies führte auch zu einer vollständigen Neukonzeption der Rehabilitation im Fürst Donnersmarck-Haus: Es entstanden das P.A.N. Zentrum für Post-Akute Neurorehabilitation als zeitlich befristetes, hochspezialisiertes stationäres Reha-Angebot und das Wohnen mit Intensivbetreuung für die Menschen. Zunächst zogen dort auch viele ehemaliger Bewohnerinnen und Bewohner des Fürst Donnersmarck-Hauses ein.

Eine Gruppe Menschen, eine Frau davon im Rollstuhl, vor der alten Mälzerei in Pankow.
Die Alte Mälzerei: Heimat des WmI Pankow

Die Entstehung des WmI in der „Alten Mälzerei“ in Pankow

Die Entscheidung für das WmI-Projekt und damit zur Dezentralisierung ihrer stationären Wohnangebote traf das Kuratorium in seiner Sondersitzung am 7. Dezember 2007. Im Protokoll der Sitzung heißt es: Das „Dauerwohnen soll, soweit durchführbar, in intensiv betreute, dezentralisierte WG-Plätze überführt werden.“ Dann begann die Suche nach geeigneten Immobilien. Diese sollten ausreichend groß, zentral gelegen und den Bedürfnissen von Menschen mit Behinderung gerecht sein. Im September 2008 erwarb die Stiftung zwei Etagen in der „Alten Mälzerei“. In den folgenden Jahren entstanden dort 16 Ein-Zimmer-Appartements. Sie verfügen über eine eigene Küche und Bad, Klingel und Briefkasten, Telefon- und Internetanschluss sowie einem großen Gemeinschaftsbereich. Alle Klientinnen und Klienten des WmI schlossen eigene Mietverträge mit der Stiftung und Dienstleistern für Pflege und Betreuung ab. Daneben wurden Vereinbarungen der Mieterinnen und Mieter untereinander zum gegenseitigen Umgang und mit Gemeinschaftsgeldern geschlossen. Die feierliche Eröffnung des „WmI“ fand im Im November 2010 statt.

Um die Effekte des neuen Wohnangebots zu analysieren, ließ die Stiftung das Projekt von Anfang an durch ein sozialwissenschaftliches Forschungsprojekt der Alice-Salomon-Hochschule begleiten. Die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler untersuchten in diesem Zusammenhang nicht nur die Auswirkungen des Umzugs der Beteiligten von einer stationären in eine ambulante Wohnform. Sie analysierten auch die Finanzierbarkeit des Projektes . Die Ergebnisse fielen rundweg positiv aus: Bei nahezu gleichen Kosten bedeutet das „Wohnen mit Intensivbetreuung“ einen nachhaltigen Zugewinn an Lebensqualität und Selbstbestimmung.

Fotos vor der Gebäude-Sanierung

Vom Rand ins Zentrum

Die „Alte Mälzerei“ in Pankow wurde einst bewusst am Stadtrand geplant und gebau. Heute ist sie ein Ort, wo Menschen mit Behinderung im Zentrum der Gesellschaft leben. Das ist ein Zweck, der den Bierbrauern am Ende des 19. Jahrhunderts natürlich nicht vorschwebte. Die Geschichte des Hauses beleuchtet den Wandel der Stadt, aber auch den sich langsam ändernden Umgang der Gesellschaft mit Menschen mit Behinderung. Die Stiftung hat 2008 im Übrigen nicht nur in der „Alten Mälzerei“ ein Wohnen mit Intensivbetreuung ermöglicht, sondern noch an einem anderen Standort in Berlin. Im Seelbuschring in Tempelhof, in einer im Jugendstil erbauten ehemaligen Möbelfabrik, existieren heute weitere 18 Wohnungen für Menschen mit hohem Unterstützungsbedarf.

Titel-Foto: Gerd Danigel , ddr-fotograf.de / CC BY-SA