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Zu sehen ist ein PC auf blauem Hintergrund. Es zeigt die Webseite der Stiftung. im Netz Daneben Hashtags Internet, Surfer, Cool, 404, Cowabunga, www

„Empowerment im Netz“ – Die Anfänge des WWW in der Fürst Donnersmarck-Stiftung

„Aus dem Ohrensessel daheim Warenartikel zu bestellen?“ Was heute eine selbstverständlich und gerade in Corona Zeiten zusehends populär ist, war noch vor wenigen Jahren eine Sensation. Heute können wir uns fast nicht mehr daran erinnern, dass das nicht schon immer so omnipräsent war. Und das, obwohl die Anfänge des Internetshoppings kaum mehr als zwanzig Jahre zurückliegen. Eine Gruppe, die nicht nur vom Einkaufen im Internet, sondern von dem Medium überhaupt stark profitiert, sind Menschen mit Behinderung. Für sie ist das Netz eine Möglichkeit, selbständig mit anderen in Kontakt zu treten, sich zu informieren oder eben einzukaufen. Daher verwundert es kaum, dass gerade diese Zielgruppe und Einrichtungen wie die Fürst Donnersmarck-Stiftung sich schon sehr früh mit der neuen Technik auseinandergesetzt haben. Von Anfang an war dabei aber klar, dass das Internet nicht nur neue Freiheiten bringt, sondern auch neue Barrieren.

In unserem heutigen Archivstück nehmen wir die Auseinandersetzung der Stiftung mit dem Netz in den Blick.

Internet und Handicap – zu früh für die etablierte Forschung

Bereits Ende der 1990er Jahre wurde in der FDST der „Arbeitskreis Internet“ um Dr. Karl Bald, Thomas Golka und René Wenk ins Leben gerufen. Es handelte sich um eine Kooperation mit dem Institut für Rehabilitationswissenschaft der Humboldt-Universität zu Berlin. Als eines der ersten Projekte der Teilhabeforschung der Stiftung bereiteten sie eine explorative Studie über die „Erwartungshaltungen von körperbehinderten Erwachsenen mit Mobilitätsbeeinträchtigung zum Internet und Möglichkeiten einer Nutzung“ vor.

„Empowerment im Netz“

Die Studie betrat offensichtlich neue Wege. Geplant war, sie über einen Antrag bei der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) zu finanzieren. Doch die lehnte ab und die großen Pläne waren vorerst gescheitert. Der Arbeitskreis aber hatte das große Potenzial des Internets für Menschen mit Behinderung erkannt und engagierte sich weiter für das „Empowerment im Netz“. Noch 1998 veröffentlichte die Stiftung die bis dahin gesammelten Arbeitsergebnisse in dem Reader „Internet und Handicap“. Darin diskutierten die Autoren die Anforderungen und Möglichkeiten, aber auch die Risiken des neuen Mediums. Die Nachfrage nach dem Thema war offensichtlich groß. Noch im selben Jahr wurde der Reader in einer zweiten Auflage herausgegeben. Und auch die Stiftungszeitschrift WIR informierte in seiner Sonderbeilage über das Projekt. 2001 erschien daneben die Broschüre „(Un)Behindert im Netz“, ein Angebotsscreening von 50 Websites, die unter anderem hinsichtlich ihrer barrierefreien Gestaltung begutachtet wurden.

Zu sehen ist die Titelseite von der Publikation Internet im Paket.

So groß wie die Nachfrage waren auch die Erwartungen an das neue Medium. Die Autoren der Studie vermuteten, dass sich das Internet für Menschen mit Körperbehinderung positiv auf ihre Unabhängigkeit, ihre soziale Integration und ihre beruflichen Chancen auswirke und letztlich zu ihrer Entdiskriminierung beitrage. Neben den Vorteilen sahen sie aber auch Probleme. Vor allem befürchteten sie, dass sich zwischenmenschliche Kontakte in Zukunft virtualisieren und Menschen mit Behinderung noch stärker isoliert werden, als dies ohnehin der Fall ist – eine Befürchtung, die – wie das Angebot in der Villa Donnersmarck zeigt – wohl etwas zu weitreichend war.

In neunzig Sekunden um die Welt: Neue Möglichkeiten

Teilhabe bildete für das Projekt „Empowerment im Netz“ dabei nicht nur einen theoretischen Hintergrund, sondern wurde praktisch erprobt. Schrieben nicht nur Mitarbeitende der Stiftung sowie Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler für die Publikation. Auch Betroffene steuerten einzelne Artikel bei. Unter dem Titel „In neunzig Sekunden um die Welt“ schilderte Harald Kepler seine Erfahrungen und Wünsche an das neue Medium, das damals, so Keppler gerade einmal „fünfzig Millionen Teilnehmern rund um den Globus“ nutzten.

Kepler hebt dabei die Vorzüge der Barrierefreiheit hervor, die eine E-Mail gegenüber der klassischen Post auszeichnet. Er thematisiert das „Usenet“. Das war ein weltweites Netzwerk, das noch vor dem World Wide Web existierte und dem Austausch von Meinungen oder einfach Kennenlernen anderer Menschen diente. Als Vorzüge betrachtet er auch Chaträume, in denen geplaudert werden kann und digitale Versandhäuser. Diese erlauben es, „Warenartikel“ aus dem „Ohrensessel“ zu bestellen. Das alles wirkt zeitgemäß und unterscheidet sich kaum von unserem heutigen Verhalten im Internet.

1500 DM für einen internetfähigen Rechner: Neue Barrieren

Aber dennoch unterschied sich das „Surfen“ deutlich von der heutigen Situation. Das zeigt der Beitrag „Spastiker weltweit“ von Frank Winkelmann. Auch er berichtet überwiegend positiv von den neuen Möglichkeiten. Da er aufgrund seiner Spastik mit Schwierigkeiten beim Sprechen konfrontiert ist, bedeutet für ihn das Schreiben von Nachrichten eine willkommene Alternative. Allerdings hebt Winkelmann auch Barrieren hervor, die im Internet am Ende der 1990er Jahre noch verbreitet waren: Ein Großteil der Auftritte und Foren im Usenet waren in englischer Sprache. Auch die Kosten für Hardware und Telekommunikation waren hoch. Winkelmann rechnet vor, dass man für einen internetfähigen Rechner 1500 DM ausgeben musste. Ein preisgünstiges Modem war für 200 DM zu haben. Daneben fielen weitere Kosten für geeignete Software und monatlichen Gebühren für die Mailbox an. Verbindungsgebühren nicht inbegriffen.

Für sparsame Internetuser hält Winkelmann deswegen Praxistipps bereit, um zumindest die Verbindungsgebühren möglichst niedrig zu halten. So sollten Inhalte aus dem Netz erst heruntergeladen und die Verbindung zum Internet unterbrochen werden. Anschließend können die Artikel in Ruhe und ohne weitere Telefongebühren gelesen werden. Eigene Beiträge sollten umgekehrt erst geschrieben und auf dem PC gesammelt werden. Anschließend kann man sie „über Nacht“ ins Netz hochladen. „Online“ zu sein hatte damals also noch eine ganz andere Bedeutung als heute. Dauernde Erreichbarkeit und Echtzeitkommunikation, wie sie heute normal ist, war technisch zwar möglich, aber kostspielig. Diese Kosten waren dann wohl auch eine der größten Hürden beim Zugang zum Internet.

Im Netz Surfen mit der ‚Lochtatstatur‘

Andere Hindernisse waren unter anderem die Kenntnisse im Umgang mit dem neuen Medium. Um Barrieren abzubauen, richtete die FDST 1998 in der Villa Donnersmarck einen Schulungsraum mit sieben PCs ein. Menschen mit Behinderung konnten hier den Umgang mit den Geräten lernen und im Internet surfen. Auch im von der Stiftung betriebenen Sozialtherapeutischen Zentrum „Café Blisse“ wurde ein barrierefreies Terminal aufgestellt. Die Eingabe erfolgte hier über eine ‚Lochtastatur‘ die auch für Menschen mit Bewegungseinschränkungen geeignet war.

Zu sehen ist ein Mann, der sich über die Schulter einer älteren Dame lehnt. Die Dame schaut auf einen alten PC und hat die rechte Hand an der Maus.
Ein Mitarbeiter der Stiftung zeigt einem Gast in der blisse den Weg in das Netz.

Die Nachfrage nach Computerkursen nahm mit den Jahren immer weiter ab und schließlich wurde der Schulungsraum in der Villa Donnersmarck geschlossen. Der Umgang mit Computern und dem Internet war zur Selbstverständlichkeit geworden und entwickelte sich ganz so wie vom Arbeitskreis Internet erwartet: Gerade für Menschen mit Behinderung wurde das Netz in den vergangenen Jahren zu einem wesentlichen Faktor einer selbst bestimmten Lebensweise und der Teilhabe am sozialen, kulturellen und beruflichen Leben.

Vollständige barrierefrei ist der Zugang zum Netzt aber in weiten Teilen allerdings bis heute nicht. Allzu oft hat dies mit der Gestaltung der Websites zu tun, worauf die Broschüre „(Un)Behindert im Netz“ schon 2001 hinwies. Wer dem Abhilfe leisten möchte, kann sich zum Beispiel hier informieren: https://www.einfach-fuer-alle.de/