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Zwei FRauen mit Mundnasenschutz schauen in die Kamera

Pandemieperspektiven für wohnungslose Frauen

Die Pandemie ist für uns alle eine Herausforderung. Doch wie geht es den Menschen, die während der Pandemie keinen Rückzugsort haben? Wie können sie sich vor dem Virus schützen, ohne ein Dach über den Kopf zu haben?  Wo gibt es barrierefreie Angebote für wohnungslose Frauen?

Zu Besuch bei „Marie“, der Notunterkunft für wohnungslose Frauen

Für Antworten auf diese Fragen habe ich mich mit Elisa Lindemann getroffen. Sie ist Sozialpädagogin in der Notunterkunft Marie in Berlin Mitte, eine Einrichtung der Koepjohann’schen Stiftung. Die Einrichtung ist menschenleer. Kein Wunder, wir treffen uns am Tage. Die Nutzerinnen haben die Notunterkunft bereits schon seit acht Uhr morgens verlassen und werden erst wieder am Abend ab neunzehn Uhr erwartet.

Im Aufenthaltsraum, der gleichzeitig eine Küche ist, stehen zwei Tische mit jeweils ein paar Stühlen. Ein Fernseher fällt mir noch ins Auge. Wir nehmen an einem der beiden Tische Platz.

Der Aufenthaltsraum: Ein heller  und gemütlicher Raum mit hellen Holzmöbeln.
Im Aufenthaltsraum können die Nutzerinnen kochen, fernsehen und entspannen

Als erstes möchte ich wissen, wie die Pandemie die Situation von wohnungslosen Frauen und Männer verschärft hat. „Dadurch, dass einige Hotels geöffnet wurden, haben wir das nicht so sehr mitbekommen“, erklärt mir Elisa Lindemann. „Allerdings mussten alle Einrichtungen die Platzkapazitäten reduzieren und es gibt wenige frauenspezifische Einrichtungen.“

Ein Großteil der Nutzerinnen des Hauses habe viel Gewalt in der Vergangenheit erfahren. Für sie ist es daher schwer zu ertragen, in einer gemischtgeschlechtlichen Einrichtung untergebracht zu werden, schätzt Elisa Lindemann die Situation ein. Daher seien Notunterkünfte nur für Frauen sehr gefragt. Die Notunterkunft Marie hat mit zwei Schlafräumen sowie zwei Bädern Platz für zehn Frauen. Momentan können aufgrund von Corona und der damit verbundenen Hygienebestimmungen nur sechs Frauen übernachten. Das Angebot ist nur für vierzehn Tage nutzbar. Während des Lockdowns sah das etwas anders aus: Ungefähr drei Monate lang hatten die Frauen die Möglichkeit, hier nachts zu verweilen. Aber nach dem Lockdown ging es dann wieder in den Normalbetrieb über. So bekommen Frauen, die neu in eine Notsituation geraten sind, ebenfalls eine Chance auf einen Schlafplatz.

„Allerdings mussten alle Einrichtungen die Platzkapazitäten reduzieren und es gibt wenig frauenspezifische Einrichtungen.“ E. Lindemann

Tagsüber finden Beratungen statt

Während der Pandemie wird stets Temperatur gemessen. Bei einer erhöhten Körpertemperatur ab 38,5 Grad sind die Mitarbeiterinnen der Marie dazu angehalten, andere Lösungswege für die Nutzerinnen zu finden. In so einem Fall kann beispielsweise der kassenärztliche Bereitschaftsdienst gerufen werden. Die Frau kann dann selbst entscheiden, ob sie weiter im Krankenhaus behandelt werden möchte. Voraussetzung hierfür ist, dass die Frau krankenversichert ist. Oftmals ist genau das ein Problem. Doch in den Sozialberatungen kümmert sich Elisa Lindemann und eine weitere Kollegin gemeinsam mit ihren Klientinnen unter anderem um dieses Thema. Das Beratungsangebot wird daher viel und gern von den Nutzerinnen in Anspruch genommen. Je nach Bedarf und Zeit der Mitarbeiterinnen kann es minuten- oder stundenweise durchgeführt werden. Manche Frauen nutzen es einmal bis mehrere Male die Woche. Andere wiederum nur einmal im Monat. Oftmals kommen die Klientinnen auf ein paar Minuten für kurze Absprachen vorbei. Elisa Lindemann führt nicht nur Gespräche. Sie gibt unter anderem Tipps und Hilfestellungen bei der Vermittlung in andere Einrichtungen oder hilft beim Ausfüllen von Anträgen, um die Menschen wieder in einen Leistungsbezug zu bringen. Die Gespräche sind wichtig, da viele Frauen aufgrund ihrer aktuellen Lebenssituation psychisch sehr stark belastet sind. „Es finden immer Absprachen mit den Frauen statt. Alles ist zwanglos“, versichert sie mir.

Eine typische Berliner Altbaufassade
Trotz Altbau schaffte es die Notunterkunft Marie, barrierefreie Räumlichkeiten für ihre Nutzerinnen zu errichten

Schlafen mit Maske ist unzumutbar

Nun stellt sich mir weiterhin die Frage, wie ein Hygienekonzept in einer Notunterkunft wie die Marie funktionieren kann. „Wir haben Masken, die wir unseren Nutzerinnen zur Verfügung stellen. Eine Maskenpflicht in der Einrich­tung selber haben wir bisher nicht. In der großen Küche wird gegessen. Hier dürfen sich sowieso maximal nur vier Leute gleichzeitig aufhalten und in den zwei Schlafräumen mit Maske zu schlafen, kann man auch niemanden zumuten“, erläutert Elisa Lindemann. Neben dem Fiebermessen und der Symptombeobachtung wird jede halbe Stunde für zehn Minuten bei voll geöffneten Fenster geltet, um die Aerosole so gering wie möglich zu halten. Natürlich gibt es hier, wie überall, auch Desinfektionsmittel.

Die Notunterkunft Marie ist die einzige barrierefreie Frauennotübernachtung in ganz Berlin. Das ist besonders für ältere Nutzerinnen wichtig.
„Bei uns sind häufiger mal Seniorinnen mit einer Gehbehinderung, die zum Beispiel auf einen Rollator angewiesen sind. Bei uns ist der Zugang einfacher und wir haben auch ein barrierefreies Badezimmer. Ich glaube, die älteste Nutzerin bisher war vierundachtzig Jahre alt“, berichtet Elisa Lindemann. Grundsätzlich gestalte sich die Vermittlung in barrierefreie Einrichtungen für wohnungslose Menschen mit Behinderungen sehr schwer, weil es einfach zu wenig Angebote davon gibt.

Mit gemischten Gefühlen verlasse ich das Gebäude und merkte, wie sehr mich das Thema im Nachgang noch beschäftigt. Wieder einmal muss ich feststellen, wie gut es mir doch geht; ein Dach über den Kopf zu haben und gesund zu sein. Auch wenn Elisa Lindemann und ihre Kolleginnen den wohnungslosen Frauen tatkräftig zur Seite stehen, zaubern können sie jedoch leider nicht.

Beitrag von Kathrin Schmidt

Dieser Artikel erschien ursprünglich in der WIR 2020/2