Auf einem guten Weg, aber noch lange nicht am Ziel
Anlässlich der Paralympics 2020 in Tokio haben wir ins Archiv des WIR-Magazins geschaut und Artikel herausgesucht, für die wir mit ehemaligen und noch immer aktiven Paralympics-Teilnehmerinnen und Teilnehmern gesprochen haben. Heute erscheint unser Interview mit Paralympics-Sieger, Welt- und Europameister im Kugelstoßen Sebastian Dietz aus dem Jahr 2018.
Interview mit Sebastian Dietz aus dem Sommer 2018 für das Wir-Magazin
Wenige Wochen vor der Para-Leichtathletik-EM haben wir mit dem erfolgreichen Kugelstoßer Sebastian Dietz gesprochen, der schon Gold bei den Paralympics sowie mehrere Weltmeistertitel geholt hat. Nur der Europameistertitel fehlte noch in seinem Lebenslauf. Wir haben Ende Juli mit ihm über Titelambitionen, Hürden für Profisportler sowie Inklusion in der Leichtathletik gesprochen.
Hallo, Herr Dietz, danke dass Sie sich Zeit für das Interview genommen haben – wie ist das Wetter bei Ihnen?
Hier ist es heute leider ein bisschen bewölkt. Zwar warm, aber nicht so schön, wie ich es mir wünsche.
Ist das warme Wetter gut für Ihre Vorbereitung?
Für mich persönlich ist es sehr gut, ja. Wenn es warm ist, werden die Nerven deutlich elastischer als bei Kälte
und das hilft mir mit meiner Behinderung, bzw. den spastischen Lähmungen beim Sport machen.
Also kommt Ihnen dieser Ausnahmesommer in der Vorbereitung entgegen!
Ja, total. Ich hoffe, dass er bis zum Wettkampf auch hält!
Sie haben zwei Mal Gold bei den Paralympics und mehrere Weltmeisterschaften gewonnen. Gibt es da einen
Moment, den Sie herausheben würden?
Puh, das ist ganz schwer zu sagen. Sportlich war sicherlich 2012 in London was Großartiges. Mein Ziel war es, an den Paralympics teilzunehmen. Das zu verwirklichen und gleich Gold zu gewinnen, war natürlich traumhaft.
Bei der EM haben Sie ja noch keine Goldmedaille geholt. Soll die diesen Monat dazu kommen?
Das ist richtig, bei der EM habe ich noch nie Gold geholt, ich bin also noch kein Europameister. Dieses Jahr im eigenen Land ist natürlich eine Riesenchance. Das Ziel ist es auf jeden Fall, dann auch endlich Europameister werden zu können.
Sie sind also zuversichtlich, dass es klappt?
Meiner Konkurrenz gegenüber wäre es unverschämt zu sagen: „Ich gewinne einfach Gold.“ Da muss man respektvoll mit umgehen – gewinnen will jeder. Klar ist aber auch: Ich bin Paralympics-Sieger und Weltmeister. Wer Europameister werden will, muss auch mich schlagen!
Sie haben ja 2012 in London Gold im Diskuswurf geholt. Mittlerweile ist Diskuswurf in Ihrer Klassifizierung aus
dem paralympischen Programm genommen. Was hat es damit auf sich?
Ja, das ist ein schwieriges Thema. Welche Gründe dahinterstehen, wurde mir nie genau erklärt. Das hat das
internationale Komitee eben entschieden. Aber so ist das eben manchmal, es war für mich sehr traurig, aber ich musste es so akzeptieren.
Dann halt im Kugelstoßen!
Genau – ja! (lacht)
Arbeiten Sie nebenbei noch oder sind Sie Vollzeit-Athlet?
Ich bin mittlerweile Vollzeit-Athlet, habe aber früher noch als Bürokaufmann gearbeitet. Jetzt konzentriere ich mich voll auf den Sport. Ich trainiere sechs Tage die Woche, zwischen vier und sechs Stunden pro Tag, um ganz oben dabeizubleiben.
Wie sieht es denn in der Para-Leichtathletik hinsichtlich Prämien und Sponsoren aus?
Grundsätzlich ist es schwierig, wie in jeder Sportart. Wirklich ausklammern lässt sich da nur der Profi-Fußball. Sponsoren zu finden, ist harte Arbeit. Mir ist es gelungen, Partner zu finden, die zu mir passen. Aber es gibt noch viel zu tun, um jungen Athleten den Einstieg in den Profi- Sport einfacher zu machen.
Die Wahrnehmung und Präsenz in der Öffentlichkeit hängt damit ja auch zusammen – hat sich die öffentliche Wahrnehmung des Para-Sports Ihrer Meinung nach geändert?
Ja, grundsätzlich hat sich das schon geändert und weiterentwickelt. Wir sind auf einem guten Weg, aber noch lange nicht am Ziel. Es ist wichtig, dass alle deutschen Sportler und Sportarten in den Medien präsentiert werden. Früher war die Aufmerksamkeit im Vier-Jahres-Rhythmus an die Paralympics gebunden. Mittlerweile ist auch dazwischen immer wieder etwas zu sehen. Man hofft als Sportler, dass es immer besser wird. Wir Athleten müssen den Sport aber auch interessant machen und uns zeigen.
Gerade läuft ja bereits die Leichtathletik-EM. Die Para-Leichtathletik-EM startet erst in zwei Wochen. Wäre es vor dem Gedanken der Inklusion nicht sinnvoll, die Veranstaltungen miteinander zu verknüpfen?
Ganz schwierig. Wir wollen ja, dass jede Sportart gut repräsentiert wird. Stellen Sie sich mal vor, es laufen gleichzeitig Speerwurf der Männer bei der EM und mein Kugelstoßen, da wären weder Thomas (Thomas Röhler, dt. Speerwerfer, A. d. R.) noch ich begeistert, wenn vom anderen nichts gezeigt wird. Ich finde es weit hergeholt zu sagen: „Wenn die im Olympiastadion sind, dann müssen wir zur selben Zeit, zum gleichen Moment, im gleichen Atemzug dort sein!“ Das hat für mich nicht viel mit Inklusion zu tun, das hat eher was von Verdrängung. Ich denke, wir können gemeinsam viel für den Sport tun – olympisch wie paralympisch. Wir haben super Athleten in beiden Bereichen. Wenn wir uns zusammentun, können wir viele Menschen begeistern. Das tun wir ja zum Großteil bereits, das macht Spaß und das ist Inklusion: Gemeinsam etwas erreichen.
Mal abgesehen vom Kugelstoßen natürlich: Welche Disziplin sollte man Ihrer Meinung nach auf gar keinen Fall verpassen?
Auf jeden Fall sind die Laufdisziplinen immer spektakulär. Da haben wir super Jungs und Mädels dabei. Der Weitsprung der Männer wird auch sehr spektakulär mit Heinrich Popow und Markus Rehm, dann der Speerwurf mit Matthias Mester. Wir haben so eine Vielfalt, dass ich sage: „Es lohnt sich immer, ins Stadion zu kommen und uns zuzugucken!“
Wir wünschen Ihnen auf jeden Fall ganz viel Erfolg, tolle Wettkämpfe und viel Spaß. Vielen Dank für das sehr nette,
angenehme Gespräch, Herr Dietz.
Vielen Dank. Sehr gerne, es hat mir Spaß gemacht und ich hoffe, dass ich vielleicht einige Leserinnen und Leser für den Sport und die Para-Leichtathletik-EM begeistern konnte!
Sebastian Dietz bei den Paralympics 2020 in Tokio
Auch für die Paralympischen Spiele in Tokio wurde Sebastian Dietz in das Team Deutschland berufen. Der 36-jährige tritt im Kugelstoßen an und kann vielleicht seine paralympische Medaillensammlung, bisher zweimal Gold im Diskuswurf (2012 & 2016), erweitern.
Original aus der Wir-Ausgabe 2/2018
Das Interview oben erschien erstmals im WIR-Magazin in der Ausgabe 2/2018. Das Magazin könnt ihr hier als PDF herunterladen.