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Ferda Ataman vor einer hellen Hausfassade.

„Ableismus stärker ins Bewusstsein rücken“ -Interview mit Ferda Ataman

Seit Juli 2022 ist Ferda Ataman die neue Bundesbeauftragte für Antidiskriminierung und damit Leiterin der Antidiskriminierungsstelle des Bundes (ADS). In dieser Funktion hat sie im August den Jahresbericht der ADS für das Jahr 2021 vorgestellt. Nach rassistisch motivierten Diskriminierungsfällen folgen jene, die mit den Merkmalen Behinderungen und chronische Krankheiten zusammenhängen, mit 32 Prozent bereits an zweiter Stelle. Wir hatten die Möglichkeit dazu ein schriftliches Interview mit Ferda Ataman zu führen.

Mehr Beratungsanfragen als Signal, dass die Menschen Diskriminierung „nicht einfach auf sich beruhen lassen“

mittendrin: Nach den Zahlen des aktuellen Jahresberichts der Antidiskriminierungsstelle sind Menschen mit Behinderungen und/oder chronischen Erkrankungen am zweithäufigsten von Diskriminierung betroffen. Hat Sie dieses Ergebnis überrascht?

Ferda Ataman: Nein, das hat mich nicht überrascht. Die Antidiskriminierungsstelle des Bundes hat seit vielen Jahren anhaltend hohe Beratungsanfragen im Bereich der Behinderung. Für mich hat das zwei Seiten, eine gute und eine schlechte: Es zeigt, dass erschreckend viele Menschen wegen ihrer Behinderung diskriminiert werden, im Arbeitsleben, in Bus und Bahnen, in Ämtern und Behörden, bei der Wohnungssuche. Aber die Beratungsanfragen zeigen auch, dass viele Menschen das nicht einfach auf sich beruhen lassen, sondern sich informieren und gegen Diskriminierung vorgehen. Und das ist stark.

mittendrin: Struktureller Ableismus ist noch nicht so präsent im gesellschaftlichen Diskurs wie andere Formen institutioneller Diskriminierung. Woran liegt das?

Ferda Ataman: Das sehe ich auch so. Selbst die Mobilitätswende wird in öffentlichen Debatten meist ohne Menschen diskutiert, die auf Barrierefreiheit angewiesen sind. Das ist ignorant und falsch. Strukturelle Diskriminierung von Menschen mit Behinderung und Ableismus müssen stärker ins öffentliche Bewusstsein rücken.  Die vielen starken und engagierten Behindertenorganisationen leisten großartige Arbeit und tun alles, damit das passiert. Die Frage ist, warum sie so wenig gehört werden. Warum gab es zu Beginn der Corona-Krise nicht ganz selbstverständlich Übersetzungen der wichtigsten Informationen in Gebärden- und Leichte Sprache? Warum werden neue (Büro-)Häuser nicht alle barrierefrei gebaut? Warum müssen Menschen im Rollstuhl Zeitfenster buchen, damit sie Zug fahren können, und selbst dann werden sie nicht immer mitgenommen? Das sind alles Beispiele dafür, dass Barrierefreiheit und Inklusion nicht als Grundrecht verstanden und selbstverständlich mitgedacht werden. Das sind extrem dicke Bretter, die wir da bohren müssen.

Mehr Barrierefreiheit und Teilhabe durch anstehende Reformen des Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes?

mittendrin: Das Recht auf Teilhabe ist in der UN-Behindertenrechtskonvention festgeschrieben. Dennoch gibt es keine klaren, rechtlichen Regelungen zu ihrer Umsetzung. Muss eine Verpflichtung zu Barrierefreiheit gesetzlich verankert werden?

Ferda Ataman: Ja, hier gibt es noch viele rechtliche Lücken. Menschen mit Behinderungen müssen endlich ein verbrieftes Recht auf einen barrierefreien Arbeitsplatz bekommen. Und überhaupt auf einen barrierefreien Alltag. Wir werden uns bei der anstehenden Reform des Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes dafür stark machen, dass die Pflicht zu „angemessenen Vorkehrungen“, wie sie im Jurist*innen-Deutsch heißen, dort verankert werden.

mittendrin: Menschen mit Behinderungen sind eine sehr heterogene Gruppe, und Betroffene erleben häufig mehrfache Diskriminierung aufgrund unterschiedlicher Merkmale. Müssen wir angesichts dieser Intersektionalität mehr Schnittstellen zwischen Akteurinnen und Akteuren schaffen?

Ferda Ataman: Unbedingt. Es wird noch viel zu wenig mitgedacht, wie sich verschiedene Diskriminierungserfahrungen gegenseitig bedingen und verstärken können. Ich finde aber, das Bewusstsein dafür wächst auf jeden Fall auf Seiten der Zivilgesellschaft. Jetzt muss das noch mehr auf den Tisch gebracht werden. Die Antidiskriminierungsstelle des Bundes ist ein guter Ort dafür, da wir ja zu sechs verschiedenen Diskriminierungsmerkmalen beraten und arbeiten. Bei Veranstaltungen oder auch bei Studien versuchen wir das immer mitzudenken.

Wichtige Kooperation: Ferda Ataman und Jürgen Dusel vereinbaren enge Zusammenarbeit

mittendrin: Sie haben sich in diesem Zusammenhang ja kürzlich mit Jürgen Dusel, dem Beauftragten der Bundesregierung für die Belange von Menschen mit Behinderung, getroffen und eine Zusammenarbeit angekündigt. Gibt es für diese Kooperation schon konkrete Pläne?

Ferda Ataman: Wir wollen unsere Kräfte bündeln, um für Menschen mit Behinderung auch beim Thema Antidiskriminierung viel zu erreichen. Dazu haben wir eine enge Zusammenarbeit vereinbart. Ganz besonders wichtig wird das bei der Reform des Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes. Ich wünsche mir, dass wir in ein paar Jahren zurückblicken und sagen: Wir konnten erreichen, dass Menschen mit Behinderung mehr Rechte beim Thema Barrierefreiheit bekommen und sich besser gegen Diskriminierung wehren können. Das ist unser gemeinsames Ziel.

Titelfoto: Sarah Eick

Website der Antidsikriminierungsstelle des Bundes