Die Beauftragten: Interview mit Stefan Schaul | Treptow-Köpenick
In unserer Reihe „Die Beauftragten“ wollen wir nach und nach mit den Beauftragten für die Belange von Menschen mit Behinderungen aus allen Berliner Bezirken sprechen. Hier richten wir den Blick auf Stefan Schaul, der seit 2018 das Amt des Beauftragten für Menschen mit Behinderungen im Bezirk Treptow-Köpenick bekleidet.
Stefan Schauls Weg in das Amt und seine Aufgaben
Wie war Ihr persönlicher Weg in das Amt des Bezirksbeauftragten? Was hat Sie persönlich an diesem Amt gereizt?
Ich habe zuvor 18 Jahre lang in verschiedenen Funktionen für einen Firmenverbund gearbeitet, der sich 2012 im Rahmen eines Wohnprojektes für dementiell erkrankte Menschen mit Pflegebetrieb finanziell verhoben hat und in die Insolvenz ging. Ich war in dem Verbund zuletzt der Leiter des strategischen Qualitätsmanagements und begleitete die Planinsolvenz bis zu deren Abschluss. Aber in einem Firmenverbund im Bereich Soziales zu arbeiten, der in der Folge der Insolvenz mehr auf Wirtschaftlichkeit als auf die inhaltliche Weiterentwicklung der Leistungen für Menschen mit Behinderungen achtete, hat mich vor die Frage gestellt, bleibe ich oder gehe ich?
In meiner alten Stelle habe ich keine Wirkungen mehr für Menschen mit Behinderung erzielen können. Der Job des Behindertenbeauftragen ist mir dann gewissermaßen über den Weg gelaufen. Ich habe mich auf die Stellenausschreibung beworben, eigentlich in der Annahme, dass diese Stelle bereits intern vergeben wurde. Ich bin dann aber genommen und auch von der BVV gewählt worden. Die erste Legislaturperiode von fünf Jahren werde ich dann im März nächsten Jahres hinter mir haben. Der Bürgermeister meint, dass er mich erneut berufen wird.
„Es ist ja unser Amt und unsere Aufgabe, dem Bezirksamtskollegium und allen Ämtern „auf die Füße zu treten“, wenn Rechte von Menschen mit Behinderung nicht beachtet werden.“
Stefan Schaul
Welche Rolle und Aufgaben haben Sie im Bezirk?
Hier arbeite ich in zwei Kernbereichen: Zum einem strukturell strategisch und zum anderen operativ persönlich für meine vulnerable Klientel. Strukturell strategisch bedeutet z. B. Einfluss auf Gesetzesvorhaben zu nehmen, auf Verordnungen und (Ausführungs-)Vorschriften. Dies geschieht auch über die Mitarbeit in den AGen des Senats für Menschen mit Behinderung und die Beratung des Rates der Bürgermeister. Aber auch im Bezirk gibt es unterschiedliche Gremien, die wichtig sind, um die Gewährleistung der Rechte von Menschen mit Behinderungen sicherzustellen wie z. B. in der AG ÖPNV im Bezirk.
Weiter zählt auch die Prüfung auf Barrierefreiheit des öffentlichen Baugeschehens zu diesem Bereich. Im Evaluieren auf Barrierefreiheit im Wohnungsbau besteht ein strukturelles Defizit. Ich bin zwar mittlerweile ein Fachmann für barrierefreies Bauen, aber der Wohnungsbau ist so umfassend, dass ich kaum zu den anderen Aufgaben eines Beauftragten komme. Hier habe ich in der Legislaturperiode durchsetzen können, dass dafür eine zusätzliche Stelle eines Bausachverständigen für Barrierefreiheit geschaffen wird, die bei mir angesiedelt wird. Dafür hat sich mein Bürgermeister eingesetzt, was ich sehr hilfreich finde.
Die operative bzw. persönliche Arbeit für Menschen mit Behinderungen ist ein schwieriges Feld, denn ein Beauftragter ist keine Beratungs- oder Beschwerdestelle. Dafür gibt es die jeweiligen Beratungsstellen und Ombudspersonen. Neu ist auch eine nach dem LADG (Landesantidiskriminierungsgesetz) eingerichtete Schiedsstelle für den Bereich behördlicher Diskriminierung mit Klagemöglichkeit. Aber je nach Anfrage bin ich zuständig oder fühle mich auch zuständig, wenn ich bemerke, dass eine weitere Verweisung an andere Stellen nicht viel bringen und eher entnerven würde.
Ich bin aber kein Akteur der Umsetzung der Politik für Menschen mit Behinderungen des Bezirksamts. Ich bin ein Wächter mit Kontroll- und Beratungsauftrag und wache darüber, dass die Rechte von Menschen mit Behinderungen bei allen Maßnahmen des Bezirksamtes gewahrt bleiben. Um dem Auftrag nachkommen zu können, muss ich inhaltlich weisungsfrei sein und bin es auch per Gesetz, obwohl es auch hier eine Regelungslücke gibt, die die Unabhängigkeit stark einschränkt.
Stefan Schaul möchte mehr bezahlbare, barrierefreie Wohnungen und eine Novelle der Bauordnung
Was sind aus Ihrer Sicht die wichtigsten Vorhaben in Ihrer Amtsperiode?
Ich habe viel mit Bauen zu tun, bis vor kurzem noch zu über 90 % meiner Zeit. Ich bin auch involviert in die Schulbauoffensive. Das sind Prozesse, die dauern von der Vorplanung über die Genehmigungsplanungen, die von mir geprüft werden, Jahre. Das ist auch davon abhängig, ob der Architekt sich mit barrierefreiem Bauen befasst hat oder nicht.
Wohnungen für Rollstuhlnutzer, sog. RB-Wohnungen, werden seit Jahrzehnten nicht im Bauordnungsrecht aufgeführt. So bekommen wir in Berlin keine einzige RB-Wohnung mehr, die verbindlich gefordert wird. Fast ausschließlich soziale Träger bauen für ihre Klientel mit Behinderungen RB-Wohnungen. Das hat aber nicht viel mit Selbstbestimmung zu tun, denn Rollstuhlnutzer können sich nicht wie jeder andere auch eine Wohnung am freien Markt organisieren. Zusätzlich hat der Berliner Senat die Vermittlungsstelle für barrierefreie Wohnungen abgeschafft. Dort wurden Angebote gesammelt und Anfragende konnten sich dahin wenden. Mittlerweile fehlen laut Wohnungsbedarfsbericht von 2019 mehr als 106.000 barrierefreie Wohnungen. Die Zahl wird sich bis 2030 erheblich steigern, denn der Anteil an Menschen über 80 Jahren wird sich in jedem Berliner Bezirk nahezu verdoppeln. Bei 2.000.000 nicht barrierefreien Bestandswohnungen kann dieses Defizit nur annähernd mit einer deutlich höheren Quote aufgefangen werden. Wir Beauftragten hatten zusammen mit unseren Bezirksbürgermeistern die Quotenerhöhung und Einführung einer Quote für Rollstuhlwohnungen in der Novelle der Bauverordnung fast durch, als die Novelle senatsseitig kassiert wurde. Unser Eindruck war, dass hier wohl nicht der Wille besteht, ernsthaft die Daseinsvorsorge voranzutreiben und ausreichend barrierefreien und bezahlbaren Wohnraum zu schaffen.
„Als ich angefangen habe, wollte ich etwas im Amt ändern.“
Stefan Schaul
Von wem und wie viel Unterstützung erhalten Sie bei diesen Themen?
Ich habe jeden Tag mit Rechtsbrüchen zu tun. Ich muss nur über die Straße gehen, dann sehe ich an jeder Ecke Verstöße gegen Barrierefreiheit. Die kann ich nicht alle beseitigen. Ich habe eine Schnellläufer-AG mit Seniorenvertretern, Beirat und mir eingerichtet, wo ich die Beschwerden aus der Bevölkerung aufnehme und Abhilfe einleite. Ein Beispiel: Es ging um Barrierefreiheit in Friedhofskapellen. Wir haben uns mit den Verantwortlichen aus Friedhofsamt, Grünflächenamt usw. getroffen und eine Lösung erarbeitet. Ich war so naiv und hatte nicht alle paar Wochen nachgefragt, wie weit der Umbau ist. Ich dachte, eine Lösung wird auf den Weg gebracht, denn ich habe ja die Verantwortlichen zusammengebracht. Nach drei Jahren erfahre ich, dass nichts passiert ist, obwohl der Wille, die Kompetenz und die Lösung da waren. Es gibt keine Strukturen bzw. Ressourcen im Bezirksamt, um solche Beschwerden in eine Lösung zu überführen. Die Ämter selbst kämpfen hier mit Personalmangel und weiteren fehlenden Ressourcen. Unter diesen Umständen konnte die AG keine gesonderten Aufgaben in die Verwaltung einsteuern. So habe ich die AG aufgelöst.
Wie gestaltet sich in Ihrem Bezirk die Zusammenarbeit mit dem Behindertenbeirat?
Wir sind mit Gästen in der Regel ca. 20 Leute und treffen uns alle zwei Monate. Durch die unterschiedlichen vertretenen Arten von Behinderungen haben wir mehrere Schwerpunkte abgebildet. Ich habe jetzt angeregt, dass wir diese Kompetenzen auch konkret z. B. bei Ortsbegehungen nutzen. Das haben wir bspw. gerade beim Weltkinderspielplatz vor. Im Beirat sitzt jemand von Eltern helfen Eltern e.V., die organisiert, dass Kinder mit Behinderung den Spielplatz testen.
Mit welchen Anliegen kommen Menschen in Ihrem Bezirk typischerweise zu Ihnen?
Wenn jemand eine Erstberatung für seine Behinderung braucht, macht das eine Beratungsstelle, z. B. die Beratungsstelle für gesundheitlich eingeschränkte Menschen im Bezirk oder ein Pflegestützpunkt. Aber wenn jemand kommt, dessen gestellte Anträge abgelehnt wurden und der vergeblich Einspruch erhoben hat, und wo ich annehme, dass die Ablehnung nicht rechtens ist, dann bin ich da. In der Regel habe ich vier bis fünf solcher komplexen Vorgänge in Arbeit, wo ich viel telefonieren muss und oft auch die gleichen Schwierigkeiten wie die Kunden habe, wenn es darum geht, beteiligte Personen zu erreichen. Ich kann hier natürlich nicht alle Probleme lösen. Auch ist es schwer, sich von der Rechtsberatung abzugrenzen, wenn es um Vorgänge geht, die eben juristisch bewertet werden müssen. Das müssen dann oftmals die eigentlichen Ombudsstellen übernehmen.
Wenn man ein Wächteramt hat, hat man nicht viele Erfolge vorzuweisen. Bei Baugeschehen, wo ich beteiligt wurde, konnte ich einiges umsetzen. Ich konnte Menschen, die mit Amtsproblemen zu mir kamen, helfen. Ich habe vieles verhindert, das trifft es vielleicht besser.
Junge Menschen und ihr Verständnis von Inklusion
Was ist Ihre Vision für einen inklusiven Bezirk Treptow-Köpenick?
Ich bin froh, wenn Leute an mich herantreten, weil sie von vornherein etwas richtigmachen möchten. Was mich besonders freut, ist, das junge Leute ein ganz anderes Verständnis von Inklusion haben. Der Mellowpark soll saniert werden und zwei junge Menschen vom Jugendzentrum2.0 kamen auf mich zu, weil sie die Sanierung barrierefrei gestalten und von mir wissen wollten, was zu beachten ist. Mich mit denen zu treffen, Baupläne zu prüfen, Vorschläge zu machen, und die Umsetzung begleiten, finde ich spannend. Ich hatte nur eine Bitte: „Nehmt Jugendliche mit Behinderung mit dazu, wenn ihr plant.“
Auch ein freier Träger möchte ein Wohnheim bauen, ein anderer Wohnhäuser mit RB-Wohnungen. Jedes dieser Projekte begleitete ich gerne und intensiv, da hier Dinge entstehen, die uns tatsächlich weiterbringen – zumindest im Bereich dessen, was derzeit gesetzlich möglich ist.
Ansonsten möchte ich mich daran beteiligen, eine Kompetenz- und Koordinierungsstelle für Barrierefreiheit, die den Zugriff auf die einzelnen Ämter bekommt, aufzubauen und zu begleiten.
Lieber Stefan Schaul, vielen Dank für das Interview!