zur Navigation zum Inhalt
Leere Stühle in einem Hörsaal.

Diskriminierung an der Uni: Wegen Behinderung nicht zum Bewerbungsgespräch eingeladen?

Wir haben wieder einmal mit Agnieszka Witkowska von der Antidiskriminierungsberatung Alter oder Behinderung der Landesvereinigung Selbsthilfe Berlin e.V. gesprochen. Sie hat uns einen weiteren interessanten Fall für unser Artikelreihe „Antidiskriminierung“ mitgebracht. Dieses Mal geht es um eine mögliche Diskriminierung an einer Uni: ein junger Mann Mit Behinderung bewirbt sich als wissenschaftlicher Mitarbeiter und wird trotz formal ausreichender Qualifikation nicht zum Bewerbungsgespräch eingeladen.

Nicht zum Vorstellungsgespräch eingeladen: Ein Fall von Diskriminierung an der Uni?

Liebe Frau Witkowska, wir sprechen heute über einen Bewerber mit Behinderung, der als wissenschaftlicher Mitarbeiter an einer Universität arbeiten wollte, aber nicht zum Bewerbungsgespräch eingeladen wurde. Beschreiben Sie doch bitte die Ausgangssituation.

Die Beratungsanfrage haben wir von einem Mann erhalten, der sich hier in Berlin an einer Universität beworben hat. Es ging um eine Stelle als wissenschaftlicher Mitarbeiter. Zum Bewerbungsgespräch wurde er allerdings nicht eingeladen. Der Bewerber wandte sich daraufhin an die Antidiskriminierungsstelle des Bundes, die ihm die Auskunft gegeben hat, dass aufgrund einer Benachteiligung nun ein Jahresgehalt einklagen könne, da dieses Stellenangebot recht selten sei.

Okay, machen wir kurz noch einmal einen Schritt zurück. Es ging also um eine sehr spezielle wissenschaftliche Stelle und seine Behinderung erwähnte der Bewerber von Anfang an?

Genau. Es handelte sich um eine ganz spezielle wissenschaftliche Stelle. Seine Behinderung in Form einer chronischen Erkrankung hat er, und das ist sehr wichtig, in der Bewerbung schon korrekt dargestellt. Eingeladen wurde er allerdings nicht. Das wäre aber nach §165 SGB IX „Besondere Pflichten der öffentlichen Arbeitgeber“ sein gutes Recht gewesen. Zu uns kam er dann mit der Erwartung, dass er mit einer Klage ein volles Jahresgehalt erhalten könne. Da mussten wir den Ratsuchenden etwas bremsen, da sich die Entschädigung im Sinne des Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes (AGG) in der Regel zwischen ein und drei Monaten bewegen. Ihm war es aber viel wichtiger, zu thematisieren, dass Menschen mit Behinderungen die Chance bekommen müssen, sich persönlich vorzustellen und dadurch „Ängste“ und „Vorurteile“ des Arbeitnehmers abzubauen.

Wurden denn nach der Beratung juristische Schritte eingeleitet?

Nach dem ersten Gespräch war klar, dass der Ratsuchende gerne klagen möchte. Ich habe ihm daher Auskunft über die Fristen gegeben und dahingehend aufgeklärt, dass er Ansprüche nach §13 AGG geltend machen kann. Dafür haben wir ein Musterschreiben vorbereitet, das er verwendet hat. Anschließend habe ich ihn den gesamten Prozess hindurch noch begleitet. Dabei ging darum, konkret nachzuweisen, dass eine Diskriminierung stattgefunden hat. Denn die Universität behauptete nun, der Kandidat sei fachlich nicht für die Stelle geeignet gewesen. Aus seinem Lebenslauf sei nicht hervorgegangen, dass er die nötigen Qualifikationen mitbringe. Dabei hat er genau die Fachrichtungen studiert, die für die Stelle passend gewesen wären. So hat am Ende auch der Richter im Versäumnisurteil entschieden: Die Universität hätte sich im Bewerbungsgespräch ein Bild von seinen Qualifikationen machen müssen.

Zu einer richtigen Verhandlung kam es also gar nicht?

Zumindest gibt es kein „schönes Urteil“, sondern nur ein sogenanntes Versäumnisurteil. Vereinfacht gesagt, ist es ohne Prozess zu einer Verständigung gekommen. Damit war der Ratsuchende aber bereits zufrieden. Das Gericht war auf seiner Seite, da die Vermutung des Arbeitgebers, der Bewerber würde nicht passen, in diesem Fall nicht ausreichend begründet sei. Man hätte den Bewerber einladen und seine Qualifikation im Gespräch feststellen müssen. Der Vorschlag des Richters lautete: entweder ein Monatsgehalt Entschädigung oder der Gang in die nächste Instanz. Letztendlich haben sich aber beide Seiten auf die Entschädigung verständigt. Der Universität war das recht und dem Ratsuchenden ging es vor allem darum, Recht zu bekommen und auf das Problem aufmerksam zu machen.

Diskriminierung an der Uni oder einfach nur Fahrlässigkeit?

Wurde er denn in diesem Fall tatsächlich wegen seiner Behinderung nicht eingeladen? Oder war es einfach eine Fahrlässigkeit, den Bewerber nicht einzuladen?

Ob die Behinderung am Ende des Tages wirklich eine Rolle gespielt hat, ist für die Universität natürlich sehr schwierig nachzuweisen. Allerdings ist es so, dass viele Arbeitgeber sich scheuen, Menschen mit Behinderungen einzustellen. Da gibt es leider ganz viele Vorurteile, Falschannahmen und falsche Ängste: beispielsweise, dass sie häufiger krank werden oder mehr Ansprüche stellen können als andere Arbeitnehmerinnen und -nehmer. Weil man das aber so schlecht nachweisen kann, sind zumindest öffentliche Stellen dazu verpflichtet, fachlich geeignete Kandidaten mit einer Behinderung einzuladen. Die Universität wäre auch in dieser Pflicht gewesen. Argumentiert wurde, dass der Lebenslauf keine ausreichende Qualifizierung nachgewiesen habe. Aber er kam eben genau aus diesem Fachbereich und ob seine Qualifikationen ausreichend waren oder nicht, hätte in einem Vorstellungsgespräch geklärt werden müssen. In so einem Fall liegt dann der der Verdacht der Diskriminierung durch die Uni wegen der Behinderung nahe. Im Grunde handelt es sich hier um eine Fahrlässigkeit, den Bewerber gar nicht erst einzuladen. Ob er am Ende die Stelle bekommen hätte oder nicht, wäre ja wieder etwas Anderes gewesen.

Haben Sie von dem Mann noch einmal etwas gehört? Hat er mittlerweile eine passende Stelle gefunden?

Ich hatte seitdem keinen Kontakt mehr mit ihm und kann diese Frage deshalb leider nicht beantworten.

Wissen Sie denn von vergleichbaren Fällen, wo es am Ende wirklich in eine höhere Instanz ging oder tatsächlich auch Jahresgehälter gezahlt wurden – wie dem Mann zunächst in Aussicht gestellt wurde?

Also von kompletten Jahresgehältern habe ich tatsächlich noch nie gehört – zumal die Spielräume, die dafür im AGG vorgesehen sind, relativ klein sind.

Da gewisse Stellen, wie diese in dem vorliegenden Fall, aber doch recht selten ausgeschrieben sind, könnte man vielleicht mit einem aggressiveren Vorgehen und dem richtigen Anwalt oder Anwältin an der Seite tatsächlich mehr rausholen. Aber sowas habe ich selbst noch nicht erlebt. Deswegen kann ich da nur spekulieren.

Liebe Frau Witkowska, ich bedanke mich für diesen spannenden Fall und das interessante Gespräch.

Ein Foto von Angnieszka Witkowska.
Agnieszka Witkowska

Kontakt

Wenn ihr selbst Diskriminierungserfahrungen gemacht habt und Hilfe sucht, könnt ihr euch selbstverständlich an die Antidiskriminierungsberatung wenden:

Landesvereinigung Selbsthilfe Berlin e.V.
Antidiskriminierungsberatung Alter oder Behinderung

Littenstraße 108
10179 Berlin (Mitte)

Telefon: 030 – 27 59 25 27
Telefon: 030 – 27 87 56 91
Fax: 030 – 27 59 25 26
E-Mail: adb@lv-selbsthilfe-berlin.de
Website: lv-selbsthilfe-berlin.de/antidiskriminierungsberatung/

Beratungen nach vorheriger Anmeldung.

Das Interview führte Nico Stockheim