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Foto des Podiums bei den Inklusionstagen. Links ein großer Bildschirm mit dem Schriftzug "Inklusionstage 2022"

Rückblick Inklusionstage 2022: Barrierefrei und selbstbestimmt Wohnen

Vor einem Monat fanden die Inklusionstage 2022 in Berlin statt. Das Thema der Veranstaltung war dieses Jahr: „Wohnen. Barrierefrei. Selbstbestimmt. Zeitgemäß.“ Unser Kollege Fynn Hullmeine war vor Ort und hat für mittendrin einen Rückblick auf die diesjährigen Inklusionstage geschrieben.

Inklusionstage 2022: Selbstbestimmung und Barrierefreiheit als Handlungsprinzipien im Bereich Wohnen etablieren

Am 31. Mai und 01. Juni 2022 fanden bereits zum neunten Mal die Inklusionstage statt. Zum ersten Mal als hybride Veranstaltung, bei der es sowohl die Möglichkeit der Präsenz als auch der Online-Teilnahme gab. Das Bundesministerium für Arbeit und Soziales, das jährlich die Inklusionstage ausrichtet, hat diesmal unter dem Motto „Wohnen. Barrierefrei. Selbstbestimmt. Zeitgemäß“ alle Interessierten zum Austausch eingeladen. Vertreterinnen und Vertreter aus Politik und Wirtschaft, von Leistungserbringern aus dem deutschsprachigen Raum, von Sozial- und Behindertenverbänden konnten in diesem Jahr aus verschiedenen Formaten und Programmpunkten wählen, um sich zum Thema Wohnen zu informieren, zu diskutieren und gemeinsam Ideen zu entwickeln.

Mitbestimmung und Partizipation

Aus den vielen Schwerpunkten auf den Inklusionstagen sollen hier einzelne Aspekte herausgestellt werden, die für unsere Arbeit in der Fürst Donnersmarck-Stiftung besonders relevant erscheinen. Ein sehr anschaulicher praxisnaher Programmpunkt beschäftigte sich mit den Formen und Möglichkeiten der Partizipation von Menschen mit Behinderungen. Dabei wurde das Projekt „Hier bestimme ich mit“ des Bundesverbands evangelischer Behindertenhilfe vorgestellt, aus dem die „Fragensammlung zur Partizipation“ hervorgegangen ist. Sie kann in der pädagogischen Arbeit vielseitig eingesetzt werden, etwa bei der gemeinsamen Planung von Veranstaltungen, bei Entscheidungsprozessen in Wohngemeinschaften oder in Klientinnenbeirätinnen und Beiräten. Die Fragensammlung und ein dazugehöriges Handbuch sind als Druck- und als Online-Version sowie in Leichter und schwerer Sprache kostenlos unter www.beb-mitbestimmen.de erhältlich. Es gibt hierüber auch die Möglichkeit, kostenlose Schulungen für Teams zu vereinbaren, um sich die Arbeit mit der Fragensammlung ausführlich erklären zu lassen.

Neue Wohnkonzepte schaffen

Auf den Inklusionstagen wurden immer wieder die Fragen diskutiert, wie wir in Zukunft wohnen werden und wie es gelingt, dies selbstbestimmt zu gestalten. Dabei ist deutlich geworden, dass die derzeit üblichen Wohnformen, in denen viele Menschen mit Behinderungen leben, nicht allen Bedarfen und Wünschen entsprechen. Außerdem werden große, bisher aber zu wenig genutzte Chancen in der Einbeziehung der Nachbarschaft und in der Zusammenarbeit mit anderen Einrichtungen gesehen. Organisationen der Sozialwirtschaft werden daher dazu aufgerufen, Wohnkonzepte neu zu denken und sich gemeinsam zu überlegen, welche Möglichkeiten geschaffen werden können, um die Vielfalt abbilden und mehr Selbstbestimmung verwirklichen zu können.

Technologie: Unterstützung durch dasSmart Home

Inwieweit dabei auch neue Technologien und digitale Geräte mit einbezogen werden und im Alltag unterstützen können, wurde bei der Präsentation einzelner Projekte deutlich. So erprobt derzeit etwa die Technische Hochschule Regensburg den Einsatz von Robotik für die physiotherapeutische, logopädische und pflegerische Unterstützung von Schlaganfallpatienten. Außerdem stellte ein Hamburger Beratungszentrum ihr Projekt zu Smart Home-Technologien dar, die im Alltag einiger Menschen mit Behinderungen bereits präsent sind und beispielsweise für eine barrierefreie Steuerung von Lampen, Fenstern oder Haushaltsgeräten verwendet werden. Auch die Nutzung von Sensoren zur Herdüberwachung oder zur Sturzerkennung und -meldung ist schon in einigen Wohnungen und Einrichtungen etabliert. Die Möglichkeiten der digitalen Unterstützung sind also vielfältig und werden langfristig die personenzentrierte Arbeit verändern. Vor allem haben sie das Potential, die Selbstbestimmung von Menschen mit Behinderungen in ihrem Wohnumfeld zu fördern. Einzelpersonen ebenso wie Gruppen können zum Beispiel im Smart Living & Health Center in Biesdorf/Marzahn verschiedenste Technologien ausprobieren und sich darüber informieren, was sich für das eigene Zuhause am besten eignet. Für einen Besuch sowie für eine persönliche Beratung empfiehlt sich eine vorherige Anmeldung unter www.haus-der-zukunft-am-ukb.de oder telefonisch unter 030 6179 5042. Eine weitere Möglichkeit zum Ausprobieren und Informieren besteht in einer Musterwohnung der GESOBAU im Märkischen Viertel. Hierfür können sich Interessierte unter pflege-quartier@gesobau.de oder telefonisch unter 030 4073 1510 anmelden.

Inklusionstage 2022: Es braucht mehr barrierefreien Wohnraum

Viele Diskussionen auf den Inklusionstagen entstanden aus der gemeinsamen Überzeugung, dass es einen besonders großen Mangel an barrierefreiem und zugleich bezahlbarem Wohnraum gibt, der sich gerade hier in Berlin, aber auch in vielen anderen Orten Deutschlands offenbart. Vor allem aufgrund unserer immer älter werdenden Gesellschaft wird der Bedarf an diesem Wohnraum in den nächsten Jahren weiter steigen, was umfassende wohnungs- und sozialpolitische Maßnahmen umso dringlicher erscheinen lässt. Auch innerhalb der Fürst Donnersmarck-Stiftung stellen wir in der pädagogischen Arbeit seit langem fest, wie langwierig sich die Wohnungssuche für Menschen mit Behinderungen gestaltet. Darüber hinaus werden wir beim barrierefreien Neu- und Umbau immer wieder mit großen Herausforderungen, mit bürokratischen und vor allem baulichen Hürden konfrontiert.

Während der Veranstaltung ist auf den Podien, aber auch in einzelnen Gesprächen abseits der Bühne deutlich geworden, dass viele Teilnehmende unsere Erfahrungen teilen. Vertreterinnen und Vertreter des Bau- wie auch des Sozialministeriums signalisierten mehrfach die Wahrnehmung des großen Mangels und der wachsenden Bedarfe an barrierefreiem Wohnraum und sicherten darauf abgestimmte Maßnahmen zu. Im Hinblick auf das im Koalitionsvertrag verankerte Ziel der Schaffung von jährlich 100 000 staatlich geförderten Sozialwohnungen erklärte Jürgen Dusel, Behindertenbeauftragter der Bundesregierung, er werde sich dafür einsetzen, dass diese Wohnungen barrierefrei sein werden. Verschiedene Berechnungen gehen bei einem Neubau von barrierefreien Wohnungen von Mehrkosten in Höhe von lediglich ein bis zwei Prozent aus. Neben diesem finanziellen Aspekt geht es vor allem um die Veränderung der aktuellen (Bau-)Standards, bei denen schließlich Barrieren aufgebaut werden. Das erscheint nicht zeitgemäß und widerspricht dem Menschenrecht zur freien Entscheidung darüber, wo und mit wem jemand leben möchte. Insofern gehen aus den diesjährigen Inklusionstagen Appelle zu Veränderungen in vielen Bereichen auf verschiedenen Ebenen hervor: Standards müssen neu gedacht und das Bewusstsein für die unterschiedlichen Bedarfe von Menschen muss geschärft werden – vor allem in den Unternehmen, Ausbildungsstätten, Ämtern, Verbänden und Organisationen, die sich mit Bauen und Wohnen beschäftigen. In der Fürst Donnersmarck-Stiftung schlagen wir diesen Weg bereits ein und haben durch engagierte Menschen und kreative Köpfe, durch die verschiedenen Bereiche und die gemeinsamen Visionen die nötigen Ressourcen, um zukünftig mit großen Schritten und gutem Beispiel in Richtung barrierefreiem und selbstbestimmtem Wohnen voran zu gehen.