zur Navigation zum Inhalt
Bild aus der Kuppel des Reichstagsgebäudes: Blick auf die Sitze des Bundestages.

Gesetzgebung zur Triage: Interview mit Hubert Hüppe, MdB

Am 28. Dezember 2021 hat das Bundesverfassungsgericht ( BVerfG) entschieden, dass der Bundestag unverzüglich Vorkehrungen zum Schutz von Menschen mit Behinderungen für den Fall einer pandemiebedingten Triage treffen soll. Eine Entscheidung mit großer Signalwirkung, weshalb wir mit Beteiligten und Betroffenen in einer kleinen Interview-Reihe zur Triage-Regelung gesprochen haben. Für unser heutiges Interview haben wir über die Gesetzgebung zur Triage mit CDU-Politiker Hubert Hüppe gesprochen. Hüppe ist Mitglied des 20. Bundestages, gehört dort dem Gesundheitsausschuss an und war von 2009 bis 2013 Beauftragter der Bundesregierung für die Belange behinderter Menschen.

Wie kann die Gesetzgebung zur Triage aussehen?

Was ist Ihre persönliche Einschätzung zu dem Beschluss des Bundesverfassungsgerichtes?

Hubert Hüppe: Das Bundesverfassungsgericht hat dem Gesetzgeber einen unmissverständlichen und dringenden Handlungsauftrag erteilt. Diese klare Entscheidung begrüße ich ausdrücklich. Ich gehe davon aus, dass die Bundesregierung umgehend Bundesrat und Bundestag einen Gesetzentwurf vorlegen wird und der Bundestag sich unverzüglich mit dem Urteil und der Thematik befassen wird. Im bestehenden Recht sieht das Gericht keinen ausreichenden Schutz vor dem Risiko einer Benachteiligung von Menschen mit Behinderungen in einer Triage-Situation. Der Gesetzgeber muss seiner Handlungspflicht unverzüglich durch geeignete Vorkehrungen nachkommen. Die Entscheidung des höchsten deutschen Gerichtes wurde von Klägerinnen und Klägern herbeigeführt, die selbst mit Behinderungen leben. Es ist aus meiner Sicht unverzichtbar, auch bei der anstehenden Gesetzgebung Menschen mit Behinderungen einzubeziehen.

Hubert Hüppe auf dem CDU Bundesparteitag Dezember 2014 in Köln (Foto: Olaf Kosinsky / Wikipedia CC BY-SA 3.0 DE)

Welcher praktische Arbeitsauftrag an die Politik steckt denn nun in diesem Beschluss? Wie kann ein Gesetz – auch im handwerklichen Sinn – gemacht werden, das den Anforderungen des Gerichts erfüllt?

Hubert Hüppe: Die Politik muss engagiert das Urteil des Bundesverfassungsgerichts aufgreifen. Aufgrund der berührten grundrechtlichen Fragen liegt die Federführung voraussichtlich beim Bundesministerium der Justiz, welches rasch einen Gesetzentwurf vorlegen muss. Als CDU/CSU haben wir zu einem sehr frühen Zeitpunkt beantragt, ein Fachgespräch zu der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts im Ausschuss für Gesundheit durchzuführen. Sehr wichtig ist mir dabei, dass eine Vertreterin oder ein Vertreter der Klagenden zu diesem Fachgespräch eingeladen wird. Dafür setze ich mich bereits ein.

Gesetz zur Triage: Orientierung und Einhaltung in der Praxis

Wie muss aus Ihrer Sicht das Gesetz gestaltet sein, dass es den Ärztinnen und Ärzten in der Praxis eine rechtlich sichere Orientierung gibt?

Hubert Hüppe: Ich möchte dem angekündigten Gesetzesentwurf nicht vorgreifen. Es wäre aus meiner Sicht auch zu gewagt, wenn Politik medizinische Kriterien aufstellt. Das Urteil des Bundesverfassungsgerichts eröffnet die Möglichkeit, einen Diskriminierungsschutz durch Verfahren aufzuzeigen. Zu denken ist hier an Instrumente wie Ethikkommissionen, das Mehraugenprinzip oder besondere Dokumentationspflichten. Entscheidend ist, dass rechtliche Klarheit für Ärztinnen und Ärzte besteht und dass die vorhandene Schutzlücke geschlossen wird. In dieser Hinsicht lässt die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts an Klarheit nichts zu wünschen übrig. Es muss sichergestellt werden, dass in der Extremsituation der Triage allein nach der aktuellen und kurzfristigen Überlebenswahrscheinlichkeit entschieden wird. Wenn das zuständige Bundesministerium den erforderlichen Gesetzentwurf vorgelegt hat, werden wir ihn sorgfältig in den Ausschüssen im Bundestag diskutieren. Mit Sicherheit wird es eine öffentliche Anhörung mit Sachverständigen geben. Ich setze mich dafür ein, dass Vertreter der Betroffenen eingeladen werden. Die Argumente aus der Anhörung werden wir fundiert abwägen und dann abstimmen.

Wie kann aus Ihrer Sicht die Einhaltung des Gesetzes konkret überwacht werden?

Hubert Hüppe: Es bedarf einer Melde- und Dokumentationspflicht, wenn triagiert wird. Und die Einhaltung der Regelungen muss angemessen überwacht werden. Verstöße müssen unter Strafandrohung gestellt sein.

Inwiefern könnte der Beschluss des Bundesverfassungsgerichts auch über den konkreten Fall der Triage in der Pandemiesituation hinausweisen und gibt es aus Ihrer Sicht weitere behindertenpolitische Baustellen in der aktuellen Pandemie?

Hubert Hüppe: Mit der Inklusion sind wir noch nicht da, wo wir hinwollen. Im Gegenteil, in manchen Bereichen geht es sogar zurück, insbesondere in der Bildung. Zu konstatieren ist aber, dass Menschen mit Behinderungen vor dem höchsten Gericht geklagt und Recht bekommen haben.  Das verdient in der breiten Gesellschaft Anerkennung und setzt ein Signal weit über die Pandemie hinaus.

Menschen mit Behinderungen sind oft besonders vulnerabel und bedürfen in Zeiten wie diesen eines besonderen Schutzes vor Benachteiligung. So gehören die Hürden beim Zugang zu gesundheitlichen Diensten und Einrichtungen abgeschafft. Besonders deutlich wurde in den letzten Monaten, wie unmenschlich Isolation ist. Keine andere Gruppe wurde so isoliert, wie Menschen mit Behinderung, Pflegebedürftige und Sterbende. Die Corona-Pandemie hat auch ganz besonders Menschen mit Behinderung im ersten Arbeitsmarkt getroffen. Heute sind acht Prozent mehr Arbeitnehmer mit Behinderung arbeitslos als vor der Pandemie. Es ist Tatsache, dass diese Personengruppe es wesentlich schwieriger hat, in den Arbeitsmarkt zurückzukehren. Hier müssen verstärkt Maßnahmen zur Wiedereingliederung eingesetzt werden.

Herr Hüppe, vielen Dank für das Interview!

Über den Beschluss des Bundesverfassungsgerichtes und die rechtliche Dimension einer Triage-Regelung haben wir bereits mit Anwalt Dr. Oliver Tolmein gesprochen.