zur Navigation zum Inhalt
Schwarz-Weiß-Foto: Vorne eine Hand von hinten fotografiert, die an eine Fensterscheibe fasst. Im Hintergrund eine Häuserfassade mit vielen Fenstern.

Zuflucht finden: Berlins erstes barrierefreies Frauenhaus

Psychische und physische Gewalt finden häufig genau dort statt, wo jeder Mensch sich eigentlich sicher fühlen sollte: hinter verschlossenen Türen in den eigenen vier Wänden. Besonders häufig trifft diese Gewalt Frauen und Kinder, die sich in teils realen, teils vermeintlichen Abhängigkeitsverhältnissen zu ihren Peinigern befinden. Daher fällt es vielen Frauen schwer, Hilfe in Anspruch zu nehmen, und viele Straftaten bleiben gar völlig unerkannt. Umso wichtiger ist es, dass es Zufluchtsorte gibt, die möglichst unbürokratisch und schnell erreichbar sind. Barrierefrei sind diese Zufluchtsorte jedoch bislang selten. Der Berliner Verein Interkulturelle Initiative e.V. setzt sich dafür ein, dass das in Zukunft anders wird. Wir haben Berlins erstes barrierefreies Frauenhaus, das vom Verein betrieben wird, besucht.

Sonnenschein, hohe Mauern und barrierefreie Zugänge

Wir befinden uns im Südwesten Berlins. Es ist ein sonniger Tag. Auf der Straße sind viele Kinder unterwegs, die den Schultag hinter sich haben und gelassen Richtung Nachmittag schlendern. Was die Knirpse und andere Menschen im Vorbeigehen vermutlich gar nicht wahrnehmen, fällt uns bewusst auf: ein an und für sich relativ unscheinbares, frisch renoviertes Haus, das von einem großen Tor und hohen Mauern umgeben ist. Was Vorbeigehende kaum beachten, verrät uns, dass wir an der richtigen Adresse sind. Das Tor und die hohen Mauern erfüllen die Funktion, die hohe Tore und Mauern nun einmal erfüllen sollen: Sicherheit und Anonymität.

Hinter den hohen Mauern ist es dann aber vorbei mit den Barrieren. Das signalisiert bereits der leicht abschüssige, glatte Weg vom Tor zum Haus. Hier kommen auch Rollstuhlfahrerinnen rein. Gut, denn wir befinden uns auf dem Gelände von Berlins erstem barrierefreien Frauenhaus. Dr. Nadja Lehmann, Geschäftsführerin des Interkulturelle Initiative e.V. und Sema Turhan-Çetin, Leiterin des Frauenhauses, nehmen uns hier an einem Donnerstagnachmittag im August freundlich in Empfang. Sie führen uns über das Gelände und durch das frisch sanierte und um einen Anbau erweiterte Haus, das am 14. Juni 2021 den Betrieb aufgenommen hat.

Sema Turhan-Çetin, die Wir-Redakteurinnen Christine Busch und Monika Holfeld sowie Dr. Nadja Lehmann vor dem Frauenhaus.
Sema Turhan-Çetin, die Wir-Redakteurinnen Christine Busch und Monika Holfeld sowie Dr. Nadja Lehmann vor dem Frauenhaus.

Ein Altbau wird moderner Zufluchtsort: Ein Mammutprojekt

Für den kleinen Berliner Verein ist das neue Haus mit Kosten in Höhe von etwa fünf Millionen Euro ein echtes Mammutprojekt und Glücksfall. Denn eigentlich mangele es häufig an Finanzierungsmitteln für Frauenhäuser, erklärt uns Dr. Nadja Lehmann. Die Idee, ein neues Haus zu finden und mit Fördermitteln barrierefrei zu gestalten, entstand im anderen Frauenhaus, das der Verein nach wie vor mit 17 Plätzen weiterbetreibt. „Wir hatten dort überhaupt keine Barrierefreiheit und geerbtes Mobiliar“, erklärt Dr. Nadja Lehmann. Unter anderem behelfe man sich dort beispielsweise weiterhin mit Betten, die bereits in den 1990er Jahren in einem anderen Frauenhaus angeschafft und nach der Schließung an die Interkulturelle Initiative weitergegeben worden seien.

Im Falle des neuen barrierefreien Hauses sei die Situation hingegen vergleichsweise komfortabel gewesen: Nachdem die Idee eines barrierefreien Hauses gefasst wurde, wurden 2015 Lottomittel zur Finanzierung beantragt. Nun musste zunächst eine passende Immobilie gesucht werden – der Verein wurde schließlich 2017 fündig. Die landeseigene Berliner Immobilienmanagement GmbH (BIM) als Verwalterin der Immobilie kam dem Projekt nach Verhandlungen entgegen und half bei der anstehen­den Sanierung des denkmalgeschützten Hauses. Unterstützung kam auch von der Senatsverwaltung, die im Rahmen der Istanbul-Konvention eine große Chance in dem Projekt sah.

Im Laufe des Projektes wurde viel verhandelt, viel geplant und die Mittel wuchsen auch – von ursprünglich vorgesehenen ca. 700.000 Euro auf er 5 Millionen. Das er 100 Jahre alte Haus konnte somit von oben bis unten komplett saniert, erneuert, umgebaut und durch einen neuen Anbau (inklusive Fahrstuhl) erweitert werden. Es bietet nun 40 Plätze für Frauen, Kinder und Jugendliche. „Wenn ich jetzt hier durchgehe, kann ich es manchmal selbst nicht glauben“, ergänzt Dr. Nadja Lehmann noch, nachdem sie uns von der aufregenden Entstehungsgeschichte erzählt hat.

Ein freundlich eingerichteter Raum. Im Hintergrund eine bemalte Schiefertafelwand. Auf dem Tisch in der Raummitte stehen Pflanzen und ein Korb mit Gebäckstücken.
Das Frauenhaus verfügt auch über mehrere modern eingerichtete Funktionsräume. Beispielsweise für Gespräche oder Freizeitaktivitäten.

Frauen mit Behinderung erleben öfter Gewalt als der Bevölkerungsdurchschnitt

 „Etwa jede vierte Frau wird mindestens einmal Opfer körperlicher oder sexueller Gewalt durch ihren aktuellen oder früheren Partner. Betroffen sind Frauen aller sozialen Schichten“, schreibt das Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (BMFSFJ) auf seiner Website.

Frauen mit Behinderung sind sogar einem viel höheren Risiko ausgesetzt, Opfer von Gewalt und Missbrauch zu werden. Im Rahmen der 2009 bis 2011 durchgeführten Studie Lebenssituation und Belastungen von Frauen mit Beeinträchtigungen und Behinderungen in Deutschland ergab die Erhebung des Ministeriums, dass 68–90 % der befragten Frauen mit Behinderung über psychische Gewalt und psychisch verletzende Handlungen im Erwachsenenleben berichten.

Zum Vergleich: Im Bevölkerungsdurchschnitt ergab die Erhebung 45 %. Weiter steht in der Kurzfassung der Studie: „Täter/Täterinnen bei Gewalt sind, wie bei den Frauen im Bevölkerungsdurchschnitt, überwiegend im unmittelbaren sozialen Nahraum von Partnerschaft und Familie und damit im häuslichen Kontext zu verorten. Die Studie zeigt, dass Frauen mit Behinderungen deutlich häufiger von psychischer, körperlicher und sexueller Gewalt durch Partner betroffen sind als Frauen im Bevölkerungsdurchschnitt (vgl. Tabelle).“

Eine Tabelle mit Befragungsergebnissen zu Gewalterfahrung von Frauen mit Behinderungen.
Quelle: Lebenssituation und Belastungen von Frauen mit Beeinträchtigungen und Behinderungen in DeutschlandBundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend

Wenn betroffene Frauen den Entschluss fassen, der Gewalt zu entfliehen, bieten Frauenhäuser unkompliziert Schutz und Zuflucht. Allerdings stoßen insbesondere Frauen mit Behinderung noch viel zu oft auf Barrieren. Denn die meisten Frauenhäuser in Deutschland sind nicht barrierefrei konzipiert. Oft fehlen schon ebenerdige Zugänge und Fahrstühle, was in ganz Deutschland leider häufig noch dazu führt, dass behinderte Frauen nicht aufgenommen werden können.

Die Istanbul-Konvention bringt endlich etwas Tempo

Es drängt sich eine entscheidende Frage auf: Warum gibt es eigentlich nicht mehr barrierefreie Frauenhäuser in Berlin und in ganz Deutschland? Es habe nichts damit zu tun, dass es kein Thema gewesen sei, erklärt Dr. Nadja Lehmann.

Vielmehr haben es die Rahmenbedingungen nicht zugelassen: „Es wurde 19 Jahre lang nicht investiert in diesem Bereich. Wir sind das letzte Frauenhaus, das 2001 eröffnet wurde und wir haben auch ein anderes Frauenhaus, das geschlossen werden musste, beerbt. Ein weiteres Frauenhaus, das siebte Frauenhaus, wurde in 2020 von einem anderen Träger eröffnet. Die sechs Berliner Frauenhäuser, die es 2001 bis 2020 gab, gab es bereits in den 90er Jahren. „Es wurden Jahrzehnte lang keine Frauenhäuser eröffnet und der Bedarf wurde kleingeredet. Es wurde verleugnet, dass es einen Bedarf gibt, der gar nicht mit den vorhandenen Plätzen abgedeckt werden kann“, erklärt sie weiter und meint damit nicht nur Frauen mit Behinderungen, sondern alle Frauen. Die Berliner Frauenhäuser hatten über Jahre mit Vollbelegung zu kämpfen.

Drei Frauen bei der Hausbegehung in einem extra für Kinder mit Kindermöbeln und Spielzeug ausgestattetem Zimmer. An den Wänden hängen von den Kindern gemalte Bilder.
Auch ein Spielzimmer für Kinder wurde bereits eingerichtet.

Bei Frauen mit Behinderung musste in der Vergangenheit improvisiert werden, erläutert Sema Turhan-Çetin: „Wir konnten im alten Haus keine Frauen mit Rollstuhl aufnehmen, aber Frauen mit einer Gehbehinderung schon, bei denen es aber oft daran scheiterte, dass sie die Treppen auf Dauer nicht bewältigen konnten.“ Frauenhäuser, die bereits über barrierefreie Zimmer verfügten, durften diese aber auch nicht freihalten, da sie belegt werden mussten, ergänzt Nadja Lehmann. Die einzige Alternative waren barrierefreie Zufluchtswohnungen, bei denen es aber auch nur sehr begrenzte Kapazitäten gebe. Sie fügt hinzu: „Zufluchtswohnungen sind nun mal kein Frauenhaus, ein Frauenhaus bietet nochmal einen ganz anderen Schutz und viele Frauen, die aus einer akuten Situation kommen, wollen nicht einfach in irgendeiner Wohnung wohnen.“

Durch das 2017 von der Bundesregierung Deutschland ratifizierte „Übereinkommen des Europarats zur Verhütung und Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen und häuslicher Gewalt“, umgangssprachlich auch Istanbul-Konvention genannt, kommt langsam aber sicher Bewegung in die Sache. Dazu Dr. Nadja Lehmann: „Wir haben dann miterlebt, wie die Senatsverwaltung doch Tempo gemacht hat und sehr froh war, dass wir hier gerade dieses Projekt hatten und es dann auch wirklich darauf hinauslief, dass wir versucht haben, hier maximale Barrierefreiheit rauszuholen.“

Modern, barrierefrei und geräumig

Das Haus selbst weiß zu beeindrucken. Der Neubau mit Fahrstuhl und Treppenhaus integriert sich wunderbar in den Altbau und sorgt dafür, dass alle Etagen zugänglich sind.

Vier Frauen bei der Hausbegehung: Im Hintergrund ist die Edelstahltür eines Fahrstuhls zu sehen.
Zentrales Element des barrierefreien Hauses: der Fahrstuhl im modernen Anbau.

Die Zimmer sind mit Verbindungstüren so konzipiert, dass notfalls auch größere Familien gemeinsam mit Teenagern unterkommen können.

Bei der Führung durch das Frauenhaus: Blick in ein barrierefreies Zimmer mit Durchgangstür ins Nachbarzimmer.
Die Zimmer sind mit Verbindungstüren so konzipiert, dass notfalls auch größere Familien gemeinsam
mit Teenagern unterkommen können.

Die unterschiedlichen Etagen sind farblich gekennzeichnet, so dass man an den Farben erkennen kann, ob man auf der richtigen Ebene gelandet ist. Zwischen Aufzug und den Etagenfluren befinden sich selbstverständlich Blindenleitsysteme, die Bäder sind barrierefrei und auch die Küchen sind so konzipiert, dass Rollstuhlfahrerinnen gut zurechtkommen. Die Automatik der großen Flurtüren wird bald noch nachgerüstet.

Vier Frauen bei der Begehung des Frauenhaus. Deutlich sichtbar sind orangene Elemente im im Flur, die die Etage farblich kennzeichnen.
Deutliche Farben unterscheiden die unterschiedlichen Etagen.

Auch in den Zimmern ist überall genug Platz, um sich mit dem Rollstuhl zu bewegen, und die Schränke haben Kleiderstan­gen, die sich vom Rollstuhl aus herauskippen lassen. Insgesamt sind alle Flure und Gemeinschaftsräume sehr hell und bieten viel Platz. Und auch für die Kinder gibt es spezielle Spielräume und für Jugendliche ein Zimmer zum Chillen. Denn selbstverständlich werden auch die Kinder im Frauenhaus mit aufgenommen. Eine Besonderheit hier, erklärt uns Sema Turhan-Çetin: Das gilt hier auch für männliche Jugendliche bis zum Alter von 18 Jahren.

Eine Frau betrachtet den Raum. Links: Computertische mit Stühlen, PCs und Monitoren. Rechts: eine Chillout-Ecke mit Sitzkissen und Lampe.
Computer und Chill-Ecke für Jugendliche.

Natürlich bemerkt unsere Barrierefreiheitsexpertin im Team, Architektin Monika Holfeld, dass hier und da noch nachgebessert werden kann. Aber im Großen und Ganzen weiß das Haus zu beeindrucken und ist ein bedeutendes Leuchtturmprojekt. Eine mögliche Blaupause für Frauenhäuser in ganz Deutschland, damit Frauen mit Behinderung in Zukunft nicht mehr weggeschickt werden müssen. Und wenn hier und da noch etwas nicht perfekt ist oder nachgebessert werden kann, ist das am Ende des Tages auch okay. Die Frauen sind in den allermeisten Fällen überhaupt erst einmal froh, dass sie an einem sicheren Ort sind.

Corona auch hier ein Thema

Hatte die Corona-Pandemie, beziehungsweise die Maßnahmen zur Eindämmung des Infektionsgeschehens in Form der Kontaktbeschränkungen, auch einen Einfluss auf häusliche Gewalt? Zumindest berichten das Hilfetelefon des Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend sowie die Beratungsstellen des Vereins Weißer Ring e.V. davon, dass die Anzahl der Beratungsgespräche deutlich gestiegen sei.

Auch für die Frauenhäuser hat die Pandemie Konsequenzen gehabt. Der Betrieb lief durchgehend und ohne Unterbrechung weiter. Schutz- und Hygienekonzepte wurden schnell entwickelt und umgesetzt, aber die Arbeit war plötzlich eine völlig andere. „Die komplette Arbeit hat sich ja verändert. Plötzlich gab es viele neue Vorgehensweisen im Haus. Abstand halten in der persönlichen Beratung war für uns, aber ganz besonders für die Bewohnerinnen eine schlimme Situation“, erklärt Sema Turhan-Çetin. Für die Frauen und besonders auch die Kinder sei es besonders zu Beginn der Pandemie sehr schwer gewesen. „Diese neuen Hygiene-und Abstandsregeln in das ganze Leben zu installieren, war eine Riesenherausforderung. Es hört sich banal an, aber das war es überhaupt nicht.“

Aber es gab auch einige positive Folgen durch die Corona-Pandemie, ergänzt Dr. Nadja Lehmann: „Wir sind sichtbarer geworden in der Pandemie“. Plötzlich sei man systemrelevant, soll und darf weiter zur Arbeit gehen. Man habe aller­dings auch verstärkt gespürt, dass man dringend gebraucht werde. „Es war für einige Mitarbeiterinnen interessant, dass plötzlich ihre Männer bei ihren Arbeitgebern nachweisen mussten, dass sie im Homeoffice die Kinder betreuen, weil ihre Frauen zur Arbeit kommen müssen.“ Außerdem, erklärt sie uns, sei die Platzsituation in der Pandemie besser gewesen als üblicherweise. Denn während der „Lockdowns“ wurden Hotels angemietet, in denen Frauen untergebracht werden konnten. So konnte die Belegungssituation innerhalb der Frauenhäuser zumindest temporär etwas entschärft werden.

Ein barrierefreies Badezimmer im Frauenhaus.
Barrierefreie Badezimmer gibt es im ganzen Haus.

Die Aufnahme in ein Frauenhaus: So niedrigschwellig wie möglich

Wie kommen betroffene Frauen eigentlich ins Frauenhaus? Die Standorte und Kontaktdaten der geschützten Häuser werden schließlich nicht öffentlich kommuniziert. Sema Turhan-Çetin erklärt: „Der Zugang kann ganz unterschiedlich sein. Entweder rufen die Frauen beim Verein selbst an, weil sie im Internet recherchiert haben. Oder sie werden er eine dritte Person vermittelt. Das kann beispielsweise die Polizei, das Jugendamt oder sogar eine Mitarbei­terin im Job-Center sein. Manche rufen auch die BIG-Hotline an oder kommen er Beratungsstellen.“

Beide Gesprächspartnerinnen betonen immer wieder, wie wichtig es ist, dass die Angebote möglichst niedrigschwellig sind. Das hat mehrere Dimensionen: Beratungs- und Kontaktstellen müssen gut auffindbar sein und in der Lage sein, mit möglichst vielen Frauen kommunizieren zu können. Sei es in diversen Fremdsprachen, Deutscher Gebärdensprache, Leichter Sprache oder mit Analphabetinnen. Darüber hinaus ist auch wichtig, dass Frauen überhaupt möglichst unbürokratisch und mit wenig Aufwand für eine Weile in einem Frauenhaus unterkommen können. „Das hat viel mit finanziellen Ressourcen zu tun“, ergänzt Dr. Nadja Lehmann und führt fort: „Deswegen sind Migrantinnen auch eine wichtige Gruppe in den Frauenhäusern. Die gehen in die Frauenhäuser, weil sie dort für eine Weile bleiben können, ohne dass sie die Finanzierung regeln müssen. Es gibt einfach sehr unterschiedliche Voraussetzungen: Wenn man Gewalt erlebt und ökonomisch schlecht dasteht, dann ist man sehr verletzbar und kann sich noch viel weniger schützen.“

Ein Aushang der alle Jugendlichen im Frauenhaus ab 12 zum gemeinsamen Kochen, immer mittwochs, einlädt.
Für Kinder und Jugendliche der Frauen gibt es auch gemeinsame Aktivitäten, wie einmal pro Woche gemeinsam Kochen.

Wenn Politik die Schwellen zu erhöhen droht

Eine Sache, die allen Mitarbeiterinnen in Frau­enhäusern derzeit Bauchschmerzen bereitet, sind neue Auflagen der Senatsverwaltung. Es war geplant, dass Frauenhäuser zukünftig hilfesuchende Frauen „ausschließlich“ nur noch er eine Clearingstelle aufnehmen sollen. Diese Clearingstelle gibt es noch nicht, aber sie soll so bald wie möglich realisiert werden, voraussichtlich in 2022. Mittlerweile hat die Senatsverwaltung hier eingelenkt und nach Protesten aus den Anti-Gewalt-Projekten die Formulierung dahingehend geändert, dass Frauen „vorrangig“ über die Clearingstelle aufgenommen werden sollen. Dazu Dr. Nadja Lehmann: „Wir wollen eine Clearingstelle. Aber wir wollen nicht, dass wir unsere Frauen nicht, wie in den letzten Jahrzehnten auch, selber aufnehmen können. Das wollen wir auf keinen Fall.“ Ein niedrigschwelliger Zugang bedeute eben auch, dass Frauen auf unmittelbarem Weg geholfen werden kann. Dass es mit einer Clearingstelle z.B. nachts mehr Zugänge zu den Frauenhäusern gibt und nicht weniger.

Blick in eine Küche im Frauenhaus - niedrige Arbeitsflächen und hüfthohe Backöfen sind offensichtliche Merkmale der möglichst barriefreien Ausstattung.
Die Küchen des Hauses : möglichst barrierearme Gemeinschaftsräume.

Das nächste Haus ist schon in Planung

Die Interkulturelle Initiative hat den Zuschlag von der Senatsverwaltung für den Ausbau eines weiteren Frauenhauses in Berlin erhalten.

Dieses sei von der BIM bereits in Planung. Da es sich hier ebenfalls um eine Bestandsimmobilie handelt, muss nun Überzeugungsarbeit bei der Planung geleistet werden, dass auch hier Barrierefreiheit so umfassend wie möglich realisiert wird. Dies wäre eine gute Nachricht.

Als wir das Haus und das Gelände nach unserem Besuch verlassen, haben wir das Gefühl, dass wir hier gerade ein wegweisendes Projekt besichtigen konnten. Es braucht viel mehr Häuser, in denen wirklich alle Frauen Zuflucht finden können – egal ob sie im Rollstuhl sitzen, eine Sehbehinderung haben, kein Deutsch sprechen oder ob sie allein oder gemeinsam mit Kindern oder mit Haustieren Zuflucht suchen.

Über den Verein

Der Verein Interkulturelle Initiative e.V. wurde im Jahr 2001 gegründet. Seitdem betreibt der Verein auch ein Frauenhaus in Berlin, dessen Konzept gezielt auf Frauen mit Migrationshintergrund aus­gelegt war. Das bedeutet nicht, dass Migrantinnen per se häufiger Gewalt erfahren, sondern dass sie oft keine anderen Zufluchtsorte, beispielsweise Freunde oder Familie, haben. Beim Verein erhalten die Frauen Unterstützung, die gezielt strukturelle Benachteiligungen berücksichtigt.

Im Verein werden Teamwork und Diversität großgeschrieben, was auch in der Arbeit sowie bei neuen Aufgaben und Herausforderungen besonders hilfreich ist. Mit dem frisch eröffneten barrierefreien Haus im Südwesten der Stadt betreibt der Verein nun zwei Frauenhäuser – ein weiteres, ebenfalls barrierefrei, ist bereits in Planung.

Website: http://www.interkulturelle-initiative.de/

Christine Busch, Monika Holfeld, Nico Stockheim

Dieser Artikel erschien unsprünglich im Wir-Magazin 2/2021.