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Eine Postkarte, die Lindenberg im Rollstuhl sitzen an seinem Schreibtisch zeigt. Auf demTisch stehen Blumen, ein Telefon mit Wählscheibe und diverse Dokumente und Bücher.

Wladimir Lindenberg: Neurologe, Psychiater, Maler und Autor

Wladimir Lindenberg ist ein regelrechter Tausendsassa mit einer einzigartigen und interessanten Geschichte. Unser Archivstück des Monats ist eine Postkarte, die Lindenberg zeigt und uns dazu bewegt hat, über das ehemalige Kuratoriumsmitglied zu berichten.

Einer von über 60

Die Geschicke der Fürst Donnersmarck-Stiftung (FDST) bestimmt seit Ihren Anfängen ein Kuratorium. Jedes Jahr im Frühjahr und Herbst tritt dieses zusammen, um Beschlüsse über das zukünftige Engagement der Stiftung zu fassen. Neben den Nachfahren von Guido Graf Henckel Fürst von Donnersmarck waren seit der Gründung der Stiftung im Jahr 1916 mehr als 60 Männer und Frauen als Vorsitzende oder Mitglieder des Kuratoriums tätig.

Das Archiv der FDST bewahrt Akten, die über ihre Mitgliedschaft und ihre Tätigkeit Auskunft gibt. In Zukunft werden wir für das „Archivstücks des Monats“ deshalb immer wieder einige dieser Kuratoriumsmitglieder vorstellen. Den Anfang macht der Neurologe, Psychiater, Maler und Autor Wladimir Lindenberg – der eine frühe Verbindung der Fürst Donnersmarck-Stiftung mit der russischen Hauptstadt Moskau freilegt.

Kindheit und Jugend in Russland

Lindenberg wurde 16. Mai 1902 in Moskau in das alte russische Adelsgeschlecht der Tschelischtschews geboren. Seine Kindheit und Jugend verbrachte er im nahegelegenen Dorf Girejow, wo die Familie ein Anwesen besaß. In diesem sogenannten „Weißen Haus“ betrieb seine Mutter Jadwiga Tschelischtschewa-Lindenberg von 1915-1917 ein privates Lazarett für Kriegsversehrte – also etwa zur selben Zeit, wie die Anfänge der FDST in einem Lazarett in Frohnau.

Lindenberg selbst war zu dieser Zeit bereits wieder in Moskau, wo er Malerei studierte, die Oktoberrevolution erlebte und vermutlich aufgrund seiner Adelsherkunft in Gefangenschaft geriet. Wie durch Zufall entging er den ‚Säuberungen‘ der Bolschewiki, musste dann aber das Land verlassen und ging nach Deutschland.

Malerei in schwarz-weiß - eine Frau umarmt von hinten einen Mann. Darunter geschrieben W. Lindenberg und "Abschied".
Kunstwerk von Lindenberg auf Trauerkarte

Wladimir Lindenbergs erste Jahre in Deutschland

In Bonn studierte er von 1921-1926 Medizin und Psychologie, promovierte und betrieb eine Privatpraxis. Dann zog es ihn jedoch in die Welt. 1930 heuerte er als Schiffsarzt auf dem Frachtschiff „Sultan“ an und reiste nach Afrika und Südamerika. Zurück in Deutschland wurde er Assistent des Psychologen und Neurologen Walter Poppelreuther, der sich mit den körperlichen, seelisch-geistigen und vegetativen Folgen von Hirnverletzungen befasste. Neben seiner Tätigkeit als Arzt illustrierte Lindenberg Bücher und entwarf Wandbehänge. Als zeitlebens überzeugter Christ zeichnete er meistens biblische Motive.

Die Zeit des Nationalsozialismus bedeutete einen erneuten Einschnitt in Lindenbergs Biographie: 1936 verhaftete ihn die Gestapo und im Jahr darauf verurteilte man ihn wegen „Unzucht in drei Fällen“ zu vier Jahren Lagerhaft. Er verbrachte sie größtenteils im Konzentrationslager Neusustrum im Emsland, wo er und seine Mitgefangenen unter schlechtesten Bedingungen Arbeiten im Moor verrichten mussten.

Nach seiner Entlassung im Herbst 1941 ging er nach Berlin, wo er seine künftige Frau, die Bildhauerin Dolina Gräfin von Roedern, kennenlernte. Doch auch damals hatte Lindenbergs Odyssee noch kein Ende. Aus seiner Berliner Wohnung wurde er 1943 ausgebombt und er übersiedelte nach Schulzendorf bei Tegel. Auf einem Gelände, das ursprünglich für ein Behelfsheim vorgesehen war, baute Lindenberg mit Freunden und unter Mithilfe von zwei russischen Zwangsarbeitern eine Holzbaracke. Hier zog Lindenberg ein und lebte dort bis zu seinem Tod.

Lindenbergs Tätigkeiten in der Nachkriegszeit

In diesem Haus praktizierte er als Neurologe und Psychiater und schrieb mehrere Autobiographien und Sachbücher. In diesen behandelte er zahlreiche theologische, psychologische sowie lebenspraktische Themen und verarbeitete seine Erfahrungen mit der Lehre des Yoga. Außerdem hatte er in dieser Zeit auch Auftritte im Fernsehen, als evangelischer Sprecher für Das Wort zum Sonntag der ARD.

Das Nutzungsrecht an dem Gelände erlosch mit Lindenbergs Tod im Jahr 1997. Kurze Zeit später wurde das Holzhaus abgerissen. Aus den vorher gesicherten Objekten und Archivalien stellte das Museum Reinickendorf sein Arbeitszimmer nach, das dort besichtigt werden kann. Lindenbergs Handschriftlichen Nachlass bewahrt die Berliner Staatsbibliothek. Daneben befindet sich im Archiv der FDST eine Akte, die über seine Beziehung zur Stiftung Auskunft gibt.

Wladimir Lindenberg und die Fürst Donnersmarck-Stiftung

Wladimir Lindenberg trat 1954 in das Kuratorium der Fürst Donnersmarck-Stiftung ein. Bei den ersten Dokumenten in Lindenbergs Akte handelt es sich um sich Glückwunschschreiben zu Geburtstagen aus den 1960er Jahren. Über die inhaltliche Kuratoriumsarbeit informieren beispielsweise Briefwechsel zum Kuratoriumsbeschluss über die „Änderung der Verfassung der Fürst Donnersmarck-Stiftung zu Berlin“ aus dem Jahr 1971 und zum Ankauf von Immobilien.

Aus eigenem Antrieb hat die Stiftung zudem Ausschnitte aus Zeitungen gesammelt, die über Lindenberg berichteten. Auch hier stehen wiederholt seine Geburtstagsjubiläen im Zentrum. Daneben geht aus den Ausschnitten aber auch hervor, dass Lindenberg im Februar 1981 Opfer eines Raubüberfalls wurde. Der Tagesspiegel berichtete damals:

„Von drei mit Kapuzen maskierten Männern wurde in der Nacht zum Dienstag ein 79-jähriger Arzt in seinem Einfamilienhaus in Heiligensee ausgeraubt. Der Arzt überraschte die Täter, als sie sein Haus durchwühlten. Er wurde von ihnen mit einer Stahlrute niedergeschlagen und mit Klebestreifen gefesselt. Der Überfallene konnte sich eine Stunde nach dem Überfall selbst befreien und die Polizei alarmieren. Der Arzt musste mit Kopfverletzungen und einem Schock ins Krankenhaus gebracht werden. Die Täter hatten Ikonen und mehrere Bilder geraubt.“

Artikel im Tagesspiegel vom 25. Februar 1981

Ein weiterer Ausschnitt informiert darüber, dass im März desselben Jahres die Täter gefasst und die Kunstgegenstände an Lindenberg zurückgegeben wurden.

Wladimir Lindenbergs Austritt aus dem Kuratorium

Schon einige Jahre vorher, im April 1977 hatte Lindenberg den Kirchenrat Walter Schian um seine Entlassung aus dem Kuratorium der FDST gebeten. Auch dieser Brief ist im Archiv der Stiftung erhalten geblieben. Lindenberg schreibt darin:

„Da ich in wenigen Wochen das 75. Lebensjahr überschreite, bitte ich Sie, mich aus der Stiftung zu entlassen. Ich traue mich diese schöne Arbeit in jüngere Hände weiterzugeben.“

Im November 1977 veranstalte man ihm zu Ehren ein Abendessen für 17 Personen im Schlosshotel Gerhus, bei dem Ochsenschwanzsuppe, Nordseelachs, Gespickter Rehrücken und halbgefrorenes „Nelusko“ auf der Karte standen. Die Tischordnung sowie die Rechnung blieben im Archiv erhalten. Aus ihnen geht hervor, dass „Sherry, Orangensaft, Sekt , Rosè , Mineralwasser, Kaffee, Mocca und ein kleiner Posten Tabakwaren“ die Speisen begleiteten.

Der Sitzplan beim Essen zu Ehren Wladimir Lindenbergs

Weitere Verbundenheit zur Stiftung

Auch nach seinem Ausscheiden blieb Wladimir Lindenberg der Stiftung und ihrem damaligen Geschäftsführer Ekkehard Reichel verbunden. Davon zeugen weitere Geburtstags- und Weihnachtsgrüße auf zum Teil selbst gestalteten Karten Lindenbergs sowie Zeitungsausschnitte. Eine der letzten Karten erreichte Ekkehard Reichel am 19. Juni 1995 – nur wenige Jahre bevor dieser selbst in den Ruhestand wechselte. Sie zeigt Wladimir Tschelischtschew Lindenberg in seinem 90. Lebensjahr: Im Rollstuhl sitzend am Schreibtisch seines Holzhauses in Tegel.