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Onays Al-Sadi, Mannschaftsarzt bei Dynamo Dresden, im Einsatz.

Vom Zivi im FDH zum Mannschaftsarzt bei Dynamo Dresden

Durch einen Bericht bei Facebook mit Foto und Namen sind wir auf die Spur unseres ehemaligen Zivildienstleistenden Onays Al-Sadi gestoßen, der 2002/2003 seinen Zivildienst im Freizeitbereich des Fürst Donnersmarck-Hauses (FDH) geleistet hat. Inzwischen ist Onays Al-Sadi 40 Jahre alt und Doktor der Medizin. Seit Sommer 2019 ist er Mannschaftsarzt bei Dynamo Dresden und Facharzt für Orthopädie, Unfallchirurgie und Notfallmedizin am Universitätsklinikum Carl Gustav Carus Dresden.

Unser Interview mit Dr. med. Onays Al-Sadi, Mannschaftsarzt bei Dynamo Dresden

Thomas Boldin, sein ehemaliger Chef im Freizeitbereich des Fürst Donnersmarck-Hauses, hat mit Onays Al-Sadi gesprochen und blickt mit ihm auf die gemeinsame Zeit im Fürst Donnersmarck-Haus zurück.

Onays, wie bist du darauf gekommen, deinen Zivildienst im Fürst Donnersmarck-Haus anzutreten?

Ich wurde damals „T1“ bei der Bundeswehr gemustert und hätte in den Wehrdienst gehen können. Mein Vater ist Palästinenser. Ich bin in einem sehr politisch-gesellschaftlich interessierten Umfeld groß geworden. Die Ausbildung an einer Waffe erschien uns damals nicht das geeignete Mittel zu sein, um Völkerverständigung und Frieden auf der Welt zu sichern. Bedauerlicherweise braucht man Militär. Aber der Konflikt im Nahen Osten zeigt, dass Waffen nichts bringen. Ich habe mich daher für den Dienst am Menschen entschieden. Das Fürst Donnersmarck-Haus in Reinickendorf ist sicher eine der größten Institutionen. Als Reinickendorfer ist es daher für mich naheliegend gewesen, dort vorzusprechen. Am Fürst Donnersmarck-Haus haben mir das vielfältige Angebot sowie die vielen unterschiedlichen Bereiche gefallen. Aus diesem Grund habe ich mich damals dort beworben.

Onays Al-Sadi heute als Mannschaftsarzt von Dynamo Dresden. (Foto: © SGD/ Dennis Hetzschold)

Was für Tätigkeiten hattest du in dem Jahr deines Zivildienstes?

Ich hatte das große Glück, in die Freizeitabteilung zu geraten. Von außen oft beneidet und von vielen belächelt haben nur wenige den Stellenwert dieses Therapieangebots verstanden. Bewohnerinnen und Bewohner des Hauses haben unser großes Angebot an Freizeitaktivitäten in Anspruch genommen. Einige konnten trotz erheblicher körperlicher Handicaps herausragend Schach spielen. Andere konnten z. B. Rollstuhl-Sport in der Turnhalle betreiben. Legendär sind die Besuche in einer Berliner Großraumdiskothek gewesen. In diesem Umfeld hat man einen ganz anderen Zugang zu den Bewohnerinnen und Bewohnern bekommen. Ich kannte keine Krankenakte, aber am Ende alle Schicksale, da sich die Menschen dort mit der Zeit einem anvertraut haben. In einigen Fällen hat man auch die Familienangehörigen kennengelernt. Das Gespräch ist ein wesentlicher Teil meiner Arbeit dort gewesen: Menschen zuzuhören, sie zu Wort kommen lassen und manchmal ein Stück aus ihrem Alltag rausreißen. Ausgehend von der Abteilung habe ich in verschiedenen therapeutischen Angeboten in meinen freien Stunden hospitiert und die Arbeit mit den Menschen mit körperlichen und kognitiven Behinderungen kennengelernt.

Wie war dein Verhältnis zu den Bewohnerinnen und Bewohnern?

Anfangs distanziert. Ich bin gerade mit dem Abitur fertig gewesen, kerngesund und sehr sportlich gewesen. In meinem Umfeld kannte ich niemanden, der körperlich oder geistig behindert gewesen ist. Schnell gewöhnt man sich an die Situation und den Umgang mit den Bewohnerinnen und Bewohnern, so dass ich zum Schluss schon ein kleiner Teil des Teams gewesen bin. Aber das kannst du viel besser beurteilen als ich.

Der Einfluss des FDH auf Onays Al-Sadi

Wie hat dich das Jahr im Fürst Donnersmarck-Haus für deinen Lebensweg beeinflusst?

Das Jahr hat mich maßgeblich beeinflusst. Ich habe meinen Jura-Studienplatz sausen lassen und mich für eine Ausbildung zum Physiotherapeuten beworben. Im Rahmen meiner Ausbildung habe ich mich u. a. intensiv mit den Konzepten von Bobath und Vojta auseinandergesetzt und viel mit Propriozeptiver Neuromuskulärer Fazilitation gearbeitet. Mein Interesse für den Bewegungsapparat ist geblieben, so dass ich am Ende meines Medizinstudiums dann in die Orthopädie und Unfallchirurgie gegangen bin.

Wenn du daran zurückdenkst: An was war erinnerst Du Dich besonders gerne?

Vorweg – unangenehme Erinnerungen habe ich keine einzige! Es ist ein tolles Team gewesen und überwiegend ist es uns gelungen, die Bewohnerinnen und Bewohner wenigstens für Stunden aus ihrem Alltag zu reißen. Sich an ihre Freude zu erinnern, macht Spaß. Es relativiert auch so vieles: Wenn man sich auf dem Motorrad fragt, warum es nicht schneller geht. Dass es wichtig ist, in der Schwangerschaft keinen Alkohol zu trinken und ein Blitzschlag ein tödliches Risiko ist. Dieses Wissen erdet mich.

Erzählst Du uns zum Schluss vielleicht noch eine nette Anekdote?

So eine richtige habe ich nicht auf Lager. Aber in meiner Zeit gab es einen Bewohner, den man ganz schwer verstanden hat, wenn er etwas gesagt hat. Er konnte seinen Rollstuhl nur mit dem Kinn steuern und forderte mich zum Schach heraus. Ich dachte mir, okay lieber B., komm ran an den Tisch. Was soll ich sagen? Ich habe in den ersten drei Monaten ohne Ausnahme jedes Spiel verloren. Das hat mir gezeigt: Never judge a book by it‘s cover!

Das Interview führte Thomas Boldin. Es erschien ursprünglich im WIR-Magazin 01/2021.

Titelfoto: ©SGD/ Dennis Hetzschold