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Queer und behindert

Philipp auf dem Weg zur eigenen Identität

Queer und behindert bedeutet oft doppelt diskriminiert. Kein Wunder also, dass nur wenige transsexuelle Menschen mit Behinderung über ihre Identität und Sexualität sprechen wollen. Im Rahmen des Pride Month erzählt Philipp aus Stuttgart seine Geschichte.

Viele Diagnosen und Gutachten sind in Philipps Leben schon über ihn und seine Behinderung gestellt worden. Sie passten nicht oder brachten ihm zumindest keine Erkenntnisse, erzählt er. Es dauerte auch Jahre, bis er für sich selbst erkannte, dass er in einem falschen Körper steckte.  „In meiner Jugend habe ich in vielen Hilfseinrichtungen gelebt und alle Mädchen haben Freunde mitgebracht“, blickt er zurück, „aber da habe ich gemerkt, dass mich Jungs überhaupt nicht interessieren und ich mich als Mädchen nicht glücklich fühle.“ Das ist rund 20 Jahre her. Der Mangel an queeren Vorbildern war einfach nicht da. „Diese Aufklärung, die es heute gibt, gab es früher nicht“, resümiert Philipp.

Ich träume von einem Bart.

Der Augenöffner liegt erst zwei Jahre zurück. Ein Dokumentarfilm über die Operation einer Transfrau rührte Philipp zu Tränen. „Ich konnte so gut nachempfinden, was in der Person im Film vorging, als sie nach der Operation aufwachte und endlich keine Brüste mehr hatte.“ Der Film ging ihm nicht mehr aus dem Kopf. Nach und nach wurde ihm klar, dass er einen ähnlichen Weg gehen wollte. So machte er sich Gedanken über einen passenden Namen und recherchierte viel, bis er auf Philipp kam. Für seine offizielle Namensänderung wartet er auf das Inkrafttreten des Selbstbestimmungsgesetzes Ende 2024. Dann beginnt für Philipp auch der nächste Schritt: die Operation. Eine aufwendige Prozedur mit Hormontherapien. „Die größte Skepsis habe ich vor den Gutachten, weil ich wegen meiner Behinderung schon so viele Gutachten über mich ergehen lassen musste“, gibt er zu. So muss Philipp 12 Therapiestunden für ein psychiatrisches Gutachten absolvieren, bevor die Krankenkasse die Kosten für die Hormonbehandlung übernimmt. An dieser Hürde wird auch das Selbstbestimmungsgesetz nichts ändern. Trotz der Nebenwirkungen hat Philipp keine Angst vor den Hormonen. „Ich träume davon, mir endlich einen Bart wachsen zu lassen“, lacht er. Sich als Mann zu kleiden, ist für ihn nichts Neues, schließlich hat er auch als Frau nur Hosen getragen. „Aber bewusst in die Herrenabteilung zu gehen und mir Hemden und eine Weste auszusuchen, ohne rot zu werden, war schon aufregend“, sagt er.

Mein Weg war lang und er ist noch nicht zu Ende.

Seine beste Freundin bestärkt ihn auf seinem Weg, denn sie ahnt schon seit vielen Jahren, dass Philipp im falschen Körper steckt. Auch in seinem Freundeskreis oder in der Einrichtung, in der er lebt, erfährt Philipp viel Positives. „Neulich hat sich ein Mitarbeiter bei mir entschuldigt, weil er mich als Frau angesprochen hat, aber da ich mit solchen Verwechslungen gelassen umgehe, ist das auch für mein Umfeld kein Problem“.

Der Gedanke an eine Partnerschaft als Transmann ist für Philipp noch neu, schließlich ist es nicht selbstverständlich, einer anderen Person zu sagen, dass man trans ist. „Natürlich wäre es schön, wenn ich irgendwann wieder jemanden kennenlerne, in den ich mich verliebe. Dann ist es wichtig, dass die Person weiß, dass ich trans bin“, sagt er.

Menschen mit Ecken und Kanten

Doch im Moment hat Philipp keine Zeit für die Partnerinsuche. In Stuttgart arbeitet er in einer Beratungsstelle und engagiert sich im Evangelischen Fachverband für Teilhabe (BEB). Menschen mit Ecken und Kanten heißt das inklusive Selbstbestimmungsprojekt, für das Philipp inzwischen bundesweit zu Vorträgen und Seminaren unterwegs ist. Mit dem BEB versucht Philipp auch, queere Beratungsstellen für Menschen mit Behinderung aufzubauen. „Hier in Stuttgart bin ich als queerer Transmann mit Behinderung in meinem Alter eher auf mich allein gestellt“, sagt er. „Aber das ist in anderen Städten auch nicht besser, selbst in Berlin nicht, deshalb denken wir in unserem Projekt von Anfang an bundesweit.“ 

Du bist behindert, du bist queer!

Wie selten Menschen mit Behinderung in der Regenbogen-Community noch sind, erklärt Philipp am Beispiel des Christopher Street Day (CSD), der Tag, an dem die queere Community jedes Jahr mit Straßenparaden und Partys im öffentlichen Raum feiert. „Es gibt so gut wie keine Wagen, in denen wir Queers mit körperlichen Behinderungen mitfahren können“, kritisiert er. „Viele von uns mit ihren Mobilitätseinschränkungen können also gar nicht mitfeiern.“ Auch die Regenbogen-Community ist hier nicht inklusiv aufgestellt. Philipp empfindet das als doppelte Diskriminierung. Deshalb versucht er, für 2025 eine ganze Gruppe von queeren Menschen mit Behinderung auf die Beine zu stellen, die mit einem eigenen Wagen zum CSD fährt. 

Philipp vermisst auch eine Sensibilität für queere Menschen in Einrichtungen, wo Menschen mit Behinderung leben und arbeiten. Das merkt er zum Beispiel, wenn er statt der Damentoilette die Herrentoilette benutzt. „Ich musste mich in einer Vollversammlung outen und habe dann erklärt, dass ich jetzt auf die Herrentoilette gehe und hoffe, dass niemand etwas dagegen hat“, erzählt er. „Keiner der Mitarbeiter konnte mir helfen, eine gute Lösung zu finden.“  Auch heute noch wünscht sich Philipp, dass solche Fragen zwischen den verantwortlichen Mitarbeitenden und der queeren Person gemeinsam besprochen werden.

Ob körperliche Veränderung oder öffentliche Anerkennung: Die Bretter, die Philipp noch bohren muss, sind dick. Doch für seine Ziele ist er unermüdlich unterwegs, um für die Rechte und mehr Verständnis für queere Menschen mit Behinderung zu werben. „Ich will mich nicht mehr verstecken, nur weil ich im falschen Körper geboren wurde und körperlich und psychisch behindert bin. Das habe ich mir nicht ausgesucht.“

Und wenn die Operationen vorbei sind? „Das werde ich feiern, und zwar im Smoking, der wird mir verdammt gut stehen“, lacht er, „ich muss nur noch jemanden finden, der mich bei diesem Traum finanziell unterstützt“.

Der Artikel zum Interview befindet sich im Wir-Magazin „Intime Welten – Sexuell selbstbestimmt“ 2/2024.