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Eine braune Unterarmprothese von Sauerbruch

„Schmuckarme“ und „Ersatzglieder“: Prothetik im Ersten Weltkrieg

Am 8. Mai 1916 wurde die Fürst Donnersmarck-Stiftung gegründet (FDST). Die Stiftung, die damals „Stiftung Fürst Donnersmarck-Institut“ hieß, sollte als „Kur- und Heilanstalt für verwundete und erkrankte Krieger“ des Ersten Weltkriegs dienen. Als Zweck der Stiftung wurde in der damals verabschiedeten Verfassung festgehalten, „eine Forschungsstätte für die wissenschaftliche Verarbeitung und therapeutische Verwertung der im gegenwärtigen Kriege gesammelten ärztlichen Erfahrungen“ zu gründen. Die geplante Kur- und Heilanstalt konnte nicht gebaut werden und bis in die 1950er Jahre konnte der Stiftungszweck – die Unterstützung von Menschen mit Behinderung – nicht in die Realität umgesetzt werden. Ganz untätig ist die Stiftung in der Zwischenkriegszeit gleichwohl nicht gewesen, denn sie konnte immerhin das vom preußischen Generalstabsarzt Otto von Schjerning (1853–1921) herausgegebene „Handbuch der Ärztlichen Erfahrungen im Weltkriege“ mitfinanzieren – unser zweites Objekt des Monats.

Der Krieg als Quelle des Kulturfortschritts?

Von Schjerning, der erste Kuratoriumsvorsitzende der FDST, hatte das Potential des Ersten Weltkriegs für die militärärztliche Forschung bereits früh erkannt. Schon im November 1915 forderte er die Feldärzte und das medizinische Personal auf, ihre Beobachtungen und Erfahrungen an der Front und in den Lazaretten festzuhalten und für eine Publikation vorzubereiten. Daraus ging in den Jahren 1921-1934 das neunbändige, Handbuch hervor, in welchem führende Mediziner auf mehr als 6500 Seiten die Fortschritte der Medizin im Laufe des Krieges dokumentierten. Aus dieser Perspektive erklärt es sich, dass von Schjerning in seinem 1921 geschriebenen Vorwort des Handbuchs die Ursachen und Folgen des Krieges nicht kritisch betrachtet, sondern ihn als Quelle von „Kulturfortschritten“ verklärt, „die für die Zukunft von unberechenbarem Nutzen sein können“.

Künstliche Glieder

In der Tat hatten sich die Verletzungsbilder durch den mechanisierten Stellungskrieg und die ‚Materialschlachten‘ massiv verändert und die Mediziner genötigt, neue Therapieformen zu entwickeln. Zugleich erhöhte die Anwendung antiseptischer Maßnahmen, die Impfung gegen Wundstarrkrampf und andere Infektionskrankheiten die Überlebenschancen von Verwundeten. Zurück blieben jedoch oftmals vom Krieg entstellte Menschen, deren schwere Verletzungen zur Herausforderung für die plastische Chirurgie und vor allem der Prothetik wurden. Es überrascht daher kaum, dass sich im Handbuch neben Kapiteln zur von Schussverletzungen und Amputation auch Abschnitte über Prothetik finden.

Schmuckhände und Arbeitshände

Der ‚künstliche Ersatz der Glieder‘, wie das entsprechende Kapitel im zweiten Band des Handbuchs der Ärztlichen Erfahrungen im Weltkrieg lautet, gibt detaillierte Einblicke in den Anwendungsbereich von Prothesen, sowie in die Rehabilitationskonzepte der Zeit. Durch die zahllosen Arm- und Beinamputierten gab es in der Nachkriegszeit einen Innovationsschub im Prothesenbau. Dabei zeichneten sich verschiedene Entwicklungslinien ab. Das lässt sich besonders an den zeitgenössischen Hand- und Armprothesen verdeutlichen. Grundlegend wurden diese in sogenannte „Schmuck- und Arbeitsarme“, sowie in „Willkürlich bewegbare Ersatzglieder (kinematische Prothesen)“ unterteilt.

Die Schmuckhände waren rein kosmetische Prothesen, wie Dr. Max Böhm, Autor des ersten Abschnitts im Handbuch über „Schmuck- und Arbeitsarme“ erläutert. Ihre Funktion war es, „in möglichst vollendeter Form den natürlichen Arm in Ruhelage und beim Gehen“ nachzuahmen. Mit derartigen Prothesen sollte die Behinderung im Alltag möglichst unsichtbar gemacht werden. Doch: „Die Freude, die der Armamputierte über den Schmuckarm anfänglich empfindet“, so Max Böhm „tritt bald zurück gegenüber dem Wunsche, mit dem Kunstarm auch etwas tun zu können.“ Bei den Arbeitsarmen aber trat der Aspekt der Ästhetik zurück. Ziel dieser Entwicklung war es, die Prothesen „ohne Rücksicht auf Form und natürliche Bewegung“ auf bestimmte Werkzeuge und Arbeitsabläufe abzustimmen: „Der Konstrukteur des Arbeitsarmes hatte jetzt freie Hand; er konnte aus dem Schönheitsarm ein Werkzeug machen, das lediglich den Zwecken der Arbeit und des Berufs diente.“

Der 1915 gegründeten „Prüfstelle für Ersatzglieder“ gelang es auf diese Weise, in „mühevoller wissenschaftlicher Arbeit für 14 verschiedene Berufsarten die passenden Ersatzstücke“ zu konstruieren. Um ihrer Funktionalität willens wurden die Prothesen den Maschinen angepasst.

Willkürlich bewegbare Ersatzglieder: Der Sauerbruch-Arm

Einen anderen Ansatz verfolgte Ferdinand Sauerbruch, einer der bedeutendsten Chirurgen des 20. Jahrhunderts und Autor des zweiten Kapitels im Handbuch über „Willkürlich bewegbare Ersatzglieder“. Sauerbruch war der Meinung, dass die Prothese die natürlichen Bewegungen der Hand unter Ausnutzung des Armstumpfes als „Kraftquelle“  möglichst genau nachahmen sollte: „Die Funktion der willkürlich bewegbaren Hand muß Bezug nehmen auf die Leistungen der lebenden.“ Anders als im Fall der Arbeitshände wird die Prothese daher auf die Funktionalität des Körpers abgestimmt.

Eine braune Unterarmprothese von Sauerbruch
Unterarmprothese mit Schmuckhand nach Sauerbruch 1944, Berliner Medizinhistorisches Museum der Charité, Inv.-Nr.: BMM 2015/119, Foto: Christoph Weber, Berlin (mit freundlicher Genehmigung des Berliner Medizinhistorischen Museum der Charité)

Die von Sauerbruch erarbeitete Methode sah vor, im Armstumpf einen Hautschlauch zu bilden, in den ein Elfenbeinstab eingeführt wurde. An dieser ‚Kraftquelle‘ konnten dann Seile befestigt werden, die mit der Prothese verbunden waren und durch die Kontraktion der Muskulatur bewegt wurde. Für kompliziertere Bewegungen mussten mehrere Kraftquellen am Arm hergestellt und die Bewegungen in eigenen Rehabilitationseinrichtungen eingeübt werden.

Stand bei Max Böhms Arbeitshänden eine vom Zweck bestimmte Funktion der Prothese im Vordergrund, so bei Sauerbruch die Selbsttätigkeit und Individualität der Person. Beiden Ansätzen gemein ist dabei, dass sie die Arbeitskraft der Kriegsinvaliden soweit herstellen sollten, dass diese sich für sich selbst und ihre Familien sorgen konnten, womit ihre Ansprüche auf staatliche Versorgungsleistungen gemindert waren.

Dominik Erdmann

Im nächsten Beitrag der Reihe „Archivstück des Monats“ hat das „Forstrevier der Stiftung Fürst Donnersmarck-Institut zu Berlin“ seinen Auftritt.

mittendrin ist unsere Plattform für Geschichten rund um die Fürst Donnersmarck-Stiftung. Doch nicht nur die Gegenwart steckt voller Nachrichten, auch unsere Vergangenheit hat Spannendes zu bieten. Deshalb wollen wir monatlich mit dem „Archivstück des Monats“ Geschichten über besondere, vergessene oder einfach nur kuriose Dokumente und Objekte aus der mehr als einhundertjährigen Stiftungshistorie erzählen.

Das Bild des Auerbruch-Arms wurde uns freundlicher Weise vom Berliner Medizinhistorischen Museum der Charité zur Verfügung gestellt. Dort ist noch bis zum 02. Februar 2020 die Ausstellung Auf Messers Schneide. Der Chirurg Ferdinand Sauerbruch zwischen Medizin und Mythos zu sehen, in der neben zahlreichen anderen Objekten auch von Sauerbruch konstruierte Prothese zu sehen sind. http://www.bmm-charite.de/ausstellungen/sonderausstellung.html