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Bild von einem Schneemann in einer Bratpfanne

Podcast WirSprechen: Inklusive Begegnungen mit Kunst

Ein Bildband über die Künstlerin und Klientin Ulla Jösch

Herzlich willkommen zum Interviewpodcast WirSprechen des Wir-Magazins. Unser Anspruch ist es, unmittelbar, authentisch und auf Augenhöhe über Leben mit Behinderung zu berichten. In der ersten Folge der aktuellen Staffel geht es um Daniel Kupferberg, Künstler und zugleich Betreuer in einer Wohngemeinschaft für Menschen mit Behinderung in der Fürst Donnersmarck-Stiftung. Hier lernte er die Klientin Ulla Jösch kennen. Beide wurde zu „Künstlerkollegen“ und begegneten sich inklusiv über Kunst. Ulla Jösch starb 2021. In ihrer Wohngemeinschaft und nun auch in einem Bildband sind ihre Werke zu sehen: Zeichnungen, Gemälde, immer mit skurrilem Humor, den beide teilten.

Interview mit Daniel Kupferberg über inklusive Kunst

In der dritten Staffel unseres Podcast WirSprechen kommen kreative Menschen zu Wort. Passend zur aktuellen Ausgabe des WIR-Magazins 2022/1 „Kreative Köpfe – Inklusive Begegnungen mit Kunst“ porträtieren wir Künstler und Künstlerinnen und ihre inklusive Kunst.

Mit Kunst Brücken bauen

Daniel Kupferberg lebt seit vielen Jahren in Deutschland, stammt aber ursprünglich aus Aalborg, der nordischen Perle im dänischen Jütland. Er ist Künstler und arbeitet zugleich als Betreuer in einer Wohngemeinschaft für Menschen mit Behinderung in der Fürst Donnersmarck-Stiftung. Was auf dem ersten Blick wie ein pendeln zwischen verschiedenen Welten aussieht, ist für Daniel Kupferberg wie der ständige Bau neuer Brücken. Eine dieser Brücken führte zu Ulla Jösch, die er betreute und mit der er auch gemeinsam malte. Wie sich seine inklusive Begegnung mit Kunst entwickelt hat, darüber erzählt er zum Auftakt der neuen Podcast-Staffel.

WirSprechen Staffel 3 Episode 1 bei Spotify

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Shownotes:
Hier geht es zum Bildband von Ulla Jösch, über den WIRsprechen.
Die Werke von Daniel Kuperberg

Das Transkript zur Folge „Bilder so lebendig wie das Leben“

Dieses leicht morbide, auch recht anthropomorphe, also so menschenartige an diesen Tieren, wo man sich wiederfinden kann in diesen Wesenszügen und eigentlich auch das Drama, was bei den Tieren passiert. Aber es ist lustig.

Eine kantige Persönlichkeit mit viel Humor, mit viel Verletzlichkeit, Zerbrechlichkeit, aber auch mit unglaublich viel Stärke auch und für mich ein Stück weit auch eine Inspiration.

Daniel Kupferberg

Kreative Köpfe – Inklusive Begegnungen mit Kunst. Das ist das Thema der gleichnamigen Ausgabe des Magazins und einer neuen Staffel von dem Podcast WirSprechen, zu dem ich sie, zu dem ich euch sehr herzlich begrüße. Was sie eingangs gehört haben, war Daniel Kupferberg. Er ist zum einen Betreuer in einer Wohngemeinschaft für Menschen mit Behinderung in der Fürst Donnersmarck-Stiftung. Und er ist Künstler. Er lebt seit vielen Jahren in Deutschland, ist aber eigentlich Däne. Dieses Halb und halb, diese Brücken, die er baut in der Kunst und auch in der Betreuung, in dem Zusammensein mit Menschen mit Behinderung. Darüber erzählt er uns jetzt gleich in den nächsten 20 Minuten. Ulla Jösch lebte als Klientin im Ambulant Betreuten Wohnen.

Sie war Floristin, sie fand auch ihren Weg zur Kunst. Und Daniel Kupferberg ist derjenige, der sie die ganzen Jahre über auch begleitet hat, sich künstlerisch mit ihr ausgetauscht hat. Ihr Künstlerkollege. Ulla Jösch ist 2021 leider verstorben. Aus ihren Werken haben jetzt Daniel Kupferberg, seine Kolleginnen und Kollegen mit Bewohnerinnen und Bewohner aus der Wohngemeinschaft einen Bildband erstellt, den wir hier auch in unseren Shownotes verlinken. Wir empfehlen beim Hören der folgenden 20 Minuten, sich diesen Bildband aufzurufen. Es ist sozusagen eine Audiotour durch einen Bildband und was dahinter steht.

Hallo Daniel, schön, dass Du heute Zeit hast. Man kann gleich zu Beginn sagen: Wir sind hier mitten im Leben. Das heißt dein Arbeitsplatz hier in der Wohngemeinschaft, da haben wir dich jetzt hier besucht und stellen Dir ein paar Fragen. Im Hintergrund zu hören sind die Menschen, die hier wohnen und die auch arbeiten und die haben den Tisch gedeckt und die essen gerade Mittag. Wir haben uns zurückgezogen, weil wir über Kunst sprechen wollen. Bleiben wir noch ein bisschen bei deinem ersten Beruf. Du arbeitest, wie gesagt, hier als Betreuer und gleichzeitig bist du auch Künstler, der in den letzten Jahren auch international ausgestellt hat. Du bist halb Däne, hast du gesagt und halb Deutscher. Also immer dieses halb und halb. Ist das so Muster für dich? Beides, das soziale Arbeiten und das Arbeiten als Künstler?

Daniel Kupferberg: Würde ich schon sagen. Also mir ist es auch in meiner künstlerischen Praxis wichtig zusammenzuarbeiten. Mir ist wichtig überhaupt also auch diese Idee von Brückenschlag, weil ich in meiner Familiengeschichte und auch in meinen Interessen geht es immer wieder um so Sachen, die sich verbinden, Sprache, Text, alles Individuelle. Das finde ich alles super spannend. Und es ist nicht weniger Ausschlusskriterium, sondern eher so eine Art Lebenshaltung.

Dieses Brückenbauen, findet sich das auch in deinem eigenen kreativen Schaffen wieder?

Daniel Kupferberg: Ja, auf jeden Fall.

Ein Nachruf und seine Geschichte

Genau zu deiner Kunst kommen wir gleich. Ich würde gerne anfangen. Und zwar das ist ja auch die Idee, weswegen wir dich auch so super gerne für diesen Podcast heute haben wollten, eine besondere Begegnung in deiner Arbeit. Die hast du gefunden, hier in der Wohngemeinschaft mit Menschen mit Behinderung. Das war eine Frau, die hieß Ulla Jösch. Das ist eine Klientin gewesen mit künstlerischer Kreativität. Ich spreche von ihr in der Vergangenheit, weil die hast du zum einen bis zu ihrem Tod begleitet und du hast mit ihr zu ihren Lebzeiten auch künstlerisch auch gearbeitet. Und zu ihrem Gedenken hast du einen Bildband mit ihren Arbeiten kreiert.

Diesen Bildband, den gibt es auch als PDF und wir überlegen auch, ob wir das in dem Beitrag in unseren Shownotes auch verlinken, dass man sich das auch angucken kann. Ich finde es immer schwierig, über Kunst zu sprechen und gar nicht zu sehen, worüber reden die denn. Das versuchen wir jetzt aber trotzdem ein bisschen zu beschreiben. Du hast in diesen Bildern einen Brief, also eine Art Nachruf an Ulla Jösch geschrieben. Der beschreibt schon den Kontakt, den du als Betreuer von Ulla Jösch als ihr Künstlerkollege, so hast du dich da drin bezeichnet. Das gibt es sehr eindrücklich wieder.

Beschreib mal, was hast du in diesem Nachruf geschrieben? Also was war das Besondere an dieser Verbindung zwischen dir und deiner Künstlerkollegin Ulla Jösch?

Daniel Kupferberg: , das sind ja wirklich eine langjährige Beziehung, die ich zu Frau Jösch gepflegt habe. Wir haben uns kennengelernt 2009, als ich in der Stiftung angefangen habe und ich bin tatsächlich zur Hospitation als allererstes in dieser WG gewesen und da war Frau Jösch auch tatsächlich dabei. Sie war eine, wie soll man sagen, eine kantige Persönlichkeit mit viel Humor, mit viel Verletzlichkeit, Zerbrechlichkeit, aber auch unglaublich viel Stärke.

Für mich ein Stück weit auch eine Inspiration in ihrer Art, spielerisch zu bleiben, Leichtigkeit in Bezug auf schwierige Themen zu finden, sowohl mit ihrem eigenen Leben wie auch Beobachtungen von Sachen in ihrem Umfeld oder überhaupt zu Menschheit, Mensch-Natur-Thematiken hat sie sich meiner Meinung nach immer wieder bildlich-textlich stark positioniert und ich habe immer große Achtung für Sie als Künstlerkollegin eigentlich auch gehabt.

Also 2009 habt ihr euch kennengelernt. Die frühesten Bilder, die ich entdeckt habe in diesem Bildband, die sind von 2000, sind ja schon Jahre vorher gemacht. Wie konnte man sich das vorstellen? Woran wendest du dich seine ersten Tage jetzt der künstlerischen Begegnung? Hat sie denn einfach Bilder von sich gezeigt und gefragt: Schau mal, Daniel, das habe ich gemalt? Ich habe mir das und das dabei gedacht? Und du hast etwas dazu gesagt, oder wie funktionierte das?

Daniel Kupferberg: Die WG war schon immer so eine Art von Ausstellungsort. Für sie auch. Also es hingen immer Bilder von ihr hier und es wurde immer auch schön gepflegt und und auch gewürdigt, dass es auch manchmal neue Bilder von ihr gab. Darüber haben wir gesprochen. Sie war ja immer so eine Sprachgewandte. Das ist ja auch ein Teil von ihrem Ausdrucksspektrum. Das war ja nicht nur bildlich, sondern das war ja auch wirklich die Sprache und Sprachspiele. Und das widerspiegelt sich auch in ihren Bildern. Ich glaube, darüber haben wir ganz stark auch einen Zugang gefunden. Wir haben uns dann hingesetzt, Malutensilien ausgebreitet und dann haben wir einfach losgelegt.

Manchmal haben wir uns größere Bilder vorgenommen. Da haben wir zum Beispiel ein großes Bild, was noch im Wohnzimmer hängt, ein altes Bild, was sie nicht mehr mochte. Sie hat mit mir dieses zusammen überstrichen und das hat sie das neu bemalt. Und dann kamen halt die Geschichten immer so peu a peu. Die sind eigentlich beim Machen entstanden, würde ich sagen.

Die Wörter, diese Spickzettel, die sie auch geschrieben hat und die auch Ideen waren für Bilder. Manchmal marschieren diese Wörter mit aufs Bild, was ich immer ganz schön finde, weil sowohl im Podcast wie auch im WIR-Magazin, wir beschäftigen uns mit Worten und hier mit Kunst. Das ist eine schöne Symbiose von beidem. Wann kam ein Spruch mit aufs Blatt und wann war es eigentlich nur eine Bildunterschrift? Wurde das so spontan entschieden, wie es gerade passte?

Daniel Kupferberg: Eher das letztere. Ich habe den Eindruck, es ist immer stark prozessual gewesen, immer auf dem, auf dem einzelnen Bild, auf dem einzelnen Werk, das individuell sozusagen entstanden ist. Aber es gab schon so eine starke narrative Ader bei ihr, dass sie immer Sachen erzählt hat. Es war immer so, dass diese Bildfindung auch eine sprachliche Bildfindung war. Die arbeitet ja mit, zum Beispiel mit Tieren, wo menschliche fabelwesenartige Charakteristika vorzufinden sind.

Sie arbeitete mit Landschaften. Wenn du mich fragst, glaube ich, gab es mindestens zwei Modi, in denen sie gearbeitet hat: Einmal aus dieser erzählerischen fabulierenenden Perspektive und einmal, gerade wenn sie so eine Landschaft oder eine Blume gemalt hat oder so, dann geht es vielleicht eher um so etwas stimmungsartiges und dann ist es dann weniger sprachhaft. Da kam dann vielleicht eine Figur dazu, es gibt zum Beispiel das Bild von dem Kaktus, wo sich dann ein Schmetterling draufsetzt. Aber erst mal, glaube ich, gab es den Kaktus und dann ist es erst mal schwieriger, in Wörter zu fassende Gefühle zu vermitteln. Ich weiß nicht, ob ich ihr Unrecht tue in dem, dass ich das so zweiteile, aber ich glaube, da ist eine Tendenz auf jeden Fall drin.

Sie malt gerne Tiere, sie malt auch Landschaften und es ist immer etwas Besonderes dabei. Also zum Beispiel Tiere. Ich sage mal ein Pferd, das hat eine Dauerwelle. Es wird nicht einfach nur ein Pferd gemalt, sondern es hat eine Dauerwelle. Ist das ihr Humor gewesen?

Daniel Kupferberg: Absolut, absolut. Das ist ja dieses Verspielte. Sie ist ja ganz stark von dem Heinz Erhardt  inspiriert. Deswegen haben wir ja in dem Buch auch ein Heinz-Erhardt-Gedicht mitgedruckt, weil das konnte sie auswendig, das hat sie immer wieder erzählt, auch andere Gedichte von ihm, weil sie sich, glaube ich, auch darin wiedergefunden hat. Also das leicht morbide, auch recht anthropomorphe, also so menschenartige an diesen Tieren, wo man sich wiederfinden kann in diesen Wesenszügen und eigentlich auch das Drama, was bei den Tieren passiert. Aber es ist lustig, das ist eine ganz skurrile, sehr erfrischende Art, wie sie eigentlich an  tragisches Material rangeht, wenn ich das mal so ein bisschen hochrangig ausdrücke.

Hat sie sich selber als Künstlerin gesehen oder war das für sie ein zu schwerer Begriff?

Daniel Kupferberg: Das ist eine wirklich gute Frage. Ich glaube also, es haben sich Kolleginnen und Kollegen hier in der WG stark gemacht, dass sie vor ein paar Jahren in der Villa Donnersmarck von der Fürst Donnersmarck-Stiftung eine Ausstellung hatte. Und ich glaube, das hat sie sehr bestärkt darin, in dem Selbstbild. Ob das jetzt wirklich als Künstlerin, wie das jetzt so vielleicht gesellschaftlich definiert wird, so der Fall war, kann ich schwer sagen. Aber ich glaube, das hat auf jeden Fall sie bestärkt darin, dass ihre kreative, würde ich sagen, künstlerische Ader auch einen Wert hat.

…dass es andere interessiert, es sehen wollen, dass es wert ist, ausgestellt zu werden?

Daniel Kupferberg: Genau, deswegen ja auch das Buch, das noch mal zu würdigen, dass wir, die sie gekannt haben und ihre Bilderwelten schätzen, sie auch als Künstlerin würdigen.

Ich hatte ja eingangs gesagt, sie ist letztes Jahr verstorben. Aus dem Vorgespräch weiß ich, dass du sie im Hospiz auch betreut hast und ihr beide bis zum Schluss auch gemalt habt. Also es ist eine sehr schöne Vorstellung, der Übergang vom Leben zum Tod und man malt dann. Waren diese Bilder anders oder war so dieses Malen, dieses Vertieftsein im Malen, war das was anderes?

Daniel Kupferberg: Es war eine Kontinuität von der Art, wie wir sie kannten, also wie ich sie kannte, davor, dass sie terminal krank wurde. Ja, es war ja auch ein Festklammern an dem Leben. Sie war ja immer eigentlich lebensbejahend. Und das steckt ganz stark in dem, was ich da wahrgenommen habe, was wir da zusammen gemacht haben. Sie wollte leben, sie wollte den Humor, sie wollte die Tiere, sie wollte Freundschaften, sie wollte die Menschheit, die Schönheit. Daran hat sie sich auch, glaube ich nicht, nicht festgeklammert, aber auf jeden Fall darauf bestanden.

Das war ihr einfach wichtig. Also, das heißt, sie hat auch vorher mit Behinderung gelebt. Dieses eigene Erleben, die eigene Auseinandersetzung mit Behinderung, hat das bei ihr eine Rolle gespielt in dem Malen? Es gibt ja auch Künstler mit Behinderung, die sagen, dass sie erst durch ihre Erkrankung, erst durch ihre Behinderung erst überhaupt den Zugang gefunden haben, zu wissen, wie siensich ausdrücken, zum Beispiel im Malen oder überhaupt in so einem kreativen Schaffen. War das bei ihr genauso? Wie hast du das wahrgenommen?

Daniel Kupferberg: Mir fällt jetzt noch mal ein, dass sie ja Floristin vor der Erkrankung war. Eigentlich vor dem Unfall kann man schon so sagen. Und das sieht man ja auch in ihren Bildern. Natur, aber auch Blumen, Blumengestecke, Sträuße spielten kontinuierlich in ihrem Leben eigentlich immer eine Rolle. Also wir haben ja auch immer wieder hier am Kanal, wo die WG sich befindet, Sträuße gepflückt. Gerade jetzt auch zu dieser Jahreszeit, Frühlingsgestecke. Und was dann in der Wohnung, in der Wärme dann aufgeblüht ist, das war ihr alles eher eine Herzensangelegenheit. Und ich sehe eigentlich ihr Bilderschaffen im Kontinuum davon. Das hängt zusammen. Diesen Bedarf eigentlich nach Schönheit, nach Sachen, die wachsen, nach Lebendigem.

Und von daher würde ich sagen, da ist eine Kontinuität. Ich kannte sie ja erst seit 2009. Von daher kann ich schlecht sagen, wie das vor ihrer erworbenen Behinderung gewesen ist mit der Kreativität. Aber was ich sagen wollte mit ihrem Zugang zu Pflanzen, zu Blumen. Es gab schon Zugänge. Nur die Frage, wie sie das früher ausgedrückt hat. Das kann ich schlecht sagen. Aber auf jeden Fall eine Kontinuität.

Sie nicht die einzige Klientin, die künstlerisch tätig ist und die du hier kennst, in der Stiftung? Es gibt ja noch andere. Kannst du darüber noch ein bisschen etwas erzählen? Was erlebst du bei Menschen mit Behinderung, die künstlerisch tätig sind und wo du, weil du selber Künstler bist, vielleicht auch etwas entdecken und auch ein bisschen mit unterstützen kannst, fördern kannst?

Daniel Kupferberg: Ich sehe Kunst und Kreativität eher als ein Fließen. Das ist eine Gradwanderung und das ist ja auch eine Frage von Selbstdefinition und gesellschaftlicher Definition. Und ich halte auch viel von dieser Aussage. Ich glaube von Beuys, jeder ist ein Künstler, jeder hat Kreativität und kann gestalten. Ist immer nur die Frage, wie das umgesetzt wird und ob man konstruktiv mitgestaltet oder destruktiv gestaltet. Aber bei Klientinnen und Klienten, auch hier in der WG, nehme ich mir auch echt gerne Zeit, dass man eben über Sachen spricht, Lieder singt, auch mit manchen male ich auch jetzt verstärkt tatsächlich seit Frau Jösch gestorben ist, die jetzt den Zugang viel stärker gefunden haben, vielleicht auch in Aufarbeitung von dem Verlust von Frau Jösch.

Eine Klientin ist unglaublich handwerklich begabt und und hat darüber einen Zugang und wir haben dann ganz viel über das, was sie in ihren Nähgruppen zum Beispiel hergestellt hat, gesprochen, also das auch auch Richtung Kunsthandwerk geht.

Es gibt eine Klientin, das fiel mir gerade ein, als du von der Ausstellung von Ulla Jösch gesprochen hast, und zwar Petra Schönwitz. Die ist ja auch eine Klientin, die lebt auch im Ambulant Betreuten Wohnen. Die hat auch im Rahmen der Fürst Donnersmarck-Stiftung ausgestellt und das haben wir auch im WIR-Magazin porträtiert, schon vor ein paar Jahren. Da habe ich noch mal nachgelesen, senn sie hatte nämlich gesagt, dass sie erst durch ihre Erkrankung künstlerisch aktiv geworden ist. Sie wüsste sonst gar nicht, dass sie eine Künstlerin ist. Das fand ich ganz interessant. Und dadurch, dass Du eben beide Welten kennst, frage ich, was hältst Du von dieser Beschreibung kannst Du das so teilen?

Daniel Kupferberg: Ich glaube, das ist unglaublich individuell, wie Leute zu ihrer Kreativität oder zu ihrer künstlerischen Ader finden, dazu, dass sie etwas ausdrücken wollen. Es gibt ja auch so unterschiedliche Ausdrucksmöglichkeiten, wie man sich bedienen kann. Bilderfindung ist eben eine Art und ich habe das immer wieder gehört, gerade dass Leute, die zum Beispiel psychisch erkrankten oder traumatischen Erlebnissen ausgesetzt sind, bei Einschnitten im Leben plötzlich irgendwelche Türen oder Fenster aufgehen, bei denen macht es plopp. Andere Leute fangen von Kindesbeinen damit an, andere Leute wiederum müssen jahrelang daran arbeiten. Das ist teilweise auch meine Geschichte, dass ich mich als Kind unglaublich gerne ausgedrückt habe und dann jahrelang das irgendwie nicht wollte und dann später dann wiedergefunden habe.

Jeder Mensch ist ein Künstler, nur geht nicht jeder rum und sagt von sich selber „Ich bin ein Künstler“ oder ist künstlerisch tätig. Oftmals ist man in seinem Leben oder in seinen ganzen Sachen so verhaftet, auch so kopftechnisch, dass man sich  jetzt nicht da hinsetzt und kreativ ist. Und es gibt wiederum auch Menschen, die sagen, dadurch dass ich schon aus dem Leben gerissen bin, sehe ich auf einmal anders aufs  Leben und bin auf einmal dann kreativ. Also ist Dir das auch begegnet in der Arbeit hier mit Menschen mit Behinderung?

Daniel Kupferberg: Es ist auf jeden Fall etwas, was man auch fördern kann und auch Zugänge verschaffen kann. Also jetzt habe ich mit Kindern und Jugendlichen nicht so viel gearbeitet, aber ich habe dann doch immer wieder gemerkt, wenn man, sobald eine gewisse Ruhe einkehrt, die richtigen Umstände da sind und auch ein Freiraum gegeben wird, kein Druck, glaube ich, kann Kunst entstehen. Nicht unter den Umständen: Du musst jetzt das und das machen. So kann ich auch nicht mit meinen Klientinnen umgehen. Es muss immer aus dem eigenen Bedarf heraus entstehen. Das ist ganz, ganz wichtig.

Insofern bleibt es eine Mischung. Also wenn ich merke, ich könnte jemanden über ein paar Fixfaxereien schmackhaft machen, dass man anfängt, zu malen. Aber dabei kann ichden richtigen Tag erwischen oder auch den falschen Tag. Und manchmal kommt dabei nichts raus. Hat man eher Druck ausgelöst, ist für ein paar Wochen vielleicht nichts mehr zu machen. Es kann auch nach hinten losgehen, aber es ist auch möglich mit so ein bisschen Geschick und Timing -Musikalität sage ich auch gerne dazu- Kunstschaffen auch fördern kann.

Leben mit Behinderung ist sehr unterschiedlich, aber auch eine Welt für sich. Inwiefern hat sich das auf Dein künstlerisches Schaffen ausgewirkt? Hat es Dich auch beeinflusst?

Daniel Kupferberg: Ich glaube ganz stark. Ich bin immer noch nach über zwölf Jahren in der Stiftung dabei, das aufzuarbeiten: Diese Konfrontation auch mit mir selbst. Was heißt es, Sachen wahrzunehmen? Was heißt es, Sachen ausdrücken zu können, Zugänge zu haben? Das ist eine Sache, die mich ganz stark durch die Arbeit auch beschäftigt hat. Ich würde nicht sagen, ich habe darauf schon Antworten, aber das gibt mir auf jeden Fall ganz starken gedanklichen Input in der Reflektion. Alleine, wie ich über Schaffensprozesse, über die Welt oder über was es heißt, Mensch zu sein, nachdenke und mich bemühe, das menschliche Wesen zu verstehen. Das hat mich auf jeden Fall nach über ein Jahrzehnt bis heute beschäftigt. Es wäre auch komisch, wenn es mich nicht prägen würde.

Es heißt, du bist in Wohngemeinschaften, arbeitest im ambulant betreuten Wohnen und wer Zugang zu Kunst oder kreativen Schaffen hat, der findet dich und du findest sie. Wie findet ihr euch?

Daniel Kupferberg: Zufall? Also, ich habe das nicht gezielt aufgesucht. Es hat sich wirklich so ergeben. Und manchmal denke ich auch so, ja, ich könnte auch mehr proaktiv die Leute aufsuchen. Aber eigentlich mag ich es auch andererseits, dass die Sachen sich ergeben auf dem Weg, den man sowieso geht. Und dann begegnet man sich oder begegnet sich nicht oder man begegnet sich später oder so. Jetzt, wo Frau Jösch nicht mehr da ist, freue ich mich natürlich über jeden, über jede andere Möglichkeit, in Situationen künstlerischen Austausch zu spüren oder irgendwie auch das Gefühl zu haben, ich kann da etwas mit auf die Wege geben.

Vielleicht jetzt mal zum Abschluss, kannst Du noch mal beschreiben: Kunst ist ja noch viel mehr. Worauf hast du dich spezialisiert?

Daniel Kupferberg: Ganz kurz gefasst würde ich sagen, es ist so eine Art von Intermedialität, also ganz viele verschiedene Medien, die zusammenspielen bei mir. Also ich arbeite gerne mit dem eigenen Körper, ich habe eine Performance, ich baue Objekte, die ich trage, die ich ausstelle, zeichne. Ich arbeite wie erwähnt auch mit anderen zusammen. In der Arbeit mit Musikerinnen, Künstlerkolleginnen, zusammen, Tänzerinnen habe ich zusammengearbeitet und mag das ganz gerne Querbeet.

Also, wie wir vorhin auch kurz angesprochen haben, dieses Brückenbauen. Ich ich finde es ja gerade spannend, verschiedene Sachen zu machen, und die Sachen kehren ja wieder, das ist ja nicht so, da mache ich eine Sache an einem Tag und da mache ich am anderen Tag was ganz anderes und die Sachen haben nichts miteinander zu tun. Es passiert ja ganz viel in dem Wechselspiel und manchmal kommen dann plötzlich auch Sachen zusammen, wo das eine Mischung ist. Bei Frau Jösch ist das ja auch eine Mischung, die hatte die Sprache und das Bildliche zusammengebracht und das ist weder das eine noch das andere, sondern das ist das, was zum dazwischen führt. Und so würde ich vielleicht auch meine Kunst beschreiben, als ein ganz starkes Bild dafür, was dazwischen passiert.

Die Thematiken wandern auch, aber die sind immer wieder präsent. Also da geht es um innere Befindlichkeiten, wie geht es mir, wie geht es mir in der Welt? Wie beobachte ich, wie Leute miteinander umgehen, wie beobachte ich Tiere? Da ist auch eine starke Parallele zu der Art und Weise, wie Frau Jösch die Welt gesehen hat. Aber wie sehe ich auch durch das Tier mich selbst? Das Tier bleibt ja nicht das Tier, sondern es meine Widerspiegelung von uns Menschen. Diesen Bezug finde ich persönlich auch superspannend.

Ich finde das auch spannend, vor allem, da ich selber überhaupt nicht malen kann. Aber über Kunst reden macht unheimlich viel Spaß. Ich danke dir.

Daniel Kupferberg: Vielen Dank für die Gelegenheit.

Das war der erste Beitrag von Wirsprechen. In der nächsten Folge in zwei Wochen geht es natürlich wieder um inklusive Kunstbegegnungen. Wir besuchen Künstlerinnen und Künstler des Kunstwerks blisse in Berlin-Wilmersdorf in ihrem Atelier und lassen uns erklären, warum man mit der linken Hand genauso gut zeichnen kann wie mit der rechten und wie anstrengend es ist, eine Ausstellung vorzubereiten. Und wir freuen uns auch bei dieser Staffel natürlich über ihre Likes und über ihre Kommentare. Ansonsten hören wir uns in zwei Wochen. Bis dahin.