Podcast WirSprechen Episode 2: Kirsten Heil
Herzlich willkommen zu WIRSprechen, dem Interviewpodcast des WIR-Magazins. Unser Anspruch ist es, unmittelbar, authentisch und auf Augenhöhe über Leben mit Behinderung zu schreiben. Nun geben WIR dem Ganzen auch eine Stimme. Denn Menschen mit Behinderung kommen immer noch viel zu wenig selber zu Wort. In der zweiten Folge heißt es: WIRSprechen mit Kirsten Heil.
Staffel 1 – Episode 2: WirSprechen mit Kirsten Heil
In der ersten Staffel unseres Podcast WIRSprechen lernen Sie die Menschen kennen, die für das WIR-Magazin schreiben. Da geht es nicht nur um einen Blick hinter die Kulissen, sondern unsere Autorinnen und Autoren geben hier einen Einblick in ihr Leben mit Behinderung. Wie ist der Alltag mit Multipler Sklerose? Wie setzt sich eine Expertin für barrierefreies Bauen auf der Baustelle durch? Warum schreibt man ein Buch über psychische Krisen? Wie geht man mit der eigenen Behinderung um, wie blickt man auf eine Kindheit mit Behinderung im Heim zurück?
Aus Lebensbrüchen Kraft schöpfen
In der zweiten Folge erzählt WIR-Redakteurin Kirsten Heil über über das Aufwachsen in dem Kinderheim der Fürst Donnersmarck-Stiftung und in einer Pflegefamilie. Sie erinnert sich daran, wie es war, mit einer Behinderung in einer Regelschule zurechtzukommen und in der anschließenden Ausbildungs- und Berufszeit oft das Gefühl zu haben, dass man weit unter den eigenen Möglichkeiten bleibt, bis sie schließlich nach ihrer Krebserkrankung neue Wege suchte und fand.
WirSprechen Episode 2 bei Spotify
WirSprechen Episode 2 auf Soundcloud
Alle 14 Tage dienstags veröffentlichen wir hier einen Podcast mit einer neuen Geschichte.
Das Transkript zum Nachlesen
Hallo und herzlich willkommen zu einem weiteren Beitrag von WIRSprechen, dem Interview-Podcast des WIR-Magazins. Mein Name ist Ursula Rebenstorf. Ich bin Redakteurin des WIR-Magazins der Fürst Donnersmarck-Stiftung. In dieser Staffel von WIRSprechen lernen Sie die Menschen kennen, die für das WIR-Magazin schreiben. Da geht es nicht nur um ein Blick hinter die Kulissen, sondern unsere Autorinnen und Autoren geben hier einen Einblick in ihr Leben mit Behinderung. Und diesen Einblick, den gibt heute unsere Redakteurin Kirsten Heil. Ihre Verbundenheit mit der Fürst Donnersmarck-Stiftung geht weiter zurück als die Mitarbeit im WIR-Magazin. Bis zum 9. Lebensjahr wohnte sie in dem ehemaligen Kinderheim im Fürst Donnersmarck-Haus bevor sie zu einer Pflegefamilie zog. Inklusives Familienleben, eine Medaille für ehrenamtliches Engagement, in den nächsten Minuten erzählt sie, was es, damit auf sich hat. Ich grüße dich, Kirsten. Hallo.
Kirsten Heil: Ja, hallo Ursula.
Die Stiftung, die Fürst Donnersmarck-Stiftung, die hat ja 1964 die Trägerschaft über dieses Kinderheim übernommen. Das existierte schon damals. Und dort lebten Kinder mit körperlichen Behinderungen und wurden auch gefördert. Das Heim war ein Rehabilitationszentrum. Und somit auch ein Grundstein der Rehabilitationsarbeit der Fürst Donnersmarck-Stiftung. Und das ist die Theorie. Deine Geschichte ist ein ganz praktisches Beispiel. Woran erinnerst du dich? Du warst ja noch sehr, als du ins Kinderheim kamst?
Kirsten Heil: Ja, ich bin 67er-Jahrgang, also fast so ziemlich mit die Erste. Nach drei Jahren ist ja nicht so weit. Ja, ich kann mich aus Erzählungen ein bisschen erinnern, dass ich aufgrund der Behinderung ja lange im Krankenhaus gewesen bin. Es hieß wohl sogar zwei Jahre. Und ich kann mich an wenige Dinge erinnern in dem Heim. Ich war auf einer Gruppe (? c). Bin lange und oft im Krankenhaus gewesen zwischendurch. Ich kann mich an den einen oder anderen Erzieher auch erinnern. Ja, es war, ich denke nicht, dass ich da eine schlechte Zeit hatte, aber es war eben auch schön, nachher später in eine Familie zu kommen.
Genau. Und dann bist du zu deiner Pflegefamilie gezogen, die auch heute auch deine Familie noch ist?
Kirsten Heil: Ja. Ich erinnere mich. Meine Pflegemutter hat ja selbst im Fürst Donnersmarck-Haus gearbeitet. Und es war ein schönes, aber auch ein komisches Gefühl, als ich dort in dieses große Haus kam. Ja, ich hatte ja sonst immer Kinder um mich herum. Und war plötzlich alleine als einzelnes Kind dort. Dachte so, das ist aber langweilig. Und gegenüber war ein Jugendheim gewesen. Und da bin ich dann auch immer hingegangen. Und später, also ein Jahr später ungefähr, kam ja auch ein zweites Pflegekind dazu. Und meine Pflegeeltern haben ja dann auch eigene Kinder bekommen, zwei eigene Kinder, also ich war dann elf Jahre alt, als das erste eigene Kind kam. Und habe ja die beiden Jungs quasi mit groß gezogen. Wir waren dann zu dritt. Aber ich bin eben auch schon mit 19 ausgezogen von zu Hause. Und habe natürlich dann auch die Familie immer wieder besucht. Wir haben ja regelmäßig Kontakt. Ist halt meine Familie. Ja und ja es, ist einfach schön.
Also wenn du mit 19 Jahren ausgezogen bist, das ist ja die Zeit mit Ausbildung und mit Beruf. Und Inklusion spielte damals so im Ausbildungsprozess ja noch nicht so eine große Rolle. Wie bist du damit zurechtgekommen? Beziehungsweise was für eine Ausbildung hast du gemacht? Was hast du beruflich gemacht?
Kirsten Heil: Also ich habe eine Ausbildung zur Bürokauffrau gemacht für Kommunikation. Und Inklusion fing so ein bisschen schon an zu dieser Zeit. Ich bin damals auf eine Körperbehindertenschule gegangen in Tegel. Und in dieser Schule war auch eine „normale Schule“. Und ich bin ab der 3. Klasse in die normale Schule gewechselt, also in die Klassen der nicht behinderten Kinder. Ja, es war natürlich schwierig, weil man wurde auch viel gehänselt. Man hat ja sonst immer nur Körperbehinderte untereinander, die haben ja ein ganz anderes Verständnis zueinander. Es war eine schwere Zeit, ja, bis zur 6. Klasse. Und ich erinnere mich an eine Situation, ich war im Krankenhaus. Und meine Pflegemutter besuchte mich und brachte mir einen großen Umschlag mit: „Rate mal, von wem das ist.“ Und ja, da waren dann lauter Briefe drin von meinen Klassenkameraden. Ich wusste genau, dass der eine oder andere Brief gar nicht so gemeint war als herzliche Genesung, wie er dort geschrieben wurde. Und das war eine schwere Zeit für mich. Und aber ich bin dann auf die Oberschule irgendwann gekommen. Und dann normalisierte sich das alles. Damals hat für mich Inklusion so ein bisschen schon begonnen.
Und das heißt, du hast dann deine Mittlere Reife gemacht?
Kirsten Heil: Ich bin dann auf die Hauptschule gegangen. Habe dort den erweiterten Hauptschulabschluss bis zur 10. Klasse gemacht auf einer ganz normalen Regelschule.
Okay, genau. Okay. Und dann bist du in die Ausbildung gegangen?
Kirsten Heil: Ja. Ich hatte einen schweren Start beruflich. Ich fand nicht so schnell einen Ausbildungsplatz. Habe dann bei Siemens eine Ausbildung angefangen als Bürokraft. Habe die aber leider nicht beendet. Ich war halt so, ja, ich war 18. Ich war erwachsen, ich dachte, ich bin die Größte, ich kann mir alles erlauben. Ist natürlich nach hinten losgegangen. Und habe dann zwei Ausbildungen nicht beenden können, bis ich dann im Berufsbildungswerk eine Chance bekam, dort eine Ausbildung zu machen also Bürokraft. Bin aber dann auch in der laufenden Ausbildung gewechselt als Bürokauffrau. Ich war einfach unterfordert. Und habe die dann auch erfolgreich beendet.
Also das heißt, ich höre das schon raus, dass sowohl in dem ganzen Ausbildungsbereich wie auch beruflich, dann deine Behinderung schon auch ein, durchaus ein Bremsklotz auch war, um weiterzukommen?
Kirsten Heil: Richtig.
Es gibt einen Zeitpunkt, da hast du das, deine Berufstätigkeit eingestellt. Und du bist dann ins Ehrenamt gegangen. Und davon hast du eine Menge. Möchtest du noch was zu dem beruflichen Ende dann noch mal so erzählen oder gar nicht?
Kirsten Heil: Ja. Ich hatte ja bei einem Wohlfahrtsverband sehr viele Jahre gearbeitet in der Verwaltung. Und ja, ich bin dann leider im Mai 2011 an Krebs erkrankt. Und war dadurch lange krank gewesen. Bin auch nach der Krebserkrankung wieder arbeiten gegangen. Hatte aber schon immer mit dem Gedanken gespielt, weil ich gemerkt habe, die Leistung war nicht mehr da, einfach mal Antrag auf Berentung zu stellen. Ich habe das mithilfe des Integrationsfachdienstes gemacht. Und das ging auch sehr schnell und komplikationslos. Ich war sehr erstaunt. Ich war vorbereitet auf Fragen über Fragen, auf Untersuchungen, die dann gar nicht stattgefunden hat. Man hat also wirklich bei mir nach Aktenlage entschieden. Ich denke einfach, das war auch, weil das Alter, ich war mit 37 Jahren an Krebs erkrankt, und die Behinderung, ich denke, dass es dadurch einfach schneller ging, ja. Und man hatte mich also auch gleich unbefristet berentet. Und ja, es war auch ein komisches Gefühl, da plötzlich nicht mehr so arbeiten gehen zu müssen. Ja, und dann überlegt man natürlich, was macht man, wie beschäftigt man sich, wie kommt man zu einer Aufgabe. Das ist ja ganz wichtig, gerade so mit 37 ist man ja auch noch nicht alt. Ja, dann habe ich mich auf die Suche gemacht nach Ehrenämtern oder zumindest ein Ehrenamt. Aber hauptsächlich war ich erst mal auf der Suche nach einem Mini-Job. Und das stellte sich also sehr, sehr schwierig dar, weil die Behinderung auch wieder im Weg war. Man durfte dann nur unter drei Stunden am Tag arbeiten. Das ist also nicht so einfach. Und ich hatte dann auch eine Zeit lang einen Mini-Job. Das habe ich dann aber gemerkt, dass ich dann einfach überfordert war. Dass dieses nach sieben Jahren zu Hause sein, nicht mehr gefördert werden so beruflich, war schon schwierig gewesen. Und ich habe dann auch entschieden, dass ich das dann sein lasse. Und dann fing das mit den Ehrenämtern an.
Du bist heute in vielen Ehrenämtern aktiv. Es sind einige Ämter, Sozialberatung, Kinderhospizarbeit, Mobilitätsscout und natürlich die WIR-Redaktion. Darüber kann man alles in der aktuellen Ausgabe des WIR-Magazins nachlesen. Was ich hier aufgreifen möchte, ist ein Satz, den du geschrieben hast. Und zwar: „Ich weiß, wie schwer es manchmal ist, sich als Mensch mit Behinderung in der Gesellschaft zu behaupten. Darum engagiere ich mich in so vielen Ehrenämtern.“ Ein Satz, da steckt eine Menge dahinter. Was kannst du dazu sagen? Warum hast du das geschrieben?
Kirsten Heil: Ja. Also es gibt ja immer diese Diskussion, dass viele Menschen meinen, es sind auch behinderte Menschen oder Menschen mit Behinderung, die sagen: „Wir müssen ja mehr leisten als die nicht Behinderten, um uns einfach zu behaupten.“ Und ich habe es einfach auch im Arbeitsleben sehr erfahren müssen oder viel erfahren müssen, ja, dass da was Wahres dran ist. Ja, weil ich denke, ich hatte es sehr schwer, weil ich habe eben auch aufgrund der Behinderung Konzentrationsstörungen. Man ist halt nicht so voll einsatzfähig. Und mein Arbeitgeber hatte ja auch viele Zuschüsse für mich bekommen, hat aber trotzdem 100 Prozent von mir erwartet. Da stimmt ja irgendwas nicht. Und ich meine, ich habe mir immer sehr, sehr viel Mühe gegeben. Und irgendwann habe ich aber gemerkt, dass diese Mühe nicht ausreicht oder den anderen vielleicht auch nicht ausreichte. Und war dann nachher auch ziemlich unglücklich. Und ich denke, dass die Berentung ist das Beste, was mir passieren konnte, um einfach auch für mich mein, ich denke, ich war auch schwer krank gewesen, dass das auch berechtigt war. Ja, es ist schwierig gewesen. Ich habe gerne gearbeitet, aber ich hatte es nicht leicht, muss ich einfach sagen.
Aber ich merke, zumindest kann es ja von der WIR-Redaktion auch sagen, du bist in deinem Themen und Ideen immer mit ganzem Herzensblut dabei. Und kannst aber selbst bestimmen, das mache ich, weil ich dazu jetzt auch Lust habe oder auch gerade ein Zeitfenster habe oder auch die Kraft habe. Und wenn das dem nicht so ist, dann pausiert man dann auch wieder. Und macht man vielleicht irgendwie das in ein paar Wochen oder so, dass man es selber bestimmen kann.
Kirsten Heil: Ja. Das ist natürlich eine schöne Arbeit, also ich freue mich auch darüber, dass ich da über die Fürst Donnersmarck-Stiftung rangekommen bin, weil es ja auch meine Kindheit ist, ja. Und ich hätte mir das damals gar nicht träumen lassen. Ich bin ja dann in Rente gegangen, Frührente. Und habe gedacht, so, was machst du denn jetzt, ja. Und ja, durch Zufall lernte ich eben Leute kennen in Frohnau, die also Bezug haben noch zu der Stiftung. Die also da auch in Wohnungen wohnen, dass ich dann wieder ins Fürst Donnersmarck-Haus ging, was also völlig gar nicht mehr das Kinderheim war, wie es früher mal war. Es gab neue Gebäude, es war alles abgerissen. Es war neu aufgebaut. Und dachte, Mensch, es ist ja prima, hier kannst du Bingo spielen, hier kann man sich mit den Leuten unterhalten. Und ich bin ja auch ein positiver Mensch. Habe da viel Gespräche mit Bewohnern gehabt. Und denke auch, dass ich sehr aufbauen konnte. Es hat mir einfach Spaß gemacht. Ja, und dann gab es diesen Lesekreis. Und ich habe als Kind immer schon sehr viel gelesen. Ich habe als Kind viele Gedichte geschrieben. Und dachte so, Klasse, prima. Und dann hat uns der (? Daniel) einfach mal mitgenommen zur Redaktionssitzung. Und da denke ich so, das ist eine feine Sache, das ist was Schönes. Hier kannst du schreiben, kreativ sein, ja. #00:11:56-0#
Das ist ein schönes Schlusswort. Das lasse ich jetzt einfach mal so stehen. Vielen Dank, Kirsten, dass du heute da warst. War sehr schön, danke schön.
Kirsten Heil: Bitte schön.
Das war WIRSprechen. In zwei Wochen öffnet uns ein weiteres Redaktionsmitglied die Tür. Und gibt Einblick in sein oder ihr Leben mit Behinderung. Die Artikel unserer Redakteurinnen und Redakteure gibt es natürlich auch zu lesen in unserer aktuellen Ausgabe. Unter www.fdst.de/wir-magazin finden Sie die aktuelle Ausgabe und auch alle älteren zum Download und online blättern. Und unseren Podcast finden Sie in unserem Blog mittendrin und überall dort, wo Podcasts zu finden sind. Vielen Dank und bis zum nächsten Mal bei WIRSprechen.