Podcast WirSprechen Episode 1: Sabine Lutz
Herzlich willkommen zu WIRSprechen, dem Interviewpodcast des WIR-Magazins. Unser Anspruch ist es, unmittelbar, authentisch und auf Augenhöhe über Leben mit Behinderung zu schreiben. Nun geben WIR dem Ganzen auch eine Stimme. Denn Menschen mit Behinderung kommen immer noch viel zu wenig selber zu Wort. Zum Auftakt heißt es: WIRSprechen mit Sabine Lutz.
Staffel 1 – Episode 1: WirSprechen mit Sabine Lutz
In der ersten Staffel unseres Podcast WIRSprechen lernen Sie die Menschen kennen, die für das WIR-Magazin schreiben. Da geht es nicht nur um einen Blick hinter die Kulissen, sondern unsere Autorinnen und Autoren geben hier einen Einblick in ihr Leben mit Behinderung. Wie ist der Alltag mit Multipler Sklerose? Wie setzt sich eine Expertin für barrierefreies Bauen auf der Baustelle durch? Warum schreibt man ein Buch über psychische Krisen? Wie geht man mit der eigenen Behinderung um, wie blickt man auf eine Kindheit mit Behinderung im Heim zurück?
In der ersten Folge erzählt WIR-Redakteurin Sabine Lutz über ihr Leben mit Multiple Sklerose. Seit 2005 lebt die Journalistin mit diese Diagnose. Für ihre Artikel hat sie schon so manche Grenzerfahrung gemacht, denn „no risk no fun“, wie sie gerne sagt.
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Das Transkript zum Nachlesen
Hallo und herzlich willkommen zu WIRSprechen, dem Interview-Podcast des WIR-Magazins. Mein Name ist Ursula Rebenstorf. Ich bin Redakteurin des WIR-Magazins der Fürst Donnersmarck-Stiftung. In dieser Staffel von WIRSprechen lernen Sie, lernt ihr die Menschen kennen, die für das WIR-Magazin schreiben. Da geht es nicht nur um ein Blick hinter die Kulissen, sondern unsere Autorinnen und Autoren geben hier einen Einblick in ihr Leben mit Behinderung. Diesen Einblick gibt heute unsere Redakteurin Sabine Lutz. Seit 2005 lebt die Journalistin mit Multiple Sklerose. Für ihre Artikel hat sie schon so manche Grenzerfahrung gemacht, denn „no risk, no fun“, wie sie gerne sagt. Daher bin ich gespannt, was sie uns in den nächsten Minuten erzählt. Und weil wir uns wegen der aktuellen Kontaktbeschränkung nicht persönlich treffen konnten, haben wir dieses Gespräch per Zoom aufgezeichnet.
Ich grüße Dich Sabine, hallo
Sabine Lutz: Hallo.
Schön, dass du da bist. Wie ich eingangs erwähnt habe, du hast als Journalistin bei der Deutschen Welle TV gearbeitet. Und dann kam die Diagnose Multiple Sklerose. Wann war das ungefähr?
Sabine Lutz: Das war völlig verrückt, das war im Frühjahr 2005. Ich war mit meinem Mann auf einem Urlaub. Er hatte eine Konzertreise nach Paris. Und wir waren direkt vor dem Louvre. Und ich wollte einfach nur über die Straße und es ging keinen Schritt mehr.
Multiple Sklerose ist ja bekannt als die Krankheit der 1.000 Gesichter. Das heißt, sie hat ganz unterschiedliche Verlaufsformen. Und das erschwert ja auch eine Diagnose, wenn man sie am Anfang hat und auch nicht so richtig weiß, was kommt auf mich zu. Als du die Diagnose erfahren hattest, was hast du denn dann in der ersten Zeit gedacht? Was ist da in deinem Kopf abgegangen?
Sabine Lutz: Also im ersten Moment war es natürlich ein totaler Schock. Und ich hatte noch so viele Pläne, was ich so machen wollte mit meinem Leben und im Leben. Und irgendwie plötzlich war irgendwie alles so total zurückgefahren. Und ich denke, es war für mich absolut erschreckend und für meinen Mann natürlich auch und für den Arzt irgendwie auch. Alles es war für alle relativ blöd, aber man muss es dann einfach irgendwie angehen.
Genau, weil du hast ja als Journalistin bei der Deutschen Welle gearbeitet. Hast du deinen Beruf dann aufgegeben oder es zeitweilig dann versucht, dann doch beides parallel zu händeln?
Sabine Lutz: Ja, ich habe das versucht, beides parallel laufen zu lassen. Irgendwie auch in der Deutschen Welle irgendwie, sowohl Fernsehdirektion, Chefredaktion, mein Chef in der Kulturredaktion, alle wollten, dass ich weiter mache, dass ich dabei bleibe. Aber die Funktionen, die man so erfüllen muss als Fernsehredakteur irgendwie, die waren dann schwer zu leisten. Und nur am Computer sitzen, das war mir zu langweilig. Da habe ich dann gesagt, okay, Schluss, Ende, aus, ich mache was anderes.
Dein Mann und du, ihr habt dann ja ein Boot gekauft. Du hast dann auch deinen Bootsführerschein gemacht?
Sabine Lutz: Also es war schwer, weil irgendwie ich natürlich die einzige Schwerbehinderte war, die da im Kurs war. Und es war total ungewöhnlich, dass sowieso irgendwie erst mal eine Frau und Boot ist schon mal ziemlich krass. Und dann die Schwerbehinderte und Frau und Boot irgendwie, das geht ja gar nicht. Aber ich habe es trotzdem gemacht. Und ich habe es schon beim ersten Mal dann gestemmt. Und es war für mich ein total tolles Erlebnis, war klasse irgendwie. Ich würde es auch jedem empfehlen, es auf jeden Fall zu versuchen, weil es einfach eine wunderschöne Sache ist.
Wie wichtig sind dann Träume in so einem Fall?
Sabine Lutz: Ja, also ich denke, Träume sind wahnsinnig wichtig. Und irgendwie in meinem Fall irgendwie, die Chance irgendwie einen Traum zu realisieren, das war nur durch die MS möglich. Also ich denke, wenn ich weiterhin beruflich so eingespannt gewesen wäre, dann wäre es nicht möglich gewesen, wochenlang, monatelang irgendwie aufzubrechen und nach Schweden zu fahren oder so über die ganze Ostsee. Also das waren irgendwie schon alles so Sachen, die waren irgendwie toll. Wobei ich aber denke, dass es, wenn man so eine Krankheit hat, wenn man dann sagt, ich konzentriere mich eher auf Positives, Angenehmes, Erstrebenswertes, was ich gerne mache, ist total wichtig. Weil die Krankheit an sich bringt schon eine ganze Menge Negatives und ganz viel Depressionen und Kram, wo ich denke, nein, also ich wollte lieber nach vorne gucken als nach hinten.
Gut gegen Depression, sagt man ja, ist ja Bewegung und Sport. Und wenn ich mir das so angucke, was du alles gemacht hast, ist Bewegung etwas, was dir sehr, sehr wichtig ist. Es ist Teil deines Alltags. Du fährst gerne Fahrrad. Und als du dann dich auf deinen Gleichgewichtssinn nicht mehr so ganz verlassen konntest, hast du dir ein neues Fahrrad mit drei Rädern, glaube ich, angeschafft. Dann hast du an einem Tanzprojekt teilgenommen, Switch2Move von der Deutschen Oper. Und seit Jahren, auch schon vor der Erkrankung, der Diagnose, machst du Yoga. Erzähle mal ein bisschen, was hast du da alles gemacht, welche Erfahrungen hast du damit gemacht? Und wie klappt das trotz MS?
Sabine Lutz: Also das Wichtigste ist, dass man irgendwie sich so selber überlegt, welche Möglichkeiten habe ich und wie kann ich die umsetzen? Und wichtig ist auch, nicht aufgeben. Wenn es beim ersten Mal nicht klappt, beim zweiten Mal, vielleicht beim dritten Mal, beim vierten Mal, also ich habe auf diese Art irgendwie, also dieses Tanzprojekt an der Deutschen Oper war toll, weil die Tänzerinnen von der Staatsoper dabei waren. Und die sind ja auch sehr einfühlsam und freundlich irgendwie. Und sagen: „Wir tanzen heute im Sitzen.“ Und dann machen die das vor und man macht es einfach nach. Aber immer ist die Devise: Jeder macht nur so weit und so viel, wie er kann. Alles, was schmerzhaft wäre oder nicht geht, das lässt man. Und dann habe ich einfach gemerkt, welches Potenzial da ist. Was man mit trotz allem, trotzdem noch schaffen kann, was man machen kann. Bewegung war mir immer wichtig. Und ich habe mich gerne bewegt. Und wenn es beim Yoga manchmal nicht so klappte mal die Übung, dann okay, dann mache ich halt eine andere. Also es war irgendwie immer irgendwie spannend und schön, die Erfahrungen zu machen. Und mit dem Dreirad sowieso, also wo ich denke, wenn es mit zwei Rädern nicht geht, dann geht es halt mit drei Rädern und so. Ich denke, man muss es sich einfach offen halten und Dinge ausprobieren.
Bleiben wir mal ein bisschen beim Stichwort Bewegung. Und gehen rüber zu deinen Engagements für das WIR-Magazin. Ich habe ja eingangs gesagt, dass du schon seit zehn Jahren für das WIR-Magazin schreibst. Und dort probierst du auch gerne Neues aus. Und gehst unter anderem manchmal auch durchaus an deine Grenzen. Ich nenne mal als Stichwort therapeutisches Boxen. Die Idee hattest du mal ausgegraben. Das haben wir auch realisiert. Und du hast in einem Mobilitätstraining mit deinem Rollstuhl teilgenommen, um dich mit diesen Fortbewegungsmitteln ein bisschen vertrauter zu machen, falls das Gehen zunehmend durch Multiple Sklerose dann schwieriger wird. Da kam es auch zu Stürzen. Erzähle mal was darüber. Und sage doch mal, was hat dich denn eigentlich gereizt oder reizt dich bis heute, solche Belastungsgrenzen auszutesten?
Sabine Lutz: Ich denke, in dem Testen von irgendwie Sachen irgendwie, da liegen natürlich auch immer Risiken irgendwie. Aber sehr früh war schon ein Lebensmotto von mir irgendwie, so no risk, no fun. Also von daher war mir klar, in jeder Chance steckt irgendwie auch ein Risiko. Und irgendwie das gilt es, irgendwie auszuprobieren, wo sind die Grenzen. Und wenn ich irgendwie nicht bis an die Grenzen gehe, dann kann ich nie so genau wissen, wo ist das Ende. Also von daher ist für mich immer gut gewesen, dass ich nie den Mut verloren hatte, irgendwie auszuprobieren, was geht vielleicht doch noch. Und dass man dann irgendwie eher so, irgendwie zweifelt oder so, so ein bisschen hinten anstellt. Und es einfach probiert.
Aber machen wir das mal ganz konkret, also ich war nämlich bei dem therapeutischen Boxen dabei. Da war so ein smarter, durchtrainierter Boxer, der hat dir rote Boxhandschuhe angezogen, selber auch. Und der hat auch zugeschlagen. Nicht doll, aber man gerät dann schon ins Schwanken. Was hast du denn gedacht, als du die rote Faust auf dich zusausen sahst?
Sabine Lutz: Ja, das war gruselig. Das war schon irgendwie was, wo ich denke, okay, irgendwie, da hilft nur Gegenwehr, also da hilft nur irgendwie, wo ich dann denke, ich hatte ja schon trainiert bis dahin, so für mich auch in kritischen Momenten ruhig zu bleiben, souverän zu bleiben. So irgendwie so einfach so meine Marker zu setzen. Und dann habe ich gedacht, der dumme Kerl, dem zeige ich es. Also wie, das war irgendwie eher so eine Anti-Haltung. Aber es ging.
Ich fand den eigentlich ganz charmant, den Mann, aber ich glaube, in dem Moment, wo man sich zur Wehr setzen muss mit diesen ungewohnten Boxhandschuhen, dann denkt man auch so, so jetzt zeige ich es dir gleich. Das stimmt.
Sabine Lutz: Ja.
Aber noch mal zu dem Mobilitätstraining, das war ja so ein Projekt gewesen von einer Universität, die ausprobieren wollte, wie Menschen, die wenig Erfahrung im Rollstuhl haben, wie die da mit Mobilitätstraining einfach sicher im Umgang werden. Und dort wurde auch simuliert, was passiert, wenn man mit dem Rollstuhl über Holperpflaster fährt oder wie schafft man es, mit Rollstuhl in einen Bus oder Straßenbahn einzusteigen. All das wurde simuliert mit Übungen und mit so einem Parcours. Das hast du auch gemacht. Dann wurde auch ein Geschwindigkeitstest gemacht. Und dann kam es zum Sturz.
Sabine Lutz: Ja, irgendwie, das war irgendwie so ein bisschen dumm von mir, aber irgendwie, wo ich denke, okay, irgendwie ich bin einfach losgebraust mit dem Rollstuhl. Und der Trainer, der hatte bestimmt bis dahin schon das Gefühl, ja, ja, die schafft das schon irgendwie. Und hat mir nicht gesagt, dass man, wenn man das Tempo erhöht, dass man sich in seinem Rollstuhl nach vorne lehnen muss, dass man dann, wenn man die Räder anschubst, nicht nach hinten umkippt. Das hätte er mir sagen müssen, weil ich war einfach noch viel zu viel Laie und Anfänger in Sachen Rollstuhl. Und wusste das nicht. Und habe natürlich irgendwie dann Gas gegeben und bin nach hinten umgekippt und auf den Hinterkopf gefallen. Das war natürlich irgendwie mein Fehler, aber im Grunde habe ich mir danach gesagt, der Trainer hätte mir sagen müssen: „Halt stopp, wenn du Tempo erhöhst, dann pass auf, lehne dich nach vorne.“ Einfach ganz einfach. Aber das sind irgendwie so Erfahrungen, wo ich merke, wenn man die Technik kennt, wenn man weiß, wie man es machen muss, dann geht ganz, ganz viel. Ich bin dann gefallen, auf den Hinterkopf gefallen irgendwie. Und dann gleich war die Sorge da, vielleicht eine Gehirnerschütterung. Ich habe dann gemerkt, nein, eigentlich kann ich mich ganz gut bewegen. Bin aufgestanden und habe weitergemacht. Und da würde ich sagen, ja, das war wieder typisch für mich irgendwie. Also man kann nicht davon ausgehen, dass jeder das so will oder jeder das so kann, aber das sind halt so Teile gewesen, wo ich dachte, für mich irgendwie kommt es nur so infrage, ich mache weiter.
Wenn du jetzt Menschen treffen würdest, die frisch die gleiche Diagnose bekommen hatten, wie du damals 2005, was wären so die wichtigsten drei Punkte, die du ihnen mit auf den Weg geben würdest, um nicht an der Diagnose zu verzweifeln, sondern zu sehen, schau her, es ist noch vieles möglich.
Sabine Lutz: Also ich hätte natürlich total viele Tipps, aber die drei wichtigsten für mich wären im Moment, Bedenkenträger links liegen lassen. Jeder soll sich selber überlegen, was möchte ich machen, was kann ich machen. Und der zweite Punkt wäre Mut zu was Neuem, also nicht immer nur in den alten Sachen verharren, sondern auch immer mal wieder was Neues probieren. Und dann auf jeden Fall ganz, ganz wichtig, die Realisierung von Träumen.
Vielen, vielen Dank für deine Zeit.
Sabine Lutz: Gerne, gerne, gerne.
Das war WIRSprechen. In zwei Wochen öffnet uns ein weiteres Redaktionsmitglied die Tür und gibt Einblick in sein oder ihr Leben mit Behinderung. Die Artikel unserer Redakteurinnen und Redakteure gibt es natürlich auch zu lesen in unserer aktuellen Ausgabe. Unter www.fdst.de/wir-magazin finden Sie die aktuelle Ausgabe und auch alle älteren zum Download und online blättern. Wenn Sie auch mit uns in unserem Podcast sprechen wollen, dann melden Sie sich unter wir@fdst.de. Wir freuen uns auf Ihre Ideen. Und unseren Podcast finden Sie in unserem Blog mittendrin und überall dort, wo Podcasts zu finden sind. Vielen Dank und bis zum nächsten Mal bei WIRSprechen.