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Podcast WirSprechen: Ein barrierefreies Frauenhaus

Herzlich willkommen zum Interviewpodcast WirSprechen des Wir-Magazins. Unser Anspruch ist es, unmittelbar, authentisch und auf Augenhöhe über Leben mit Behinderung zu berichten. Das tut in der vierten Folge der Staffel 2 Sema Turhan-Cetlin, Leiterin eines Frauenhauses des Vereins Interkulturelle Initiative. Das besondere an diesem Zufluchtsort: Er ist barrierefrei. Hier finden Frauen mit Behinderung, die von häuslicher Gewalt betroffen sind, Aufnahme und Schutz. In dem Podcast schildert Turhan-Cetlin, wie ein inklusiver Alltag in dem Frauenhaus aussieht.

Interview mit Sema Turhan-Çetin, Leiterin des Frauenhauses, der Interkulturellen Initiative e. V.

Die zweite Staffel unseres Podcast WirSprechen blickt auf Menschen mit Behinderung und ihre Gewalterfahrungen. Passend zur aktuellen Ausgabe des WIR-Magazins 2021/2 „Berichte aus dem Schatten – über Gewalt reden“ gehen wir in sechs Folgen Gewalt- und Unrechtserfahrungen von Menschen mit Behinderung nach. Auch die fachliche Perspektive, die sich mit einzelnen Themen zu Gewalt beschäftigt hat, kommt hier zu Wort.

„Behinderung plus häusliche Gewalt ist eine wahnsinnige Belastung für die Frauen.“

Frauenhäuser sind oft der einzige Zufluchtsort für Frauen, wenn sie von häuslicher Gewalt bedroht sind. Doch wohin können sich Frauen mit Behinderung wenden, wenn sie von Gewalt betroffen sind? Seit 2021 gibt es in Berlin das erste barrierefreie Frauenhaus. Der Podcast erzählt von Alltagserfahrungen und Perspektiven, die Frauen mit Behinderung durch dieses einzigartige Projekt gewonnen haben.

WirSprechen Staffel 2 Episode 4 bei Spotify

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Das Transkript der Folge „Ein barrierefreies Frauenhaus“ zum Mitlesen

Herzlich willkommen zu Wirsprechen, dem Podcast des Wir-Magazin der Fürst Donnersmarck-Stiftung. Mein Name ist Ursula Rebenstorf und ich freue mich, heute zu Gast zu sein in einem Berliner Frauenhaus. Frauenschutzhaus sind Orte, wo Frauen, die von häuslicher Gewalt betroffen sind, Zuflucht finden. Das Besondere an diesem Frauenhaus im Südwesten von Berlin ist, dass auch Frauen mit Behinderung hier Zuflucht finden können. Seit Sommer letzten Jahres 2021 hat dieses Frauenhaus geöffnet und bietet auch diversen Frau mit Behinderung Zuflucht und Schutz. Wie so ein Zusammenleben, so ein inklusiver Alltag in einer gemischten Gruppe von Frauen mit Behinderung und ohne Behinderung in einem Frauenhaus aussehen kann und ob Frau mit Behinderung über noch ganz andere Probleme reden, wenn sie von Gewalterfahrungen betroffen sind? Das wollen wir heute mit der Leiterin, Frau Sema Turhan-Cetlin, von dem Frauenhaus besprechen.

Also erst mal sage ich Hallo, schön, dass wir heute noch mal vorbeikommen konnten.

Sema Turhan-Cetlin: hallo auch unsererseits herzlich willkommen!

Dankeschön! Allgemein spricht man immer von einem Frauenhaus. Wie heißt das eigentlich konkret? Ist das wirklich ein Frauenschutzhaus oder reden sie auch selber unter den Kolleginnen untereinander auch von einem Frauenhaus?

Sema Turhan-Cetlin: Wir reden eigentlich immer über ein Frauenhaus. Frauenhäuser, Schutzhäuser kann man eigentlich auch dazu sagen.

Dieses Frauenschutzhaus ist ja eingebettet. Sie sind hier die Leiterin, aber dahinter steht ein Verein und der hat einen ganz langen Titel. Ich lese aber trotzdem einmal vor: Das ist die Interkulturelle Initiative Schutz, Beratung und Öffentlichkeitsarbeit für misshandelte Frauen, ihre Kinder e.V. .Dieser Verein, der betreibt unter anderem dieses Frauenhaus. Habe ich das richtig verstanden?

Sema Turhan-Cetlin: Genau, genau. Wir haben neben den zwei Frauenhäusern, mittlerweile betreiben wir zwei Frauenhäuser, ein Frauenhaus an zwei Standorten, besser gesagt. Wir haben daneben noch ein Projekt „Kasimir“ mit Trägerwohnungen und die Fachberatungsstelle.

Wie lange gibt es das Haus jetzt, wo wir heute sind?

Sema Turhan-Cetlin: Wir haben geöffnet seit Juni letzten Jahres 2021. Da sind wir ganz frisch hier eingezogen.

Wie kam es zu dieser Überlegung dieses Frauenhaus durchaus auf Belange mit für Frau mit Behinderung auszurichten? Dass Sie da irgendwo auch gucken, wo kann man eine barrierefreie Grundausstattung machen, dass man auch Frauen mit Behinderung auch eine Rückzugs und eine Schutzmöglichkeiten einem Frauenhaus anbietet? Wie kam es dazu?

Sema Turhan-Cetlin: Ich habe ja ziemlich lange in dem alten Frauenhaus gearbeitet, was ja immer noch existiert. Das ist eins der kleinsten Frauenhäuser in Berlin gewesen. Ziemlich enge Verhältnisse und wir hatten immer den Wunsch, doch uns zu vergrößern und haben irgendwann dann entschlossen, uns auf die Suche nach einem neuen Haus zu machen bzw. vielleicht das andere auszubauen. Und wenn wir das schon tun, haben wir uns gedacht, es eventuell barrierefrei zu machen. So kam eins nach dem anderen, muss man sagen. Und dann wurde dieses Objekt gefunden, wurde so ausgebaut und es glücklicherweise das erste barrierefreie Frauenhaus bei dem Bedarf. Den haben wir ja schon lange wahrgenommen gesehen. In einem der Frauenhäuser gibt es ja auch schon immer die Anfrage. Nur sind die meisten Häuser nie so ausgestattet gewesen, dass wir auch Frauen mit Behinderung aufnehmen konnten.

Bis dieses Haus im Sommer letzten Jahres gestartet ist, was ist denn mit diesen Frauen geschehen? Also wenn letztendlich dieser Bedarf oder eine Anfrage an sie gerichtet wurde, sie sagten würden wir gerne machen, aber geht nicht wegen Treppen, zum Beispiel. Wo konnten dann diese Frauen sich hinwenden? Weil ich meine, wenn sie das einzige auch sind, das ist großartig, ob das Angebot reicht, da kommen wir gleich dazu. Aber was ist bis Sommer letzten Jahres mit diesen Frauen? Wo konnten die eigentlich hin?

Sema Turhan-Cetlin: Ja, das ist so die Frage. Also wir hatten natürlich immer wieder Anfragen von Frauen mit unterschiedlichen Behinderungen und da, wo es möglich war, wurden sie ja auch aufgenommen, das heißt Frauen mit Gehbehinderung, Gehörlose, blinde Frauen. Da hat man dann innerhalb der Häuser einfach versucht, provisorisch eben die Situation so zu gestalten, dass es einigermaßen machbar ist für die Frauen. Nur war das wirklich schwierig. Also in dem alten Haus kann ich sagen: das ist mit sehr vielen Treppen zum Beispiel eingerichtet, dass zum Beispiel gehbehinderte Frauen einfach auf die Dauer große Schwierigkeiten hatten. Wir merken ja auch jetzt, dass die, also so viele Anfragen gab es gar nicht. Und ich glaube, das liegt genau daran, dass man einfach wusste, dass es gar nicht so viele Möglichkeiten für diese Frauen gibt. Und auch jetzt, wo jetzt wir uns zur Aufgabe machen, direkt in Einrichtungen oder Projekte zu sprechen, um über dieses Haus zu berichten, merkt man, wie verwundert sie sind. Sie sind davon ausgegangen, dass es kaum Möglichkeiten gibt für diese Frauen. Und die Anfragen kommen jetzt immer mehr.

So wie ich es verstanden habe, ist es so, dass man davon ausgeht: okay, man geht in ein Frauenhaus, wenn man Opfer häuslicher Gewalt geworden ist. Gibt es noch andere Kontexte, die Frauen schildern, weswegen sie sich an Sie wenden?

Sema Turhan-Cetlin: In den Frauenhäusern können Frauen nur aufgenommen werden, wenn sie von häuslicher Gewalt betroffen sind. Das ist die Bedingung. Es gibt auch viele Anfragen von obdachlosen Frauen und so weiter. Natürlich sind sie auch von struktureller Gewalt und so weiter betroffen. Aber es ist wirklich eine der Bedingungen, in ein Frauenhaus zu kommen, ist die häusliche Gewalt.

Und man muss volljährig sein? Wenn zum Beispiel jetzt sich eine junge Frau an sie wendet, und die ist zum Beispiel noch unter 18, dann würde wahrscheinlich sich  eher das Jugendamt zum Beispiel einschalten?

Genau. Und dann gibt es diverse andere Projekte, die eben für noch nicht volljährige junge Frauen tätig sind. Da vermittelt unter anderem „Papatya“.

Wenn Sie jetzt eingangs sagten, dass das jetzt nach und nach bekannter wird und deswegen auch mehr Anfragen kommen. Liegt das daran, dass man generell dieses Thema „Frau mit Behinderung können Opfer von häuslicher Gewalt sein und es gibt keine Perspektiven“ noch so in den Köpfen vorherrscht, vielleicht sogar bei den Frauen selber?

Sema Turhan-Cetlin: Ich glaube einfach, dass sie sich nicht an die Schutzeinrichtungen gewendet haben, weil sie davon ausgegangen sind, sie haben ohnehin keine Möglichkeit, dort Zuflucht zu finden. Und die Frauen, die wir bis jetzt seit Juni letzten Jahres bis heute betreuen, berichten genau darüber, dass sie ja nicht erst seit kurzem von häuslicher Gewalt betroffen sind, sondern ziemlich oder viele Jahre in Beziehung lebten, wo sie massiv von häuslicher Gewalt betroffen sind und auch den Versuch durchaus schon gestartet hatten, Einrichtung zu finden, wo sie Zuflucht finden. Aber es scheiterte oft an entweder fehlenden Plätze, oder aber auch daran, weil die Einrichtung das gar nicht gewährleisten konnten. Eine Rollstuhlfahrerin braucht natürlich Zugänge zu den Häusern und die sind in den meisten der Einrichtungen nicht gegeben.

Also bevor man in ein Frauenhaus geht, liegt ja schon immer ganz individuell ein längerer Leidensweg hinter einem. Das, was Sie eben schildern, ist bei Frauen mit Behinderung durchaus noch mal eine weitere Komponente, die dazu kommen kann, dass man vielleicht schon ganz gern diesen Schritt gehen möchte, aber gar nicht weiß, wie man das machen kann. Und dann ist das Angebot, was sie jetzt hier haben, sozusagen  eine Perspektive?

Sema Turhan-Cetlin: Genauso sieht es aus, ja.

Dann kommen wir mal zu den Frauen, die hier seit Sommer letzten Jahres Zuflucht gefunden haben. Also erst mal generell: Wie viele Plätze gibt es hier in dem Haus und wie viele Frauen sind derzeit eigentlich auch hier?

Sema Turhan-Cetlin: Also unser Haus verfügt über 40 Plätze für Frauen mit Kindern. Wir verfügen über sechs barrierefreie Zimmer und sind auf drei Etagen aufgeteilt. Hier haben die Frauen auch mit Kindern die Möglichkeit, in eigenen Zimmer, zu leben.

Wieviele Frauen leben hier derzeit mit und ohne Behinderung?

Sema Turhan-Cetlin: Wir sind voll belegt und waren ziemlich schnell voll belegt. Das muss man einfach sagen. Es spiegelt die Gesamtsituation wieder: Die meisten Frauenhäuser sind permanent voll belegt.

Haben im Moment oder auch in den letzten Monaten Frauen mit Behinderung hier Zuflucht gefunden?

Sema Turhan-Cetlin: Alle sechs barrierefreien Zimmer sind von Frauen mit Behinderung belegt. Wir haben momentan Frauen, die in Rollstuhl sitzen. Wir haben blinde Frauen hier. Wir haben eine Frau und eine blinde Frau mit einem Therapiehund. Das sind Erfahrungen, die auch für uns ganz neu sind. Gehörlose Frauen hatten wir schon aufgenommen.

Wenn man das mal so im Einzelnen durchgeht: Generell versuche ich mir vorzustellen, das ist  so eine Art Wohngemeinschaft. Jeder lebt zwar für sich, aber man lebt auch in gemeinsamen vier Wänden. Das ist ja durchaus eine Form von inklusives Wohnen. Wie reagieren die Frauen aufeinander, wenn auch sichtbare oder auch spürbare Behinderung  den Alltag mitbestimmen? Wenn man weiß,  ich gemeinsam mit jemanden in der Küche, der nicht hören kann?

Sema Turhan-Cetlin: Genau hier leben Frauen zwar in ihren eigenen Zimmern, aber haben durch die gemeinsamen Küchen und Bäder und Aufenthaltsräume,  die sie gemeinsam nutzen. Es gibt natürlich immer Orte, wo sie sich begegnen und auch Situationen auf sie zu kommen, die sie vorher ja nicht gelebt haben. Wir erleben das jetzt bei der Frau mit dem Therapiehund. Das natürlich für einige Frauen eine grosse Herausforderung, weil sie so eine Situation eben vorher nicht erlebt haben.  Gleichzeitig stellt das Leben mit einem Hund  für einige auch eine große Herausforderung dar. Aber auch mitzubekommen, wie eine blinde Frau mit der Hilfe eines Therapiehundes lebt, das ist spannend für die meisten. Und sie berichten, dass sie Begegnungen haben und Gespräche, die sie sonst draußen eigentlich nie geführt hätten. Und ich muss ehrlich sagen, auch für uns Mitarbeiterinnen sind das ja auch ganz wertvolle neue Erfahrungen. Ich arbeite schon seit 13 Jahren in einem Frauenhaus und wir haben natürlich immer wieder Frauen mit Behinderungen gehabt und die unterschiedlichen Formen von Behinderung. Und die beste Erfahrung ist direkt mit den Frauen selbst, die dann berichten, was sie brauchen, was gut ist, was fehlt.

Wenn ich mir das versuche, vorzustellen… Normalerweise sind hier Haustiere ja wahrscheinlich nicht gerne gesehen?

Sema Turhan-Cetlin: Es ist in Berlin sogar so, dass alle Frauenhäuser keine Haustiere aufnehmen.  Wir haben zwar immer gemerkt, dass es eine große Lücke  darstellt, weil natürlich für einige dieser Menschen sind Haustiere von großer Bedeutung. Einige dieser Frauen entscheiden sich auch gegen eine Schutzeinrichtungen, weil sie ihr Tier dann anderswo unterbringen müssen.

Oder zurücklassen müssen und dann Sorge haben, dass man sich darum nicht kümmert.

Sema Turhan-Cetlin: Natürlich ist es auch eine große Herausforderung in einer Bedarfsgemeinschaft. Ja, weil auch jetzt wir merken, jeder hat eine unterschiedliche Auffassung, Erfahrung, Erlebnisse mit Tieren. Wir haben hier auch eine gewisse Vorarbeit leisten müssen, erst mal mitzuteilen, dass jetzt hier eine Bewohnerin mit einem Therapiehund kommt. Die meisten wissen das ja gar nicht, was ist ein Therapiehund, wie werden diese Tiere ausgebildet und sind auch immer noch in diesem Prozess, dass wir hier sozusagen hier in dem Fall mit Kindern eine Zusammenführung Hund-Kind zusammenkriegen. Das bedarf einfach alles einer Vorarbeit. Wir versuchen dann, die  Betroffene einfach mit einzubeziehen, weil das ist immer die beste Art, Menschen zusammenkommen zu lassen.

Aber wie Sie eben jetzt auch schon gesagt haben, weil man ja auch vorher nicht genau weiß, wer hier kommt und hier eine Weile auch lebt, muss man sich da wahrscheinlich immer sehr spontan oder immer wieder aufs Neue auf das Zusammenleben ganz, ganz unterschiedlicher Frauen unterschiedlicher Bedürfnisse einstellen?

Sema Turhan-Cetlin: Genau das ist der Schwerpunkt dieser Arbeit: immer flexibel zu sein, immer zu gucken, wie die neue Konstellation ist, welche neue Dynamik dadurch entsteht. Und da einfach zu gucken genau was bedarf es da? Was müssen wir tun, dass sich alle auch wohlfühlen.

In der Reportage habe ich den Vorgesprächen mit meinen Kollegen entnommen, dass hier auch eine Frau mit Sehbehinderung wohnt und es durchaus Probleme gab, weil sie ja nicht einfach das Haus, dessen Adresse geheim ist (wir haben hier auch eingangs nicht gesagt, wo genau das Haus in Berlin ist) nicht alleine findet und jemanden braucht, der sie dann hierher fährt oder herbringt. Wie sind Sie damit umgegangen? Das ist ja schwierig.

Sema Turhan-Cetlin: Ja, das sind auch so neue Erfahrungen. Ich meine, man muss immer denken, die Schutzeinrichtungen sind wirklich anonym und der Zugang zu diesen Einrichtungen soll möglichst wirklich nur den betroffenen Personen bekannt sein und von den Mitarbeiterinnen. Jetzt entsteht durch die Aufnahme von Frauen mit Behinderung natürlich auch neue Situationen. Das heißt nicht nur die sehbehinderte Frau, sondern auch Frauen mit Rollstuhl bringen manchmal Assistentinnen mit, haben Pflegekräfte, die sie unterstützen. Da mussten wir uns öffnen. Da mussten wir uns überlegen, wie trotzdem die Anonymität gewährleistet werden kann. Aber natürlich diese Menschen Zugang in unser Haus brauchen, weil sie ebenfalls mit diesen Frauen arbeiten.

Wie kann man sich das praktisch vorstellen? Ich meine, ich kann mir das so vorstellen: Wer tagtäglich viele Situationen neu lösen muss und auch viel mit Menschen arbeitet, hat einfach auch einen gewissen Blick auch für bestimmte Situationen, auch für bestimmte Menschen. Aber Pflegekräfte, darunter sind jetzt auch vielleicht auch Männer und man kennt die Leute auch nicht: Muss man da ein polizeiliches Führungszeugnis zeigen oder wie schätzen Sie die Menschen ein? Das ist ja eine Balance, die Assistenz muss gewährleistet werde und andererseits müssen sie ja auch für das ganze Haus Sorge tragen.

Sema Turhan-Cetlin: Ganz wichtig ist, dass das Pflegepersonal und Menschen, die sozusagen eine unterstützende Funktion haben, weiblich sein müssen, wenn sie Zugang in unser Haus haben. Und das kann man immer ganz gut mit den Projekten besprechen. Das klappt. Oder das hat bis jetzt in der Regel sehr gut geklappt. Wir führen Vorgespräche. Ganz wichtig noch mal diese Menschen noch Mal auf unser Thema zu sensibilisieren, was es bedeutet, eine anonyme Adresse zu haben, wie wichtig es ist. Sie müssen eine Schweigepflichtsentbindung unterschreiben.

Ansonsten, wenn Sie zurückblicken, jetzt auf die auf das letzte halbe Jahr, gibt es  auch noch andere Sachen, wo Sie sagen, das hatte ich vorher gar nicht gewusst? Und erst durch die Zusammenarbeit und durch das Leben der Frauen hier im Haus habe ich überhaupt erst in Erfahrung gebracht, was es bedeutet und heißt, zum Beispiel mit Behinderung zu leben?

Sema Turhan-Cetlin: Ich muss ganz ehrlich gestehen, es hat sich durch die Arbeit mit den Frauen wirklich für mich noch mal eine neue Welt aufgemacht. Ich bin wie gesagt seit 13 Jahren in dem Bereich und natürlich haben wir immer wieder mal…. Aber es ist jetzt doch noch mal anders. Jetzt sind die Frauen hier, jetzt berichten sie über ihr Leben, jetzt berichten sie über die Schwierigkeiten, die sie unabhängig jetzt von einer Schutzeinrichtung alltäglich erleben. Sie sagen auch jetzt ganz klar, sie leben jetzt auch in einer Schutzeinrichtung, was barrierefrei ist, was toll ist, aber alles andere ist trotzdem nicht barrierefrei. Und ich bin die ersten Male mit Rollstuhlfahrerinnen durch die Stadt gefahren und habe dann  erstmal wirklich wahrgenommen, was müssen diese Frauen tagtäglich wirklich bewältigen, um die normalsten Dinge, die wir einfach so machen, zu machen? Das ist der Wahnsinn. Also man hat noch mal einen ganz neuen Blick zu struktureller Gegebenheit in unserer Stadt, in Berlin. Wir haben noch ganz viel vor. Wir müssen auch ganz viel verändern. Für mich hat sich wirklich so eine neue Welt aufgemacht und ich habe immer gedacht Oh wow, wo waren die denn vorher? Ich habe sie selber auch nicht wahrgenommen und jetzt hat sich auch mein Blick wirklich zu den ganzen Gegebenheiten  noch mal geändert. Eine Frau berichtete, sie sucht seit einer ganz langen Zeiten einen Frauenarzt. Das ist so: Vielleicht kommt sie dann noch einigermaßen hin, an, nach oben. Aber auch die Gegebenheiten bei einem Frauenhaus für die Untersuchung sind gar nicht gegeben. Also sie müssen wahnsinnig viel bewältigen. Und wenn dann noch die häusliche Gewalt dazukommt, ist es eine wahnsinnige Belastung, was die da tragen. Und gleichzeitig merke ich aber auch, wie vieles geht, wie vieles möglich ist. Und wir haben hier auch ein barrierefreies Haus. Und wir merken ja auch, dass es bestimmte Dinge bestimmt noch zu nachzurüsten gibt und zu verbessern gibt. Aber es spielt keine Rolle. Ich merke einfach, sie sind da und es ist eine Offenheit da. Es geht alles. Also ich denke, das ist auch noch mal wichtig, dass wir das wissen.

Wenn Sie sagen, Sie sind in der Frauenhausarbeit seit 13 Jahren und jetzt noch mal das halbe Jahr, jetzt noch mal mit Frauen mit Behinderung. Natürlich haben Sie in diesen 13 Jahren  unglaublich viele, viele persönliche Geschichten mitbekommen. Wie ist Ihre Einschätzung oder Ihre Erfahrung? Gibt es sehr viele Parallelen oder ist es dann doch noch mal was anderes, wenn Frauen mit Behinderung von ihrer Geschichte erzählen, wenn sie hier ankommen?

Sema Turhan-Cetlin: Ich glaube, es gibt natürlich einen Unterschied. Also wenn eine Frau berichtet, Frauen mit Behinderung sind ja auch normal anders angewiesen, noch mal anders in der Abhängigkeit. Also eine Frau, die im Rollstuhl sitzt, wo viele Jahre der Assistent ihr Ehemann war, der die körperliche Abhängigkeit auf eine wirklich bestialische Art ausgenutzt hat, da ist es natürlich ein Riesenunterschied zu einer Frau, die ebenfalls von Gewalt betroffen ist aber keine körperliche Einschränkung hat. Das Ausgeliefertsein und natürlich auch die Unsicherheit, wohin mit mir? Das ist noch viel stärker als wenn man das Gefühl hat, es gibt sie auch keine entsprechenden Hilfsorte für mich.

Sie machen ja hier auch ganz viele Beratungstätigkeit und das wird sich ja wahrscheinlich schon noch ein bisschen unterscheiden, wenn Sie eine Frau, die zum Beispiel Rollstuhlnutzerin ist, beraten, wo sie dann nachher hingeht, oder hin kann und sie braucht eine Wohnung, die barrierefrei ist oder Betreuungsplatz etc. Und da sind ja teilweise auch ganz andere Anträge auch notwendig. Andere Gelder sind da vielleicht irgendwo auch noch anzufragen. Auch das ist ja Beratungstechnisch muss man da ja ganz schnell noch mal andere Kompetenzen erwerben?

Sema Turhan-Cetlin: Wir haben  vorher schon versucht, das anzugehen und haben auch schon einige Fortbildungen gemacht. Wir sind natürlich jetzt auch mittendrin und das beste ist, einfach  gemeinsam mit der Frau  zu starten. Es sind andere Anträge, andere Einrichtungen, wo wir was beantragen müssen. Mit der Eingliederungshilfe hatten wir vorher, ehrlich gesagt, ganz wenig zu tun. Aber eben im machen sammeln wir Erfahrungen und lernen jeden Tag hinzu. Ganz wichtig sind natürlich auch, die meisten Frauen können eigentlich gut berichten, wo sie was wie beantragen und gemeinsam fangen wir an. 

Und genau wie lange kann eine Frau hier maximal bleiben? Weil das ist ja auch teilweise auch davon abhängig, wo sie dann auch eine barrierefreie Nachfolgebleibe findet. Der Wohnungsmarkt ist angespannt, bei barrierefreien Wohnungen sowieso. Auch irgendwelche Betreuungsplätze gibt es selten. Gibt es dann irgendwo auch mal eine Frist, wo man sagt, jetzt gehts nicht mehr?

Sema Turhan-Cetlin: Die Aufenthaltsdauer bei jeder Frau ist eine andere. Und wir merken natürlich auch, bei Frauen mit Behinderung ist das noch mal besonders schwierig, weil wir da barrierefreie Wohnungen brauchen, die es wirklich noch knapper gibt, als der Wohnungsmarkt sowieso momentan hergibt.

Also kein Tag X, wo jemand ausziehen muss, sondern es muss schon sichergestellt sein, dass es auch ein gut geeigneten Übergang gibt?

Sema Turhan-Cetlin: Ja, das ist wirklich wichtig: Wenn die Frau hier ankommt, dass sie die erste Zeit zur Stabilisierung benötigt, das wird hier gewährleistet. Wir versuchen, sie an verschiedenen Dingen anzubinden. Manche Frauen brauchen erst eine Therapie, um sich zu stabilisieren. Es muss auch nicht immer die eigene Wohnung am Ende sein. Genau darum geht es ja auch, dass man während des Aufenthaltes gemeinsam einfach erarbeitet, was brauche ich jetzt für die Zukunft? Ist es die eigene Wohnung? Ist es doch eine WG, wo ich mit anderen Menschen zusammenleben möchte? Was therapeutisches, was Betreutes? Und je nachdem, das ist immer unterschiedlich, ist unsere Aufgabe mit der Betroffenen genau die, das herauszufinden, was die Frau für sich und für ihre Kinder braucht. Und da dann einfach zu gucken, welche Möglichkeiten haben wir in Berlin und die dann anzugehen und, genau wie Sie sagten, aufgrund der Wohnungsmarktssituation ist es  sowieso sehr sehr angespannt und dadurch verlängert sich meistens auch der Aufenthalt, der eigentlich nicht immer so nötig ist.

Und zum Schluss:  können Sie einen Wunsch formulieren? Wo sehen Sie für dieses Jahr oder nächstes Jahr wirklich ganz dringende Aufgaben, die eigentlich angegangen werden müssten, also auch von seiten des Berliner Senats?

Sema Turhan-Cetlin: Ich glaube, was deutlich wird, ist: wir brauchen nicht nur die sechs barrierefreien Plätze, sondern wir brauchen mehr solcher Plätze und nicht nur in den Schutzeinrichtungen, sondern es gibt ja darüber hinaus in den Zufluchtswohnungen, die barrierefrei gemacht werden müssen. Wir brauchen Ansprechpartner in den unterschiedlichen Bereichen, um effektiver und schneller für die Frauen was zu erreichen. Sei es jetzt in der Eingliederungshilfe, in Maßnahmen im Hilfesystem, auch in der Jugendhilfe. Da wünsche ich mir, dass wir eine engere Vernetzung miteinander haben, um sozusagen für den Einzelnen gezielter und intensiver etwas erreichen zu können. Wir müssen auf jeden Fall deutlichmachen, dass alles, was noch kommt und alles was besteht, es die Möglichkeit gibt, diese auch barrierefrei zu machen. 

Wir wünschen ganz viel Erfolg mit diesen Vorhaben. Vielen, vielen Dank! Schön, dass wir heute hier sein konnten und noch mal über dieses tolle Projekt einen Einblick auch hinter die Kulissen bekommen zu haben. Danke schön.

Sema Turhan-Cetlin: Danke Ihnen.

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