Medizinischer Einsatz im Krisengebiet
Ein Zufall brachte unsere Kollegin Janett Ohlerth und Lysann Kaiser miteinander in Kontakt. Die gelernte Krankenschwester, mit anschließendem Studium in Medizin-Pädagogik und Master in International Health, ist seit vielen Jahren im medizinischen Einsatz im Krisengebiet. Vor ihrer Zeit bei „Ärzte ohne Grenzen“ und dem Internationalen Roten Kreuz hat sie auch mehrere Jahre für die Fürst Donnersmarck-Stiftung gearbeitet. Für mittendrin hat Janett Ohlerth mit unserer ehemaligen Kollegin über ihre Erfahrungen gesprochen:
Lysann Kaiser über den Einsatz im Krisengebiet
Wir telefonieren über WhatsApp: das Telefon klingelt, zwei Mal, drei Mal und plötzlich spreche ich mit Lysann Kaiser in Nigeria. Einfach so, ohne ein klitzekleines Rauschen in der Leitung und ohne dass die Verbindung abbrechen würde. Verrückt! WhatsApp-Anrufe in die Uckermark sind da manchmal komplizierter. Und was sie mir dann erzählt, ist eine eindrucksvolle Geschichte.
Beginn der NGO Arbeit im Südsudan
Mit Lysann war ich sofort mitten im Gespräch über ihre Zeit im Fürst Donnersmarck-Haus und ihren Entschluss, für Hilfsorganisationen in Kriegsgebieten dieser Welt zu arbeiten. Lysann Kaiser begann ihre Arbeit für humanitäre NGOs, nachdem sie zuvor neun Jahre in Frohnau gearbeitet hatte. Schließlich fand sie, in ihren Alltag müsste mehr Abenteuer, Veränderung und Herausforderungen einziehen. Sie bewarb sich bei „Ärzte ohne Grenzen“, die sie schnell engagierten.
Ihr erster medizinischer Einsatz im Krisengebiet führte sie in den Südsudan. Dort bekämpften sich Rebellen und Regierungstruppen. Mitten in den Kampfhandlungen waren Kinder mit Kriegsverletzungen oder Kinder, die aufgrund der hygienischen Umstände an Kinderkrankheiten, wie Kinderlähmung, Tetanus oder Tollwut verstarben, die in Deutschland als ausgerottet gelten. Lysann Kaisers Aufgabe als Head Nurse bestand darin, für das medizinische Team eine Arbeitsumgebung zu organisieren, also die vorhandenen Kapazitäten wie Räume, Geräte und Personal in den Krankenhäusern bestmöglich zu nutzen und mit den Mitteln der Hilfsorganisation zu unterstützen.
Internationales Rotes Kreuz
Nach dem Einsatz im Südsudan wechselt sie von „Ärzte ohne Grenzen“ zum Internationalen Roten Kreuz. Mit dem ICRC arbeitete sie im Irak (Mosul), Jemen (Saada), Pakistan und aktuell in Nigeria (Maiduguri). Die Situation war in allen Ländern ähnlich. Bedingt durch politische Konflikte oder Krieg ist die Bevölkerung oft in großer humanitärer Not und die medizinische Versorgung meist zusammengebrochen. Das Internationale Rote Kreuz versichert vor jedem medizinischen Einsatz im Krisengebiet mit den Konfliktparteien absolute Neutralität für alle Beteiligten und beantragt Unversehrtheit für das medizinische Personal. Leider halten sich einzelne Gruppen nicht immer an diese Vereinbarungen. Lysann hatte bisher keine physisch verletzenden Erfahrungen machen müssen, aber die nächtlichen Bombardierungen im Jemen bleiben ihr bis heute in Erinnerung.
In den Einsatzgebieten lebt Lysann in einem Camp mit hohen Sicherheitsauflagen, in dem die internationalen Mitarbeiter während ihres Einsatzes untergebracht sind. Oft sind es einfache Häuser oder Lehmhütten mit einem Bett, Tisch und Stuhl, aber ohne eigenes Bad und WC. Der Alltag in diesen Camps ist stark reguliert: So ist es beispielsweise nicht erlaubt, einfach das Camp zu verlassen. Aufenthalte außerhalb des Camps müssen genehmigt und abgesprochen sein. Das Camp ist mit Stacheldraht umzäunt und wird von unbewaffneten Wachen gesichert.
Aktuell ist Lysann Kaiser in Nigeria
Die Nigerianer sagen über ihr Land, „Nigeria ist ein reiches Land mit armen Menschen.“ Obwohl die Ölvorkommen Nigerias die Wirtschaft von Jahr zu Jahr wachsen lassen, kommt dieser Wohlstand nicht bei den Menschen an. Hier gibt es keine staatliche Krankenversicherung, alle Kosten für einen Arztbesuch müssen selbst getragen werden. Da diese Behandlungen teuer sind, gehen viele Menschen zu lokalen Heilern.
Das ICRC bietet die medizinische Versorgung kostenlos an. Aber die Menschen glauben an Heiler und deren Fähigkeiten, auch weil es wesentlich erschwinglicher ist. Besonders für die Behandlung kranker Kinder ist wenig Geld in den Familien vorhanden. Meistens haben die Familien sieben bis zehn Kinder, diese müssen die Familien auch finanziell unterstützen (betteln auf der Straße, arbeiten auf dem Feld, Schuhe putzen, Autoscheiben waschen). Ist ein Kind krank oder aufgrund von Verletzungen behindert, wird es für die Familien schwierig es weiter zu versorgen. Es gibt dann einfach zu wenig Geld oder Ressourcen, um Kinder zu ernähren, die nicht arbeiten gehen können.
Konkret Hilfe leisten zu können, ist der Grund der Lysann antreibt, für humanitäre Organisationen in Krisen- oder Kriegsgebieten zu arbeiten. „Hier kann ich den Menschen wirklich helfen,“ ist sie sich sicher. „Unsere Hilfe macht hier einen großen, den entscheidenden Unterschied für die Betroffenen“.
Rückkehr nach Deutschland
Ein Einsatz dauert zwischen sechs und zwölf Monaten. Nach dieser intensiven Zeit ist Lysann gerne wieder zu Hause in Deutschland und sieht hier das Leben der Menschen mit anderen Augen. Sie sagt: „In Deutschland geht es den Menschen in der Regel sehr gut. Wir schätzen manchmal nicht was wir haben, bezüglich der medizinischen Versorgung und auch in anderen elementaren Lebensbereichen wie Nahrung, Wohnung, Wasserversorgung etc.“
Seit 2015 ist sie in der Welt unterwegs, jetzt nach sieben Jahren wird es eine längere Pause geben. „Nachdem ich jahrelang 24/7 auf drei Telefonen erreichbar war und sämtliche Einsätze ohne größere Gefahren überstanden habe, möchte ich gerne für längere Zeit nach Hause kommen.“
Wir bedanken uns für das spannende Gespräch über den Einsatz im Krisengebiet und wünschen ihr für die restliche Zeit in Nigeria und die Rückkehr nach Deutschland alles Gute!
Janett Ohlerth