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Zwei Menschen stehen vor der Bilderwand der Kunstgruppen auf dem Fest zum 100-jährigen Jubiläum der Stiftung

Kunst und Pädagogik. Kunstgruppen im Ambulant Betreuten Wohnen

Kunst spielt im pädagogischen Alltag des Ambulant Betreuten Wohnens eine wichtige Rolle. Denn viele Klientinnen und Klienten wie zum Beispiel Piotr Copik sind leidenschaftliche und aktive Künstler. Mit Ursel Hocke haben wir über die Kunstgruppen des Ambulant Betreuten Wohnens gesprochen.

Sehr geehrte Frau Hocke, wie kam es dazu, dass Sie für die Klientinnen und Klienten des Fürst Donnersmarck-Stiftung eine Kunstgruppe angeboten haben?

Ursel Hocke: Ich bin ausgebildete Heilerziehungspflegerin und habe darüber hinaus Kunsttherapie studiert. Ich hatte deswegen schon immer die Hoffnung, Kunst auch im Betreuungsalltag umsetzen zu können. Schon im Bewerbungsgespräch für das Ambulant Betreute Wohnen habe ich deswegen gesagt, dass ich gerne eine entsprechende Kunstgruppe anbieten würde.

Es gibt in der Psychologie und der Kunsttherapie eine lange Tradition, sich mit Kunst von sogenannten „Außenseitern“ zu beschäftigen. In der Regel waren das Menschen in einer psychiatrischen Behandlung. Menschen mit Körperbehinderung kamen in diesem Zusammenhang gar nicht vor.

Ich habe mich aber im Rahmen meiner Diplomarbeit mit dem Thema beschäftigt und fand es spannend, hier ein entsprechendes Angebot zu machen. Ich bin deswegen hier in der Stiftung auf Jutta Moltrecht, die damalige Leiterin des Ambulant Betreuten Wohnens, zugegangen und habe ihr angeboten, eine eigene Gruppe ins Leben zu rufen. Sie hat das von Anfang an befürwortet, was ich natürlich toll fand.

Die Entstehung der Kunstgruppen

Seit wann existiert denn schon dieses Gruppenangebot?

Ursel Hocke: Im Jahr 2000 habe ich die Arbeit in der Stiftung aufgenommen, 2001 konnte ich dann die erste Kunstgruppe ins Leben rufen. Einer der anfänglichen Höhepunkte meines Arbeitslebens in der Stiftung war eine Ausstellung des Diakonischen Werkes Berlin-Brandenburg-schlesische Oberlausitz (DWBO). Sie wurde von Frau Witzleben kuratiert, die durch den ganzen Einzugsbereich des DWBO reiste und sich Kunstwerke von Menschen mit Behinderung ansah. Ich bin durch Zufall auf dieses Projekt aufmerksam geworden und habe mich mit Frau Witzleben in Verbindung gesetzt.

Tatsächlich hat sie dann auch die Bilder von Lissy Keilwagen angesehen, die in der Kunstgruppe malte. Ich fand diese Bilder immer sehr bemerkenswert, da die Klientin einen besonderen Malstil hat. Sie arbeitet sehr seriell, zwar auch naiv, hat aber trotzdem immer einen besonderen Ausdruck. Diese Bilder hat Frau Witzleben für ihre Ausstellung übernommen.

Wo fand denn die anschließende Ausstellung statt?

Ursel Hocke: Die Ausstellung wurde schließlich unter dem Titel „Meine Welt“ anlässlich der 4. Biennale im Jungen Museum in Frankfurt an der Oder gezeigt. Das war eine wirklich tolle Ausstellung mit Künstlerinnen und Künstlern aus Berlin und Brandenburg. Wir haben damals dann auch eine Gruppenreise nach Frankfurt organisiert, sodass alle Mitglieder der Kunstgruppe die Schau auch ansehen konnten. Auch das WIR-Magazin berichtete anschließend darüber. Das fand ich schon toll.

Der Alltag in der Kunstgruppe

Wie viele Personen kommen denn heutzutage regelmäßig in Ihre Gruppen?

Ursel Hocke: Das hat schon immer variiert. Aktuell betreue ich zwei Gruppen, bei denen im Schnitt fünf bis sechs Personen kontinuierlich zusammenkommen. Es gibt ja Menschen, die auch schon vor ihrer Behinderung gerne gemalt haben. Das sind natürlich Personen, die man schnell für die Gruppe begeistern kann und die nicht schon von vorneherein sagen: „Nein, das kann ich nicht.“

Was sagen Sie denn zu Personen, die im Vorfeld schon ablocken?

Ursel Hocke: Jeder kann malen. Es geht bei den Gruppen ja nicht um große Kunst, sondern darum, sich selbst auszuprobieren und das Malen als Chance wahrzunehmen. Es gibt ja auch immer wieder Klientinnen und Klienten, die zuerst in einer Abwehrhaltung sind und dann plötzlich mit Begeisterung dabei sind.

Da kommen natürlich in der Regel Ergebnisse heraus, die uns im ersten Moment fremd sind. Aber die Klientinnen und Klienten malen mit einer solchen Leidenschaften und können dann auch immer erklären, was ihnen das Malen bringt – auch in Kostenübernahmegesprächen. Eine Klientin hat beispielsweise erklärt, dass Malen eine beruhigende Wirkung auf sie hat. Ansonsten ist sie oft sehr aufgeregt. Das finde ich natürlich spannend – auf Leute zu treffen, die das Malen wirklich produktiv für sich nutzen können.

Wie laufen denn Ihre Kunstgruppen ab? Gibt es da immer einen bestimmten Aufbau und wie bereiten Sie sich auf eine Gruppe vor?

Ursel Hocke: Man entwickelt da eine Routine für den Aufbau. Ich schaue mir erstmal an, wie die Klientinnen und Klienten mit Farben umgehen, zum Beispiel ob sie eine Lieblingsfarbe haben. Dann biete ich ihnen jeweils etwas an und die Klientinnen und Klienten setzen das in Bilder um. Jeder Mensch hat da eine eigene Ausdrucksfähigkeit. Das finde ich immer faszinierend.

Gleichzeitig präsentieren wir uns nicht sehr häufig. Ganz am Anfang meiner Tätigkeit hatte ich eine Ausstellung in der Villa Donnersmarck organisiert und bei der 100-Jahr-Feier in der STATION Berlin habe ich eine riesige Bilderwand gestaltet. Das war für die Menschen, die diese Bilder gemalt haben, eine tolle Erfahrung. Durch diese Zusammenstellung wirkten die Bilder natürlich auch sehr imposant.

Ausstellungsmöglichkeiten für die Kunstgruppen

Die Ausstellungen in der Villa Donnersmarck sind einerseits ein tolles Angebot für unsere Gäste, weil sie zwei Mal im Jahr neue Kunstwerke zu sehen bekommen. Andererseits ist das für die Künstlerinnen und Künstler immer auch ein Moment der Selbstwirksamkeit.

Ursel Hocke: Das Wort Selbstwirksamkeit benutze ich sehr wenig. Aber es stimmt. Das bringt den Menschen sehr viel, da sie auf diese Weise mit ihren Fähigkeiten und Sichtweisen sichtbar werden. Das ist für uns alle sehr wichtig: Sichtbar zu werden. Nach jeder Malstunde hängen wir alle entstandenen Bilder aus und schauen sie gemeinsam an. Dann sind immer alle sehr zufrieden mit dem, was sie geschafft haben. Da gibt es auch keine Konkurrenz untereinander, sondern jeder kann das andere würdigen. Das freut mich ganz besonders.

Wo finden denn Ihre Kunstgruppen statt?

Ursel Hocke: Häufig finden sie im Wohnen mit Intensivbetreuung in Tempelhof statt, weil wir dort einen Raum mit Wasseranschluss haben. Das ist für das Malen super. Denn Wasser gehört zum Malen einfach dazu. Außerdem treffen wir uns häufiger in der Verwaltung des Ambulant Betreuten Wohnens in der Babelsberger Straße. Dort im Keller habe ich auch mein Materiallager.

Aufgrund der aktuellen Corona-Pandemie und den damit verbundenen Hygienemaßnahmen können wir uns derzeit leider gar nicht treffen.

Wie wichtig ist es aus Ihrer Sicht, dass auch Kunst von Menschen mit Behinderung entstehen und gesammelt werden kann, auch wenn sie vielleicht keine professionelle Kunst ist? Dass aber auch Menschen mit Behinderung die Möglichkeit haben, Dinge zu schaffen, die bleiben?

Ursel Hocke: Ich finde das sehr wichtig und finde, man muss mit diesen Werken auch achtsam umgehen. Das ist mir ein großes Anliegen. Als eine Klientin aus einer Gruppe verstarb, sollten beispielsweise ihre Kunstwerke vernichtet werden. Dann habe ich sie an mich genommen. Sie lagern jetzt im Keller. Aber ich finde es zu schade, sie wegzuwerfen.

Die Zukunft der Kunstgruppen

Was soll denn in Zukunft mit den Kunstwerken geschehen?

Ursel Hocke: Ich werde bald in den Ruhestand gehen und möchte zuvor ein kleines Archiv von den Kunstgruppen anlegen, damit die Bilder nicht verloren gehen. Denn inzwischen sind natürlich viele Bilder zusammengekommen. Die sind zwar alle beschriftet, aber dennoch ist es eine große Aufgabe, sie zu ordnen. Gleichzeitig werden die Kunstgruppen von einem Kollegen weitergeführt. Das ist mir auch wichtig.

Ich glaube, es ist einfach wichtig, dass auch die Klientinnen und Klienten sichtbar werden – mit all ihren Fähigkeiten, Wünschen, Gefühlen und Träumen.

Sehr geehrte Frau Hocke – vielen Dank für den Einblick und viel Erfolg bei der Entstehung Ihres Archivs!