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Der WIR-Redakteur im Gespräch mit Strahinja Skoko im Atelier des Kunsthafen imPerfekt.

Kunsthafen imPerfekt: Kunst neu entdecken

In der ehemaligen Hafengaststätte des Berliner Westhafens befindet sich ein besonderer Arbeitsbereich der Berliner Werkstätten für Menschen mit Behinderung GmbH (BWB): der Kunsthafen imPerfekt. In einer Kunstoase werden Kunst und Handwerk auf vielfältige Weise experimentell verbunden. Die 40 Menschen, die hier arbeiten, stellen ein breites Spektrum von verschiedenen Mal- und Zeichentechniken bis hin zu Skulpturen, Objekten und Grafiken her. WIR sprachen mit dem Gruppenleiter des Kunsthafens und Künstler Strahinja Skoko.

Herr Skoko, wie und wann kam die Idee, einen extra Arbeitsbereich für Menschen mit Behinderung zu gründen, bei dem die Kunst und das freie Schaffen die zentrale Rolle spielt?

Der Kunsthafen imPerfekt ist vor ca. zehn Jahren erst als ein Projekt entstanden und hat sich dann von diesem Punkt aus entwickelt. Jetzt ist er ein Arbeitsbereich der Berliner Werkstätten für Menschen mit Behinderung. Dass Kunst als Beruf auch ausgeübt werden kann, versuchen wir hier zu ermöglichen. Wir finden es sehr wichtig, dass es eine Werkstatt gibt, in der Kunst ernst genommen wird und wo Menschen arbeiten können, die von sich sagen: Ich bin ein Künstler und ich möchte Kunst auch professionell machen. So wie ganz viele andere Systeme ist die Kunstwelt und der Kunstmarkt leider nicht immer zugänglich. Deswegen ist es unsere Aufgabe, hier nicht nur die künstlerischen Prozesse zu begleiten und über einzelne Bilder oder ihre Kompositionen zu reden, sondern wirklich auch Wettbe­werbe und Interviews und Ausstellungen zu machen und die Künstler dabei zu unterstützen.

Die Menschen hier arbeiten hauptberuflich?

Viele machen erst mal ein Praktikum. Das dauert dann zwei Wochen. Wir zeigen, was hier alles möglich ist. Wir fragen, was sie interessant finden. Dann entscheiden sich die Menschen, ob Kunst für sie das Richtige ist oder nicht. Wir haben hier zum Beispiel Leute wie Christin: Sie hat ein Praktikum gemacht und für sich festgestellt: Ich bin aber keine Künstlerin und ich kann das nicht. Wir hingegen finden: Sie ist eine großartige Künstlerin und genau richtig im Kunsthafen imPerfekt. Für ande­re ist das Arbeiten hier auch ein bisschen fremd. Dann kommen sie und sehen, wie hier gearbeitet wird und merken, dass sie ein Talent haben und bleiben.

Strahinja Skoko im Gespräch. Er hat schwarze Haare, trägt einen Bart und ein Schlüsselband um den Hals.
Strahinja Skoko

Kunst ist eine Sprache

Kreativität, Fähigkeiten und Ressourcen fördern – das hat an sich einen großen Wert. Können Sie für unsere Leserinnen und Leser den künstlerischen Aspekt beschreiben?

Ich finde, Kunst ist eine Sprache und so wie viele andere Sprachsysteme bietet sie ganz viel an. Kunst kann auch therapeutisch sein. Warum sich die Menschen dafür entscheiden und was sie mit ihrer Arbeit sagen möchten, das ist bei uns sehr unterschiedlich. Die Wertschätzung der Kunst kommt durch Veröffentlichungen, durch Ausstellungen in Galerien. Das ist ein zweiter Teil der Arbeit. Alle Künstler freuen sich, wenn die Werke in einer Ausstellung zu sehen sind. Die Kunst ist auf jeden Fall eine Art Selbstverwirklichung, wie man sich selber ausdrücken kann. Aber sie ist auch ein Beruf.

Auch in der Kunst wird an Profit und an Rentabilität gedacht. Ihr Konzept ist ein völlig anderes. Machen da auch die Ämter mit? Das muss ja auch finanziert werden.

Die BWB und der Senat finanzieren unseren Arbeitsbereich. Aber einen Teil erwirtschaften wir durch Kunst­messen, mit Ausstellungen und dem Verkauf der Bilder und Produkte. Es ist sehr wichtig, dass wir hier nicht nur für die Künstler kämpfen, sondern für die ganze Outsider Art, die sehr oft von dem ganzen Kunstsystem nicht gesehen und wahrgenommen wird.

Diese am Rande stehende oder außenstehende Kunst ist nicht im Fokus von Museen und Galerien. Aber ich glaube, das kommt immer mehr. Es ist daher auch wich­tig, dass wir uns mit anderen Werkstätten und Galerien zusammenschließen, die sich auf Outsider Art spezialisiert haben. ART CRU ist so ein Beispiel.

Kunsthafen imPerfekt: Alles kommt aus dem Inneren

Was genau ist OutsiderArt?

Das ist Kunst von Menschen, die nicht an einer Akademie Kunst studiert haben, die sich nicht in diesem klassischen System befinden und daher auch nicht von dem Kunstsystem beeinflusst sind. Alles kommt aus dem Inneren. Es wird nicht geschaut, was ist im Moment in Mode oder wie kann ich mich selbst dem Kunstmarkt anpassen.

Einige Bilder, die wir gesehen haben, kann man nicht von denen bekannter Künstlerinnen oder Künstler unterscheiden, da sie professionell gemalt sind. Haben Ihre Mitarbeitenden auch die Möglichkeit, ihre Bilder einem breiteren Publikum vorzustellen?

Besonders durch die Pandemie war es schwierig. Es gab keine Ausstellungen. Man konnte nichts zeigen. In der Zeit produzierten die Künstler einen Katalog. Aber wir haben letztes Jahr bei POSITIONS Berlin Art Fair, einer großen internationalen Kunstmesse in Berlin, teilgenommen. Darüber hinaus haben wir in Zusammenarbeit mit der Galerie ART CRU Arbeiten gezeigt. Für dieses Jahr planen wir zwei Ausstellungen auf jeweils 100 Quad­ratmetern. Dort schauen wir, dass wir so viel wie möglich zeigen. (Einen Eindruck gibt es auf Instagram)

Wie ist die Begegnung mit anderen Künstlerinnen und Künstlern auf Kunstmessen?

Das Interesse war recht groß. Wir haben sehr, sehr viel positives Feedback bekommen und ich finde es wichtig, dass die Künstler und die Kunst im Vordergrund stehen und dass diese Grenzen, über die ich eben gesprochen habe, verschwinden.

Ich habe mal in einer Werkstatt gearbeitet, wo ich immer zwei Teile zusammenschrauben musste und irgendwann dachte ich, ich bin doch eigentlich unterfordert. Kreativ sein in diesem Arbeitsbereich ist ein ganz schöner Kontrast zu meinen Erfahrungen.

Das tut mir leid, dass Sie so schlechte Erfahrungen gemacht haben. Viele meiner Freunde arbeiten auf dem ersten Arbeitsmarkt und sitzen oft nicht gerne den ganzen Tag am Computer und erledigen immer das Gleiche. Es gibt aber auch Menschen, die diese Struktur und Routine brauchen und die das mögen. Das ist natürlich nichts für jeden. Und es gibt auch hier Künstler, die zum Beispiel eine fast gleiche Handbewegung machen. Auch dadurch entstehen Bilder. Der Kunstbereich kann Inklu­sion ermöglichen. Es gibt kein Richtig und kein Falsch. Kunst ist eine Sprache und mit dieser Sprache kann man ganz viel erzählen. Ich finde das toll, dass wir hier übergreifend an einem gemeinsamen Ziel arbeiten können.

Herr Skoko, vielen Dank für das Gespräch.

Interview: Martin Küster

Weitere Informationen zum Thema Kunst von Menschen mit Behinderung sowie ein Portrait der Künsterlinnen und Künstler des Kunsthaften imPerfekt finden Sie hier auf mittendrin oder in der Ausgabe 1/2022 des WIR-Magazins der Fürst Donnersmarck-Stiftung.

Hintergrund: OUTSIDER ART

Outsider Art („Außenseiter-Kunst“) oder auch Art brut („rohe Kunst“) ist ein Sammelbegriff für autodidaktische Kunst von Laiinnen und Laien, Kindern, Menschen mit einer psychischen Erkrankung oder einer geistigen Behinderung und gesellschaftlichen Außenseiterinnen und Außenseitern, etwa Insassinnen und Insassen von Gefängnissen, aber auch gesellschaftlich Unangepassten. Die Bezeichnung ging vom französischen Maler Jean Dubuffet aus, der sich eingehend mit einer naiven und anti-akademischen Ästhetik beschäftigte.

Die Berliner Galerie ART CRU ist eine der führenden Galerien in Berlin mit wechselnden Ausstellungen von Outsider Art-Künstlerinnen und Künstlern.

Galerie ART CRU Berlin
im Kunsthof Oranienburgerstraße 27 10117 Berlin
Öffnungszeiten: dienstags u. donnerstags: 12-18 Uhr mittwochs: 14-18 Uhr (Zwischen zwei Ausstellungen bleibt die Galerie geschlossen.)
art-cru.de

Der Kunsthaften imPerfekt
bwb-gmbh.de/de/produktion­service/imperfekt-kunstwerkstatt