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Die Straßenschilder an der Kreuzung Kurfürstendamm - Uhlandstraße in Charlottenburg.

Die Beauftragten: Jürgen Friedrich | Charlottenburg-Wilmersdorf

In unserer Reihe „Die Beauftragten“ wollen wir nach und nach mit den Beauftragten für die Belange von Menschen mit Behinderungen aus allen Berliner Bezirken sprechen. Dieses Mal haben wir mit Jürgen Friedrich gesprochen, der seit 2008 als Beauftragter für Menschen mit Behinderungen im Bezirk Charlottenburg-Wilmersdorf tätig ist.

Gleichberechtigte Teilhabechancen und Lebensbedingungen gestalten

Wie war Ihr Weg in das Amt des Bezirksbeauftragten? Was hat Sie an diesem Amt gereizt?

Grundsätzlich habe ich mich ganz normal auf eine Ausschreibung hin beworben. Ausgeschrieben wurde die Stelle, weil mein Amtsvorgänger in den Ruhestand gegangen ist. Vorher war ich unter anderem als Mitarbeiter bei der Landesvereinigung Selbsthilfe beschäftigt. Über diese Arbeit hatte ich bereits erste Berührungspunkte mit der politischen Arbeit im Bereich der Behindertenpolitik. Auch weil wir damals bereits im Landesbeirat für Menschen mit Behinderung vertreten waren. Und durch die damals rund 60 Mitgliedsvereine, aus verschiedensten indikationsspezifischen Behinderungsformen und chronischen Erkrankungen, hatte ich schon einen ganz guten Überblick über die unterschiedlichen Bedürfnisse und Themen von Menschen mit unterschiedlichen Behinderungen. Gereizt hat mich vor allem, dass es schon ein anspruchsvolles Amt ist und ich so noch konkreter Teil des politischen Geschehens werden konnte.

Welche Rolle und Aufgaben haben Sie im Bezirk?

Das Land Berlin ist durch den Artikel 11 seiner Verfassung dazu verpflichtet, für gleichberechtigte Lebensbedingungen von Menschen mit und ohne Behinderung zu sorgen. Das geschieht einerseits auf Landes- andererseits auf Bezirksebene. Um diesen Artikel auch im Bezirk Charlottenburg-Wilmersdorf umzusetzen, bin ich sozusagen da. Ich unterstütze das Bezirksamt dahingehend, indem ich berate, überwache, aber auch Initiative übernehme. Das ist sozusagen meine strukturelle Aufgabe als Bezirksbehindertenbeauftragter – sicherstellen, dass das Bezirksamt der Verpflichtung aus Artikel 11 nachkommt und Menschen mit allen Behinderungsformen möglichst gleichberechtigte Teilhabechancen und Lebensbedingungen gestaltet.

Ein Foto von Jürgen Friedrich.
Jürgen Friedrich (Foto: Privat)

Eine weitere praktische Aufgabe ergibt sich aus dem Landesgleichberechtigungsgesetz. Dort steht geschrieben, dass jede Bürgerin und jeder Bürger sich an den Behindertenbeauftragten wenden darf. Daraus ergeben sich viele individuelle Anfragen, die ganz vielfältige Themen abdecken. Allein schon, weil das Spektrum so breit ist – es wenden sich Menschen mit Körperbehinderungen, Sinnesbehinderungen, geistig-kognitiven Einschränkungen, chronischen Krankheiten sowie seelischen Behinderungen und psychischen Erkrankungen an mich.

Zuständig ist der Bezirk und somit auch ich in meiner Funktion für Themen in den Bereichen: Gesundheit, Soziales, Schule – soweit es die Gebäude betrifft und nicht pädagogische Inhalte, Jugendamt, Kinder- und Freizeitstätten für Jugendliche, Eingliederungshilfe, und den ganze Bereich Bauen, Straßen- und Grünflächen.

Jürgen Friedrich ist seit 2008 im Amt

Neben dem Tagesgeschäft gibt es ja sicherlich Projekte und Vorhaben, die in Ihre Amtsperiode reinfallen. Was sind denn da aus Ihrer Sicht so die Wichtigsten?

Kurz vorab: Die Amtsperioden der Bezirksbehindertenbeauftragen sind grundsätzlich an die Legislaturperioden gebunden. Ich mache das jetzt mittlerweile schon in der vierten, nachdem ich im Oktober 2008 quereingestiegen bin. Ich habe einen festen Arbeitsvertrag mit dem Land Berlin, aber als Bezirksbeauftragter bin ich nur immer für die Wahlperiode.

Um mich nicht ganz vom Tagesgeschäft treiben zu lassen, habe ich 2012/2013 einen Aktionsplan zur Umsetzung der UN-Behindertenrechtskonvention im Bezirk initiiert. Nach langem hin und her, ich habe kein Geld vom Bezirk dafür erhalten und musste einen freien Träger und EU-Mittel besorgen, haben wir dann 2014 dem Bezirksamt einen Aktionsplan mit Zielen und Maßnahmen vorgelegt. Dort waren natürlich auch der Behindertenbeirat und ab der Fortschreibung des Aktionsplans 2020 alle Fachbereiche des Bezirksamts einbezogen.

Ganz konkrete Beispiele abseits vom Tagesgeschäft sind unter anderem eine Bezirksbroschüre über Charlottenburg-Wilmersdorf in leichter Sprache, zwischenzeitlich Hörbroschüren für Blinde, aber auch Veranstaltungen, unter anderem zum Aktionsplan, wo wir dann auch Bürgerinnen und Bürger eingeladen haben.

Von wem erhalten Sie bei Ihren Aufgaben und Aktivitäten selbst Unterstützung und wie viel?

Das hängt oft davon ab, wen ich für das jeweilige Thema oder Anliegen gewinnen kann. Egal ob bei der Umsetzung der Ziele und Maßnahmen des Aktionsplans oder bei ganz praktischen, tagesaktuellen Anfragen. Das klappt leider nicht immer – beispielsweise aktuell bei der E-Roller-Debatte, bei der sich Land und Bezirk gegenseitig den schwarzen Peter zuschieben und am Ende des Tages bewegt sich das Thema zunächst nicht weiter. Auch wenn sich inzwischen eine Lösung abzuzeichnen scheint.

Ich versuche natürlich schon mit Unterstützung zu holen, indem ich mich beispielsweise regelmäßig mit den Amtsleitungen treffe oder Gespräche mit den Stadträten führe. Darüber hinaus bekomme ich natürlich auch Unterstützung vom Bezirksbehindertenbeirat, dessen Geschäftsstelle ich ja praktisch qua Amt abbilde.

Wie gestaltet sich denn die Zusammenarbeit mit dem Behindertenbeirat bei Ihnen im Bezirk?

Der Beirat berät mich und das Bezirksamt und gegebenenfalls auch die BVV. Wir treffen uns in der Regel fünfmal jährlich und besprechen ganz verschiedene Sachen. Zu Beginn der Legislaturperiode frage ich den Beirat nach gewünschten Schwerpunktthemen ab, andere kommen spontan. Ein häufig wiederkehrendes Thema ist zum Beispiel Barrierefreiheit bei der BVG.

Der Bezirksbehindertenbeirat unterstützt mich bereits, indem Themen dort aufkommen und gesetzt werden. Außerdem ist der Beirat ganz wichtig für die Sichtbarkeit. Er verdeutlich, dass die Themen, Probleme und Beschwerden aus der Bevölkerung kommen und nicht nur Herr Friedrich dasteht und Forderungen stellt. Der Bezirksbehindertenbeirat repräsentiert ganz einfach die behinderten Menschen und die Belange von Menschen mit Behinderung im Bezirk.

In Charlottenburg-Wilmersdorf sind im Behindertenbeirat maximal 15 Vereine oder Organisationen der Behindertenselbsthilfe und Behindertenhilfe vertreten. Darüber hinaus entsendet jede Abteilung des Bezirksamts eine Vertretung, nicht stimmberechtigt natürlich, und auch jede in der BVV vertretene Fraktion. Eine Besonderheit in Charlottenburg-Wilmersdorf ist, dass der Vorsitz von der Bezirksbürgermeisterin geführt wird. Das wirkt zunächst etwas ungewöhnlich, hat sich aber eigentlich als praktikabel und auch nicht ganz unvorteilhaft erwiesen und war ganz klar von den stimmberechtigten Mitgliedern so gewünscht.

Häufige Anfragen aus und Visionen für Charlottenburg-Wilmersdorf

Mit welchen Anliegen kommen denn die Bürgerinnen und Bürger aus dem Bezirk typischerweise auf Sie zu?

Viele Themen kommen natürlich über den Beirat. Bei den Themen, die aus Bürgeranfragen kommen, kann ich keine ganz klaren hierarchisieren. Ich habe immer das Gefühl, dass es einerseits zeitabhängig ist, andererseits aber auch zufallsgesteuert. Oft kommen die Leute zu mir, wenn sie auf anderem Wege an Grenzen stoßen und hoffen, dass ich mich auf direktem Wege an die entsprechenden Stellen wenden kann. Häufig kommen beispielsweise Unterstützungsanfragen, wenn es um personenbezogene Behindertenparkplätze geht. Sehr oft bin ich eigentlich gar nicht die erste Anlaufstelle und kann dann einfach weitervermitteln oder gegebenenfalls auch selbst nochmal nachhaken.

Was ist Ihre Vision für einen inklusiven Bezirk Charlottenburg-Wilmersdorf? Wo soll es hingehen?

Das ist natürlich jetzt allgemein gesprochen, aber ich kann es eigentlich nicht anders formulieren: Ich sehe als Orientierungsrahmen für das ganze behinderten-politische Handeln die Umsetzung der UN-Behindertenrechtskonvention. Und das ist letzten Endes dann auch die Vision. Da werden sich vermutlich auch noch meine nächsten 100 Nachfolgerinnen und Nachfolger dran abarbeiten. Aber es gilt Schritt für Schritt die einzelnen Punkte umzusetzen. Die Schwierigkeit ist, dass hier in allen Belangen viel Detailarbeit notwendig ist. Zum Beispiel die politische Teilhabe: Körperbehinderte oder auch Sehbehinderte können sich mittlerweile relativ gut einbringen. Schwieriger ist es hingegen für Mehrfachbehinderte und Menschen mit geistigen Behinderungen. Die Vision muss aber sein, dass sich alle Menschen politisch beteiligen können.

Solche Themen fangen aber auch schon bei der passiven Teilhabe an. Häufig beschäftigen mich die Anliegen von Hörbehinderten, denen Teilhabe oft durch fehlende Dolmetscherinnen und Dolmetscher für Gebärdensprache oder fehlende Untertitel erschwert oder unmöglich gemacht wird.

Mehr Barrierefreiheit im öffentlichen Raum gehört aber genauso zu dieser Vision. Von mehr blindengerechten Ampeln, bis hin zum besser zugänglichen ÖPNV – auch wenn der im Vergleich zu anderen Bereichen häufig schon sehr bemüht ist. Es gibt einfach viel zu tun.