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Graffiti auf Hauswand: Eine in Schutzkleidung gekleidete Person zeigt einem Cartoon-Coronavirus (mit großen Augen und scharfen Zähnen) den Mittelfinger.

Jobwechsel auf Zeit: Eine „Corona-Kooperation“ der BWB und der FDST

Die Corona-Pandemie stellt die gesamte Gesellschaft vor bisher ungeahnte Herausforderungen. Das ist oft anstrengend, aufwendig und mit Verzicht verbunden. Doch manchmal tun sich auch neue Perspektiven und Chancen auf. So war es bei einer Kooperation der Berliner Werkstätten für Menschen mit Behinderung (BWB) und der Fürst Donnersmarck-Stiftung (FDST). Seit Mitte Juni arbeiten mehrere Angestellte der BWB im Rahmen einer „Arbeitnehmerüberlassung“ im Ambulant Betreuten Wohnen (ABW) der Stiftung mit. Für mittendrin haben wir mit drei Mitarbeiterinnen über ihre Erfahrungen gesprochen.

Wie es zur Arbeitnehmerüberlassung kam

Dirk Gerstle, Geschäftsführer der BWB, versandte während des Lockdowns eine E-Mail an alle Angestellten der BWB und bot ihnen den temporären Wechsel zur Stiftung an. Die BWB konnte aufgrund der Vorgaben des Infektionsschutzgesetzes und des Berliner Senats mehrere Monate lang ihre Mitarbeiter mit Behinderung nicht mehr vor Ort betreuen. Ihre Angestellten ohne Behinderung arbeiteten gerade in der Anfangszeit noch alle offenen Aufträge ab. Darüber hinaus bemühten sie sich darum, den Kontakt zu ihren Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter zu halten und ihrem Betreuungsauftrag nachzukommen – beispielsweise auch in Form einer Arbeitnehmerüberlassung und meldeten sich daraufhin auf das Angebot von Dirk Gerstle und der FDST.

Eine unter ihnen war Anna Kühnert. Üblicherweise arbeitet sie im Förderbereich der BWB. Dort arbeiten Menschen, die etwas stärker eingeschränkt sind und deswegen erst auf den Berufsalltag in der Werkstatt vorbereitet werden müssen – eine Aufgabe, die sehr dem Beschäftigungs- und Förderbereich Tagesstruktur im Fürst Donnersmarck-Haus ähnelt.

Die Ergotherapeutin hat während des Lockdowns zuerst in der BWB noch zahlreiche Stoffmasken als Mund-Nasen-Schutz genäht. Danach wechselte sie in das Wohnen mit Intensivbetreuung in der Alten Mälzerei in Pankow. „Im WmI werde ich vor allem bei der Alltagsbetreuung eingesetzt. Außerdem trainiere ich mit den Klientinnen und Klienten den neuen „Corona-Alltag“ wie zum Beispiel die Befolgung der „AHA-Regeln“ (Abstand, Hygiene, Alltagsmasken)“, erklärt Anna Kühnert. Dadurch unterscheide sich ihre aktuelle Tätigkeit deutlich von ihrem üblichen Arbeitsalltag.

Anna Kühnert sitzt mit einer Klientin im Rollstuhl gemeinam an einem Tisch.
Anna Kühnert mit einer Klientin.

Gemeinsamkeiten und Unterschiede

Das bestätigt auch Daliah Anutha, die üblicherweise ebenfalls im Förderbereich der BWB arbeitet und aktuell im „Haus Am Querschlag“ aushilft. „Durch meine Mitarbeit hier sehe ich aber auch mal, was vor und nach dem Arbeitstag in der Werkstatt alles abläuft. Das ist eine tolle Erfahrung! So kann ich auch nach vielen Jahren bei meinem Arbeitgeber neue Perspektiven kennenlernen“, freut sich die gelernte Erzieherin. Der Perspektivwechsel verdeutlicht auch mancherlei Aspekt, der im normalen Alltag selbstverständlich erscheint.

Das ist eine tolle Erfahrung!

Daliah Anutha

Ein eindrückliches Beispiel dafür: Im Ambulant Betreuten Wohnen werden Menschen mit Behinderung als „Klientinnen und Klienten“ bezeichnet; im Werkstattkontext dagegen als „Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter“ – zwei unterschiedliche Begriffe für die gleiche Personengruppe. Was auf den ersten Blick trivial erscheint, sagt sehr viel über das Selbstverständnis und der beiden Einrichtungen aus. „In der Werkstatt wird gearbeitet, hier wird gelebt“, bringt Larissa Bögel die Unterschiede zwischen der Werkstatt und dem Alltag im ABW auf den Punkt. Das habe ganz andere Arbeitsabläufe, aber auch ein anderes Gefühl und eine andere Atmosphäre zur Folge. Die Ergotherapeutin ist die Dritte im Bunde. Sie arbeitet ebenfalls im Wohnen mit Intensivbetreuung in der Alten Mälzerei in Pankow – jedoch ein Stockwerk unter Anna Kühnert.

Larissa Bögel unterwegs mit drei Klienten und einer Klientin, die alle im Rollstuhl unterwegs sind.
Larissa Bögel (hinten) unterwegs mit einer Klientin und drei Klienten des WmI Pankow.

Auf individuelle Wünsche eingehen und eigene Projekte umsetzen

Im „Haus Am Querschlag“ versucht Daliah Anutha vor allem, besondere Wünsche der Klientinnen und Klienten zu erfüllen: Spazieren gehen, einen Kaffee trinken oder gemeinsam basteln. Der Bedarf dafür ist hoch, denn durch die Einschränkungen des Corona-Virus können die Klientinnen und Klienten nicht allen üblichen Gewohnheiten nachgehen. So fallen beispielsweise die Besuche in den Werkstätten aus ihrer üblichen Tagesstruktur heraus.

Da sie als zusätzliche Arbeitskraft nicht komplett in den normalen Tagesablauf der Betreuungsarbeit eingebunden ist, hat sie insbesondere für diese individuellen Bedürfnisse Zeit. Darüber hinaus hat sie aber auch ein eigenes Projekt am Herzen. Im Förderbereich der BWB leitet sie eine Kunstgruppe. Da ist es nur allzu verständlich, dass sie dieses Thema auch in das „Haus Am Querschlag“ übertragen hat. Hier gestaltet sie zusammen mit den Klientinnen und Klienten individuelle Bilder, die diese dann natürlich behalten können.

Ein eigenes Projekt setzten auch Larissa Bögel und Anna Kühnert um. Sie haben zusammen mit den Klientinnen und Klienten einen Artikel für die Mitarbeiter-Zeitung „Einblick“ der BWB geschrieben. Er wird in einer der nächsten Ausgaben erscheinen.

Eines der von Klientinnen und Klienten gemalten Bilder.
Bilder, die im Rahmen des Austausches entstanden sind.

Die Gründe für den Perspektivwechsel

Auf die Frage, warum sie sich auf diesen Arbeitsplatzwechsel auf Zeit eingelassen hat, antwortet Larissa Bögel überzeugt: „Ich wollte gerne mal in eine andere Arbeit hineinschnuppern und gleichzeitig die Kolleginnen und Kollegen dabei unterstützen, die Herausforderungen der Corona-Krise zu bewältigen.“ Wie die anderen Angestellten der BWB hilft sie im Alltag, bietet unterschiedliche Freizeitangebote an, übernimmt aber auch Aufgaben in der Pflege und der Hauswirtschaft. Die Arbeit macht Spaß, doch letztlich hat Larissa Bögel für sich erkannt, dass ihr die Tätigkeit im Förderbereich persönlich mehr Freude bereitet als in einem Wohnangebot. Auch das ist ja ein legitimer Schluss aus so einem Jobwechsel auf Zeit.

Ich wurde von Anfang an toll eingebunden, das war wirklich sehr schön

Anna Kühnert

Man sieht: Positive Erfahrungen allenthalben. Und es gibt noch eine weitere Gemeinsamkeit: Alle drei hatten die Einrichtungen der Fürst Donnersmarck-Stiftung bisher noch nicht persönlich besucht. Daliah Anutha und Anna Kühnert kannten die Einrichtung vom Hören und über einen Mitarbeiter in der Werkstatt. Larissa Bögel lebt selbst erst seit ungefähr einem Jahr in Berlin und hatte bisher noch keinen Kontakt mit der FDST.

Die Arbeit bei der Stiftung hat somit für alle Beteiligten etwas Neues gebracht. Neue Kolleginnen und Kollegen bringen neue Perspektiven in das Ambulant Betreute Wohnen; andererseits gehen Anna Kühnert, Daliah Anutha und Larissa Bögel mit neuen Eindrücken wieder zurück in die Werkstatt. Dazu trugen sicherlich auch die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Stiftung einen gehörigen Anteil. Denn sie nahmen die neuen Kolleginnen direkt gut auf: „Ich wurde von Anfang an toll eingebunden, das war wirklich sehr schön“, erklärt Anna Kühnert.

Die Rückkehr in die „neue Normalität“

Im September ist es schließlich soweit und alle drei kehren an ihren eigentlichen Arbeitsplatz in der BWB zurück. Bei allen positiven Eindrücken: Natürlich freuen sie sich darauf, ihre Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter sowie die Kolleginnen und Kollegen wieder zu sehen und mit ihnen den neuen Alltag zu gestalten.

„Natürlich wird sich die Arbeit in der BWB von der Zeit vor dem Corona-Virus unterscheiden. Aber ich hoffe, wir finden Schritt für Schritt wieder in eine Normalität zurück“, fasst Anna Kühnert ihre Gedanken abschließend nochmal prägnant zusammen. Das ist ein Wunsch, dem wir uns nur anschließen können.

Eine große Hilfe und schöne Erfahrung

Doch egal, was ab September passieren wird. Das Projekt „Arbeitnehmerüberlassung“ durch die Berliner Werkstätten für Menschen mit Behinderung war aus Sicht der Fürst Donnersmarck-Stiftung ein großer Erfolg. Denn für das ABW war der Einsatz von Anna Kühnert, Daliah Anutha und Larissa Bögel eine große Hilfe. Und eine schöne Erfahrung.

Vielen Dank!