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Taliso Engel vor dem Schwimmbecken auf der IDM 2022

Interview mit Taliso Engel auf der IDM 2022

Wir waren letzte Woche bei den 36. Internationale Deutsche Meisterschaften im Para Schwimmen (IDM), die von der Fürst Donnersmarck-Stiftung seit vielen Jahren gefördert werden. Das „schnelle Berliner Wasser“ des Schwimmwettbewerbes ist seinem Ruf mit zahlreichen Rekorden wieder gerecht geworden. Abseits des Beckens hatten wir die Chance mit Taliso Engel zu sprechen. Der 19-jährige Ausnahmeathlet, derseit seiner Geburt mit einer Sehbehinderung lebt, hat bei den Paralympics in Tokio im vergangenen Jahr die Gold-Medaille über 100 Meter Brust erschwommen. Auch abseits vom Becken strebt Taliso Engel aktuell Bestleistungen an, er macht dieses Jahr sein Abitur.

Taliso Engel: „IDM ist wie nach Hause kommen“

Hallo Taliso! Wie zufrieden bist du bisher mit der aktuellen IDM?

Bis jetzt bin ich eigentlich sehr zufrieden. Die 100 Meter Brust liefen gestern im Vorlauf erstaunlich gut. Im Finale lief es dann leider nicht mehr ganz so toll, aber auch absolut im Rahmen. Die 100 Kraul waren heute sehr, sehr gut. Mit einem deutschen Rekord und einer Bestzeit kann ich auf jeden Fall zufrieden sein.

Was ist das Besondere hier an der IDM? Was macht diesen Wettbewerb aus?

Für mich ist das Besondere, dass es sich jedes Jahr wieder so ein bisschen wie „nach Hause kommen“ anfühlt. Einfach die Tage drüben im Andel’s (Anm.d.Red.: Hotel in der Nähe der Schwimm- und Sprunghalle im Europasportpark) zu wohnen und hier zu schwimmen. Das ist für mich einfach immer wieder eine angenehme Umgebung. Außerdem ist es natürlich etwas Besonderes, im eigenen Land die ganze internationale Konkurrenz wiederzusehen. Besonders nach den Paralympics im vergangenen Jahr hat man sich sehr, sehr lange nicht gesehen. Mit allen mal wieder zu reden und gegeneinander anzutreten, ist einfach toll.

Oft hört man, die IDM sei eine Art Familientreffen. Du würdest da also zustimmen?

Ja, auf jeden Fall. Da kann ich 100 Prozent zustimmen. Man sieht ja auch die ganzen Leute aus der Nationalmannschaft wieder. Mit denen verstehe ich mich auch einfach super, auch mit der Bundestrainerin. Es ist einfach total schön, hier alle jedes Mal wiederzusehen.

Die IDM ist berüchtigt für die vielen Rekorde. Was ist dran am „schnellen Berliner Wasser“?

Ich glaube, dass da schon einiges dran ist. Ich selbst schwimme hier auch jedes Jahr Top-Zeiten. Egal, ob ich vorher etwas runtergefahren habe oder direkt aus dem Training komme, erziele ich immer super Ergebnisse.

Taliso Engel und seine Balance zwischen Leistungssport und Abi-Stress

Training ist ein gutes Stichwort. Wie sieht denn dein Trainingsalltag so aus?

Ich trainiere circa acht bis neun Mal die Woche. Dienstag und Donnerstag habe ich Frühtraining vor der Schule. Da geht meine Schule dann auch ein bisschen später los. Ich bin bei mir in Nürnberg auf der Fachoberschule. Da gibt es extra eine Leistungssportklasse. Das ist sehr angenehm, da der Stundenplan dann an das Frühtraining angepasst wird. Ansonsten habe ich jeden Nachmittag Training und samstags zwei Mal. Sonntag ist dann mein einziger freier Tag, wo ich Zeit zum Erholen habe. Hier kann ich dann Schularbeiten erledigen, was im Alltag auch oft schwierig ist. Und natürlich habe ich am Wochenende auch Zeit, etwas mit meinen Freunden zu unternehmen. Das ist unter der Woche quasi gar nicht möglich.

Ich stelle es mir unglaublich schwer vor, das in deinem Alter alles unter einen Hut zu bringen. Nimmt die Schule dann auch Rücksicht auf den Sport und gibt dir Spielraum, wenn du beispielsweise auch mal Schultage verpasst? Und wie holst du das dann nach?

Ja, das stimmt schon. Es erfordert schon eine Menge Organisation und Disziplin, um alles unter einen Hut zu bringen. Aber natürlich habe ich auch viele Leute, die mich da unterstützen. Meine Schule ist da wirklich sehr, sehr hilfsbereit. Da ist es auch kein Problem, wenn ich mir, wie hier für die IDM, zwei Tage frei nehme. Dann habe ich nächste Woche noch KLD (Anm.d.Red.: Komplexe Leistungsdiagnostik). Da fehle ich auch noch mal drei Tage. Das geht schon alles.

Würdest du sagen, dass es einen Unterschied im Training oder dem Pensum zwischen Schwimm-Athletinnen und Athleten mit und ohne Behinderung gibt?

Ich würde sagen, dass es da keine Unterschiede gibt. Ich trainiere ja auch ausschließlich mit Nicht-Behinderten zusammen in einer Mannschaft. Bei meiner Behinderung macht es überhaupt keinen Unterschied. Klar, wenn man jetzt in andere Klassifizierungen schaut, da läuft das Training häufig schon ein bisschen anders ab und es werden vielleicht individuell andere Schwerpunkte gesetzt. Aber in meiner Startklasse macht es gar keinen Unterschied.

Kommen wir zu deinem bisher größten Erfolg: Gold über 100 Meter Brust bei den Paralympics in Tokio. Wann hast du das so richtig realisiert? Auf dem Podium, erst später oder schon davor?

Boah, das hat echt eine Weile gedauert. Auf dem Podium war dann so ein kleiner Klick-Moment, in dem ich die Situation so ein bisschen realisiert habe. Aber so richtig war das erst, als ich wieder zur Ruhe gekommen bin am Abend. Als ich dann wirklich auch Zeit hatte, das Ganze zu verarbeiten. Davor bin ich ja direkt von meinem Rennen zur Siegerehrung. Vor der Siegerehrung hatte ich sogar noch Interviews, durch die ich quasi durchgehetzt bin. Nach der Siegerehrung ging es dann direkt ins ZDF-Studio. Ich hatte also gar keine Zeit, das richtig zu verarbeiten. Deshalb geht es, glaube ich, vielen so, dass die Verarbeitung einfach eine Weile dauert.

Was wird dir von Japan, abseits von den Wettkämpfen, noch in Erinnerung bleiben?

Also ich habe vom Land und auch von der Stadt nicht viel sehen können. Wir waren im paralympischen Dorf ja quasi eingesperrt. Die Menschen in Japan waren aber einfach unfassbar lieb und hilfsbereit.

Paralympics in Japan, Gold-Medaille, ZDF-Studio und dann noch ein Treffen mit dem Bundespräsidenten! Der hat dir das Silberne Lorbeerblatt überreicht. Wie ist denn der Bundespräsident, wenn man ihn persönlich trifft?

Ja, das ist auf jeden Fall eine sehr, sehr coole Sache. Der Bundespräsident ist eine sehr inspirierende Person. Er hat sich auch wirklich an dem Tag die Zeit genommen, mit allen Sportlern zu reden. Seine Assistentin meinte dann irgendwann, dass keine Zeit mehr sei und der Bundespräsident gehen müsse. Er meinte aber dann nur, dass er sich jetzt eben die Zeit nehme, um mit uns sprechen zu können. Das war ein wirklich besonderes Erlebnis.

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Ziele und Wünsche des Jungathleten

Was sind jetzt die nächsten großen Ziele? Was hast du dir für die Zukunft vorgenommen?

Also in weiter Zukunft sehe ich schon die Paralympics in Paris 2024. Wobei: So weit ist das auch gar nicht mehr. Auf jeden Fall will ich dort auch wieder erfolgreich sein. Kurzfristig will ich dieses Jahr bei der WM auf Madeira eine Top-Leistung abrufen. In der Schule bin ich gerade dabei, mein Abitur zu machen. Das ist auf jeden Fall auch ein sehr wichtiges Ziel für mich und hat auch Priorität. Dieses Jahr tritt die Schule auch häufig vor das Schwimmen, damit ich die einfach erfolgreich abschließe. Natürlich versuche ich, immer alles unter einen Hut zu bringen. Aber wenn in der Schule mal etwas wirklich wichtig ist und ich dort nicht fehlen kann, muss sich das Schwimmen für ein, zwei Tage hinten anstellen.

Wo ist denn der Adrenalinspiegel höher: bei den Paralympics oder in der wichtigen Mathe-Klausur?

(Taliso Engel lacht) Ich glaube, dann doch bei den Paralympics. Einfach, weil man weiß, dass einem so viele Leute zuschauen und mitfiebern. Bei der Mathe-Klausur hockst du halt im Klassenzimmer und verzweifelst. Oder auch nicht.

Taliso, wir bedanken uns für das Gespräch und wünschen dir alles Gute und viel Erfolg für deine Ziele und Zukunft – sowohl für das Abi als auch für das Schwimmen!

Sehr gerne und vielen Dank!