Interview mit Dr. med. Guido Graf Henckel von Donnersmarck
Am 22. Oktober 2022 feiert Dr. med. Guido Graf Henckel von Donnersmarck seinen 75. Geburtstag. Er ist ein Ur-Enkel des Stiftungsgründers Guido Graf Henckel Fürst von Donnersmarck und seit 1977 Mitglied des Kuratoriums. Anlässlich seines Geburtstages haben wir mit ihm gesprochen.
Über den Graf von Donnersmarck
Dr. med. Guido Graf Henckel von Donnersmarck ist ein Ur-Enkel des Stiftungsgründers Guido Graf Henckel Fürst von Donnersmarck und seit 1977 Mitglied im Kuratorium der Stiftung. Er ist der Sohn von
Karl Erdmann, genannt K. E., und Friherrinan Elisabeth Uggla (Friherrinan = Freiherrin, A.d.R.) und zugleich Cousin 1. Grades des aktuellen Kuratoriumsvorsitzenden, Dr. Guidotto Graf Henckel Fürst von Donnersmarck.
Graf von Donnersmarck hat sich in den letzten Jahren insbesondere um die Forschungsaktivitäten sowie
den Aufbau der neurologischen Rehabilitation in der Stiftung verdient gemacht.
45 Jahre Engagement für Menschen mit Behinderung: Interview mit Dr. med. Guido Graf Henckel von Donnersmarck
Lieber Graf von Donnersmarck, anlässlich Ihres 75. Geburtstag blicken Sie auf ein spannendes Leben zurück, in dem Sie nicht nur die Fürst Donnersmarck-Stiftung lange Jahre begleitet haben, sondern auch eine private Karriere durchliefen. Können Sie unseinen Einblick in Ihre Biografie geben?
Ich bin am 22. Oktober 1947 als Sohn von Karl Erdmann Graf Henckel von Donnersmarck und seiner Frau
Elisabeth, geborene Friherrinan Uggla, geboren worden. Die Familie Uggla ist eine alte schwedische Adelsfamilie, sodass ich bis heute vier Cousins und Cousinen in Schweden habe und eng mit dem Land verbunden bin.
Aufgewachsen bin ich in Rottach-Egern im Tegernseer Tal und habe am Tegernseer Gymnasium mein Abitur gemacht. Da das Abitur jedoch nicht gerade exzellent war, konnte ich erst nach zwei Wartesemestern mein Medizinstudium in Innsbruck beginnen.
Das heißt, Sie mussten nach Österreich zum Studium?
Ja, dort gab es einen Sezierplatz für mich. Das war damals immer der Engpass für die Studienzulassung. Innsbruck ist aber von Rottach-Egern in etwa genauso weit entfernt wie München, sodass es für mich kein Problem war, dort das Studium zu beginnen. Nach einer ziemlich anspruchsvollen Vorklinik und einem klinischen Semester wechselte ich schließlich an die Ludwig-Maximilians-Universität in München, wo ich Anfang 1975 auch mein Staatsexamen machte und unmittelbar darauf mein Doktorexamen mit einer Arbeit über ein handchirurgisches Problem bestand.
Nach dem Abschluss bekam ich in der Abteilung für Innere Medizin am Rotkreuzkrankenhaus in München meine erste Stelle. Doch zuvor war es mir erfreulicherweise möglich, erstmal für ein halbes Jahr mit einem Freund gemeinsam auf eine Südostasien-Reise aufzubrechen. Unser Ziel war, die Iban – ein Volk im malaysischen Borneo in Sarawak – kennenzulernen. Wir sind also durch Thailand, Malaysia, Singapur und von dort schließlich nach Sarawak auf Borneo gereist. Das war eine wunderschöne Reise, die mich sehr geprägt hat.
Wie verlief denn im Anschluss der Beginn Ihrer Facharztausbildung im Rotkreuzkrankenhaus?
Zurück in Deutschland begann ich im Oktober meine Ausbildung als Medizinalassistent (entspricht heute einem Arzt im Praktikum, A.d.R.) zunächst in der Inneren Medizin. Als Medizinalassistent musste man die Innere Medizin, die Chirurgie und ein weiteres Fach absolvieren. Die Innere Medizin fand ich äußerst spannend, so dass ich meine Ausbildungszeit deutlich überzog und bis zum Schluss schwankte, ob ich meinen Facharzt in der Inneren Medizin oder in der Chirurgie machen sollte. Als ich dann aber mein chirurgisches Praktikum im Klinikum rechts der Isar absolviert hatte, stand meine Entscheidung zugunsten
der Chirurgie schnell fest.
Im Klinikum rechts der Isar kam ich in den Genuss einer klassischen, umfassenden chirurgischen Ausbildung. Ich habe dort alle chirurgischen Stationen des Hauses durchlaufen, bis hin zur Anästhesie. Insgesamt dauerte die Facharztausbildung für mich dort acht Jahre. Für mich war diese Ausbildung, bei der ich auch Stationsarzt auf der Intensivabteilung war, sehr wichtig und eine gute Vorbereitung auf meine spätere Tätigkeit.
Im Januar 1985 bin ich zu Prof. Dr. Wolfgang Mühlbauer in das Klinikum Bogenhausen gewechselt. Das Klinikum Bogenhausen ist ein städtisches Klinikum und zugleich Lehrkrankenhaus der Technischen Universität München. Dort war 1984 eine neue Abteilung für plastische Chirurgie eröffnet worden. 1986 erhielt ich dort die Verantwortung für das Zentrum zur Versorgung von Brandverletzten. Das war eine spannende Aufgabe, da ich hier sowohl chirurgisch als auch intensivmedizinisch verantwortlich war. Und das konnte ich eben nur, weil ich zuvor diese lange Ausbildung durchlaufen hatte.
Der Weg zum Oberarzt
Wie sehr hat Sie die Arbeit mit den Brandverletzten geprägt?
Grob geschätzt habe ich etwa 50 Prozent meiner Arbeitszeit für diesen Spezialbereich aufgewendet. Ich habe das immer sehr gerne gemacht, da man die betroffenen Patienten in einer Spezialabteilung natürlich deutlich besser versorgen kann. Die Intensivstation für Brandverletzte war wie ein kleines Krankenhaus im Krankenhaus. Wir hatten unseren eigenen OP-Saal, acht Intensivbetten, eine eigene Sterilisation und waren vergleichsweise autark.
Beispielsweise kam man zu uns nur über eine besondere Schleuse. Viele Hygienemaßnahmen, die während der Corona-Pandemie akut wurden, hatten wir bereits etabliert. Denn das Problem bei Brandverletzungen ist immer die Verkeimung der Wunden. Da musste man immer gut aufpassen. Wir waren also eine sehr eigenständige Abteilung und das hat natürlich viel Freude bereitet.
War das auch ein Unterschied zur normalen Chirurgie, wo der Patientenkontakt in der Regel nicht so langanhaltend ist?
Ja, das kann man schon so sagen. Es gab ja auch noch nicht viele vergleichbare Abteilungen für schwere Brandverletzungen in Deutschland. Die Abteilungen mit den größten Kapazitäten gab es in Ludwigshafen und in Bochum. Zug um Zug wurden neue Zentren für Brandverletzungen errichtet, so wie in München, so dass heute die Versorgung von Schwerbrandverletzten bundesweit und flächendeckend gewährleistet ist. Unsere Abteilung für plastische Chirurgie deckte einen weiten Bereich ab: Von der wiederherstellenden Chirurgie, über die periphere Nervenchirurgie bis hin zur Handchirurgie und der Mikrochirurgie sowie der Chirurgie von angeborenen Fehlbildungen wie z. B. Schädeldeformitäten – und natürlich die Verbrennungsmedizin.
Dieses weite chirurgische Betätigungsfeld war äußerst anspruchsvoll. Zugleich hat mich gerade diese Vielseitigkeit immer gereizt und fachlich befriedigt. Ich wurde dann auch Leitender Oberarzt und engagierte mich berufspolitisch. Beispielsweise war ich an der Gründung der Gesellschaft für Verbrennungsmedizin und der Gesellschaft für ästhetische Chirurgie beteiligt. Ich habe mich also im Klinikum Bogenhausen sehr wohl gefühlt und bin daher bis zu meiner Verrentung dort geblieben.
Woher kam eigentlich der Wunsch, Arzt zu werden?
Im Freundeskreis meiner Eltern waren relativ viele Ärzte, sodass ich sehr früh mit der Medizin in Berührung kam und bereits mit zwölf Jahren diesen Berufswunsch entwickelte. Mich haben die Geschichten dieser Personen einfach fasziniert und ich hatte die Gelegenheit, mit einigen von ihnen auch bis zu ihrem Tod ein freundschaftliches Verhältnis pflegen zu dürfen. Darüber hinaus hatte ich in jungen Jahren auch einmal eine schwere Krankheit, sodass ich mehrere Wochen zwischen Leben und
Tod schwebte. Das war eine ziemliche Leidenszeit. Aber danach war mir völlig klar, dass ich Arzt werden möchte.
45 Jahre im Kuratorium der Fürst Donnersmarck-Stiftung
1977, vor 45 Jahren, sind Sie in das Kuratorium der Fürst Donnersmarck-Stiftung eingetreten. Wie war
denn Ihr erster Eindruck von dem Kuratorium und der Stiftung?
Das ist gar nicht so leicht zu sagen. Ich war natürlich äußerst neugierig darauf, was mich erwartet. Bis auf
meinen Vetter Guidotto Graf Henckel Fürst von Donnersmarck, der ja auch älter als ich ist, kannte ich niemanden aus dem Kuratorium persönlich. Aber ich wurde sehr freundlich empfangen und ich glaube, man hatte sich auch gefreut, dass ich mich für die Stiftung engagieren möchte.
Sie waren damals das jüngste Kuratoriumsmitglied,richtig?
Ja, das stimmt. Das Kuratorium war damals eine tolle Truppe. Besonders imponiert hatte mir Pastor Eckhard Kutzer, der für mich nicht nur als Manager, sondern auch als Kirchenmann ein großes Vorbild gewesen ist. Insgesamt war er einer der besten Manager, die ich in meinem Leben kennengelernt habe. Sehr schnell, ganz auf den Punkt kommend, entscheidungsfreudig, sehr ernsthaft und mit großer Fachkenntnis. Er war sicherlich ein Glückfall für die Stiftung. Sehr unterstützt hatte mich in der Anfangszeit übrigens auch der damalige Geschäftsführer Ekkehard Reichel, den ich nicht minder schätzte.
Nach und nach arbeitete ich mich so in meine Aufgabe und die Stiftung ein. Damals bewegte sich auch sehr viel in der Stiftung. Durch den Verkauf des Stiftungswaldes in Frohnau hatten wir größere Einnahmen erzielt, die man gut anlegen musste. Fünf Jahre zuvor, im Jahr 1972, war das heutige Heidehotel Bad Bevensen in Betrieb gegangen, zwei Jahre später eröffneten wir den Erweiterungsbau des Fürst Donnersmarck-Hauses, wo sich heute das P.A.N. Zentrum befindet. Es war also sehr viel los. Aber
die Sitzungen waren sorgfältig vorbereitet, sodass wir immer zu guten Entscheidungen gekommen sind.
Wie war es denn für Sie, das Ehrenamt Kuratoriumsmitgliedschaft und Ihre berufliche Karriere unter
einen Hut zu bringen?
Das war zum Teil schon aufwendig. Man musste schon seinen Jahresablauf ein bisschen danach ausrichten – vor allem, als ich dann später auch in den Verwaltungsausschuss eintrat, wo man mehrere Sitzungen im Jahr hat. Aber ich habe diese Aufgabe immer gerne übernommen. Ich bereue nichts, um es mal so auszudrücken. Denn die Arbeit hat mir immer große Freude bereitet und einfach Spaß gemacht.
Wer hat Sie denn besonders beeindruckt?
Das ist eine schwierige Frage, weil man dann immer Gefahr läuft, jemand wichtigen zu vergessen. Ich möchte es aber dennoch versuchen: Pastor Kutzer habe ich ja schon erwähnt. Ganz besonders geschätzt habe ich auch Dr. Ehrhart Körting, den ehemaligen Berliner Innensenator. Das ist ein wunderbarer Mensch, der für die Stiftung sehr wichtig gewesen ist. Prof. Dr. Dr. Paul Walter Schönle und Prof. Dr. Karl Wegscheider waren große Ideengeber. Ebenso erwähnen möchte ich Frau Prof. Dr. Gudrun Doll-
Tepper und Prof. Dr. Eva Preuß. Ganz besonders wichtig waren auch Dr. Gerd-Heinrich Kemper und Stephan Weichbrodt, die die Stiftung über viele Jahre begleitet haben und das zum Teil ja heute noch
tun. Ich habe sicherlich noch einige Personen vergessen.
Es waren eben sehr viele, sehr interessante Menschen im Kuratorium. Gibt es denn bestimmte Ereignisse oder Begegnungen aus den letzten Jahren, die Ihnen besonders in Erinnerung geblieben sind?
Ganz besonders in Erinnerung geblieben ist mir die 75-Jahr-Feier im ICC am Funkturm. Das war in vielerlei
Hinsicht sehr beeindruckend. Besonders erinnere ich mich daran, dass ich auf dieser Feier das erste Mal Rollstuhltanz erlebt habe. Das war so unglaublich professionell, körperlich und intensiv. Aber die gesamte Feier war für mich herausragend. Die Feierlichkeiten zum 100-jährigen Jubiläum kann man im gleichen Atemzug erwähnen.
Zudem sind die Forschungspreisverleihungen für mich immer Höhepunkte. Wenn man sieht, wie sich die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler ein Leben lang für die Forschung abmühen, dann aber auch etwas Gutes herausfinden und dafür gewürdigt werden, ist das für mich etwas ganz Besonderes.
Daneben gibt es natürlich auch ganz viele kleine Dinge, an die ich mich gerne erinnere. Früher sind wir im Kuratorium zuweilen auch noch nach den Sitzungen länger zusammengeblieben und haben gemeinsam gefeiert. Das war immer eine sehr schöne Zeit.
Forschung als große Chance für die Stiftung
Gerade in den letzten Jahren haben Sie sich besonders für die Forschung in der Stiftung engagiert. Was versprechen Sie sich von unserem Forschungsbereich?
Ich sehe die große Chance, dass wir mit der Erforschung unserer Angebote, die ja einen Großteil des Lebens von Menschen mit Behinderung abdecken, einen Beitrag dazu leisten, mehr über die Belange und Bedürfnisse dieser Menschen herauszufinden. Denn wir haben eine homogene Klientel. Es mag sein, dass wir nicht so hohe Fallzahlen haben wie in anderen Studien aber dennoch ein großes Erkenntnispotential.
Das gilt auch für die Teilhabeforschung, die ja noch in ihren Kinderschuhen steckt. Auch hier sehe ich die große Chance, die tatsächlichen Bedarfe unserer Klientel zu erkennen. Wenn die Resultate vorliegen, sehe ich für uns die gute Möglichkeit, die Erkenntnisse direkt in die Therapie oder in die Betreuung einfließen zu lassen.
Was ist denn aus Ihrer Sicht das Besondere an der Fürst Donnersmarck-Stiftung?
Wenn man Kontakt mit Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern hat, merkt man, dass es schon ein großes „Wir-Gefühl“ in der Stiftung gibt und sie sich stark mit der Organisation identifizieren und viel Herzblut in die Stiftung stecken. Das finde ich sehr eindrucksvoll.
Was sind denn aus Ihrer Sicht die wichtigsten Aufgaben für die Stiftung in der Zukunft?
Die wichtigste Aufgabe des Kuratoriums ist es, die Zukunftsfähigkeit der Stiftung zu erhalten und das bedeutet, unser Vermögen gut zu verwalten. Ohne die Einnahmen aus dem Stiftungsvermögen könnten wir uns viele Dinge nicht leisten.
Ein teures Großprojekt wie ein zweites P.A.N. Zentrum werden wir vermutlich vor dem Hintergrund der derzeitigen wirtschaftlichen Entwicklungen erstmal nicht realisieren können. Wir werden also eher daran arbeiten, unsere aktuellen Aufgaben zu erfüllen und die Arbeit in den bestehenden Einrichtungen weiterzuentwickeln. Ich denke, wenn uns das gelingt, können wir auch ganz zufrieden sein. Zudem haben wir ja auch noch einige große Projekte wie die Modernisierung des Heidehotels Bad Bevensen geplant.
Es wird also eher darum gehen, in den bestehenden Systemen neue Angebote zu machen?
Richtig. Hier haben wir sicherlich noch viele Möglichkeiten. ch hoffe darauf, dass uns auch die Ergebnisse unserer Forschungsaktivitäten hier weiterbringen. Außerdem habe ich persönlich den Wunsch, dass wir als Stiftung noch mehr barrierefreien Wohnraum schaffen können.Inwiefern das möglich ist, werden wir noch sehen.
Verraten Sie uns noch zum Abschluss des Gespräches, wie Sie Ihren 75. Geburtstag verbringen werden?
Ich werde keine große Feier machen, sondern gemeinsam mit meiner Familie in den Urlaub fahren und dort mit ihr die Zeit verbringen. Das reicht mir.
Vielen Dank für das Gespräch!
Wir wünschen Dr. med. Guido Graf Henckel von Donnersmarck alles Gute zu seinem 75. Geburtstag!
Dieser Beitrag erschien ursprünglich im Wir-Magazin Ausgabe 1/2023.