
In die Politik hineinwirken: Interview mit Janny Armbruster
Janny Armbruster ist seit August 2020 Landesbeauftragte für Menschen mit Behinderung in Brandenburg. Für das Wir-Magazin 2/2020 hat Wir-Redakteurin Kathrin Schmidt sie zum Interview getroffen und zu ihren Aufgaben sowie Plänen befragt.
Der Weg zur Brandenburger Landesbehindertenbeauftragten

Liebe Frau Armbruster, seit dem 15. August 2020 sind Sie Landesbehindertenbeauftragte in Brandenburg. Welche Schritte führten Sie zu dieser Position?
Janny Armbruster: In meinem beruflichen Leben gibt es eine Reihe von Erfahrungshintergründen, die mich für diese Aufgabe qualifiziert haben. Ich war mehr als 30 Jahre an drei Universitäten mit jeweils unterschiedlichen Aufgabenfeldern im Bereich der Presse- und Öffentlichkeitsarbeit tätig: in Potsdam, in Berlin an der Technischen Universität und an der Humboldt-Universität nach meinem Lehramtsstudium dort für Deutsch und Geschichte. Von 2010 bis 2012 habe ich dann in der brandenburgischen Landesverwaltung ein Weiterbildungsprogramm organisiert und so einen tiefen Einblick in die Arbeit der Landesverwaltung erlangt. Weiterhin bin ich seit 2014 Stadtverordnete für die Fraktion von BÜND- NIS 90/DIE GRÜNEN und war auch vier Jahre Fraktionsvorsitzende. Und letztlich war ich an der Universität Potsdam seit 2017 Schwerbehindertenvertrauensfrau. Als dann im Januar 2020 die Stelle als Landesbeauftragte für die Belange von Menschen mit Behinderung ausgeschrieben wurde, habe ich gedacht, das ist mein Profil, diese Aufgabe kannst du meistern.
Sie haben drei Arbeitsschwerpunkte: Arbeit, Teilhabe, Gesundheits- und Pflegeleistungen und medizinische Rehabilitation. Wenn wir mit dem Thema Arbeit beginnen: Wie können Sie als Landesbehindertenbeauftragte die Chancengleichheit auf dem ersten Arbeitsmarkt in Brandenburg verbessern?
Janny Armbruster: Vor Corona hatten wir in Brandenburg eine Arbeitslosenquote von etwa fünf Prozent. Wir haben 500.000 Menschen mit Beeinträchtigungen. Das sind 20 Prozent der brandenburgischen Bevölkerung mit und ohne Schwerbehindertenausweis. Wenn man bedenkt, dass unter den behinderten Menschen zehn Prozent arbeitslos sind, dann sieht man die Kluft zwischen der Gesamtquote und der, die die Menschen mit Behinderung auf dem Ersten Arbeitsmarkt betrifft. Das finde ich nicht gerecht, da müssen wir dringend etwas tun. Ich freue mich nun, in meiner neuen Funktion Initiativen entwickeln zu können. Mir ist es wichtig, dass wir Menschen mit Behinderung auf dem Arbeitsmarkt platzieren. Es gibt Instrumente, zum Beispiel müssen eigentlich alle Unternehmen fünf Prozent Menschen mit Schwerbehinderung beschäftigen. Tun sie es nicht, müssen sie eine Sozialabgabe zahlen.
Viele Unternehmen zahlen aber lieber diese Sozialabgaben, als einzustellen?
Janny Armbruster: Richtig. Die kaufen sich schlichtweg frei. Im öffentlichen Dienst gibt es eigentlich ganz gute Mechanismen. Aber die Maßnahmen greifen noch nicht gut genug. Ich bin ein Fan der Idee, die Sozialabgabe zu erhöhen, sodass Unternehmen und Institutionen auch aus diesem Grund eher einen Menschen mit Behinderung einstellen. In Brandenburg möchte ich sehr gerne eine Kampagne auf den Weg bringen, die die Potenziale der Menschen mit Behinderungen aufzeigt. Denn wir sehen immer eher nur die Schwächen. Eine Kampagne reicht natürlich alleine nicht. Ich möchte gerne Unternehmen dazu zu bringen, die 5-Prozent-Hürde zu überspringen. In der Förderung von sogenannten inklusiven Unternehmen, die einen 30-, 40- oder 50-prozentigen Anteil an Menschen mit Behinderung beschäftigen, sehe ich eine weitere Möglichkeit. Ich möchte mich gern mit dem Wirtschaftsminister darauf verständigen, inklusive Unternehmen stärker zu fördern. Hier arbeiten dann Menschen mit und ohne Behinderung gemeinsam. Das ist dann Inklusion.
Wie kann Chancengleichheit für Arbeitnehmende mit 100 Prozent Schwerbehinderung aussehen?
Janny Armbruster: Menschen mit hochgradigen und auch mit kognitiven Beeinträchtigungen sind oft in den Werkstätten beschäftigt. Ich finde, Werkstätten machen eine wichtige Arbeit. Aber auch die Werkstätten müssten sich meines Erachtens öffnen. Ich fände es schön, wenn auch hier Menschen mit und ohne Behinderung zusammenarbeiten. Nur untereinander sein in den Werkstätten, das ist jedenfalls keine Inklusion.
Digitalisierung, Teilhabe, Barrierefreiheit
Hat der pandemiebedingte Digitalisierungsschub in Brandenburg auch Auswirkungen für Menschen mit Behinderung?
Janny Armbruster: Wir sehen alle, dass Corona einen Push bei der Digitalisierung in unserer Gesellschaft ausgelöst hat. Manches geht auf einmal ganz schnell; ich denke zum Beispiel an die Schul-Cloud. Von der wissen wir nun aber, dass sie nicht barrierefrei ist. Das ist schade. Wenn wir jetzt in dieser schnelllebigen Zeit digitale Anwendungen benötigen, sollten alle darauf achten, Barrierefreiheit im Internet oder in der Online-Kommunikation immer von Beginn an mitzudenken. Es ist daher meine Rolle, darauf hinzuwirken. Auch vor dem Hintergrund, dass seit dem 23. September 2020 alle öffentlichen Anbieter barrierefreie Webseiten vorweisen müssen. Tun sie es nicht, können sie dafür belangt werden.
Inwiefern sehen Sie bei Teilhabeprojekten oder Kampagnen Möglichkeiten, trotz Pandemie weiter etwas auf den Weg zu bringen?
Janny Armbruster: Im Augenblick, unter dem Zustand der Pandemie, ist Teilhabe für viele Menschen mit Behinderungen sehr, sehr schwierig. Niemand will auf Dauer allein sein und isoliert leben. Menschen wollen in einem sozialen Kontext mit Familie, Angehörigen oder Freunden leben. Zugleich benötigen insbesondere Behinderte medizinische Versorgung und Rehabilitationsleistungen. Und auch sie wollen ins Theater, Kino oder Sportangebote nutzen. Dafür müssen wir sorgen, denn das ist Teilhabe. Das ist natürlich in einer Stadt oft leichter zu organisieren als auf dem Dorf.
Welche Verbesserungen zur Barrierefreiheit stehen gerade im ländlich geprägten Teil von Brandenburg an?
Janny Armbruster: Im Koalitionsvertrag gibt es die Festlegung, bis 2023 eine vollständige Barrierefreiheit im öffentlichen Nahverkehr herzustellen. Das ist ein politischer Auftrag vor allem an die Landesregierung, die Kommunen und die Verkehrsbetriebe. Letztendlich müssen alle zum Beispiel bei Umbau von Bahnhöfen zusammenarbeiten. Das ist oft wegen fehlender Finanzmittel schwieriger als gedacht. Das ist auch meine Erfahrung aus der Stadt Potsdam. Man sieht, dass schon viel gelungen ist, beispielsweise bei erhöhten Haltestellen von Straßenbahnen oder Fahrstühlen an Bahnhöfen. Aber es kann auch nicht sein, dass es sechs Wochen braucht, wenn der Fahrstuhl am Hauptbahnhof ausfällt, ehe der dann repariert ist. Der muss im Prinzip innerhalb von zwei, drei Tagen wieder funktionieren.

Standardaufgaben und Pläne einer Landesbehindertenbeauftragten
Was sind weitere Schwerpunkte Ihrer Arbeit?
Janny Armbruster: Als Landesbehindertenbeauftragte habe ich auch Standardaufgaben zu erledigen. So kann ich bei Konflikten bei der Umsetzung des Bundesteilhabegesetzes unterstützend eingreifen. Wenn also eine Person ihre ihm zustehenden Leistungen nicht erhält, kann ich vermitteln. Denn wir wollen vermeiden, dass es zu Gerichtsverfahren kommt. Daher hat das Land bei uns eine Clearingstelle eingerichtet. Auf der einen Seite bin ich also für die Behindertenpolitik im Land mitverantwortlich und auf der anderen Seite greife ich bei einzelnen Konflikten oder Problemen ein.
Wie praxisnah können Sie als Landesbehindertenbeauftragte arbeiten?
Janny Armbruster: Für die vier Jahre meiner Tätigkeit habe ich mir vorgenommen, nicht nur vom Büro aus die Behindertenpolitik des Landes Brandenburg zu begleiten. Ich werde auch viele öffentliche Termine wahrnehmen. Mir vor Ort anschauen, wo der Schuh drückt. Das finde ich enorm wichtig: den Menschen zuhören und ihre Probleme lösen.
30 Jahre deutsche Einheit, 30 Jahre Politik auch für Menschen mit Behinderung, was sind für Sie dabei wichtige Meilensteine?
Janny Armbruster: 2006 ist die UN-Behindertenrechtskonvention von Deutschland mitunterzeichnet worden. Den darin verankerten inklusiven Gedanken empfinde ich als eine gravierende Veränderung. Damit sind Rechtsgrundlagen für die inklusive Gesellschaft in Deutschland gelegt worden. Dem folgten diverse Bundes- und Landesgesetze. Das ist die Grundlage dafür, dass wir uns auf dem Weg zu einer inklusiven Gesellschaft begeben haben. Wenn man sich vor Augen führt, dass alles erst in den letzten 20 Jahren auf den Weg gebracht worden ist, dann sind wir da einen großen Schritt weiter. Denn auf gesetzlichen Grundlagen können Maßnahmen entwickelt und umgesetzt werden. Dieser Meilenstein war von großer Bedeutung und legte die Grundlage für alles Weitere. Auf dem Weg dahin brauchen wir natürlich noch viele, viele Maßnahmen, so dass für den Einzelnen wirklich eine aktive Teilhabe am Leben in unserer Gesellschaft möglich ist.
Liebe Frau Armbruster, vielen Dank für das Gespräch und viel Erfolg für Ihre Vorhaben.
Interview: Kathrin Schmidt & Ursula Rebenstorf
Titelfoto: ©Landtag Brandenburg