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Foto von Dr. Elke Mandel, Landesbeauftragte für die Belange von Menschen mit Behinderungen in Brandenburg, im Profil aufgenommen. Sie redet und gestikuliert dabei mit der linken Hand.

„Ich habe ein Gesetz und ich werde damit werfen!“

Interview mit Dr. Elke Mandel für das WIR-Magazin 01/2019

Seit dem 1. November 2018 ist Dr. Elke Mandel Landesbeauftragte für die Belange von Menschen mit Behinderungen in Brandenburg und trat damit die Nachfolge von Jürgen Dusel an, der in das Amt des Bundesbeauftragten wechselte. WIR treffen sie an einem schönen Donnerstagvormittag in ihrem neuen Büro. Der Besprechungstisch ist eingedeckt, der Schreibtisch aufgeräumt, doch in einer Ecke stehen immer noch einige Umzugskisten. Elke Mandel begrüßt uns herzlich, das Eis ist sofort gebrochen und schnell entsteht ein Gespräch über die Aufgaben einer Landesbeauftragten, ihre persönlichen Beweggründe zur Übernahme dieses Amtes und natürlich die Herausforderungen und Errungenschaften der UN-Behindertenrechtskonvention.

WIR: Sehr geehrte Frau Dr. Mandel, würden Sie uns zum Einstieg etwas über Ihren bisherigen Werdegang erzählen?

Elke Mandel: Das kann ich selbstverständlich; ich bin ja in letzter Zeit häufiger nach meinem Lebenslauf gefragt worden. Das war eine Überraschung für mich, mit der ich gar nicht gerechnet hatte. Dass, wenn man eine Aufgabe wie die der Landesbeauftragten übernimmt, plötzlich der gesamte Lebenslauf interessant wird. Ich arbeite schon mehr als 25 Jahre für das Ministerium, ohne dass man mich bisher nach meinem Lebenslauf gefragt hätte. Doch jetzt, wo ich in dieses Amt gekommen bin, wird es für die Öffentlichkeit wichtig, wo ich herkomme und welche Schulbildung ich habe.

Ich bin das, was man eine echte Brandenburgerin nennt: Ich wurde in Strausberg geboren, bin in Frankfurt an der Oder aufgewachsen und habe dann über 30 Jahre lang in Potsdam gelebt. Heute wohne ich in der Stadt Brandenburg an der Havel. Ich habe hier schon jeden Landkreis gesehen; Brandenburg ist wirklich mein Land.

Einen Großteil meines Lebens, ich bin inzwischen 57 Jahre alt, habe ich in der DDR verbracht – das ist also meine Sozialisation. Mein Abitur absolvierte ich in einer Schule mit Spezialisierung auf Mathematik und Physik, studierte danach aber Deutsch und Geschichte auf Lehramt, wie das heute heißt, und promovierte zu einem literaturwissenschaftlichen Thema. Damit schlug ich eine wissenschaftliche Karriere ein, was auch wieder etwas anderes als mein eigentliches Studium war. Ich erzähle das so ausführlich, weil das erklärt, warum ich mir dann im Ministerium hier immer wieder neue Arbeitsfelder gesucht habe: Ich habe hier schon im Bereich der Zuwanderung und Integration gearbeitet, Arbeitsmarktpolitik gemacht – kurz nachdem Hartz IV eingeführt wurde – und habe auch schon ein ESF-Förderprogramm begleitet. Ich war aber auch schon eine Zeit lang Referentin des Landesbeauftragten für Menschen mit Behinderungen, als Jürgen Dusel dieses Amt bekleidete. In den ersten Jahren hier im Ministerium arbeitete ich in einem Büro für Bürgerberatung bei der Ministerin Regine Hildebrandt. Ich habe also eine ganze Bandbreite an Tätigkeiten hier im Ministerium kennengelernt.

Oft werde ich gefragt, wie es denn kam, dass ich von der Hochschule mit einer Promotion in Literaturwissenschaft nun plötzlich im Ministerium für Arbeit und Soziales landete. Nun, das war ein typisches Wendezeitphänomen. Ich hatte an der Hochschule einen befristeten Arbeitsvertrag als der Einstellungsstopp kam. Also konnten auch Personen nicht weiterbeschäftigt werden, die man eigentlich gerne behalten hätte. Über eine ABM-Maßnahme begann ich beim Ministerium zu arbeiten – und bin bis heute dort geblieben.

WIR: Was hat Sie denn dazu motiviert, Landesbeauftragte zu werden?

Elke Mandel: Also mir ging es nicht einfach nur um die Gelegenheit, mal eine Landesbeauftragte zu werden. Wir haben ja noch mehr Landesbeauftragte in Brandenburg; alleine in diesem Ministerium arbeiten noch die Integrationsbeauftragte und die Gleichstellungsbeauftragte. Beauftragte für die Belange von Menschen mit Behinderungen wollte ich aber gern werden.

Erstens reizte mich an dieser Aufgabe der Perspektivwechsel, der sich daraus ergibt, überhaupt eine Beauftragte zu sein. Ich wollte erleben, wie es sich anfühlt, wenn man sich aus dieser Position ganz einem Thema, einer Zielgruppe widmen kann und dabei keine Rücksicht auf übliche Verwaltungslogiken nehmen muss. Die Beauftragten sind ja nicht an Hierarchien oder Dienstwege gebunden, ich  muss bei bestimmten Forderungen nicht mehr von vornherein darauf Rücksicht nehmen , ob im Landeshaushalt für die Umsetzung der Forderung bereits Mittel vorgesehen sind oder nicht. Ich bin auch unabhängig von den Interessen von Kommunen oder Wirtschaft. Ich kann mich also sozusagen rücksichtslos den Interessen meiner Zielgruppe widmen, und das finde ich toll.

Zweitens gefällt mir an der Position als Beauftragte speziell für die Belange der Menschen mit Behinderungen der Denkansatz der Inklusion: Ich sagte ja, dass ich mich insgesamt mehr als zehn Jahre mit der Integration von Zuwanderern beschäftigte. Inklusion meint noch einen anderen Ansatz, ein anderes Denken. Ich hätte auch gerne in Bezug auf Migration eine Inklusionsdiskussion. Aber so weit sind wir noch nicht, das ist noch Zukunftsmusik. Das Besondere an dem Ansatz ist, von der Gesellschaft zu verlangen, sich selbst zu verändern, um Menschen nicht mehr zu behindern – das finde ichspannend.

Maria Martius und Elke Mandel sitzen sich an einem runden Tisch gegenüber und unterhalten sich. Auf dem Tisch stehen Kaffeetassen sowie Wassergläser.

WIR: Das Thema Inklusion ist ja bereits in der UN-Behindertenrechtskonvention (BRK) viel breiter angelegt und bezieht sich auf alle möglichen Formen von Vielfalt.

Elke Mandel: Ja, aber das wird einfach noch nicht überall so diskutiert. Wenn ich allerdings das Thema im Diskurs halten will, muss ich mich mit der Inklusion von Menschen mit Behinderungen befassen. Mir ist, als ich in der Integrationspolitik war, schon aufgefallen, dass der Mainstreamansatz dort bislang kaum angekommen ist – und in der derzeitigen Situation wird sich das aus meiner Sicht auch nicht so bald entscheidend verändern. Das war für mich in den 1990er Jahren schon mal anders. In der aktuellen politischen Diskussion scheinen Themen wie Diversity oder Cultural Mainstreaming einfach schwer zu vermitteln zu sein – zumindest nach meiner Wahrnehmung. Wir werden da sicherlich noch hinkommen, aber im Augenblick, glaube ich, wäre es verfrüht, eine komplett inklusive Gesellschaft, die jeden und jede einschließt, in Kürze zu erwarten.

WIR: Können Sie uns denn erklären, was die Aufgaben einer Landesbeauftragten für Menschen mit Behinderungen sind?

Elke Mandel: Die ganz genaue Bezeichnung ist „Beauftragte der Landesregierung für die Belange der Menschen mit Behinderungen“. Das Wortungetüm muss man sich zwar ein Weilchen auf der Zunge zergehen lassen, es zeigt aber schon die Richtung der Aufgaben besser als das kürzere „Landesbehindertenbeauftragte“. Das wird trotzdem von vielen verwendet, auch in meiner E-Mail-Adresse steht die kurze Form. Meine Aufgaben sind in dem Brandenburgischen Behindertengleichstellungsgesetz geregelt, das 2003 erstmals erlassen und 2013 überarbeitet und an die UN-BRK angepasst wurde. Es enthält zunächst Regelungen zur Gleichstellung von Menschen mit Behinderungen für die Träger der öffentlichen Verwaltung wie Land und Gemeinden. Und es ist die Grundlage der Arbeit der Landesbeauftragten, beschreibt die Aufgaben und regelt zum Beispiel, dass man immer für eine Legislaturperiode berufen wird.

Wichtig ist für mich vor allem, dass die Landesbeauftragte eine Beratungsfunktion für die Landesregierung hat. Wir – ich sage wir, denn das gilt auch für die anderen beiden Landesbeauftragten– sind zwar räumlich beim Ministerium für Arbeit und Soziales angegliedert, arbeiten aber nicht für das Ministerium, sondern haben eine ressortübergreifende Aufgabe. Ressorts bedeuten nichts anderes als Ministerien; ich berate also die Ministerien dahingehend, dass sie inklusiv denken, die anderen Beauftragten tun dies hinsichtlich Integration von Zuwandernden oder Gleichstellung von Männern und Frauen. Es geht für mich also darum, die Ministerien dabei zu unterstützen, ihre Vorhaben so zu gestalten, dass sie auch für Menschen mit Behinderungen passen. Das ist wirklich keine Selbstverständlichkeit.

Ein Problem ist, dass die Ministerien eine Bringschuld haben, also daran denken müssen, mich zu beteiligen. Wenn die Ministerien aber im Vorfeld schon nicht daran denken, welche Auswirkungen ihre Vorhaben auf Menschen mit Behinderungen haben können, denken sie in der Regel auch nicht daran, die Landesbehindertenbeauftragte zu beteiligen. Also: Eine wichtige Aufgabe der Landesbeauftragten ist eine Beratungs- und Hinweisfunktion für die Landesregierung.

Die zweite große Aufgabe besteht darin, für Menschen mit Behinderungen eine Anlaufstelle zu sein, wenn sie den Eindruck haben, ihre Rechte werden verletzt oder dass sie ungerecht behandelt werden. Insofern haben wir auch eine Ombudsfunktion.

Der dritte große Bereich ist die Zusammenarbeit mit den Verbänden von Menschen mit Behinderung. Im Fall Brandenburgs sind das vor allem der Landesbehindertenbeirat und die kommunalen Beauftragten für Menschen mit Behinderungen.

Bei vielen dieser Aufgaben habe ich den Vorteil, schon so lange hier im Ministerium zu arbeiten, sodass ich viele beteiligte Personen schon persönlich kenne.

WIR: Können Sie uns denn noch etwas mehr über die Zusammenarbeit mit anderen Verbänden und Organisationen wie beispielsweise den Werkstätten für Menschen mit Behinderungen erzählen?

Elke Mandel: Also, mit Werkstätten selbst arbeite ich nicht direkt zusammen. Um diesen Kontakt kümmert sich eher das Fachreferat Behindertenpolitik des Ministeriums. Die Landesbeauftragte arbeitet vor allem mit den Verbänden zusammen, die im Landesbehindertenbeirat vertreten sind. Der Beirat wiederum ist mit einem Mitglied in der Runde der kommunalen Behindertenbeauftragten vertreten. Die Zusammenarbeit läuft also eher über die zentralen Spitzen der Verbände. Auch Leistungsträger und Leistungserbringer sind nicht in erster Linie die Ansprechpartner der Landesbeauftragten, weil meine wichtigste Aufgabe ja die Beratung der Landesverwaltung ist. Wissen, Kenntnisse und Input zu den wichtigen Themen bekomme ich vor allem über die kommunalen Beauftragten und den Landesbehindertenbeirat.

Natürlich ist mir aber auch der direkte Kontakt mit Betroffenen sehr wichtig. Es gibt so viele unterschiedliche Formen von Beeinträchtigungen, sodass ich immer wieder den Input und die individuellen Gespräche benötige, um ein eigenes Bild zu bekommen. Dafür müssen diese Betroffenen aber nicht organisiert sein. Diese Gespräche ergeben sich einfach. Ich bin beispielsweise Mitglied in der Jury für den Inklusionspreis des Landes. Drei von insgesamt fünf Jurymitgliedern sind von Behinderung betroffen. Meine Juryarbeit ist in diesem Fall für mich dann eben auch die Möglichkeit, mit diesen Menschen in Kontakt zu kommen.

Der Kontakt ist mir also wichtig, um meine eigene Sensibilität zu verbessern. Was die Aufgabe der Landesbeauftragten angeht, erfolgt die Zusammenarbeit aber doch eher strukturiert über den Landesbehindertenbeirat und die kommunalen Beauftragten.

WIR: Wie sieht es denn mit dem Austausch zwischen den einzelnen Landesbeauftragten aus?

Elke Mandel: Es gibt regelmäßige Treffen der Landesbeauftragten mit dem Bundesbeauftragten, die von der Bundesarbeitsgemeinschaft Rehabilitation getragen werden. Auf diesen Treffen werden immer bestimmte Themen schwerpunktmäßig behandelt – ein wichtiges Thema ist derzeit beispielsweise das Bundesteilhabegesetz.

Der Austausch ist sehr bereichernd, weil man daran sieht, wie unterschiedlich die Bundesländer die einzelnen Themen bearbeiten. Mir ist auch aufgefallen, wie unterschiedlich die Beauftragten eingebunden sind und wie sehr sich die Strukturen, innerhalb derer sie arbeiten, unterscheiden. Das betrifft beispielsweise die Ausstattung mit Personal. In Brandenburg hat die Landesbeauftragte für Menschen mit Behinderungen den großen Vorteil, ein Gesetz im Rücken zu haben. In diesem Gesetz steht, welche Aufgaben ich habe und in der UN-BRK steht, was letztlich dabei rauskommen soll.

WIR: Das Behindertengleichstellungsgesetz gibt Ihnen natürlich eine ganz andere Legitimität, mit der Sie auftreten können.

Elke Mandel: Ganz genau. Das muss man dann aber auch benutzen. Ich sage immer, ich habe ein Gesetz und ich werde damit werfen. (lacht)

Das wird bei uns in Brandenburg auf kommunaler Ebene sehr deutlich. In der Kommunalverfassung sind Kommunalbeauftragte für die Belange von Menschen mit Behinderung nicht vorgeschrieben. Deswegen gibt es in Brandenburg teilweise hauptamtliche Beauftragte, aber es gibt auch in einigen Gemeinden Beauftragte, die ehrenamtlich agieren. Dadurch ergeben sich ganz unterschiedliche Handlungsmöglichkeiten.

WIR: Können Sie uns nochmal ganz kurz zusammenfassen, welchen Handlungsspielraum Sie nun im Amt haben?

Elke Mandel: Ich denke, einiges davon habe ich ja schon beschrieben. Ein Problem ist, wie gesagt, dass es keine Vorschriften darüber gibt, in welcher Reihenfolge ich zu beteiligen bin. Das führt dann natürlich dazu, dass mich manche vergessen. Dann habe ich überhaupt keine Handlungsmöglichkeiten, weil ich ja nicht weiß, was in dem jeweiligen Ministerium getan wird.

Das Gute am Behindertengleichstellungsgesetz ist, dass die Landesbeauftragte weisungsunabhängig arbeiten kann. Mir kann beispielsweise kein Minister oder keine Ministerin sagen, worüber ich sprechen soll oder mit welcher Zeitung ich sprechen möchte. Ich muss meine Pressemeldungen nicht abstimmen, muss niemanden fragen, wenn ich einen Staatssekretär in einem anderen Ressort besuchen möchte und ich muss auch keinen Dienstweg einhalten. Das ist im Verhältnis zu jemandem, der sonst Referent in der Verwaltung ist, ein immenser Handlungsspielraum. Ich darf auch mit Abgeordneten reden, wenn die das wollen oder wenn ich das will. Auch das darf man als Verwaltungsmitarbeiter nicht so ohne weiteres.

Wenn man von außen in das Amt einer Beauftragten kommt, mag das einem normal vorkommen. Wenn man aber aus der einer Verwaltungshierarchie kommt, hat man plötzlich einen großen Handlungsspielraum. Ich kann mir, wenn ich ein bestimmtes Ziel erreichen möchte, selbst überlegen, wie ich nun am besten vorgehe: Wen brauche ich jetzt? Wo kann ich jetzt ansetzen? Mit wem kann ich reden? Das kann ich alles frei entscheiden.

Und es besteht eben auch die Möglichkeit, über den Landtag zu gehen – mich zum Beispiel in die Arbeit von einzelnen Arbeitskreisen einzubringen. Die können sich natürlich auch verweigern, da sie mir gegenüber keine Pflichten haben. Und man kann ohnehin nicht alles machen, was man machen möchte – aber dennoch hat man viele Möglichkeiten.

Wichtig ist aber auch zu wissen, wo der Handlungsspielraum einer Landesbeauftragten eingeschränkt ist: Das betrifft vor allem die Beschwerden von Bürgerinnen und Bürgern beispielsweise über Entscheidungen der Leistungsverwaltung. Dafür gibt es vorgeschriebene Verwaltungswege. Da kann der Beauftragte nicht intervenieren und sagen: „Liebe Verwaltung, nach Recht und Gesetz hast du vielleicht richtig entschieden. Aber ich möchte in diesem Fall, dass du dich anders entscheidest.“ Das geht nicht. Ich kann auch nicht in juristische Verfahren eingreifen, kann beispielsweise keine Gerichtsentscheidungen rückabwickeln. Manche Leute wünschen sich das. Deswegen betone ich eben auch, was wir nicht können. Verwaltungsverfahren müssen eingehalten werden. Da gelten eben das Verfahrensgesetz und die Leistungsrechtsvorgaben so, wie sie gerade sind. Ob ich jetzt persönlich glücklich mit den Regelungen zur Sozialhilfe oder zur Eingliederungshilfe bin oder nicht, ist dafür unerheblich.

WIR: Aber dadurch, dass Sie nicht weisungsgebunden sind, können Sie immerhin bestimmte Entscheidungen oder Regelungen problematisieren.

Elke Mandel: Ja, das kann ich – zumindest auf Landesebene – machen. Im Hinblick auf das Brandenburgische Behindertengleichgestellungsgesetz habe ich auch Vorstellungen von Novellierungsbedarfen, die vielleicht der Gesetzgeber, also der Landtag, oder  die Verwaltung nicht teilen.

WIR: Wie können denn Menschen mit Behinderungen mit Ihnen oder den kommunalen Beauftragten Kontakt aufnehmen, wenn sie ein Anliegen haben?

Elke Mandel: Auf den üblichen Wegen. Die meisten Menschen schreiben mir eine E-Mail, einen Brief oder rufen an. In der Regel geht dann meine Kollegin an das Telefon und nimmt die Anfragen erstmal auf und wir schauen uns alles später gemeinsam an. Es sind also ganz normale Wege. Auf unserer Webseite finden Sie die E-Mail-Adresse, die Telefonnummer und die Postanschrift. Zugezogene erfahren dort beispielsweise auch, wo es in ihrer Region einen Behindertenbeirat oder einen Beauftragten gibt und wie man mit ihm Kontakt aufnehmen kann.

Sie können also auf jede Art, die in einer Kommunikation üblich ist, mit uns Kontakt aufnehmen.

WIR: Im Jahr 2019 jährt sich das In-Kraft-Treten der UN-Behindertenrechtskonvention zum zehnten Mal. Wenn Sie auf die vergangenen zehn Jahre blicken, wie sieht Ihr Fazit aus?

Elke Mandel: Ich habe nun noch nicht aus einer aktiven Position heraus über zehn Jahre kontinuierlich die Umsetzung der UN-BRK verfolgt. Doch von dem Punkt aus, wo ich heute stehe und wie ich die UN-BRK verstehe, bemerke ich eine langsam zunehmende Sensibilität für das Thema. In der Landesverwaltung beginnt beispielsweise ein Bewusstsein dafür zu wachsen, dass die Anliegen von Menschen mit Behinderung nicht ausschließlich eine Aufgabe des Referats Behindertenpolitik oder der Landesbehindertenbeauftragten sind.

Wenn ich nun aber beispielsweise die Frage der Barrierefreiheit ansehe, muss man konstatieren, dass hier noch sehr viel zu machen ist – gerade in den ländlichen Regionen. An dieser Stelle bin ich immer noch damit unzufrieden, dass man in der Diskussion so oft „Das kostet zu viel“ als Argument hört. Es ist immer noch nicht gelungen, das Grundgefühl in die Köpfe der Menschen zu bekommen, dass es niemanden erlaubt ist, andere auszuschließen.

Ich denke aber, dieser Paradigmenwechsel, den die UN-BRK für Menschen mit Behinderungen mit sich bringt, wird Zeit brauchen. Das Denken von Menschen lässt sich einfach unglaublich schwer verändern. Deswegen würde ich sagen: Zehn Jahre sind bezogen auf die Lebenszeit von Menschen mit Behinderung lang. Wer glaubte, dass sich mit der UN-BRK die Welt schlagartig ändert, ist jetzt natürlich enttäuscht. Aber wenn man sich vor Augen führt, wie kompliziert das Wechselspiel zwischen Verhaltensänderung, Strukturänderung und der Änderungen von Denkstrukturen ist, dann sind zehn Jahre eigentlich noch keine lange Zeit für so einen massiven Wandel. Wenn aber die UN-BRK zumindest schon mal dazu geführt hat, dass das BTHG eingeführt wurde, ist das ja schon mal ein vernünftiger Ansatz. Und ohne die UN-BRK wäre beispielsweise auch das Behindertengleichstellungsgesetz in Brandenburg nicht in der jetzigen Weise novelliert worden. Insofern hat sich, denke ich, in den letzten zehn Jahren schon einiges bewegt, auch wenn es vielleicht im Leben der Menschen mit Behinderungen immer noch nicht vollständig angekommen ist.

WIR: Ich denke schon, dass sich in den letzten zehn Jahren vieles bewegt hat. Der ÖPNV in Berlin hat beispielsweise die Barrierefreiheit des ÖPNV deutlich verbessert.

Elke Mandel: In Berlin, klar. Aber da steht man in einem Flächenland wie Brandenburg natürlich vor größeren Herausforderungen. Und selbst wenn die Gemeinde eine barrierefreie Haltestelle errichtet und die Verkehrsgesellschaft einen barrierefreien Bus organisiert hat, kann es passieren, dass fünf Meter von der Haltestelle entfernt das Gras beginnt, weil es einfach keine Fußwege mehr gibt. Von daher ist Barrierefreiheit gerade in ländlichen Gebieten Musik von übermorgen, weil man dafür die komplette Umwelt verändern müsste…

WIR: Wir nehmen aktuell eine Spaltung in der Gesellschaft wahr. Einerseits sind Themen wie die Leichte Sprache deutlich präsenter geworden – auch die Bereitschaft, sich damit auseinander zu setzen. Auf der anderen Seite stößt man mit solchen Themen auch auf ganz massive Ablehnung.

Elke Mandel: Ja, gut. Es gibt ja immer diejenigen, die alles ablehnen. Das ist mit der Geschlechtergerechtigkeit doch genauso. Das findet man, glaube ich, überall. Allerdings habe ich gar nicht den Eindruck, dass beispielsweise die Leichte Sprache in unserem Alltag präsenter geworden ist. Manchmal habe ich das Gefühl, wir müssen aufpassen, dass wir nicht selbst in so einer Blase sitzen… Wir sehen zwar hier und da eine Broschüre in Leichter Sprache. Aber wenn ich an meine Nachbarn zu Hause denke, dann ist das für diese vermutlich überhaupt kein Thema. Die würden sich natürlich auch über Verwaltungsbescheide in einer Sprache freuen, die sie auch verstehen. Man denkt dabei aber nicht an Menschen mit Lernschwierigkeiten.

Ich denke schon, dass die Szene, die sich mit solchen Themen beschäftigt, deutlich breiter geworden ist – auch in einzelnen Politikbereichen ist das Bewusstsein breiter geworden: Für Geflüchtete mit Beeinträchtigungen, für Senioren, für das Thema Pflege. Wie weit sind wir da denn überhaupt auseinander? Nicht weit – ganz im Gegenteil. Wir müssen diese Felder zusammendenken und diese Brückenschläge werden auch zunehmen müssen. Aber im Alltag der Menschen sind diese Themen noch nicht so angekommen.

WIR: Sie haben natürlich Recht mit der Warnung davor, sich nicht zu sehr in einer Blase zu bewegen. Aber haben Sie nicht den Eindruck, dass Menschen mit Behinderungen in Alltag viel präsenter sind als früher?

Elke Mandel: Doch, da unterstütze ich Sie vollkommen – das ist mir schon vor dem Job als Landesbeauftragte aufgefallen. Kürzlich habe ich darüber nachgedacht, wann ich das erste Mal Kontakt zu einem Menschen mit einer schweren körperlichen und geistigen Beeinträchtigung hatte. Da war ich neun Jahre alt und im Kinderkrankenhaus. Dort lag ein Mädchen, von dem mir die Schwestern erzählten, dass sie dauerhaft im Krankenhaus lebt! Heute würde sie wahrscheinlich im Rollstuhl sitzen und sich in der Stadt bewegen. Entweder hätte sie Assistenz oder könnte sich durch entsprechende Förderung alleine fortbewegen. Vor 50 Jahren gab es in meinem Umfeld also keine Menschen mit Behinderung. Heute ist das anders und das empfinde ich als sehr positiv. Ich finde es gut, dass gerade jüngere Menschen mit Behinderung einfach mit Selbstverständlichkeit Unterstützung für sich in Anspruch nehmen. Ich pendele ja jeden Tag zwischen Brandenburg und Potsdam. Vom Bahnhof fahren oft auch Rollstuhlfahrer, die ohne Berührungsängste ihre Einstiegshilfe wollen und bekommen– ich finde das toll.

WIR: Das habe ich auch so gemacht. Aber als ich noch auf einen Rollstuhl angewiesen war, ist mir einmal das Vorderrad abgebrochen, weil der Gehsteig nicht abgesenkt war. Wie werden denn solche Aufträge ausgelöst, Haltestellen barrierefrei zu machen?

Elke Mandel: In den drei Monaten, die ich jetzt hier bin, habe ich so ein Anliegen bisher noch nicht gehabt. Das hat aber sicher damit zu tun, dass solche Dinge in der Regel in den Kommunen geklärt werden. Diese Dinge – gerade auch die Arbeit mit den Bauämtern oder das Mitbewerten von Bauanträgen – sind Aufgaben der kommunalen Beauftragten. Aber ich hatte bisher noch keine solche Anfrage. Und wenn mich so eine Nachricht erreichen würde, würden wir das immer auch in die Kommune zurückspielen. Denn solche Fragen können wir auf der Landesebene nicht klären.

WIR: Mich interessiert vor allem auch die Frage, wer sich denn überhaupt um dieses Thema kümmert?

Elke Mandel: Das sind Aufgaben der Kommunen; auch die Behindertenbeiräte engagieren sich hier sehr häufig, indem sie beispielsweise in den Gemeinden die Barrierefreiheit überprüfen. Gerade gestern sprach ich mit einer kommunalen Beauftragten, die jedes Jahr ihren Bürgermeister in den Rollstuhl setzt und durch den Ort fahren lässt. Das finde ich eine gute Idee und auch, dass der Bürgermeister das mitmacht, gefällt mir. Gerade bei dem Thema Barrierefreiheit sind die kommunalen Akteure einfach viel dichter dran.

Dabei hilft es, hervorzuheben, dass Barrierefreiheit eben nicht nur für Menschen mit Beeinträchtigungen wichtig ist, sondern auch anderen Personengruppen hilft. Dieses Verständnis muss langsam mal im öffentlichen Bewusstsein ankommen.

WIR: Das ist ja der Gedanke hinter dem Universal Design – dass beispielsweise eben auch Eltern mit Kinderwagen von einem Aufzug profitieren.

Elke Mandel: Ganz genau. Manchmal mache ich ganz bewusst einen fassungslosen Eindruck, um die Menschen zum Nachdenken zu bringen. Natürlich weiß ich, dass manche Menschen einfach nicht sehen wollen, dass sie selbst auch Grenzen haben. Man möchte sich vielleicht auch nicht damit beschäftigen, dass man selbst irgendwann mal irgendetwas nicht mehr kann. Man beschäftigt sich ja auch nicht gerne mit dem Gedanken, sich selbst ein Bein zu brechen. Darüber denkt man ja lieber gar nicht nach.

WIR: Wenn wir jetzt gemeinsam in die Zukunft sehen: Welche Themen werden Menschen mit Behinderung in den kommenden zehn Jahren besonders beschäftigen?

Elke Mandel: Ich fürchte fast, es werden dieselben Themen sein wie jetzt – viele werden sich aber auch verändert haben. Ich kann mir beispielsweise nicht vorstellen, dass wir in zehn Jahren sämtliche Barrieren abgebaut haben werden. Dennoch werden wir dabei über andere Dinge diskutieren. In Brandenburg ist beispielsweise gerade das Behindertenpolitische Maßnahmenpaket 2.0. aktuell. Ich glaube, die eventuell in zehn Jahren existierende vierte Auflage wird sich sehr deutlich von der zweiten unterscheiden. Denn wir werden dann bestimmt schon an dem Punkt sein, dass wir nicht mehr nur punktuelle Leuchttürme in der Landschaft sehen, sondern die politischen Themen schon deutlich inklusiver sind. Das wäre meine Hoffnung für die nächsten zehn Jahre. Das ist zwar eine Ebene, deren Wirkungen möglicherweise nicht 1:1 spürbar bei jedem Menschen ankommt, aber doch das Verwaltungshandeln und gesetzgeberisches Handeln ändert.

Ich hoffe, dass sich die Sensibilität in den nächsten zehn Jahren weiter erhöht hat. Ich nehme – und das ist nun auch sehr politisch – aber auch an, dass die Frage, welche Themen Menschen mit Behinderungen besonders beschäftigen werden, sehr davon abhängt, wie sich die Politik in der Bundesrepublik und den Bundesländern weiterentwickelt. Dann wird sich zeigen, ob uns noch die gleichen Themen beschäftigen, ob uns vielleicht aber auch wieder alte Themen beschäftigen, weil sich die Perspektiven in der Politik in eine etwas weniger soziale Richtung verschoben haben. Oder es geht weiter in eine positive Richtung. Aber auf jeden Fall werden wir nicht in zehn Jahren sagen: „So, jetzt ist alles paletti.“ Inklusion ist ein Dauerthema und wird es bleiben.

WIR: Ja, natürlich. Inklusion beschreibt einen Prozess.

Elke Mandel: Es wachsen ja auch immer neue Generationen nach, die bestimmte Dinge wieder neu lernen müssen. Aber zehn Jahre sind wirklich wenig Zeit. Beim Thema Integration haben wir zum Beispiel im Jahr 2015 an manchen Stellen wieder dort angefangen, wo wir aus meiner Sicht 1995 schon einmal gewesen sind…

Insofern werden wir in zehn Jahren vielleicht die gleichen Fragen stellen, aber es werden auch neue Menschen diese Fragen stellen. Es wird in den nächsten zehn Jahren sicherlich einen Generationswechsel in den Verbänden geben. Insofern wird sich auch die Verbandsarbeit ändern und darauf bin ich schon sehr gespannt.

WIR: Das wird sicherlich ein grundsätzlicher Wechsel sein, da jüngere Menschen mit Behinderung anders sozialisiert sind und schon in einer Welt mit der BRK aufwachsen.

Elke Mandel: Richtig. Die haben vielleicht schon eine inklusive Schule besucht, bringen also ein anderes Forderungspotential und andere Selbstverständlichkeiten mit. Möglicherweise verändern sich auch die Selbstverständnisse von Menschen mit Behinderung, die sich in den Verbänden organisieren.

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WIR: Es stellt sich ohnehin die Frage, wie sich die Verbandsarbeit verändert. Denn es ist ja offen, ob sich die jüngeren Menschen mit Behinderung überhaupt noch in klassischen Verbänden organisieren. Die Tendenz sieht aktuell nicht so aus.

Elke Mandel: Ja, genau. Deswegen bin ich ja auch darauf gekommen und da bin ich wirklich gespannt. Wie werden Menschen mit Behinderung zukünftig ihre Interessen vertreten? Wie organisieren sie sich? Welche Strukturen sind nötig, um hier auch den Anschluss an die Entwicklungen nicht zu verpassen. „Nicht über uns, ohne uns!“ ist ein wichtiger Anspruch. Aber es muss natürlich auch jemand da sein, der dann dieses „uns“ repräsentiert. Das wird spannend sein.

WIR: Im September findet in Brandenburg die Landtagswahl statt. Welche Rolle spielt denn die Behindertenpolitik im Wahlkampf?

Elke Mandel: Da der Wahlkampf noch nicht so öffentlich begonnen hat, lässt sich das noch gar nicht einschätzen. Der Landesbehindertenbeirat hat Wahlprüfsteine aufgestellt. Ich vermute aber, dass Behindertenpolitik bei den Parteien leider keine größere Rolle spielen wird. Allerdings weise ich immer wieder darauf hin, dass zehn bis zwölf Prozent der brandenburgischen Bevölkerung selbst von Behinderung betroffen sind. Wenn man dann noch die Familie und den Freundeskreis dazu rechnet, muss eigentlich deutlich werden, dass Behindertenpolitik durchaus ein größeres Gewicht haben könnte. Aber da nehme ich auch eher Abgrenzungstendenzen wahr.

WIR: Mit dem Blick auf die politische Großwetterlage ist zu erwarten, dass andere Themen den Wahlkampf dominieren werden.

Elke Mandel: Davon gehe ich auch aus. Gut finde ich, dass es uns gelungen ist, die pauschalen Wahlrechtsausschlüsse abzuschaffen, dass alle Menschen in der Lage sind, ihre Stimme abzugeben. Das wird in Brandenburg also kein Thema mehr sein.

WIR: Und wie es dann mit der Landesbeauftragten weitergeht, wird man danach sehen, oder?

Elke Mandel: Das stimmt. Sobald die neue Regierung gebildet ist, übe ich dieses Amt nur noch kommissarisch aus, bis entschieden wurde, welche Person nun beauftragt werden soll. Aber – um den Bogen zum Anfang des Gesprächs zu spannen – ich bin ein wechselfreudiger Mensch und klammere hier nicht. Mir macht die Arbeit sehr viel Spaß, aber wenn es dann eben wieder mal woanders hingeht, dann habe ich an einer anderen Stelle bestimmt auch wieder viel Interessantes zu tun.

WIR: Frau Dr. Mandel, wir danken Ihnen für das Gespräch!

Elke Mandel: Herzlich gerne, es war mir ein Vergnügen.

Das Interview führten Maria Martius und Sebastian Weinert

Die neue WIR – 1/2019

Das Interview ist Teil der WIR 1/2019, die sich mit dem Themenschwerpunkt „10 Jahre UN-Behindertenrechtskonvention: Inklusion ist keine Seifenblase!“ beschäftigt.

Hier gibt es mehr Infos und der Download der WIR.