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Ein Scan einer alten Karte Groß-Berlins.

Die Gartenstadt Frohnau und Groß-Berlin: 1920 als Problem oder Glücksfall für die Fürst Donnersmarck-Stiftung?

Vor der Schaffung Groß-Berlins erwarb Guido Graf Henckel Fürst von Donnersmarck die Waldfläche des heutigen Frohnau, um diese als Gartenstadt zu entwickeln. Die Gründung Groß-Berlins und der Anschluss der Gartenstadt war rückwirkend betrachtet ein Segen für die Fürst Donnersmarck-Stiftung, meint unser Gast-Autor.

Ein Beitrag von Carsten Benke

Gartenstadt Frohnau: Ein ambitioniertes Vorhaben

Als Guido Graf Henckel Fürst von Donnersmarck im Jahr 1905 Interesse für eine Waldfläche der Stolper Heide und Bieselheide entwickelte, lag dieses Gebiet etwa 10 Kilometer nördlich der Grenzen des „alten“ Berlins, das damals lediglich bis zum heutigen Ortsteil Gesundbrunnen reichte.

Dieses Gebiet im Norden von Berlin, das Donnersmarck für eine Villenbebauung in den Blick nahm, war damals keine Vorzugslage. Die attraktiven Wohnsiedlungen entwickelten sich vielmehr in Richtung Südwesten, wo der Fürst bereits „Zehlendorf West“ am heutigen Mexikoplatz begründet hatte. Eine hochwertige Villensiedlung in diesem Raum zu entwickeln, war also ein ambitioniertes Vorhaben. Als noch unwahrscheinlicher musste es erscheinen, dass die geplante neue Gartenstadt in absehbarer Zeit ein Teil Berlins werden würde.

Als Donnersmarcks Unternehmen – die „Berliner Terrain-Centrale“ – schließlich Ende 1907 mit dem Gutsbesitzer Werner von Veltheim einen Kaufvertrag für das Gelände unterzeichnete, lief die Debatte über weitere Eingemeindungen schon viele Jahrzehnte. Die massive Industrialisierung und die teils ungeordnete Ausdehnung der Mietshaus- und Einfamilienhausbebauung weit über die alte Stadtgrenze hinaus, machte eine bessere Organisation des Berliner Raumes zwingend erforderlich.

Die Diskussion über die Schaffung von Groß-Berlin

Über Art und Umfang von Eingemeindungen stritt man über Jahrzehnte hinweg heftig. Die umgebenden Landkreise, die stolzen alten Städte wie Charlottenburg und Spandau sowie die von wohlhabender Bevölkerung bewohnten Landgemeinden des Südwestens waren strikt gegen jede Eingemeindung. Aus Spandau wird das politische Motto überliefert:

„Mög schützen uns des Kaisers Hand / vor Groß-Berlin und Zweckverband.“

Im Unterschied dazu wünschte die Stadt Berlin zusammen mit vielen ärmeren Arbeitervororten des Nordens und Ostens eine umfangreiche Ausdehnung der Einheitsgemeinde. Aber selbst die meisten Protagonisten eines „großen“ Berlins rechneten vor dem Ersten Weltkrieg nicht mit einer neuen Großstadtgemeinde im Umfang des heutigen Berlins, dessen Fläche einen Durchmesser von teils 40 Kilometern hat. Eingemeindungen in diesem Umfang sind in Europa seitdem eher ein Sonderfall geblieben, selbst Paris ist bis heute eine relativ überschaubare Gemeinde innerhalb eines großen Ballungsraums. Zudem widersetzte sich mit dem Kaiser die oberste Autorität in Preußen wie im Reich jeder massiven Vergrößerung des selbstbewussten Berlins.

Karte der Gartenstadt Frohnau.

Vor den Toren Groß-Berlins

Donnersmarck und seine „Berliner Terrain-Centrale“ mussten also um 1910 damit rechnen, dass Frohnau noch lange vor den Toren eines – sicherlich gewachsenen – Berlins eigenständig bleiben würde. Auf der Selbstständigkeit der neuen Gartenstadt basierte zudem das Geschäftsmodell der Terrainerschließung. Denn hier konnte man den potenziellen Neusiedlern, die man in den weniger attraktiven Norden locken wollte, geringere Gemeindesteuern anbieten.

Bemerkenswert ist, dass sich an Vorbereitung und Durchführung des städtebaulichen Wettbewerbs, den die Terrain-Centrale 1907/8 für das neue Villengelände veranstaltete, viele Planer und Verwaltungsfachleute beteiligten, die fast zeitgleich auch in den bekannten „Groß-Berlin Wettbewerb“ von 1910 involviert waren, der sich intensiv den unterschiedlichen Ansätzen zur Organisation des Großstadtraums widmete: Otto March, Theodor Goecke und August Bredtschneider waren Preisrichter in beiden Jurys. Die beiden Städtebauprofessoren Joseph Brix und Felix Genzmer sowie der Architekt Herrmann Jansen wurden in beiden Wettbewerben jeweils mit ersten Plätzen bzw. einem Ankauf bedacht. Die Planer Frohnaus waren also auf der Höhe der Zeit. Man sah Frohnau als Teil des wachsenden und sich modernisierenden Groß-Berliner Raums – nicht aber unbedingt als zukünftigen administrativen Baustein der Stadtgemeinde.

Grundlage der Fürst Donnersmarck-Stiftung

Vom weiteren Verkaufsgeschäft der „Berliner Terrain-Centrale“ für Baugrundstücke in der Gartenstadt wurde 1916 durch den Fürsten von Donnersmarck der noch bewaldete Norden Frohnaus abgetrennt und unter dem Eindruck des Ersten Weltkrieges dem Kaiser zur Schaffung einer Forschungs- und Krankenhausanlage übereignet. Nach dem Untergang der Monarchie wurde diese Schenkung von wieder rückgängig gemacht. Dieser Grundbesitz bildete die Grundlage der Fürst-Donnersmarck-Stiftung, wie wir sie heute kennen.

In Hinblick auf die Eingemeindungsfrage ging es nach dem Ende des Ersten Weltkriegs plötzlich sehr schnell. In der preußischen Landesversammlung fand sich im April 1920 eine sehr knappe Mehrheit linker und liberaler Parteien für die Schaffung von Groß-Berlin. Zwar wurde statt einer Einheitsgemeinde ein komplexes System von Hauptverwaltung und teilautonomen Bezirken geschaffen. Die neue Stadtgrenze wurde aber sehr weit gefasst und umschloss im Norden auch den Gutsbezirk Frohnau. Das 100-jährige Jubiläum des Inkrafttretens des Groß-Berlin-Gesetzes am 1. Oktober konnte in diesem Jahr mit einem umfänglichen – soweit es die Corona-Pandemie erlaubte – Rahmenprogramm begangen werden.

Ein historisches Gruppenfoto aus dem Versehrten-Lazarett.
Ein Gruppenfoto aus dem Lazarett für Kriegsverletzte – mittendrin Guido Henckel von Donnersmarck und seine Frau Katharina.

Frohnau und die Stiftung als Teil von Groß-Berlin

In den ersten Jahren nach 1920 fremdelte Frohnau mit dem Verlust der Eigenständigkeit und der Eingemeindung nach Groß-Berlin. Aber bald wurde deutlich, dass sich der neue Bezirk Reinickendorf durchaus für die Entwicklung der Gartenstadt engagierte. Nach 1945 sicherte die Eingemeindung von 1920 schließlich die Zugehörigkeit zum „freien“ Berlin (West).

In Hinblick auf die Fürst Donnersmarck-Stiftung drängt sich eine Überlegung auf: Hat nicht die Gründung von Groß-Berlin und die Einbeziehung Frohnaus entscheidend dazu beigetragen, dass die Stiftung überhaupt noch existiert? Wäre Frohnau als brandenburgische Gemeinde 1945 an die Sowjetische Besatzungszone bzw. 1949 an die DDR gefallen, hätte wohl eine Verstaatlichung des umfangreichen Waldbesitzes der Stiftung im Norden der Gartenstadt stattgefunden.

Die großen Waldbestände in Frohnau – die Erträge der Forst- sowie teils Landwirtschaft und schließlich ab Mitte der Fünfziger Jahre auch Grundstücksverkäufe – waren eine entscheidende wirtschaftliche Grundlage zum Wiederaufbau der nach 1945 schwer angeschlagenen Stiftung. Kaum vorstellbar, dass die Stiftung ohne diese Basis in Frohnau die Nachkriegszeit überstanden hätte.

Ironie der Geschichte: So kann man heute nicht nur dem fürstlichen Gründer, der so enge Beziehungen zum eingemeindungskritischen Kaiser hatte, dankbar sein, sondern mindestens im gleichen Maße der republikanischen Mehrheit in der preußischen Landesversammlung von 1920! Ohne Groß-Berlin gäbe es die Stiftung heute wohl nicht mehr mit ihren Standorten in Berlin und Brandenburg und auch das P.A.N. Zentrum am Rande des Waldes von Frohnau wäre niemals entstanden.

Titelbild: ©Stiftung Stadtmeuseum BerlinZu sehen bis zum 30. Mai 2021 in der Ausstellung Chaos & Aufbruch im Märkischen Museum.