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Prof. Dr. Martin Lotze bei einem Vortrag

Forschung leicht erklärt: Von der funktionellen Bildgebung in die Praxis

Dr. Martin Lotze ist Professor für Funktionelle Bildgebung des Gehirns an der Universität Greifswald. In seiner im Jahr 2006 ausgezeichneten Arbeit verglich er Veränderungen der Gehirntätigkeit bei motorischem Lernen und nach Ausfällen von die Bewegung steuernden Arealen des Gehirns. Wir haben für unsere Reihe „Forschung leicht erklärt“ mit ihm über seine ausgezeichnete Arbeit gesprochen. Im Interview berichtet er über seine Arbeit und beschreibt die Herausforderung, die Ergebnisse der funktionellen Bildgebung in die Praxis zu übertragen.

Die ausgezeichneten Arbeiten von Prof. Dr. Martin Lotze

Was war der Inhalt Ihrer 2006 ausgezeichneten Arbeiten?

Prof. Dr. Martin Lotze: Wir nutzten in den Arbeiten , die wir damals an der Uniklinik Tübingen durchführten, verschiedene Formen der Magnetresonanztomographie (MRT), d.h. bildgebender Verfahren, durch die Schnittbilder des Gehirns erzeugt werden sowie die sogenannte Repetetive Transkranielle Magnetstimulation (rTMS) Dabei wird das Hirngewebe durch schnell geschaltete Magnetimpulse erregt. Hierdurch kann seine Aktivität beeinflusst werden.

Eine der Arbeiten zeigte, wie wesentlich der funktionelle Zugriff auf den kontralateralen, also auf den der hirngeschädigten Seite gegenüberliegenden Bereich der Großhirnrinde (M1), für die Funktionserhaltung der Bewegung der oberen Extremität nach Schädel-Hirn-Trauma ist.

Die Patientinnen und Patienten wurden zum großen Teil in den Kliniken Schmieder Allensbach ausgesucht und untersucht. Diese Art der Zusammenarbeit von Universitäten und Einrichtungen der Neurorehabilitation in ganz unterschiedlichen Fachrichtungen sind oft unentbehrlich für erfolgreiche Studien im Schnittbereich Neurorehabilitation und Neurobiologie.

Die andere ausgezeichnete Arbeit beschäftigt sich mit der Rolle der nicht-geschädigten Hemisphäre für die Ausführung von Fingersequenzbewegungen bei Menschen nach Schlaganfall im chronischen Stadium. Hierbei nutzten wir die rTMS um Regionen des Grosshirns bei der Durchführung der Aufgabe kurzzeitig zu stören. Wir fanden heraus dass bei rTMS-Störung der nicht geschädigten Hemisphäre die Schlaganfallpatienten eine Beeinträchtigung der Bewegung der betroffenen Seite zeigten. Die rTMS über der jeweils passenden Seite bei den Gesunden zeigte keine Beeinträchtigung bei der Bewegungsdurchführung. Wir schlossen daraus, dass bei den Patienten nach Schlaganfall Regionen der nicht-geschädigten Gehirnseite Funktionen zur Steuerung der beeinträchtigten Hand übernommen haben.

Die Bedeutung der Ergebnisse

Welche Bedeutung haben die Ergebnisse für Menschen mit Behinderung?

Prof. Dr. Martin Lotze:Schon damals war klar, dass Funktionserhalt und Neuerwerbung der beeinträchtigten Funktion nach einer Hirnschädigung hinsichtlich der neurobiologischen Zusammenhänge hochkomplex ist. Man hatte verschiedene neue diagnostische Werkzeuge an der Hand, die die große Erwartung geschürt hatten, die zugrundeliegenden Prozesse in zunächst noch einfachen Modellen zu verstehen. Zum Beispiel hatte die für eine Restitution ungünstige Übernahme der nicht-betroffenen Hemisphäre gut zu den sehr effektiven „constraint induced movement Therapien“ (CIMT) von Edward Taub gepasst. Bei der CIMT-Methode wird die nicht-betroffene obere Extremität mittels Schiene ruhig gestellt, sodass die Person gezwungen ist, die beeinträchtigte Seite einzusetzen. Dadurch wird diese besser trainiert.

Eine Überaktivität der nicht betroffenen Gehirnhälfte galt es also zu vermeiden. Jetzt weiß man, dass dies nicht für alle Patienten sinnvoll ist und die Vermeidung einer sogenannte maladaptive Übernahme der nicht betroffenen Gehirnhälfte auch abhängig von der Zeit nach dem Schlaganfall gesehen werden muss. Unsere Arbeit an chronisch Kranken zeigte schon sehr früh, dass es so einfach nicht sein kann, da sich die Netzwerke zur Steuerung der Handfunktion nach isolierter Schädigung einer Hemisphäre unterschiedlich umorganisieren. Dies kann dann im späten Stadium bei sehr komplexen Fingerbewegungen ganz anders verlaufen als im frühen Stadium, in dem eine Überaktivität der nicht-geschädigten Seite vermieden werden sollte. Auch die Arbeiten zu veränderten Netzwerken zur Steuerung der Arm-/Handmotorik im chronischen Stadium nach Schlaganfall von Gereon Fink, die 2009 mit dem Forschungspreis ausgezeichnet wurden, passen hier sehr gut in das neue Verständnis komplexerer zugrundeliegender Mechanismen der Restitution von Handfunktion.

Erst später hat man sich mehr damit beschäftigt, für die Patientinnen und Patienten und die Einteilung der Therapieressourcen hochrelevante Fragen der Prognose und der selektiven Therapieplanung anzugreifen, die bis heute – leider noch wenig systematisch von Forschungsförderungen gesteuert – uns alle weiter beschäftigen.

Diagnosetools für eine effizientere Therapieplanung

Eigentlich haben Klinikerinnen und Kliniker jetzt eine Reihe von effizienten Diagnosetools zur Verfügung, die eine effizientere Therapieplanung ermöglichen. Leider werden sie jedoch in Deutschland kaum genutzt. Hier fehlt eine größere Forschungsstruktur, die national die Forschung zu der wichtigen Thematik bündelt und erfahrene Forscherinnen und Forscher in dem Themenbereich integriert. Derzeit ist es immer noch so, dass alle maßgeblichen Projekte zum Verständnis und der Integration der neurobiologischen Grundlagen von Restitution über die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) gefördert werden. Das bedeutet für die Forschenden drei bis fünf Jahre Antragszeit bis das Projekt zumeist nicht länger als 3 Jahre gefördert wird.

Zudem besteht immer noch das Problem, dass eine Zusammenarbeit der Neurorehabilitation und der Universitären Neurologie und Neuroradiologie selten möglich ist weil erstens die Kliniken zu weit entfernt voneinander liegen (Beispiel Tübingen-Allensbach), zweitens private Träger der Rehabilitationseinrichtung kaum öffentliche Forschungsgelder einwerben können und drittens die Akut-Kliniken Patientinnen und Patienten in der Regel nur wenige Tage bei sich haben und weder neurorehabilitative Therapien noch das Outcome, also das Ergebnis der Behandlung, hinreichend verfolgen und mitbestimmen können.

Wir hatten in Greifswald (dies war ein Grund für mich in den äußersten Nord-Osten der Republik zu gehen) für zehn Jahre die einmalige Gelegenheit, mit Prof. Thomas Platz, dem jetzigen Präsidenten der Deutschen Gesellschaft für NeuroRehabilitation (DGNR), solche longitudinalen Studien durchführen zu können. Leider ist die Fortsetzung dieser wichtigen Arbeit derzeit nicht mehr möglich. Hier gibt nach meiner Meinung zu wenig weitsichtige Planung in Deutschland, um solche Forschungen zu unterstützen. Sie ist sehr arbeitsaufwendig, braucht lange Untersuchungszeiten sowie viele hochmotivierte Mitarbeitende und lässt sich aktuell schwer in Top-Journals publizieren – und das ist immer noch das Maß für die Qualität der Wissenschaft. Das ist für alle Seiten nicht attraktiv und wird deshalb im Vergleich zu BIG-Data Studien, genetischen Studien oder Molekularforschung immer schlechter abschneiden. Daher wird in diese gesellschaftlich hochrelevanten Themen nicht ausreichend investiert.

Nachfolgende Forschungen und Projekte von Prof. Dr. Martin Lotze

Wie ist es seit der Auszeichnung mit der Arbeit weitergegangen?

Prof. Dr. Martin Lotze: Durch die Arbeit an dem neuen Standort, der hervorragenden Ausstattung mit einem neuen MRT, das bereits vorher durch den der Radiologie, Prof. Hosten, eingeworben wurde und einer Anschubfinanzierung durch einen Forschungsverbund Neurowissenschaften, war es möglich in den letzten fünfzehn Jahren relevante Forschungsprojekte an der Uni in Greifswald durchzuführen.

Ein Projekt der Deutschen Forschungsgemeinschaft verfolgte in dem therapeutisch wichtigen akuten- subakuten Bereich nach Schlaganfall longitudinal die Restitution anhand von Biomarkern aus Testung, MRT und der transkraniellen Magnetstimulation (TMS). Wesentlich war hier, dass Prof. T. Platz zusammen mit Frau C. Eickhof bereits in Berlin das „impairment oriented Training“ (IOT) entwickelt hatte, das sehr effektiv bei leichten und schweren Armlähmungen ist. Wir konnten es in dem Projekt als zusätzliche Therapie zur stationären Rehabilitation über drei Wochen anwenden und beforschen.

Dies machten wir sowohl bei Patientinnen und Patienten als auch bei Gesunden, um die Modulation des Trainings – etwa durch zusätzliche taktile Stimulation oder theta-burst Stimulation (eine weitere Form der magnetischen Stimulation der Großhirnrinde) – besser zu verstehen.

Zudem folgte eine Förderung des Bundesministeriums für Bildung und Forschung zur Zusammenarbeit mit Winston Byblow aus Auckland, mit dem eine Studie zur Rolle von Konnektivitätsbiomarkern, also die Erforschung biologischer Prozesse hinsichtlich der Verbindung von Nervenzellen, bei akuten Schlaganfallpatientinnen und -patienten durchgeführt wurde. Parallel erfolgten Forschungen zum Verständnis maladaptiver Veränderungen an Patientinnen und Patienten mit chronischen Schmerzen.

Nach langer Antragszeit wurde von der DFG ein Projekt zum Verständnis der Schlucksteuerung und der Restitution von wieder erlangter Schlucksteuerung nach Schlaganfall gefördert. Gerade in diesem Bereich gibt es einen großen Bedarf an neurobiologischer Forschung. Es hat mich deshalb besonders gefreut, dass Arbeiten zu diesem Thema von Sonja Suntrup-Krüger im Jahr 2018 mit dem Preis ausgezeichnet wurden.

Ein weiterer Vorteil des Standorts Greifswald liegt in der sehr forschungsstarken Psychologie im Hinblick auf das Verständnis der Steuerung von Emotionen. Denn nach Hirnschädigungen ist dies oftmals ein entscheidender Faktor, um zu erklären, warum die Patientinnen und Patienten auch nach einer umfassenden Rehabilitation nur eine schlechte soziale Eingliederung und eine niedrige Lebensqualität erreichen. Dieser Aspekt wird jedoch nicht so häufig beforscht wird wie Motorik, Kognition und Sprache. Wir haben in einer dreijährigen Förderung durch die DFG hier vor allem Personen mit Schädigung der Inselregion, eines Teiles der Großhirnrinde untersucht. Dieses Projekt ist hinsichtlich der Förderung abgeschlossen, aber die Daten sind zum großen Teil noch nicht publiziert. In dem Bereich der Beeinflussung und des Verstehens von Emotion (Motivation, Depression) zur ausreichenden Dosierung von Training und der Verbesserung des Outcomes möchte ich gerne weiterarbeiten.

Seit 2015 bin ich als Nachfolger von Professor W. Fries einer der drei Herausgeber der Zeitschrift „neuroreha“. Es macht mir große Freude, den Transfer des Wissens aus Forschung in die Praxis mit gestalten zu dürfen. Zudem darf ich an der Gestaltung der alle zwei Jahre von Prof. T. Platz organisierten „Summer-School Neurorehabilitation“ in Greifswald als Referent mitwirken. Eine sehr wichtige regelmäßige Veranstaltung die den gesamten Bereich der Neurorehabilitation abdeckt.

Abschließend hatte ich das Glück weiter an der Thematik wissenschaftlich arbeiten zu dürfen und bin sehr dankbar, dass ich 2006 mit dem Forschungspreis ausgezeichnet wurde.

Vielen Dank für das Gespräch!