Ein Besuch beim RambaZamba-Theater
Zu den schönen Künsten, mit denen wir uns beschäftigen, zählt auch das Schauspiel – insbesondere im Theater. Allerdings werden Menschen mit Behinderung hier oft ausgeblendet und sind selten sichtbar. Es geht aber auch ganz anders. WIR-Redakteurin Kirsten Heil hat das inklusive RambaZamba-Theater in Prenzlauer Berg besucht. Dort hat sie das Stück Lulu gesehen und mit den Schauspielerinnen und Schauspielern gesprochen.
aus: WIR-Magazin 2022/2 „Kreative Köpfe – Inklusive Begegnungen mit Kunst“
Zum Stück Lulu: Alter Stoff mit aktuelle Themen
Das Bühnendrama Lulu von Frank Wedekind ist eine Zusammenfassung der Tragödien Erdgeist (1895) und Die Büchse der Pandora (1902). Es war in der wilhelminischen Gesellschaft der Jahrhundertwende ein echter Skandalstoff. Im Zentrum stehen Macht, Sex, Scham, Angst, Tabus. Aber auch Freiheit und Selbstbestimmung jenseits moralischer Zwänge spielen in dem Theaterstück eine entscheidende Rolle.
Das Stück handelt von Lulu, einem Straßenmädchen, das von Ihrem Mentor und Geliebten Dr. Schön nacheinander an zwei unterschiedliche Männer verheiratet wird. Beide Männer versuchen sie nach Ihrem Bild zu formen, verzweifeln letztlich an ihren Affären und sterben oder nehmen sich das Leben. Schließlich heiratet Lulu Dr. Schön, den sie dann aber in Notwehr erschießt, nachdem er sie mit ihren vielen Affären konfrontiert. Mit dessen Sohn Alwa lebt sie anschließend in Paris, später in London, wo sie am Ende als Prostituierte arbeitet und Jack the Ripper zum Opfer fällt.
Mein ganz persönlicher Eindruck vom Stück
Über die Möglichkeit, für das WIR-Magazin das RambaZamba Theater zu besuchen und darüber schreiben zu können, habe ich mich gefreut. Besonders gespannt war ich, da ich bisher noch nie ein Theaterstück gesehen habe, in dem professionelle Schauspielerinnen und Schauspieler mit und ohne Behinderungen gemeinsam spielen.
Zu Beginn des Stückes war die Bühne noch mit einer großen Folie verhangen. Die Schauspielerinnen und Schauspieler waren dadurch kaum zu erkennen. Mein erster Gedanke war, dass die Folie auch irgendwann während der Vorstellung abgehängt wird, was dann nach kurzer Zeit auch geschah. Über der Bühne war ein Bildschirm, auf dem der Text mitzulesen war. Das kannte ich so vorher auch nicht, finde es aber toll, dass so auch Menschen mit Hörbeeinträchtigungen ermöglicht wird, dem Stück richtig zu folgen.
Anfangs wirkte die Darstellung des Stückes etwas befremdlich auf mich. Besonders das Bühnenbild, da auf der Bühne lediglich überall braune Erde verteilt war, die sich in der Mitte zu einem kleinen Hügel anhäufte. Die Schauspielerinnen und Schauspieler haben diese Erde aber immer wieder aktiv in ihr Spiel einbezogen, indem sie beispielsweise durch die Erde krochen. Die Wände waren mit graffitti-artigen Leinentüchern verhangen, die mit buntem Licht angestrahlt wurden. Der üppige Szenenaufbau wurde lediglich im Singsang des Chors, fester Bestandteil der Inszenierung und stets auf der Bühne, vorgetragen. Das alles fand ich sehr interessant. Das Stück war für mich besonders, es hatte etwas, das ich nicht kannte. Ich wusste nicht, was mich erwartet und ich wurde überrascht.
Besonders gut gefallen hat mir Schauspielerin Zora Schemm, die die namensgebende Rolle der Lulu verkörpert hat. Sie ist mir als erstes aufgefallen. Man sah sie schon auf der Mitte der Bühne hinter der Folie, als die Gäste noch nach ihren Plätzen suchten. Ich war erstaunt, wie lange sie so still dort stehen konnte. Mich hat ihr schauspielerisches Talent und ihre Bühnenpräsenz durchweg begeistert. Es ist ihr gelungen, die Figur der Lulu glaubhaft und eindrucksvoll wiederzugeben, auch wenn sich vor über 100 Jahren wohl niemand eine Lulu mit Trisomie 21 hätte vorstellen können.
Umso mehr habe ich mich darüber gefreut, dass ich im Anschluss noch ausführlich mit Zora Schemm, sowie mit ihren Kollegen Aaron Smith (in der Rolle des Alwa) und Jost op den Winkel (Chor) sprechen konnte.
„Es kommt einfach aus dem Herzen heraus.“
Nach dem Stück sind wir gemeinsam mit Nora Linnemann vom RambaZamba Theater in die Proberäume gegangen, wo wir nicht lange auf Zora und ihre beiden Kollegen warten mussten und die Chance für ein ausführliches Gespräch bekamen.
„War es schwer, dieses Stück zu spielen?“, ist meine Eingangsfrage an Zora. Sie antwortet: „Mir macht es einfach Spaß. Es kommt einfach aus dem Herzen heraus. Besonders weil Lulu ja die Hauptrolle ist, sozusagen die Chefin des Stückes.“ Zora erklärt, dass sie seit 2009 schon in vielen Theaterstücken, wie Die Räuber, Antigone oder der neuesten Inszenierung Die Ratten mitgewirkt hat. All diese Stücke nennt sie ihre Lieblingsstücke. Mir wird erneut klar, dass ich es mit einem Profi zu tun habe.
Beeindruck hat mich auch die Textsicherheit, die – so meine ursprünglichen Gedanken – für Menschen mit Lernschwierigkeiten sicher noch schwieriger zu lernen sein muss. Da wirke auch das Haus und die enge Zusammenarbeit im Ensemble mit, erklärt Aaron: „Die enge Zusammenarbeit im Ensemble und das viele Wiederholen und Proben helfen dabei. Es gibt da viele Beispiele in unserem Ensemble. Viele entwickeln sich auch im LAufe ihrer Zeit hier, werden wortgewandter und immer sicherer. Menschen mit Behinderungen haben eine andere Sprache. Wenn man sich auf diese Sprache einlässt, dann kann man unglaublich viel von diesen Stücken nehmen.“
Den Wunsch, dass es irgendwann eigentlich ganz normal sein sollte, dass Menschen mit und ohne Behinderung gemeinsam auf allen Bühnen Theater spielen, teilen alle, sind aber auch skeptisch. Aaron dazu: „Inklusion geht oft nur so weit, wie es gemütlich ist.“ Daher sei es noch ein langer Weg dahin. Bis dahin seien aber Projekte wie das RambaZamba Teater oder das Theater Thikwa wichtige Leuchttürme. Schließlich handele es sich beim RambaZamba Theater um einen professionellen Schauspielbetrieb und kein soziales Projekt oder Hobby. Aber trotz aller Professionalität sei es auch einfach eine „große Familie“, so Zora und Aaron einstimmig.
Dem RambaZamba gehe es auch darum, dass man nicht ständig das Thema Behinderung thematisiere. Stattdessen geht es darum, einfach tolle Theaterstücke zeige – sowohl Klassiker als auch moderne Stoffe. Und es gehe darum zu zeigen, dass Menschen mit und ohne Behinderungen diese Stücke zusammen spielen können und daraus etwas tolles, kreatives und beeindruckendes machen.
Auch Themen wie Sexualität werden dann, wie auch im Stück Lulu, ganz unabhängig von der Behinderung behandelt, auch wenn Sexualität von Menschen mit Behinderung gesellschaftlich ein Tabuthema ist. Die Idee, eine Inszenierung von Lulu zu erarbeiten, sei daher auch konkret aus dem Ensemble gekommen.
„Theater ist auch immer eine große Chance für solche Themen“, ergänzt Jost, der zurzeit als Gastschauspieler beim RambaZamba ist und zum ersten Mal mit einem inklusiven Ensemble arbeitet, „denn Theater ist auch immer ein Ort der Begegnung. Ein Ort, Austausch zu schaffen zwischen den Menschen auf der Bühne und dem Publikum.“ Besondere Erwartungen habe er nicht gehabt, als er hinzugestoßen ist, überrascht habe ihn aber das große Selbstbewusstsein des Ensembles, die starke Verbundenheit mit dem RambaZamba und gleichzeitig, wie herzlich er aufgenommen wurde. „Die Menschen hier im RambaZamba Theater kommen ganz offen auf einen zu und leben diesen Inklusionsgedanken einfach vor.“
Mein Fazit
Der Abend im RambaZamba Theater hat meinen Horizont erweitert und mich in vielerlei Hinsicht überrascht. Ich kann nur jedem empfehlen, selbst einmal herzu kommen und dieses besondere Theater mit seinem grandiosen Ensemble zu erleben.
Termine zu den aktuellen Inszenierungen im RambaZamba Theater.