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Bunte, verschwommene und schemenhafte Menschen beim Tanz vor schwarzem Hintergrund.

Zu alt zum Tanzen? Diskriminierung in der Tanzschule

Wir sprechen regelmäßig mit Agnieszka Witkowska von der Antidiskriminierungsberatung Alter oder Behinderung des Landesverbandes Selbsthilfe Berlin e.V. über Diskriminierungsfälle. Heute geht es um eine Frau, die aufgrund ihres Alters Diskriminierung in einer Tanzschule erfahren hat.

Diskriminierung in der Tanzschule: Singletanzkurs mit Altersgrenze?

Liebe Frau Witkowska, Sie haben uns heute einen Fall von einer älteren Dame mitgebracht. Diese wollte gerne an einem Tanzkurs teilnehmen, ist von der Tanzschule aber abgelehnt wordeen. Schildern Sie doch ganz kurz den Fall.

Die Dame, um die es geht, wandte sich an uns, weil sie von der Situation sehr betroffen war. Sie wollte sich in einer Tanzschule für einen Single-Tanzkurs anmelden. Das Tanzen war für sie schon immer eine Leidenschaft und sie schätzt sich auch als sehr gute Tänzerin ein. Die Tanzschule lehnte sie jedoch ab mit der Begründung, dass es sich schließlich um einen „Single-Tanzkurs“ handele. Man sagte ihr: „Sie glauben doch nicht, dass ein 27-jähriger mit Ihnen tanzen möchte“.

Das sind deutliche und verletzende Worte – wie hat die Frau denn persönlich darauf reagiert?

Sie sagte uns von Anfang an, dass sie es prinzipiell auch lockerer nehmen würde, sich aber die Geschäftsführung der Tanzschule völlig einsichtslos zeigte und auch später überhaupt nicht verstehen konnte, dass sie sich diskriminierend verhalten habe.

Die Dame war Mitte 70, aber durchaus sehr sportlich und konnte bereits gut tanzen. Empört war sie auch, weil es bei Tanzkursen vor allem auf die Technik und Kenntnisse des Tanzpartners ankomme und nicht auf die Frage, wie alt jemand sei. Eine Tanzschule sollte das ihrer Meinung nach wissen und hätte ihr als erfahrener Tänzerin anders gegenübertreten sollen. Dass man überhaupt jemandem die Teilnahme aufgrund des Alters verweigere und die Art, wie man mit ihr umgegangen ist, hat sie dann letztlich veranlasst, bei uns in die Beratung zu kommen und über diese Diskriminierungserfahrung in der Tanzschule zu berichten.

„Sie glauben doch nicht, dass ein 27-jähriger mit Ihnen tanzen möchte“.

Hat die Frau zunächst selbst versucht, noch einmal mit der Schule zu sprechen?

Ja, zunächst hatte die Dame versucht, alleine zu argumentieren und deutlich zu machen, dass sie sich ungerecht behandelt fühlt. Als sie dann aber gemerkt hat, dass sie nicht weiterkommt und es sich tatsächlich um eine Diskriminierung aufgrund ihres Alters handelt, ist sie zu uns gekommen.

Wir haben ihr dann dazu geraten, eine Klage nach AGG (Allgemeines Gleichbehandlungsgesetz, Anm. d. Red.) anzustreben, weil es tatsächlich ein guter Beispielfall wäre. Ein gutes Beispiel, dass das AGG nicht nur im Arbeitsverhältnis schützt, sondern eben auch im Zivil- und Privatrecht. Das wollte sie aber nicht, weil es ihr in erster Linie darum ging, dass es thematisiert wird und gegebenenfalls jemand anderem nicht noch einmal passiert. Was in so einem Fall, in dem sich die Geschäftsführung uneinsichtig zeigt und Mitarbeitende nicht ausreichend sensibilisiert sind, leider oft als schwierig erweist. Die Dame selbst wollte sich dann einfach an eine andere Tanzschule wenden.

Es fehlen Beispiele und Präzedenzfällen

Für die Tanzschule und die Betreiber hatte es also zunächst keine Konsequenzen. Gab es noch Gespräche und Versuche, sie zu sensibilisieren?

Ja, Gespräche haben dann noch stattgefunden und es gab letztendlich noch eine förmliche Entschuldigung seitens der Tanzschule. Das war für die Betroffene dann letztendlich unbefriedigend. Trotzdem wollte sie keine rechtlichen Schritte in Erwägung ziehen. Es wäre durchaus möglich gewesen, dass die Schule ihr doch einen Platz angeboten hätte, aber das hätte sie vermutlich ohnehin nicht gewollt.

Ob es letzten Endes zu einer Sensibilisierung oder zu Mitarbeitenden-Gesprächen bezüglich Diskriminierung in der Tanzschule geführt hat, ist reine Spekulation. Darüber habe ich keine Informationen. Sicher ist allerdings, dass es dort eine ganze Weile Thema war – allein durch den regen Briefverkehr, den wir gemeinsam mit der Betroffenen und der Tanzschule geführt haben. Manchmal reicht es ja bereits, wenn Bewegung reinkommt, sich Menschen mit dem Thema und der rechtlichen Lage richtig auseinandersetzen und gegebenenfalls ein paar Augen öffnen.

Sie sagten, dass diese Diskriminierung durch die Tanzschule ein guter Beispielfall gewesen wäre. Gibt es denn ähnliche Präzedenzfälle?

Soweit ich weiß, gibt es das nicht – oder mir ist zumindest keiner bekannt. Das ist ein Problem, das ich auch immer wieder thematisiere, wenn ich die Beratungsstelle vorstelle und vertrete: Das Diskriminierungsmerkmal Alter ist in der Rechtsprechung wenig präsent – noch weniger als Behinderung oder andere. Daher ist es oft auch schwierig, Aufmerksamkeit dafür zu schaffen und Altersdiskriminierungen in gewissen Bereichen sichtbarer zu machen.

„Diskriminierungserfahrungen sind etwas sehr Emotionales.“

Also wäre es generell wichtig, solche Fälle noch sichtbarer zu machen und auch vor Gericht Präzedenzfälle zu schaffen?

Auf jeden Fall. Das Problem beim AGG ist, dass es Fristen gibt. Man hat ab dem Tag der Kenntnisnahme über die Diskriminierung zwei Monate Zeit, um Ansprüche geltend zu machen.

Das ist ein echtes Problem, da eine Diskriminierungserfahrung ja zunächst etwas sehr Emotionales ist und viele Menschen erst einmal Zeit brauchen, um das Erlebte einzuordnen und nächste Schritte zu überlegen, bevor sie entscheiden, handeln und sich an eine Beratungsstelle wenden. Erst letztens hatten wir den Fall, dass die Frist schon abgelaufen war, ehe sich eine Ratsuchende überhaupt an uns gewandt hat. In Bezug auf das AGG kann man dann oft nichts mehr machen.

Um vielleicht mit einer positiven Note zu enden: Tanzt die Dame denn mittlerweile wieder und hat einen Kurs gefunden?

Ja, auf jeden Fall. Sie tanzt weiterhin und ist jetzt auch wo anders untergekommen!

Liebe Frau Witkowska, wir danken wie immer für das nette Gespräch.

Agnieszka Witkowska

Kontakt

Wenn ihr selbst Diskriminierungserfahrungen gemacht habt und Hilfe sucht, könnt ihr euch selbstverständlich an die Antidiskriminierungsberatung wenden:

Landesvereinigung Selbsthilfe Berlin e.V.
Antidiskriminierungsberatung Alter oder Behinderung

Littenstraße 108
10179 Berlin (Mitte)

Telefon: 030 – 27 59 25 27
Telefon: 030 – 27 87 56 91
Fax: 030 – 27 59 25 26
E-Mail: adb@lv-selbsthilfe-berlin.de
Website: lv-selbsthilfe-berlin.de/antidiskriminierungsberatung/

Beratungen nach vorheriger Anmeldung.

Das Interview führte Nico Stockheim