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Ein roter Teddybär mit blauer OP-Maske auf gelben Hintergrund.

Diskriminierung in Corona-Zeiten: Menschen mit Behinderung, Maskenpflicht und Online-Karten

Die aktuelle Zeit ist durch die weltweite Pandemie für viele Menschen mit neuen Herausforderungen und Einschränkungen verbunden. Viele meistern die Situation hervorragend, andere sind von ihr überfordert und wieder andere erfahren Benachteiligungen bis hin zu Diskriminierung aufgrund von Corona, die es vorher nicht gab. So beispielsweise auch Menschen mit Behinderung oder einer chronischen Krankheit, die sich nicht an die Maskenpflicht halten können, da sie keine Maske tragen dürfen.

Wir haben mit Agnieszka Witkowska von der Antidiskriminierungsberatung Alter oder Behinderung des Landesverband Selbsthilfe Berlin e.V. gesprochen. Sie berichtete uns von Diskriminierungsfällen aus der Corona-Zeit.

Mehr Fälle von Diskriminierung durch Corona

Liebe Frau Witkowska, bekommen Sie in den letzten Monaten mehr Beratungsanfragen und haben diese direkt mit Corona zu tun?

Ja, wir bekommen tatsächlich mehr Zulauf in den letzten Monaten. Auch einige Fälle, die direkt die Corona-Maßnahmen betreffen, beispielsweise die Maskenpflicht. Einige Menschen mit Behinderung oder chronischen Erkrankungen können beziehungsweise sollen keine Maske tragen. Dadurch können sie nicht alleine einkaufen gehen oder werden sogar regelrecht aus den Geschäften und Supermärkten geworfen.

Haben Sie dafür ein konkretes Beispiel?

Erst vor kurzem hat sich eine Frau an uns gewandt, die bei einem Discounter einkaufen wollte und keine Maske tragen darf. Sie wollte das Geschäft ohne Maske betreten und wurde direkt aus der Ferne auf die Maskenpflicht hingewiesen. Nach Diskussionen mit Mitarbeiterin und Filialleiter wurde sie letztendlich des Ladens verwiesen, da sie auch ihr ärztliches Attest nicht dabei hatte.

Das Attest hätte aber an dieser Stelle weitergeholfen?

In der Theorie ja. Bevor die Frau sich an unsere Beratungsstelle gewandt hat, hatte Sie per E-Mail Kontakt zur Kundenzentrale des Discounters aufgenommen. Dort hat man sich schriftlich bei der Frau entschuldigt und sie klar darauf hingeweisen, dass sie ihr Attest dabeihaben müsse und am besten sofort nach Betreten des Marktes griffbereit haben und vorzeigen solle.

In der Praxis hat das allerdings nichts verändert. Sie wurde beim nächsten Versuch, dort einzukaufen, wieder vor die Tür gesetzt, obwohl sie sowohl ihr ärztliches Attest als auch die ausgedruckte E-Mail der Kundenzentrale dabeihatte.

Passiert das häufig?

Solche Berichte haben wir tatsächlich in sehr vielen Fällen geschildert bekommen. Von unterschiedlichen Personen, die ähnliches in unterschiedlichen Geschäften erlebt haben.

Das Problem kann aber auch schon viel früher beginnen: in der Arztpraxis, die das entsprechende Attest ausstellen soll. Gerade erst hatte ich den Fall eines jungen Mannes mit Fluchterfahrung, der sich ein entsprechendes Attest ausstellen lassen möchte, beim Arzt jedoch ohne Maske weggeschickt wird.

Der junge Mann konnte auch wegen einer chronischen Erkrankung keine Maske tragen?

In dem Fall weiß ich nicht genau, was die Diagnose ist. Aber die Gründe für ein Attest können ja durchaus vielfältig sein. Sei es eine körperliche Behinderung, eine chronische Erkrankung wie Asthma oder auch aufgrund traumatischer Erlebnisse.

Im öffentlichen Nahverkehr sieht es vermutlich auch ganz ähnlich aus, oder?

Ganz genau, da ist es im Prinzip auch so. Im öffentlichen Nahverkehr kommt aber noch hinzu, dass diese Leute nicht nur mit Kontrolleuren Probleme bekommen, sondern auch mit den Mitmenschen. Oft werden diese nämlich direkt unhöflich. Wenn dann noch weitere Merkmale wie die Herkunft erkennbar dazukommen, kommt es oft zur Mehrfachdiskriminierung, beispielsweise durch zusätzliche rassistische Beleidigungen.

Eine Frau itzt auf einem Sessel und schaut lächelnd in die Kamera
Agnieszka Witkowska

Gibt es auch weitere Diskriminierungsfälle, die durch Corona entstanden sind und vielleicht nicht unmittelbar mit Hygienevorschriften zu tun haben?

Ja, sehr viele Beschwerden erreichen uns auch im Zusammenhang mit Eintrittskarten, die man ausschließlich online erwerben kann. Hier sind zum Beispiel Schwimmbäder betroffen. Das gilt aber auch für andere Freizeitangebote wie Museen oder Zoos. Menschen, die nicht über Online-Banking, Kreditkarte oder beispielsweise Paypal bezahlen können, werden hier von der Teilhabe ausgeschlossen. Dabei spielen diverse Faktoren eine Rolle. Beispielsweise die fehlende Barrierefreiheit im Bestell- und Zahlungsprozess. Ebenso der soziale Status: nicht jeder besitzt entsprechende Zahlungsmittel. Aber auch die digitale Kluft spielt hier eine Rolle. Gerade ältere Menschen kennen sich oft nicht gut genug aus und werden somit ausgeschlossen. Mittlerweile bessert sich das langsam wieder, da zahlreiche Angebote für Senioren entstehen oder altbewährte Modelle zurückkehren. Es ist aber noch ein langer Weg zu gehen.

Haben Sie einen konkreten Fall parat?

Eine Klientin berichtete mir, dass sie ins Freibad wollte und keine Eintrittskarte vor Ort kaufen durfte. Obwohl das Freibad zu diesem Zeitpunkt relativ leer war, verkaufte man ihr vor Ort keine Karte und verwies darauf, dass diese ausschließlich online und nur für gewisse Uhrzeiten verkauft werden.

Das Brisante, gerade bei den Bäderbetrieben ist ja, dass es sich um öffentliche Träger handelt, die zur Stadt Berlin gehören. Gerade hier sollten Lösungen gefunden werden, die Diskriminierungen verhindern. Auch auf diverse offene Briefe, beispielsweise von der Seniorenvertretung, gab es keine Resonanz. Dadurch bekommen Ratsuchende dann schnell das Gefühl, dass ihre Anliegen gar nicht ernst genommen werden. Dabei reicht oft schon eine einfache Antwort oder der Ansatz eines Klärungsversuches aus.

Wie sieht es denn im Bereich Arbeit und Schule aus? Haben Sie dort Ratsuchende aus der Risikogruppe kontaktiert?

Ja, hier hat mich tatsächlich ganz aktuell jemand um Rat gebeten. Und zwar ein Lehrer an einer Berliner Schule, dessen Frau zur Risikogruppe gehört. Für Schülerinnen und Schüler gilt, dass sie zuhause bleiben können, wenn sie Angehörige haben, die nachweislich zur Risikogruppe gehören – für Lehrer nicht. Die rechtliche Lage ist hier aktuell unklar und der Mann muss weiterhin zur Arbeit gehen, auch wenn das für seine Frau potentiell eine Gefahr darstellt. Ich habe mich mit dem Fall an den Senat gewandt, allerdings bisher keine Auskunft erhalten.

Liebe Frau Witkowska wir danken für das Gespräch!

Kontakt

Wenn ihr selbst Diskriminierungserfahrungen gemacht habt und Hilfe sucht, könnt ihr euch selbstverständlich an die Antidiskriminierungsberatung wenden:

Landesvereinigung Selbsthilfe Berlin e.V.
Antidiskriminierungsberatung Alter oder Behinderung

Littenstraße 108
10179 Berlin (Mitte)

Telefon: 030 – 27 59 25 27
Telefon: 030 – 27 87 56 91
Fax: 030 – 27 59 25 26
E-Mail: adb@lv-selbsthilfe-berlin.de
Website: lv-selbsthilfe-berlin.de/antidiskriminierungsberatung/

Beratungen nach vorheriger Anmeldung.

Das Interview führte Nico Stockheim