zur Navigation zum Inhalt
Schwarz-Weiß-Bild des P.A.N.Zentrums - ins Bild montiert eine gelb-schwarzes Band und einem Piktogramm "Zugang verboten"

Corona: Quarantäne in der Reha – Ein Erfahrungsbericht

Im Rahmen unseres Corona-Tagebuchs haben wir auch Rehabilitandin Freya Kettner gebeten, einen Eintrag zu schreiben. Sie ist derzeit im P.A.N. Zentrum für Post-Akute Neurorehabilitation in Berlin-Frohnau untergebracht, das zum Schutz der Rehabilitandinnen und Rehabilitanden sowie Mitarbeitenden derzeit für Besucherinnen und Besucher geschlossen ist. Für uns hat sie einen so umfangreichen Eintrag über ihr Erleben der Corona-Quarantäne in der Reha verfasst, dass er einen eigenen Beitrag verdient.

Freya Kettner über ihr Erleben der Corona-Quarantäne in der Reha

Wie geht es Dir heute?

Heute ist bisher ein recht guter Tag. Ich habe mich mittlerweile mit den Einschränkungen arrangiert und das Gefühl und die Hoffnung, dass wir die tiefsten Einschnitte hinter uns haben. Seit heute gibt es sogar erste Lockerungen der Vorschriften. Zu Beginn der Corona-Krise war das Virus für mich nur eine sehr abstrakte Bedrohung, von der ich nur über Facebook und aus den Nachrichten gehört habe. Bis Ende Februar konnte ich auch noch an jedem Wochenende nach Hause zu meiner Familie fahren. Als ich an einem Sonntagabend zurück ins P.A.N. Zentrum kam, stand auf der Wohngruppe auf dem Gang direkt vor dem Fahrstuhl ein Flipchart mit dem Hinweis, dass das Haus ab sofort für Besucher gesperrt sei. Kurz darauf erfuhr ich, dass das auch bedeutet, dass ich nicht mehr nach Hause fahren kann. Ich gebe zu, dass mich das sehr schockiert hat – einerseits war nun spürbar, dass die Krise auch unseren Alltag einschränken würde – andererseits hatte ich mich gerade eine Stunde zuvor von meiner Tochter verabschiedet und ihr versprochen, dass wir uns in einer Woche wiedersehen würden.

Ich hätte mir gewünscht, über die Entscheidung der Schließung vor meiner Rückkehr telefonisch informiert worden zu sein. Aber vielleicht war es den Mitarbeiter*innen des P.A.N. Zentrums aus organisatorischen Gründen nicht möglich, so kurzfristig solche Anrufe zu tätigen. Zunächst war ich sehr verärgert über die Menschen, denen wir die verschärften Regeln zu verdanken hatten, denn offenbar wurden die bisher geltenden Regeln gebrochen und heimlich Angehörige auf dem Gelände des Hauses getroffen. Mittlerweile habe ich mich aber damit arrangiert und versuche, die Zeit im P.A.N. Zentrum konstruktiv zu nutzen. So übe ich wieder jeden Abend in Begleitung von Betreuer*innen das Laufen mit dem Vierpunktstock. Außerdem schreibe ich wieder an meinem Laptop und trainiere so meine Konzentrationsfähigkeit und meine Aufmerksamkeit. So habe ich das Gefühl, dass ich die Zeit hier trotz der Einschränkungen gut nutzen kann. Trotzdem fehlt mir meine Familie – und besonders natürlich meine Tochter – sehr. Videotelefonieren ist für den persönlichen Kontakt doch nur ein sehr spärlicher Ersatz.

Freya Kettner

Wie organisierst Du Deinen Alltag und was sind die größten Herausforderungen?

Der Alltag ist nun so organisiert, dass Therapeut*innen und Betreuer*innen nur noch jeweils auf einem Wohnverbund arbeiten. So soll verhindert werden, dass sich das Virus über mehrere Wohnverbünde ausbreiten kann, FALLS es seinen Weg ins Haus findet finden sollte. Das bedeutet auch, dass fast immer Therapeut*innen anwesend sind und die Therapien der Reihe nach und nicht mehr nach Plan stattfinden. Für mich besteht der große Nachteil darin, dass mein Alltag deswegen kaum noch planbar und die anfangs hier mühsam erarbeitete Tagesstruktur hinfällig ist. Der Vorteil ist aber natürlich, dass so überhaupt noch Therapien stattfinden können und das Fürst Donnersmarck-Haus  so hoffentlich auch weiterhin frei vom Corona-Virus bleibt. Heute Morgen habe ich erfahren, dass seit heute wieder vereinzelt reguläre Therapien in den dafür vorgesehenen Räumen stattfinden werden. Einzelne Räume wurden dafür wieder freigegeben. Zunächst ist es so organisiert, dass ein Raum jeweils nur für Bewohner*innen eines Wohnverbunds freigegeben ist und diese von den Therapeuten dorthin gebracht werden. Auch so wird verhindert, dass sich Bewohner*innen verschiedener Wohnverbünde begegnen. Das ist immer noch weit von planbaren Therapien entfernt. Aber immerhin ist es ein Schritt hin zurück zur Normalität. Das stimmt mich heute zuversichtlich, dass wir auf einem guten Weg dahin zurück sind.

Die größte Herausforderung ist für mich, meine Familie nicht sehen zu können. Als ich gehört habe, dass es jetzt so sein würde, war mein erster Impuls, meine Sachen zu packen und auszuziehen. Das hätte aber auch bedeutet, dass ich, zumindest ohne eine anschließende Quarantäne, nicht hätte zurückkommen können und noch bin ich leider abhängig davon, Therapien zu machen. Das wäre außerhalb des P.A.N. Zentrums derzeit wohl kaum möglich. So vergeht der Vormittag hier meist recht schnell mit Ergo- oder Physiotherapie. Nach der Mittagspause werden wir meistens zum „Spazierengehen“ abgeholt. Da wir den Wohnverbund nicht mehr allein verlassen dürfen, werden wir dann in größeren Gruppen über das Gelände geführt. So soll verhindert werden, dass wir uns heimlich mit Angehörigen oder Bewohner*innen von anderen Wohnverbünden treffen. Offenbar haben dies Bewohner*innen zuvor trotz des auch hier verhängten Kontaktverbots getan, weshalb diese Verschärfung notwendig wurde. Darüber ärgere ich mich schon sehr, denn davor konnte ich zumindest einmal am Tag alleine und in Ruhe über das schöne Gelände hier in Frohnau fahren. Jetzt bedeutet der Ausflug meistens, dass wir den Betreuer*innen beim Rauchen zusehen. Ich könnte mir schöneres vorstellen…

Die Zeit nach dem Abendessen nutze ich schließlich, um meine Laufübungen zu machen und mit meiner Familie zu videotelefonieren. Danach telefoniere ich noch in Ruhe mit meinem Mann und tausche mich über die Erlebnisse des Tages aus. Mindestens einmal am Tag organisiere ich mir eine Begleitung, mit der ich für etwa eine halbe Stunde nach draußen gehe. So versuche ich, trüben Gedanken vorzubeugen, auch wenn meine Stimmungslage trotzdem recht deutlich schwankt. Wie schon in meinem gesunden Leben gibt es auch hier hellere und dunklere Tage. Das zu bemerken ist mir wichtig. So weiß ich, dass es nach jeder „Talfahrt“ auch wieder bergauf geht.

Was lernst Du gerade, das Du auch in Zukunft nutzen kannst?

Ich lerne gerade, dass ich viel stärker bin, als ich immer dachte. Außerdem ist es eine große Herausforderung für mich, mit meinen Mitbwohner*innen gut auszukommen. Ich hatte bisher den Anspruch an mich, jeden Menschen so anzunehmen, wie er ist. Das wird hier in einer bunt zusammengewürfelten Zweckgemeinschaft, in der jede/r seinen eigenen Hirnschaden hat, manchmal sehr auf die Probe gestellt. Trotzdem denke ich, dass ich hiernach besser mit Menschen, die auf den ersten Blick „schwierig“ wirken, umgehen kann. Außerdem lerne ich gerade, mich unter großer seelischer Anspannung sinnvoll zu strukturieren und mir eine Balance zwischen Arbeit und Pausen zu organisieren. Ich hoffe, dass ich das auch in mein späteres Arbeitsleben mitnehmen kann.

Über die Autorin

Freya Kettner ist 43 Jahre alt und Diplom-Pädagogin. Seit dem 20. Juni 2019 ist sie Rehabilitandin im P.A.N. Zentrum/Fürst Donnersmarck-Haus. Am 12. November 2018 erlitt sie einen schweren Schlaganfall und eine Hirnblutung. Seitdem ist sie halbseitig gelähmt und sitzt im Rollstuhl. Bis dahin hat sie als selbständige Fachfrau für Öffentlichkeitsarbeit und als virtuelle Assistentin für Kleinunternehmer*innen sowie als Redaktionsleiterin und Lektorin für Musik- und wissenschaftliche Fachzeitschriften und Herausgeberbände gearbeitet. Im Dezember 2020 wird sie zurück nach Hause zu ihrem Ehemann und ihrer achtjährigen Tochter nach Berlin-Rudow ziehen. Im P.A.N.-Zentrum ist eines ihrer großen Ziele, ihre Arbeitsfähigkeit wiederzuerlangen. Für das Corona-Tagebuch wird sie in unregelmäßigen Abständen vom Alltag in Frohnau berichten. Für ihre Tochter führt sie außerdem ein privates Fortschrittstagebuch auf ihrem Instagram-Kanal.

Zu Freya Kettners Website: freyakettner.de