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Ein Straßenschild für Halteverbot, darunter ein weißes Schild mit dem Piktogramm eines Paketboten, das symbolisiert, dass Paket- und Briefboten ausgenommen sind.

Bewerberdiskriminierung: Ein gehörloser Paketbote bleibt hartnäckig

Wir haben wieder einmal mit Agnieszka Witkowska von der Antidiskriminierungsberatung Alter oder Behinderung der Landesvereinigung Selbsthilfe Berlin e.V. gesprochen. Sie hat uns einen weiteren interessanten Fall für unsere gemeinsame Artikelreihe mit Themen aus der Antidiskriminierungsberatung mitgebracht. Dieses Mal steht ein gehörloser Paketbote im Fokus, der sich seinen Job erst mit Hilfe der Beratungsstelle erkämpfte.

Ein gehörloser Paketbote ist keine Seltenheit

Liebe Frau Witkowska, heute haben wir ein sehr schönes und positives Beispiel für unsere Leserinnen und Leser. Ein gehörloser Paketbote, der für seinen Job kämpfen musste und nun nicht nur selbst glücklich und zufrieden ist, sondern auch noch seine Arbeitgeber nachhaltig verändert hat. Erzählen Sie uns doch kurz die ganze Ausgangslage.

Das ist ein sehr schönes Beispiel. Es geht um einen Mann, der aufgrund seiner Gehörlosigkeit lange erfolglos auf Arbeitssuche war. Das ist übrigens einer der Hauptgründe dafür, dass gehörlose Menschen bei uns in die Beratung kommen. In unserem konkreten Fall kam der Betroffene auf uns zu und erzählte von seinem Bewerbungsgespräch. Er hat sich als Paketbote beworben und das Vorstellungsgespräch verlief seiner Auffassung nach sehr positiv. Dennoch bekam er eine Absage. Die Enttäuschung für ihn war sehr groß, weil er auch andere Gehörlose kennt, die als Post- oder Paketbote arbeiten. Tatsächlich ist es nicht ungewöhnlich, dass Post- und Paketdienstleister gehörlose Menschen beschäftigen.

In dem Fall gab es jedoch die Absage und die Suche nach Hilfe: Wie sind Sie vorgegangen?

Zunächst habe ich ihm erklärt, wie wir hier in der Beratungsstelle arbeiten und dass es sowohl gerichtliche als auch auch außergerichtliche Möglichkeiten gibt, die ganz unterschiedlich ausfallen können. Das Vorgehen kann schon etwas direkter und fordernder sein. Dann schreiben wir in Briefen oder E-Mails auch direkt „Vermutete Diskriminierung“ in den Betreff und gehen direkt auf Konfrontation. Es kann aber auch zurückhaltend, verständnisvoll und dialogorientiert sein.

Für welche Variante haben Sie sich entschieden?

In diesem Fall hatte ich das Gefühl, dass wir mit einem Dialog weiterkommen. Deswegen wir haben dem Arbeitgeber einen freundlichen Brief geschrieben. In diesem Brief haben wir noch einmal die Lage des Mannes geschildert: dass er schon sehr lange auf Arbeitssuche sei und auch hochmotiviert, diesen Job zu machen. Außerdem haben wir versucht, die vielen Vorteile zu benennen, die es gibt, wenn man Menschen mit Behinderung beschäftigt. Viele Arbeitgeberinnen und Arbeitgeber sind ja eher zurückhaltend und haben Vorurteile wenn es darum geht, Menschen mit Behinderungen einzustellen. Beispielsweise, dass Menschen mit Behinderung oft sehr teure Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer sind. Wir haben auf die Chance aufmerksam gemacht, dass der Betrieb so inklusiver wird und welche Chancen das bietet.
Abgerundet haben wir das Schreiben mit dem Angebot, dass ich als Sozialjuristin auch gerne für Fragen bereitstehe oder Hilfestellung geben kann, wenn es um behinderungsgerechte Arbeitsplätze oder die Kommunikation, beispielsweise mit dem Integrationsamt, geht.

Der Ton macht in diesem Fall die Musik

Und wie ging es dann weiter?

Tatsächlich habe ich kurz darauf einen Anruf von dem Arbeitgeber bekommen, der sich auch noch gut an den Bewerber erinnern konnte. In dem Gespräch stellte sich dann schnell heraus, dass er durchaus viel Verständnis mitbringt und sich vorstellen konnte, dem Bewerber eine Chance zu geben. Er erklärte, dass er direkt vor allem Touren in einem Bezirk im Sinn hatte, wo vor allem Einfamilienhäuser stehen. Dort würden die Einwohnerinnen und Einwohner und ihre Post- und Paketboten sich noch besser kennen und das Vertrauen sei einfach größer.
Dann ging eigentlich alles ganz schnell. Es wurde in Abstimmung mit allen ein Probearbeiten organisiert. Dabei waren alle Beteiligten höchst zufrieden und kurz darauf wurde der Arbeitsvertrag unterschrieben.

Toll! Haben Sie nochmal was von dem Mann gehört? Arbeitet er immer noch dort?

Ja, tatsächlich habe ich eine Weile später nochmal sehr herzliche E-Mails empfangen. Sowohl vom Ratuschenden selbst, der nach wie vor dort gearbeitet hat, als auch von der Gebärdensprach-Dolmetscherin, die auch völlig positiv überrascht war, dass man das so diplomatisch und positiv regeln kann.

Also lässt sich mit einem freundlichen Kontakt und dem Willen, aufzuklären, oft mehr erreichen?

Es ist schwierig zu sagen, was öfter vorkommt und was besser klappt. Ich muss ehrlich sagen, dass ich leider nicht oft diesen Weg der freundlichen Korrespondenz einschlage. Wenn nämlich bereits ein Konflikt besteht, dann bringt auch dieser freundliche Ton nicht mehr viel. Er ist dann meistens auch gar nicht mehr angebracht. Wenn es beispielsweise Probleme mit dem Arbeitgeber gibt, besteht ja bereits ein Verhältnis, was mitunter vorbelastet ist. Da geht man dann natürlich ganz anders vor. Auch bei Diskriminierungserfahrungen in Bäderbetrieben, anderen Kultureinrichtungen oder bei Ämtern. Es ist schwierig zu sagen, wo man mit welchem Vorgehen den größten Erfolg haben kann. Wenn ich das Gefühl habe, dass die diskriminierende Partei nicht ausreichend sensibilisiert ist und kein Verständnis aufbringt, dann wird auch meistens kein klärendes Gespräch stattfinden.

Also spielt die gesamte Stimmung bei allen Beteiligten eine wichtige Rolle für die Wahl des Vorgehens?

Ganz genau. Wenn es deutliche Anknüpfungspunkte und klare Zeichen dafür gibt, dass eine Gesprächsbereitschaft besteht, ist dieser Weg die erste Wahl. Es kann aber auch genau anders herum sein. Ich habe auch ein Beispiel von einem Mann mit einer leichten Gehbehinderung. Der hat sich auch für eine Stelle beworben, bei der es um Kundenakquise ging. Nach seiner Bewerbung hieß es dann: „Nein, wir können Sie nicht anstellen, weil Ihr äußerlicher Auftritt nicht zu den Kundenvorstellungen passt.“ Das war für den Bewerber schon sehr beleidigend und verletzend. Der Mann hatte letztenlich auch gar kein Interesse mehr daran, dort zu arbeiten. Dementsprechend waren die Grundvoraussetzungen ganz andere. Es ging in dem Fall auch gar nicht um eine Klage, sondern einfach darum, dass dem Unternehmen das Verhalten noch einmal verdeutlicht wird. Dass es im besten Fall dort thematisiert wird und anderen Bewerberinnen und Bewerbern so eine Situation in Zukunft erspart bleibt.

Kommen wir nochmal kurz zu unserem Fall zurück: Hier gab es ja eine positive Grundhaltung beider Parteien und den Willen, eine Lösung zu finden.

Genau, das ist auf jeden Fall entscheidend. Das ist der Unterschied zwischen: „Die wissen es einfach noch nicht besser“ und „Die sollen es jetzt aber endlich lernen“. Bei dem Ratsuchenden war schon das Auftreten, die Einstellung und Erwartung ganz anders. Das erlebe ich auch nicht so oft, muss ich ehrlich sagen. Ich glaube, das hat in dem Fall sehr viel geholfen.

Das ist doch ein schöner Fall, der zeigt, dass viel passieren kann, wenn beide Seiten gesprächsbereit sind und gemeinsam eine Lösung finden wollen. Liebe Frau Witkowska, vielen Dank für das Gespräch.

Agnieszka Witkowska

Kontakt

Wenn ihr selbst Diskriminierungserfahrungen gemacht habt und Hilfe sucht, könnt ihr euch selbstverständlich an die Antidiskriminierungsberatung wenden:

Landesvereinigung Selbsthilfe Berlin e.V.
Antidiskriminierungsberatung Alter oder Behinderung

Littenstraße 108
10179 Berlin (Mitte)

Telefon: 030 – 27 59 25 27
Telefon: 030 – 27 87 56 91
Fax: 030 – 27 59 25 26
E-Mail: adb@lv-selbsthilfe-berlin.de
Website: lv-selbsthilfe-berlin.de/antidiskriminierungsberatung/

Beratungen nach vorheriger Anmeldung.

Das Interview führte Nico Stockheim