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Zu sehen ist der Blick vom Alexanderplatz auf die Weltzeituhr und im Hintergrund den Berliner Fernsehturm.

Berliner Fernsehturm: Brandschutz, Zutrittsbeschränkung und Diskriminierung

Wir haben wieder mit Agnieszka Witkowska von der Antidiskriminierungsberatung Alter oder Behinderung des Landesvereinigung Selbsthilfe Berlin e.V. über einen konkreten Fall von Diskriminierung gesprochen. Heute geht es um ein bekanntes Problem: Brandschutzbestimmungen können mitunter dafür sorgen, dass Menschen mit eingeschränkter Mobilität Gebäude nicht betreten dürfen. Ist das schon Diskriminierung? Wir haben über einen Fall gesprochen, bei dem zwei ältere Frauen den Berliner Fernsehturm nicht gemeinsam mit ihrer Chor-Gruppe betreten durften.

Der Berliner Fernsehturm: Keine barrierefreien Fluchtwege

Zur Information vorab: Menschen, die auf einen Rollstuhl oder Gehhilfen angewiesen sind, dürfen den Berliner Fernsehturm grundsätzlich nicht betreten. Das liegt daran, dass sie im Ernstfall den Fluchtweg nicht ohne fremde Hilfe benutzen könnten. Aus den selben Sicherheitsgründen sind auch Tiere, Kinderwagen und große Gepäckstücke nicht gestattet.

Liebe Frau Witkowska, heute sprechen wir über zwei Frauen aus Frankfurt am Main, die auf Berlin-Reise mit ihrer Chor-Gruppe waren und beim Ausflug zum Berliner Fernsehturm draußen bleiben mussten. Schildern Sie doch kurz die Ausgangslage.

Genau, der erste Kontakt kam zustande als der Sohn von einer der Frauen angerufen und den Fall geschildert hat. Es handelte sich um eine Chorgruppe aus Frankfurt am Main, die für einen schönen Ausflug nach Berlin gekommen ist. Eine Reise, die sicher auch emotional ist und bei der die Teilnehmerinnen und Teilnehmer Erinnerungen sammeln möchten. Umso schlimmer bleibt dann auch so ein Abschluss wie hier im Gedächtnis. Die gesamte Gruppe ist nach und nach per Aufzug in den Fernsehturm. Die zwei Frauen wurden aber, weil sie etwas langsamer – aber mit eigener Kraft –  zu Fuß waren, angehalten und man habe ihnen die Karten aus der Hand gerissen, bevor sie belehrt wurden, dass sie aufgrund der Brandschutzbestimmungen nicht hochfahren dürften.

Uns ging es zum einen darum, dass die Entscheidung, wer reingehen darf und wer nicht, rein äußerlich ist. Hier findet eine Einteilung der Besucher in Kategorien statt: Menschen mit sichtbarer Behinderung und Menschen, die keine sichtbare Behinderung haben. Zum anderen ging es in dem konkreten Fall auch um die Art und Weise, wie mit den Frauen kommuniziert wurde und wie man ihnen direkt unterstellte, dass sie nicht fit genug seien.

Der Fernsehturm ist in dieser Hinsicht ja häufig Thema. Wir haben diese Debatte auch schon oft mitbekommen. Hier stehen sich durchaus sinnvolle Brandschutzbestimmungen, die im Zweifel Leben retten, und potentielle Benachteiligungen gegenüber. Wie schwierig sind diese Fälle für Sie in der Beratung?

Das ist für uns auch ein sehr spannendes Thema, weil solche Bestimmungen sehr oft zu Diskriminierungsfällen führen. Und viele Regelungen lassen sich dann auch weit auslegen. Im konkreten Fall war das ja beispielsweise eine Chorgruppe von Menschen, die alle ungefähr im gleichen Alter waren. Und wie kann eine externe Person direkt entscheiden, wer rein darf und wer nicht? Wer zu langsam läuft und wer gerade noch im richtigen Tempo. Vielleicht nimmt eine Frau mit Gehhilfe die Treppen besser als ein anderer Besucher mit anderen Vorerkrankungen, der jedoch keine Gehhilfe nutzt. Die eine bleibt draußen, der andere Besucher nicht. Es scheint kein durchgehend einheitliches Konzept zu geben. In einem anderen Fall, in dem sich Ratsuchende wegen des Fernsehturms an uns wandten, haben die Betroffenen beispielsweise einfach ihre Gehhilfen an der Garderobe abgegeben und durften dann rein.

Ebenfalls entscheidend war in dem konkreten Fall der Umgang mit den beiden Frauen aus Frankfurt. Wenn die Mitarbeitenden ihnen aggressiv gegenübertreten und sie da regelrecht aus der Gruppe rausfischen und aussortieren, hinterlässt das auch einen unangenehmen Beigeschmack.

An den Sicherheitsbestimmungen und Konzepten kann der Berliner Fernsehturm vermutlich nicht viel ändern. Ist es am Ende vielleicht nur eine Frage der richtigen Kommunikation?

Also der Berliner Fernsehturm war da in der Vergangenheit schon gesprächsbereit und es gab bereits Gespräche mit Menschen mit Behinderung und der Landesbeauftragten für Menschen mit Behinderung. Besonders wichtig wäre aber aus unserer Sicht die Sensibilisierung der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. Dass tatsächlich der Umgang mit den Menschen in diesen Situationen und die Kommunikation geübt wird.

Auf der anderen Seite gibt es auch immer wieder Fälle, wo Sicherheits- und Brandschutzbestimmungen vorgeschoben werden. Bei hartnäckigen Nachfragen stellt man dann aber fest, dass es doch geht. Ich kenne da unter anderem ein Beispiel mit einem Rollstuhlfahrer, der gerne einen Stehplatz im Stadion wollte. Da hieß es zunächst: „Uns sind die Hände gebunden. So ist das Gesetz. Wir haben eine Verpflichtung.“ Aber nachdem man sich dann mit der Situation beschäftigt hatte, gab es doch eine Lösung.

Was kann man denn prinzipiell Betreibern mit auf den Weg geben, wenn es um diese Abwägungen geht?

Auf jeden Fall die Bereitschaft zu klärenden Gesprächen und die Sensibilisierung von Mitarbeitenden. Für viele Leute, die hier in die Beratung kommen, ist es schon sehr wichtig, dass ihr Anliegen gehört und verstanden wird. Dass man sich Zeit nimmt, ihnen die Situation anständig zu erklären.

Zwei älteren Frauen nicht unbedingt die Karten aus der Hand zu reißen, ohne sie ruhig und sachlich aufzuklären.

Was geschah denn im Fall der beiden Frankfurterinnen noch?

Sie haben tatsächlich noch einmal eine Entschuldigung und ausführliche Erklärung seitens des Berliner Fernsehturms bekommen. Was ihnen nach eigener Aussage dann wirklich geholfen hat. Da die Damen aus Frankfurt kommen, kannten sie das Beispiel des Main Towers, wo sie problemlos hochfahren dürfen. Allerdings ist das eben ein moderneres Gebäude, bei dem es moderne Fluchtwege gibt. Der Fernsehturm hingegen steht ja unter Denkmalschutz und kann nicht einfach so neue Fluchtwege errichten. Das haben die Damen dann ja auch verstanden und eingesehen. In dem Fall waren wir als Beratungsstelle mehr oder weniger als Mediator tätig, damit beide Seiten die Situation und ihre Argumente schildern konnten.

Liebe Frau Witkowska, wir danken wie immer für das nette Gespräch.

Agnieszka Witkowska

Kontakt

Wenn ihr selbst Diskriminierungserfahrungen gemacht habt und Hilfe sucht, könnt ihr euch selbstverständlich an die Antidiskriminierungsberatung wenden:

Landesvereinigung Selbsthilfe Berlin e.V.
Antidiskriminierungsberatung Alter oder Behinderung

Littenstraße 108
10179 Berlin (Mitte)

Telefon: 030 – 27 59 25 27
Mobil: 0157 311 328 29 oder 0176 473 581 82
Fax: 030 – 27 59 25 26
E-Mail: adb@lv-selbsthilfe-berlin.de
Website: lv-selbsthilfe-berlin.de/antidiskriminierungsberatung/

Beratungen nach vorheriger Anmeldung.

Das Interview führte Nico Stockheim