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Ein Bild von Beate Bettenhausen, daneben das Logo des bvkm.

Interview mit Beate Bettenhausen – Vorsitzende des bvkm

Seit dem 18. September hat der Bundesverband für körper- und mehrfachbehinderte Menschen (bvkm) mit Beate Bettenhausen eine neue Vorsitzende. Wir haben mit ihr unter anderem über den bvkm, ihre Ziele als Vorsitzende, das Bundesteilhabegesetz (BTHG) und den Fachkräftemangel gesprochen.

Der Selbsthilfeverband bvkm

Sehr geehrte Frau Bettenhausen, würden Sie bitte den Bundesverband für körper- und mehrfachbehinderte Menschen zu Beginn des Gespräches kurz vorstellen?

Beate Bettenhausen: Der bvkm ist ein Selbsthilfeverband mit einer großen Anzahl an Mitgliedern, die Selbsthilfe vor Ort leisten und in denen sich Menschen mit Behinderung für ihre Rechte einsetzen. Zur Verdeutlichung: 28.000 Familien sind in rund 280 regionalen Mitgliedsorganisationen im größten Selbsthilfe- und Fachverband für körper- und mehrfachbehinderte Menschen in Deutschland organisiert. Darunter befinden sich große Mitgliedsorganisationen, aber auch kleinere mit einem begrenzten Angebot, die lokal dennoch eine wichtige Rolle spielen.

Zum bvkm gehören Kinder, Jugendliche und Erwachsene mit schwerer und mehrfacher Behinderung, die ein Leben lang auf Begleitung, Pflege und Zuwendung angewiesen sind und solche, deren Leben sich kaum von dem nichtbehinderter Menschen unterscheidet. Viele haben eine cerebrale Bewegungsstörung.

Der bvkm ist ein Fachverband, der ein sehr breites Expertenwissen – sowohl von Expertinnen und Experten in eigener Sache als auch von Professionellen – bündelt. Dieses Wissen bringen wir in die politische Diskussion beispielsweise im Rahmen von Beteiligungsprozessen bei Gesetzgebungsverfahren ein.

Wie gelingt es denn, diese Heterogenität innerhalb des Verbandes unter einen Hut zu bringen?

Beate Bettenhausen: Unsere Vielfalt ist sicherlich eine Herausforderung, hat aus meiner Sicht aber ein großes Potential, denn dadurch fließen unterschiedlichste Perspektiven in die Verbandsarbeit ein. Ein wichtiger Faktor dafür, dass es uns immer wieder gelingt, die unterschiedlichen Interessen zu vereinbaren, ist die Geschäftsstelle, die diese inhaltliche Mischung lebt und für die unterschiedlichen Interessen zur Verfügung steht.

Der Werdegang von Beate Bettenhausen

Wie sind Sie denn zum bvkm gekommen und was motivierte Sie dazu, den Vorsitz des Verbandes zu übernehmen?

Beate Bettenhausen: Ich habe einen Sohn mit einer Mehrfachbehinderung und einem Intensivpflegebedarf, den der Verein „Helfende Hände“ in München betreut. Zuerst begann ich mich im Verein zu engagieren und wurde dort im Jahr 2000 in den Vorstand gewählt.

Um mich fachlich weiterzubilden, habe ich darüber hinaus den Austausch mit anderen Organisationen gesucht und gehörte dann ziemlich schnell zum Initiatorenkreis der Stiftung „Leben pur“ ebenfalls in München. Über diese Stiftung kam ich schließlich in Kontakt mit dem Landesverband Bayern für körper- und mehrfachbehinderte Menschen und damit auch mit dem bvkm. Ich habe in den letzten Jahren den Verband und sein Netzwerk immer besser kennen- und schätzen gelernt, weil es einfach Themen gibt, die auf Bundesebene und mit fachlicher Unterstützung – beispielsweise durch die Rechtsabteilung des bvkm – gelöst werden müssen.

Auf diese Weise bin ich intensiver in Kontakt gekommen und wurde schließlich gefragt, ob ich es mir vorstellen kann, für den Vorsitz des Verbandes zu kandidieren. Ich habe dann durchaus länger überlegt, ob ich mir die Verantwortung für einen so großen Verband zutraue. Aber der bvkm ist eine so tolle Organisation und das ist eine so reizvolle Aufgabe – das musste ich einfach probieren. Und ich bin sehr dankbar, dass mir die Mitglieder einstimmig ihr Vertrauen geschenkt haben.

Ein wichtiges Anliegen von Ihnen ist die aktive Begleitung des Bundesteilhabegesetzes (BTHG). Was wünschen Sie sich für den bvkm besonders von der Politik?

Beate Bettenhausen: Im BTHG stecken ja sehr viele, positive Versprechungen wie etwa eine stärkere Teilhabe oder größere Personenzentrierung. Die Ausrichtung und Idee des BTHG ist also zunächst einmal vielversprechend. Bisher mussten wir alle aber erstmal die Kröte der Bürokratie schlucken, die durch die Umstellung auf das BTHG insbesondere auf die Einrichtungen zukam. Das ist ein riesiger Umstellungsprozess für alle.

Nachdem wir jetzt den schwer verdaulichen Teil weitgehend hinter uns gebracht haben, müssen wir jetzt auch die andere Hälfte einfordern und die Politik daran erinnern, dass das Gesetz nicht nur eine leistungsrechtliche Komponente hatte, sondern nun auch die Verbesserungen bei den Betroffenen ankommen müssen, die bei Teilhabe und Selbstbestimmung versprochen worden sind.

In Berlin hängt die Umsetzung – beispielsweise im Hinblick auf die Einführung des neuen Erhebungsinstrumentes TIB – deutlich hinter dem Zeitplan. Noch ist das neue Denken also nicht in der Realität angekommen.

Beate Bettenhausen: Das erleben wir so auch im bvkm. Nach unserer Wahrnehmung ist das BTHG noch in keinem Bundesland vollständig umgesetzt worden. Das hängt sicherlich auch damit zusammen, dass die Corona-Pandemie Ressourcen abgezogen hat, die eigentlich für die Umsetzung des BTHG vorgesehen waren. Es bleibt also ein spannender Prozess, den wir eng begleiten müssen.

Welche Ziele haben Sie denn persönlich für Ihre Amtszeit als Vorsitzende des bvkm?

Beate Bettenhausen: Ich bin kein Mensch, der nur die eigenen Vorstellungen durchsetzen möchte. Vielmehr müssen wir unsere Ziele im Vorstand abstimmen und den Bedarf der Mitglieder widerspiegeln. Im Augenblick ist daher die Umsetzung des BTHG ein wichtiges Thema für uns, bei dem wir auch intensiv in Kontakt mit den Mitgliedsorganisationen und den Landesverbänden stehen.

Daneben ist das SGB VIII, das nun endlich inklusiv gestaltet werden soll, eine wichtige Aufgabe für uns. Hier sehe ich die Rolle des bvkm darin, zusammen mit den Fachverbänden auch die Bedürfnisse von mehrfachbehinderten Kindern und Jugendlichen mit einem intensiven Pflege- und Betreuungsbedarf geltend zu machen. Die Gesetzesänderungen müssen am Ende für die Familien und die Kinder gut passen und deren Bedürfnisse decken.

Grundsätzlich nehme ich die Gefahr wahr, dass Menschen mit einem hohen Unterstützungsbedarf abgehängt werden und nicht die Teilhabechancen erhalten, die ihnen eigentlich zustehen. Da müssen wir als bvkm, aber auch die Fachverbände die Stimme erheben und für diese Personengruppe eintreten.

Als letzter Punkt würde ich sagen, dass uns das Thema Barrierefreiheit weiterhin erhalten bleibt. Auch wenn sich hier schon sehr viel getan hat, erstaunt es mich immer wieder, wie häufig man beispielsweise bei Neubauprojekten die Barrierefreiheit vernachlässigt.

„Als Gesellschaft kreativ sein und Angebote schaffen“

Zumal Barrierefreiheit in einem umfassenden Sinn – also beispielsweise auch im Sinne barrierefreier Services – auch eine Möglichkeit ist, den Fachkräftemangel etwas abzumildern. Denn bei einer größeren Barrierefreiheit ist vielleicht nicht für jede Aktivität eine Begleitung notwendig.

Beate Bettenhausen: Da haben Sie völlig Recht. Mit dem Schlagwort Fachkräftemangel sprechen Sie natürlich noch ein Thema an, das sehr relevant ist. Wir können uns die besten Konzepte überlegen und die schönsten Ideen haben. Wenn es dann niemanden gibt, der das Ganze mit Leben füllt, nützt das alles nichts. Hier müssen wir als Gesellschaft kreativ sein und Angebote schaffen – das werden wir nicht alleine in der Behindertenhilfe lösen können.

Das betrifft ja auch Fragen der Finanzierung und der Gesetzgebung. Langfristig müssen wir uns vielleicht auch darüber Gedanken machen, wie weitere Professionen in die Behindertenhilfe integriert und angemessen bezahlt werden können.

Beate Bettenhausen: Aus meiner Sicht sind hier künftig neue, modulare Weiter- und Fortbildungsangebote erforderlich. Wir brauchen perspektivisch Menschen, die sowohl Pflegekompetenzen als auch pädagogische Kompetenzen haben und wir müssen dafür sorgen, dass sich Quereinsteiger notwendige Kompetenzen aneignen können und ihre Qualifikationen anerkannt werden können, ohne dass sie nochmal eine mehrjährige Ausbildung durchlaufen müssen.

Liebe Frau Bettenhausen, vielen Dank für das Gespräch und viel Erfolg bei Ihrer wichtigen Arbeit!

Hier finden Sie den bvkm: www.bvkm.de