August Bier im Kuratorium der Fürst Donnersmarck-Stiftung
August Bier ist ohne Zweifel eine der bekannteren Persönlichkeiten, die im Kuratorium der Fürst Donnersmarck-Stiftung wirkten. Allerdings finden sich im Archiv der Stiftung kaum Spuren seiner Tätigkeit. Dass er hier dennoch porträtiert wird, liegt vor allem daran, dass die Kombination der beruflichen Tätigkeiten von August Bier für die frühe Geschichte der FDST typisch ist. Denn Bier war nicht nur ein angesehener Mediziner und als solcher beispielsweise der Erfinder der Spinalanästhesie. Er war auch ein autodidaktischer Forstmann, der in Sauen bei Beeskow einen artenreichen Mischwald gestaltete. Dieser wird bis heute, von der Stiftung August Bier, in seinem Geist kultiviert.
Schule, Studium und der Weg nach Berlin
August Bier wurde am 24.11.1861 im nordhessischen Helsen geboren und ging im benachbarten Korbach zur Schule. Nach seinem Abschluss im Jahr 1881 studierte er in Berlin, Leipzig und Kiel Medizin, arbeitete vertretungsweise als Landarzt in Gettorf (Holstein) und fuhr zwei Mal als Schiffsarzt nach Südamerika. Nach seiner zweiten Reise trat Bier mit dem damaligen Leiter der Kieler chirurgischen Universitätsklinik, Friedrich von Esmarck, in Kontakt. Zunächst wurde er sein Assistent und nach der Habilitation auch sein Stellvertreter.
1894 verließ Bier Kiel und gelangte über Stellen in Greifswald und Bonn schließlich nach Berlin. Dort übernahm er 1907 die Leitung der chirurgischen Universitätsklinik in der Ziegelstraße. Hier entwickelte Bier verschiedene Operations- und Heilverfahren, die er 1914 in der mit Hermann Kümmel und Heinrich Braun herausgegebenen „Chirurgischen Operationslehre“ zusammenfasste.
Beruf und Berufung: August Bier als Mediziner, Forstmann und Philosoph
Biers medizinischer Ansatz war ganzheitlich und an der Lehre des Hippokrates ausgerichtet. Demnach stellte Gesundheit für ihn eine harmonische Mischung von Gegensätzen dar. Aus diesem Grund befasste er sich auch intensiv mit der Homöopathie – sehr zum Missfallen einiger seiner Medizinkollegen. Aus Biers medizinischer Tätigkeit erwuchsen aber auch praktische Konsequenzen. Denn unter dem Eindruck der oftmals schweren Kopfverletzungen durch Schusswaffen während des Ersten Weltkriegs entwickelte er zusammen mit dem Hannoveraner Friedrich Schwerdt die Form des deutschen Stahlhelms, der ab 1916 eingesetzt wurde.
Die Vereinigung von Gegensätzen zu einem harmonischen Ganzen verfolgte Bier auch auf einem weiteren Interessengebiet: der Forstbotanik. 1912 erwarb er das Gut Sauen in der Mark Brandenburg. Schon im darauffolgenden Jahr begann er, den dortigen Wald nach den Leitsätzen des Heraklit von Ephesos ‚philosophisch‘ umzugestalten. Bier schwebte ein Mischwald vor, in dem Laubbäume neben Nadelgehölzen, Flachwurzler neben Tiefwurzlern, Humuserzeuger neben Humusverbrauchern vorkommen.
Seine auf der antiken Naturphilosophie ruhenden Überzeugungen der Harmonie der Gegensätze fasste Bier in der 1939 erschienenen Schrift „Die Seele“ zusammen. Dieses wahrscheinlich populärste Buch, in dem sich der Mediziner und Forstmann in seiner dritten Berufung als Philosophen präsentiert, sollte der Auftakt zu einer Trilogie werden. Als August Bier am 12. März 1949 in Berlin starb, war aber nur dieser erste Band veröffentlicht. Karl Vogler, sein Biograf, veröffentlichte posthum noch den zweiten Band mit dem Titel „Das Leben“. Vom dritten Band „Der Wald“ sind nur Fragmente überliefert.
August Bier und die Fürst Donnersmarck-Stiftung: Der Anfang
Der erste Kontakt zwischen der damals noch „Fürst Donnersmarck-Institut“ genannten Stiftung und August Bier erfolgte am 20. August 1928 und hatte mit ihrer operativen Tätigkeit nichts zu tun. Im Zusammenhang mit seinen Forschungen zur Therapie rheumatischer Krankheiten schrieb er damals einen Bittbrief an Guidotto von Donnersmarck (den ersten Sohn des Gründerfürsten). Er wollte ihn dazu bewegen, ein Grundstück auf dem Frohnauer Stiftungsgelände für eine „Reichsheil- und Forschungsanstalt für rheumatische Erkrankungen“ zur Verfügung zu stellen. In diesem Schreiben führt Bier unter anderem aus, dass dem Staat durch die rheumatischen Erkrankungen „viel mehr Kosten durch Krankengelder oder Invalidenrenten entstehen, als durch die Gesamtheit der tuberkulösen Erkrankungen“. Dadurch sei „das Interesse der Versicherungsanstalten an der Rheumabekämpfung geweckt worden, und auch das Reichsministerium selbst stellt sich ganz in den Dienst dieser volkswirtschaftlich so wichtigen Aufgabe.“
Bier war auf das Frohnauer Gelände als Standort aufmerksam geworden, da es „ausserhalb der Stadt in Wald und frischer Luft“ lag und so der „Charakter einer Kuranstalt“ gewahrt werden konnte. Zugleich lag es aber „so dicht an der Zentrale Berlin“, um als „Forschungs- und Lehranstalt wirksam der Universität angegliedert zu werden.“ Die Argumentation zielte somit in zwei Richtungen.
Das erste Argument appellierte an den „deutschen sozialen Sinn“ des Vaters Guidotto von Donnersmarcks und an das ursprüngliche Konzept des Fürst Donnersmarck-Instituts. Denn auch wenn sich die Stiftung eigentlich an Kriegsverletzte aus dem Ersten Weltkrieg wenden sollte, war die Stiftung doch als Kombination aus Heil- und Forschungsanstalt geplant worden. Biers zweites Argument hatte mit dem zeitgenössischen Umgang mit chronisch Kranken und Menschen mit Behinderung zu tun. Diese sollten den Sozialkassen möglichst wenig zur Last fallen. Sie sollten daher in die Lage versetzt werden, ihren Lebensunterhalt selbst zu verdienen. Bei der Sorge um die „Volksgesundheit“ ging es damals wie heute somit vorrangig um die „Volkswirtschaft“.
Intensivierung der Kontakte von Guidotto von Donnersmarck und August Bier
Die Antwort Guidotto von Donnersmarcks, der sich zu diesem Zeitpunkt im Hotel Fürstenhof in Bad Eilsen aufhielt, erfolgte am 31. August und fiel verhalten positiv aus. Nach Rücksprache mit seinem jüngeren Bruder Kraft erklärte er sein grundsätzliches Einverständnis mit dem Vorhaben. Zugleich wies er aber darauf hin, dass nicht er alleine entscheiden könne. Stattdessen habe das Kuratorium der Stiftung insgesamt über die Verwendung des Geländes zu bestimmen. Für die weiteren Verhandlungen verwies Guidotto von Donnersmarck daher auf den Berliner Mediziner Richard Hamann. Dieser agierte als Sachverwalter der Stiftung und dürfte Bier wohl schon persönlich gekannt haben.
Was aus Biers Vorhaben wurde, lässt sich aus den Akten im Archiv der FDST nicht erschließen. Zu einer Geländeschenkung an die geplante Rheuma-Heil- und Forschungsanstalt ist es jedenfalls nicht gekommen. Der Name „August Bier“ verschwindet schließlich für einige Jahre aus den Akten. Erst im November 1930 taucht er wieder auf. Damals dankte ihm Fürst Guidotto von Donnersmarck dafür, dass er einen seiner Mitarbeiter, Dr. A. Gehrke, für die Überwachung des Abschlusses einer „Neurosmonkur“ freigestellt habe, der sich der Fürst unterzogen hatte. Dabei handelt es sich um eine Art Hormonkur, deren Grundlagen Bier zusammen mit weiteren Ärzten im Jahr 1929 in der Schrift „Über Organhormone und Organtherapie“ beschreibt. Das Neurosmon war ein von Bier und seinen Mitarbeitern entwickeltes ‚Heilhormon‘. Es wurde vor allem zur Kur von Nierenkrankheiten eingesetzt und enthielt als Reizmittel Strychnin.
Eintritt in das Kuratorium
Ob die Kur bei Guidotto von Donnersmarck gewirkt hat, ist nicht bekannt. Sie zeigt aber, dass es zwischenzeitlich zu einem engeren Kontakt zwischen dem Fürsten von Donnersmarck und August Bier gekommen war. So überrascht es auch nicht, dass dieser ihn ein Jahr darauf als Mitglied des Kuratoriums vorschlug. Die Mitglieder des Kuratoriums hatten in „Anbetracht seiner reichen Erfahrungen“ keine Einwände vorzubringen. Und so konnte der Fürst im November 1931 August Bier zur Wahl als Kuratoriumsmitglied beglückwünschen.
Nach diesem Zeitpunkt finden sich im Archiv der FDST nur noch sehr wenige Dokumente von oder über August Bier. Im Wesentlichen handelt es sich nur mehr um schriftliche Zustimmungen zu Kuratoriumsbeschlüssen. Ins Auge fällt dabei, dass Bier diese mit dem deutschen Gruß versieht. Ganz überraschend ist dies nicht. Denn Bier stand der Ideologie der Nationalsozialisten schon vor 1933 nahe und hatte dies beispielsweise auch in einem Artikel für den Völkischen Beobachter zum Ausdruck gebracht. Auch andere Kuratoriumsmitglieder gehörten der NSDAP an oder waren in die nationalsozialistische Gewaltherrschaft verstrickt.
August Bier jedenfalls trat 1947, ein Jahr vor seinem Tod 1948, wieder aus dem Kuratorium aus. Was ihn dazu veranlasst haben mag, liegt heute im Dunkeln. Kein Austrittsgesuch, kein Dankesschreiben und keine Karte sind im Archiv der Stiftung erhalten. Möglicherweise war es das fortgeschrittene Alter des Mediziners. Denn Bier stand damals schon in seinem 87. Lebensjahr. Womöglich spielte aber auch die Zeitgeschichte eine Rolle. Denn während die Stiftung ihren Sitz und Grundbesitz in West-Berlin hatte, lagen der Sauener Wald und der Lebensmittelpunkt August Biers in Beeskow in der sowjetischen Besatzungszone.
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