50 Jahre Heidehotel Bad Bevensen: Eine Chronologie
Vor 50 Jahren wurde in Bad Bevensen in der Lüneburger Heide das erste Hotel der Fürst Donnersmarck-Stiftung (FDST) eröffnet. Damals war das Hotel eines der ersten barrierefreien Hotels Deutschlands und ermöglichte es Menschen mit Behinderung, Erholungsreisen durchzuführen. Anlässlich seines runden Jubiläums blicken wir zurück auf 50 Jahre Heidehotel und damit ein halbes Jahrhundert Beherbergungs- und Hotelbetrieb.
Reisen mit Beeinträchtigung in den 1950er Jahren
Es war Mai 1955, als die FDST zum ersten Mal eine Erholungsreise für Menschen mit Behinderung durchführte. Die Idee dieser sogenannten „Fahrt des guten Willens“ geht auf den Sozialpädagogen Paul Neukirchen zurück, der Anfang der 1950er Jahre die Gruppenarbeit der FDST in den Neuköllner und Charlottenburger Nachbarschaftsheimen organisierte. Reisen für Menschen mit Behinderung war damals etwas Neues und Ungewöhnliches. Besonders für Personen aus West-Berlin, wo es solche Reiseangebote praktisch nicht gab. Insgesamt 100 Personen, davon 85 Menschen mit Beeinträchtigung und 15 Helferinnen und Helfer fuhren damals nach Oerlinghausen in Nordrhein-Westfalen.
Die Reisegruppe fuhr mit dem Bus. Zehn Personen mussten per Flugzeug anreisen, da sie in den Jahren zuvor aus der DDR geflüchtet waren. Bis 1966 fanden insgesamt sechs dieser „Fahrten des guten Willens“ mit steigenden Teilnehmerzahlen statt. Wie enthusiastisch die Reisen aufgenommen wurden, lässt sich aus den liebevoll gestalteten Fotoalben erfahren, die noch heute im Archiv der FDST bewahrt werden.
Lehren aus den „Fahrten des guten Willens“
Mit den „Fahrten des guten Willens“ hatte die FDST ein neues Arbeitsfeld eröffnet, das bis heute eine Säule ihres Engagements darstellt: Die Organisation touristischer Angebote für Menschen mit Behinderung. Zugleich offenbarten die Reisen, dass es noch ein langer Weg werden würde, bis ein barrierefreier Tourismus für jede und jeden möglich sein würde. Die Probleme begannen beim Transport, da die damals hierfür eingesetzten Omnibusse natürlich keine barrierefreie Beförderung ermöglichten. Das galt auch für die Unterkünfte, die in Oerlinghausen nicht vollständig barrierefrei eingerichtet waren.
Die Gründung des Heidehotels Bad Bevensen
Schon 1961 schlug Guido Graf Henckel Fürst von Donnersmarck deshalb den Kauf eines „Erholungsheimes für Schwerbeschädigte in Westdeutschland“ vor. In der Folge hielten die Geschäftsführung und das Kuratorium der FDST Ausschau nach einem geeigneten Baugrundstück. Schließlich fanden sie 1966 im Luftkurort Bevensen in der Lüneburger Heide ein geeignetes Objekt. Die Stiftung pachtete daraufhin ein Grundstück, auf dem ein „Erholungs-Freizeit-Haus“ entstehen sollte. Zuvor galt es allerdings, die Finanzierung des geplanten, ca. 1,3 Mio. DM teuren, Baues zu sichern. Neben Eigenmitteln kamen Gelder aus dem niedersächsischen Sozialministerium, dem Diakonischen Werk, Lottomitteln und vom Berliner Senat.
Im Herbst 1970 begann schließlich der Bau des damals noch als „Versehrten- und Altenkurheim“ bezeichneten Gebäudes. Ursprünglich war das geplante Gebäude auf 40 Personen ausgelegt. Ekkehard Reichel, der seit Jahresbeginn 1971 die Geschäfte der FDST führte, setzte allerdings noch während der Bautätigkeit den Ausbau des dritten Geschosses durch und erhöhte die Kapazität des späteren Gästehaus Bad Bevensen auf 70 Personen. Der Bau verlief ohne Zwischenfälle und Verzögerungen: Am 10. Juni 1971 feierte man das Richtfest; am 1. März 1972 wurde der Bau fertiggestellt; und bereits acht Tage später, am 9. März 1971, bezogen die ersten 45 Gäste ihre Zimmer.
Die ersten Betriebsjahre: Erholungsdurchgänge
So reibungslos wie der Bau und die Erstbelegung des Hauses verliefen die ersten Jahre des Betriebs allerdings nicht. Neben personellen Problemen war dies vor allem auf die Finanzierungsgrundlage des Hauses zurückzuführen. Denn die Kostenträger wollten die angesetzten Unterbringungskosten nicht bezahlen, sodass die Stiftung die Tagesätze von damals 25,00 DM reduzieren musste. Daneben galt es, die Bevölkerung von Bevensen für die Belange von Menschen mit Behinderung zu sensibilisieren, was Berichten zufolge bis Mitte der 1970er Jahre allerdings recht gut funktionierte.
Das Gästehaus funktionierte damals allerdings noch nicht wie ein gewöhnliches Hotel, bei dem die Gäste zu jeder Zeit an- und abreisen konnten. Ähnlich wie in der Villa Donnersmarck in Berlin-Zehlendorf, wo zu dieser Zeit ebenfalls ‚Erholungsdurchgänge‘ angeboten wurden, war das Jahr in meist dreiwöchige Erholungszeiten eingeteilt. Die meist aus Westberlin stammenden Gäste reisten zu festgelegten Terminen und in geschlossenen Gruppen in das ‚Erholungsheim‘ nach Bevensen und reisten dann auch gemeinsam wieder ab. Damit sollte auch die sozialpädagogische Arbeit in Berlin unterstützt und die Bildung neuer Gruppen gefördert werden. Sie konnten sich nach ihrer Rückkehr in der Villa Donnersmarck treffen.
Neue Finanzierungsgrundlage ab 1982
Bis 1980 steigerte sich die Bekanntheit des Gästehauses in Bad Bevensen derart, dass ein Erweiterungsbau notwendig wurde, der am 5. März 1981 fertiggestellt werden konnte. Zwar kamen die meisten Gäste nach wie vor aus Berlin. Doch auch im nahe gelegenen Hamburg und Hannover hatte sich herumgesprochen, dass in der Lüneburger Heide barrierefrei Urlaub gemacht werden konnten.
Die Kosten der ‚Erholungsdurchgänge‘ wurden damals noch überwiegend von den Kostenträgern, dem Diakonischen Werk, den Landesversorgungsanstalten und den Berliner Bezirksämtern, übernommen. Nur ein geringer Teil der Gäste waren Selbstzahler. Das änderte sich kurze Zeit nach der Eröffnung des Erweiterungsbaues schlagartig Am 22. Dezember 1981 erhielt die FDST ein Schreiben des Berliner Senators für Gesundheit, Soziales und Familie, in dem er ankündigte, dass die Kosten für die Reisen nicht mehr länger übernommen werden sollten. Stattdessen wurden die Bezirksämter angewiesen, nur noch die noch die behinderungsbedingten Mehrkosten zu tragen. Das bedeutete, dass die Gäste ihren Aufenthalt größtenteils oder komplett selbst finanzieren mussten. Doch dazu waren die meisten schlicht nicht in der Lage. Von einem Tag auf den anderen brach die Belegung des Hauses ein.
Das Gästehaus orientiert sich neu
Auf die Zuwendungskürzungen reagierte die FDST mit einer Neuausrichtung und Modernisierung des Gästehauses. Ab 1983 wurde der Bettentrakt renoviert und schließlich auf 97 Betten erweitert. Im Folgejahr standen die Funktionsbereiche im Zentrum der Umbautätigkeiten. An deren Ende hatte sich das Haus gründlich geändert. Das Gästehaus hatte nun nicht mehr den Charakter eines Erholungsheimes, sondern eines Hotels, das sich am Individualreisemarkt orientiert und mit anderen Angeboten in Konkurrenz tritt. Und das mit Erfolg. Neben den weiterhin, allerdings in deutlich geringerem Umfang vom Senat finanzierten, dreiwöchigen ‚Erholungsdurchgängen‘, verbrachten zunehmend Privatzahler ihren Urlaub in Bevensen. Bereits 1984 überstieg die Belegung des Hauses den Stand zum Zeitpunkt vor den Umbauarbeiten.
Die weiteren Veränderungen hatten weniger mit dem Haus, als mit dem historischen und gesellschaftlichen Wandel zu tun. Mit dem Fall der Mauer verlor Westberlin seine isolierte Stellung. Reisen wurde damit auch für dort lebende Menschen mit Behinderung einfacher, zumal die Tourismusbranche diese Klientel zunehmend als Zielgruppe entdeckte. Zudem waren die Gäste, die dem Hotel über Jahre hinweg die Treue gehalten hatten, immer älter geworden. Viele von ihnen konnten oder wollten nicht mehr verreisen, so dass die bis dahin hohe Auslastung des Hauses Anfang der 1990er Jahre merklich zurückging.
Vom Gästehaus zum Heidehotel
Abermals versuchte die FDST dieser Entwicklung durch eine Anpassung des Leistungsprofils zu begegnen. So wurde gegen Ende der 1990er Jahre die Zahl der Doppelzimmer zugunsten von Einzelzimmern reduziert und ein Küchenchef zur Hebung des gastronomischen Niveaus eingestellt. 2004 stellte die Stiftung die ‚Erholungsdurchgänge‘ völlig eingestellt. Damit hatte sich das einstige „Versehrten- und Altenheim“ endgültig zu einem modernen Hotel entwickelt, das sich den üblichen Herausforderungen der Tourismusbranche zu stellen hatte. Gesamtgesellschaftlich ist diese Entwicklung ein Beispiel dafür, wie sich die gesellschaftliche Teilhabe von Menschen mit Behinderung am Alltagsleben schrittweise normalisierte.
Auch nach der Jahrtausendwende entwickelte sich das Haus stetig weiter. Um den Gästen weiterhin ein modernes, attraktives Urlaubsangebot machen zu können, entschied sich das Kuratorium Mitte der 2000er Jahre, erneut großzügig in das Haus zu investieren und das Profil des Hauses abermals zu erweitern. Bei einem Architekturwettbewerb, den die FDST zusammen mit der Fachhochschule Hildesheim durchführte setzte, sich ein Entwurf durch, der die Einrichtung eines ‚Vital-Zentrums‘ vorsah. So sollten als neue Zielgruppe auch Kurgäste von Bad Bevensens angesprochen werden.
50 Jahre Heidehotel: Das Haus heute
Die umfangreichen und bis dahin teuersten Umbaumaßnahmen zogen sich von September 2007 bis Oktober 2008 hin. Nach Beendigung der Arbeiten hatte das Haus ein neues und einladendes Foyer inklusive Rezeption, neue Gruppen- und Seminarräume, fünf zusätzliche Zimmer, eine modernisierte Bibliothek und das ‚Vital-Zentrum‘ mit barrierefreier Bio-Sauna, Gymnastik- und Entspannungsraum und einem vielfältigen Kursangebot zu bieten. Auch diesmal wirkte sich die Neugestaltung des Hauses positiv auf die Auslastung aus und die Zahl der Buchungen aus dem In- wie auch aus dem Ausland nahmen zu. 2017, ein Jahr nach dem 100-Jährigen Jubiläum der FDST, erfolgte schließlich die vorerst letzte Umbenennung des Gästehauses in „Heidehotel Bad Bevensen“. In diesem neuen Namen drückt sich das gewandelte Selbstverständnis des Hauses aus, ein vollwertiges Hotel für Menschen mit Behinderung zu sein, das denselben Standard bietet, wie jedes andere ‚gute Haus‘.